Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 1882. Wien, Mittwoch, den 24. November 1869 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 1882. Wien, Mittwoch, den 24. November 1869 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 24.11.1869
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Gluck’s „Armida“. (Aufgeführt im neuen Opernhaus am 20. November.)

Ed. H. „Armida“, die historisch denkwürdigste Oper von Gluck, einst hochgefeiert auf den Bühnen, wie jetzt noch in Büchern und Kritiken, wurde nach mehr als sechzigjährigem Scheintode ehevorgestern wieder ins Leben gerufen.

In Wien zum letztenmale im Jahre 1809 (mit Anna Milder in der Titelrolle) dargestellt, ist „Armida“ dem ge genwärtigen Publicum eine vollständige Novität. Die Hand lung, Tasso’s romantischem Heldengedicht: „Das befreite Jerusalem“ entnommen, ist im Wesentlichen folgende: Das Heer der abendländischen Kreuzfahrer unter dem Oberbefehl Gottfried v. Bouillon’s liegt vor Jerusalem. Hydraot, Kö nig von Damascus, veranlaßt seine Nichte Armida, eine Zau berin von unwiderstehlicher Schönheit, in das Lager zu schlei chen, um Gottfried’s Ritter zu verführen. Unter Vorspiegelung einer erdichteten Vertreibung bittet sie die Ritter, sie in ihr väterliches Reich wieder einzusetzen, und wirklich folgen, von ihrem Reiz gefesselt, die Tapfersten des Heeres der Zauberin. Kaum sind sie aber in Armidens Gewalt, als sie von ihr überlistet und gefesselt werden. Die Oper beginnt mit einem Freudenfeste, womit das Volk von Damascus diesen Sieg feiert. Da unterbricht die Ankunft eines verwundeten Kriegers den Triumph: er berichtet, daß die Gefangenen durch die un widerstehliche Tapferkeit eines fränkischen Ritters, Rinaldo, befreit worden sind. Mit dem Aufrufe zur Verfolgung dieses gehaßten Feindes schließt der erste Act. Im zweiten Acte suchen Armida und HydraotRinaldo, den „Achilles des deut schen Heeres“, der wegen eines Zweikampfes aus dem Lager geflohen ist. Sie finden ihn schlummernd auf einer Insel am Orontes. Armida eilt mit gezücktem Dolche auf ihn los, allein der Anblick des schönen Jünglings verwandelt ihren

Haß in glühende Neigung. Sie ruft den Dämon des Hasses und sein Gefolge herbei, welche sie dieser schmachvollen Liebe zu entreißen suchen (dritter Act). Es ist zu spät, auch Ri naldo ist in leidenschaftlicher Gluth für Armida ent brannt, und die beiden Liebenden werden von Ar mida’s Dämonen nach einer Zauber-Insel im fernen Ocean getragen, wo der Ritter in den Armen seiner reizenden Bezwingerin auf Heer und Heldenthum vergißt. Da entsendet Gottfried v. Bouillon zwei Ritter, welche Rinaldo nachforschen und ihn ins Lager zurückführen sollen. Wir sehen die Beiden, Ubald und den dänischen Ritter, im vierten Acte ihre Mission antreten. Armida sucht sie zuerst in schauerlicher Wild niß durch Ungethüme und Schreckbilder aller Art zu beirren; als dies mißlingt, ruft sie die reizendsten Truppen der Ver führungskunst ins Gefecht. Liebliche Nymphen und Schäferin nen umgaukeln die beiden Ritter; ein Dämon nimmt die Ge stalt Lucindens, der Geliebten des Dänen, an und hat sich seiner beinahe bemächtigt, als Ubald mit seinem Zauberschilde rettend dazwischentritt und den gefährdeten Freund fortzieht. Der fünfte Act führt uns in Armida’s Zauberschloß. Die beiden Ritter dringen ein und finden Rinaldo, ohne Rüstung, mit Rosen bekränzt, weichlichem Genusse hingegeben. Ubaldo’s demantstrahlender Schild zerstört auch hier den Zauber, und sein Ruf: „Notre général vous rappèle!“ bewegt den sich er mannenden Rinaldo, mit den Rittern davonzueilen. Armida bleibt allein zurück, verlassen, in Zorn und Reue erglühend; sie läßt ihren Zauberpalast von Dämonen zerstören und erhebt sich auf einem geflügelten Drachenwagen in die Lüfte. (Nach der hiesigen Scenirung versinkt Armida, der Palast stürzt über ihr zusammen.)

Das Libretto, von dem gefeierten Hofpoeten Lud wig’s XIV., Quinault, für Lulli, den Schöpfer der fran zösischen Oper, componirt, steht bei den Franzosen in größter Achtung. Gluck hat es, fast hundert Jahre später, unverän dert beibehalten; sein Rivale Piccini componirte dasselbe

(von Marmontel überarbeitet) gleichfalls für Paris, und noch in unseren Tagen hat Rossini seine „Armida“ daraus gemacht. Quinault’s Dichtung ist vom Standpunkte moder ner Anschauungen mangelhaft und veraltet. Es leidet an tech nischen Fehlern, wie das häufige Stocken der Handlung, die Anhäufung vieler kleiner Rollen (in Wien sind mehrere davon gestrichen oder combinirt), noch mehr an dem poetischen Miß griffe einer maßlosen Häufung des Wunderbaren. Dabei ver räth das Libretto durch seine zahlreichen Ballette und sonsti gen Augenweiden deutlich seine Entstehungszeit, die luxuriöse Epoche Ludwig’s XIV. und deren höfischen, überladenen Styl. Darüber sind jedoch die Vorzüge dieses Librettos nicht zu übersehen, welches in vortrefflichen Versen eine wechselvolle, farbenreiche Handlung und interessante Charaktere aufführt und dem Tondichter in der Schilderung der lieblichsten wie der furchtbarsten Scenen einen weiten, dankbaren Spielraum bietet. Daß Gluck in der „Armida“ nicht den vollen, ganzen Zauber der Musik entfesselt hat, dessen der Stoff selbst in Quinault’s Bearbeitung fähig ist, das lag nicht allein an dem Poeten.

Vor Allem war die Natur von Gluck’s Talent und sein ganzes Stylprincip einer eminent romantischen Dichtung wie „Armidanicht günstig. Gluck ist bewunderungswürdig und unerreicht in Handlungen aus der griechischen Geschichte und Mytholo gie, in „classischen“ Stoffen, wie „Iphigenia in Aulis“, „Iphi genia in Tauris“, „Orpheus“, „Alceste“. Hier entspricht die edle, herbe Einfachheit seiner Musik ganz wunderbar dem Geiste der Dichtung und unseren Vorstellungen von der Antike. Die scharfen, plastischen Contouren seiner Melodien, die nachdrück liche Declamation, die gemessene Haltung und vornehme Spar samkeit der Begleitung machen diese Opern in Wahrheit zu einem musikalischen Abbild der Antike, wie wir im Bereiche der Oper kein zweites besitzen. Nicht nur die Vorzüge, auch die eigenthümlichen Schwächen der Gluck’schen Musik passen ganz einzig für die Betonung antiker Dramen. Darum wider fährt es so vielen Gluck-Enthusiasten, daß sie daselbst diese

Schwächen gar nicht als solche erkennen, vielmehr für Resul tate eines außerordentlichen und selbstverleugnenden Kunstver standes auch dasjenige halten, was in der Beschränktheit von Gluck’s schöpferischer Kraft und Technik wurzelt. Da wird denn ohneweiters jedes Nichtweiterkönnen Gluck’s als ein Nichtweiterwollen bewundert und als „echt griechisch“ manche Lücke seiner musikalischen Kunst gepriesen. Auf antikem Bo den wurden Gluck’s Mängel fast durchwegs zu Tugenden. In dessen konnte auch in diesen Griechenstücken Niemandem ent gehen, daß Gluck für zärtlich bewegte Empfindungen beiweitem nicht so treffenden Ausdruck besitze, wie für das Dämonische, Wilde, Schauerliche (in den Scythenchören, Gesängen der Furien und dergleichen), daß namentlich die Liebessenen zwischen Achill und Iphigenie frostig und conventionell klingen. Wie viel mehr fordert aber gerade in diesem Punkte die Operndichtung Armida“, in welcher die Liebe nicht ein blos untergeordnetes Motiv, sondern Mittelpunkt und Gipfel des Ganzen bildet! Denn auch der Haß Armidens ist nun zur Selbsterkenntniß gekommen und sich selbst bekämpfende Liebe. Lediglich in ein zelnen Partien dieser Oper erhebt sich Gluck zu seiner gan zen Größe, wo ein stolzes Gefühl sich in pathetischem Reci tativ ausspricht und wo dämonische Mächte ihre grauen volle Thätigkeit entfalten. Hier begegnen wir Gluck’s höch ster musikalischer Kraft. Die Beschwörung der Furien des Hasses, welche in wildem Chor und Tanz die verzweifelnde Armida bedrängen, und hierauf deren schon von der Morgen röthe einer moderneren Kunst angeglühter, tief erschütternder Monolog („O ciel, quelle horrible menace!“) gehört zu den größten, genialsten Schöpfungen des Meisters. Ein Fehler in der Scenirung scheint es mir, daß die Furien des Hasses bis zur letzten Note im Vordergrunde verweilen, anstatt, wie es auch die allegorische Bedeutung verlangt, allmälig immer weiter von Armida zurückzuweichen. Dieses Fi nale des dritten Actes ist zugleich der Gipfelpunkt der Oper.

Alles Vorhergehende wie Nachfolgende fällt dagegen ab. Ein zelne Perlen finden sich allerdings, wie z. B. der Schlußchor des ersten Actes (welcher Mozart in seinem ersten „Don Juan“-Finale vorgeschwebt haben mag), die in zarten, nur zu langen Silberfäden ausgesponnene Scene Rinaldo’s im zwei ten Acte und Aehnliches. Dazwischen sammelt sich aber viel des Veralteten, musikalisch Dürftigen und Langweiligen. Die Wandelbarkeit und Veränderung im musikalischen Geschmacke, dieser langsam, aber unerbittlich fortschreitende ästhetische Stoffwechsel, wird hier augenfällig. Musikstücke, welche von Gluck’s Zeitgenossen zumeist gepriesen wurden (gefielen ja in Paris die beiden ersten Acte am meisten), lassen uns jetzt gleich giltig. Ihr großes relatives Verdienst zu schätzen, ist Sache und Interesse des Kunsthistorikers, nicht des Publicums. Wenn wir durch mehrere Jahre nichts Anderes zu hören bekämen, als Opern von Gluck’s Vorgängern und Zeitgenossen (wir danken dafür), so würden wir den durch ihn vollzogenen enor men Fortschritt im Innersten fühlen und „Armida“ würde uns wie eine neue Offenbarung begeistern. Unsere Großväter maßen Gluck an seinen Vorgängern und waren entzückt; wir können ihn nur an seinen Nachfolgern messen, und da zieht er gar häufig den Kürzeren. Denn trotz des scheinheiligen, in jeder Epoche gleichmäßig wiederholten Klageliedes von dem „tiefsten Verfalle der Tonkunst“ sind wir der Ueberzeugung, daß die Musik in vielen Dingen (und nicht blos äußerlichen) sehr erheblich fortgeschritten sei. Mozart, ein ungleich ge nialerer Erfinder und technischer Meister als Gluck, wird doch nicht umsonst gelebt haben, und auch nach Mozart hat die Musik für den Ausdruck des Wunderbaren, Romantischen, der Sinnlichkeit wie der Schwärmerei neue Welten entdeckt. Be trachten wir die Liebes- und Verführungsscenen in Gluck’s Armida“. Wer findet noch in diesen kühlen, schleppenden Melodien mit ihrer mageren Harmonisirung, ihrer spärlichen, am Hauptton festklebenden Modulation und gleichförmigen,

nicht vom Flecke kommenden Rhythmik den wahren Ausdruck leidenschaftlicher Liebe und sinnlicher Gluth? Daran ist der Standpunkt der Musik zu Gluck’s Zeit nicht allein schuld, sondern ebensosehr Gluck’s ganze Individualität. Die schöne Sinn lichkeit, die zarten, schwärmerischen Regungen des Herzens waren niemals die starke Seite Gluck’s, welcher überdies 63 Jahre zählte, als er die „Armida“ schrieb. Und doch glaubte er dem Liebesduett zwischen Rinaldo und Armida (fünfter Act) eine so wollüstige Färbung gegeben zu haben, daß er die Be sorgniß aussprach, um dieses Duettes willen vielleicht der ewigen Seligkeit verlustig zu werden. Requiescat in pace! Die Kritik pflegt sich gern mit dem Satz herauszuhelfen, daß Gluck’s Melodien, gegenüber den musikalisch reizenderen der Modernen, die ewig unvergängliche Wahrheit des Aus drucks für sich haben. Diese Behauptung hat nur eine sehr bedingte und beschränkte Richtigkeit. Was nennen wir „wahr“ in der Musik? Doch wol nur, was uns mit der unmittel baren Gewalt der Wahrheit überzeugt und rührt. Wenn nun aber unser musikalisches Empfinden ein anderes geworden ist, wenn wir kalt bleiben, wo die Franzosen von 1777 aufjubel ten? Wer ist hier Richter über die „Wahrheit“ eines Musik stückes, die wir doch höher auffassen müssen, denn als bloßen Nichtwiderspruch zwischen Wort und Ton? Sehen wir ein mal die Liebes- und Verführungsscenen in Rossini’sAr mida“ an. Ob man sie schöner finden will, als die Gluck’schen, ist Geschmackssache; ich finde sie geistlos, weichlich und veraltet. Aber gerade wahrer im Ausdruck süßer Lie beslust und wollüstiger Zärtlichkeit dünken sie mir, was von dem ganz auf Sinnlichkeit angelegten zwanzigjährigen Rossini nicht Wunder nehmen kann. Aehnliches gilt sogar von Pic cini, dem unschuldigen Prügelknaben der Musikgeschichte, der in Paris mit Gluck’s „Armida“ rivalisiren und dasselbe Text buch componiren mußte. Piccini war in allen Dingen klein, in welchen Gluck excellirte; ein Donizetti oder Rossini seiner

Zeit, konnte er im Heroischen und Tragischen ebensowenig an Gluck hinanreichen, als dieser im Stande gewesen wäre, eine rei zende Opera buffa wie die „Buona Figliuola“ zu schreiben. Mit Recht finden wir Piccini’s „Roland“ unbedeutend und süßlich neben Gluck’s „Armida“. Allein gerade sein sinnliches beweg liches Temperament, seine melodiöse Anmuth befähigten ihn, Gluck in den lieblichen Verführungsscenen (Schäferspiel im zweiten Act des „Roland“ etc.) an Lebendigkeit und Sinnenreiz zu übertreffen, also mit dem Eindruck größerer Wahrheit zu wirken.

Auf dem Gebiet des Wunderbaren und Romantischen ist unsere Generation musikalisch durch K. M. Weber zu sehr verwöhnt, um hier Gluck’s Farben hinreichend stark und charakteristisch zu finden. Man vergleiche den vierten Act in Armida“ mit Aehnlichem im „Freischütz“, „Oberon“, „Hanns Heiling“. Das kleine Duettchen der beiden bedrohten Kreuzritter galt vor 100 Jahren für sehr heroisch, für uns ist es reine Vaudeville-Musik, ganz so wie die Strophen der Lucinde und vieles Andere. Das Verführungsballet im vierten Acte hat eine vollständige Analogie in „Robert der Teufel“ — welcher Umschwung in der Balletmusik! Wer heutzutage noch die monotone, sterile Tanzmusik Gluck’s für schöner erklärt, als die Ballet-Compositionen in der „Stummen von Portici“, im Robert“ oder „Propheten“, der läßt uns nur die Wahl, ent weder an seiner Aufrichtigkeit oder an seinem Verstande zu zweifeln. Diese und andere Partien der „Armida“ gehen unter in jenem „Kampf ums Dasein“, den auch die Kunst geschichte kennt, indem sie immer reichere, complicirtere Ge staltungen an die Stelle dürftigerer setzt. Schöpfungen von der genialen Lebens- und Widerstandskraft der Scene Armida’s mit den Furien werden dem Strom der Zeit noch lange trotzen; von so mächtigem Stoff ist aber kein zweites Stück in der „Armida“. Die vornehme Haltung und edle Einfachheit des ganzen Werkes imponirt zwar noch immer, allein das Ohr möchte überall

mehr! Wie oft müssen unsere besten Opern-Componisten den Vorwurf hören, sie vermögen nicht mit so kleinen Mitteln so große Wirkungen hervorzubringen, wie Gluck. Wol möglich, aber mit größeren Mitteln erreichen sie sehr häufig Größeres.

Weit mehr als in den lyrischen Partien erkennt man Gluck’s Genie in einzelnen dramatischen Zügen und Schlag worten. „Armida“ ist reich an solchen Zügen von historischer Berühmtheit. Sie haben durch den Abfluß eines Jahrhun derts nichts an ausdrucksvoller Richtigkeit der Declamation verloren, wol aber viel von ihrem ehemals so mächtigen Ein drucke. Wer wird z. B. heutzutage an dem Ausrufe: „Un seul guerrier!“ im ersten, oder: „Notre général vous rappèle!“ im fünften Acte etwas Außerordentliches finden? Die musi kalische Neuheit und Frische ist diesen und ähnlichen Stellen von der Zeitenfluth abgewaschen, sie klingen uns nur noch zweckmäßig, correct, vernünftig, nicht hinreißend. Ein Wort Börne’s fiel mir dabei ein. Er spricht einmal von der ab göttischen Bewunderung der Franzosen für ein dramatisches Aperçu in den „Horatiern“ von Corneille („Qu’il mourût!“) und fügt die Bemerkung daran: „Wenn wir Neueren aus jedem ähnlichen Kraftworte bei Schiller und Goethe solches Aufheben machen wollten, wir würden gar nicht fertig werden.“

Für die Aufführung der „Armida“ verdient die Direc tion des Hofoperntheaters den aufrichtigsten Dank. Dem ge bildeten Musikfreunde, dem die geschichtliche Bedeutung Gluck’s gegenwärtig und die Partitur der „Armida“ bekannt ist, bietet die Vorstellung ein außerordentliches Interesse. Das große Publicum (welches übrigens die Schönheit des dritten Actes vollständig auffaßte und hervorhob) würde sich mitunter herz lich langweilen, fände es nicht seine Rechnung in den vielen prunkvollen Sehenswürdigkeiten, mit denen die Oper hier ausgestattet ist. Ein fortwährender Wechsel neuer Decoratio nen und Verwandlungen, glänzender Costüme und Tänze be schäftigt das Auge des Zuschauers. Der Decorations-Maler

Brioschi war eigentlich der Held des Abends, sowie sein College Joseph Hoffmann gegenwärtig der Held der Zauberflöte“ ist. Man kann es nur billigen, wenn zum Vortheile eines großen Werkes auch große Mittel aufgewen det werden; „Armida“ insbesondere, die echt französische Prunk-Oper, bedarf der glänzenden Erscheinung. Berlioz meint zwar, „nur unsere krüppelhaften modernen Opern be dürften der Ausstattung, Gluck’s Opern dürfen sich, wie die Göttinnen, nackt zeigen“. Wir möchten mit „Armida“ diesen Versuch nicht wagen. Die Aufführung der Oper zeugte von großer Sorgfalt, wenn sie auch den idealen Anforderungen nicht entsprechen konnte, welche Aufgaben dieses Styles hervorrufen. Herr Walter bewältigte die schwierige Partie des Rinaldo, in welcher wenige moderne Sänger sich hei misch fühlen dürften, musikalisch vortrefflich und trug nament lich die lyrische Monodie im zweiten Acte schmelzend vor; wo jedoch ein größerer tragischer Zug in die Rolle kommt, beim Abschiede von Armida, erreichten Spiel und Vortrag nicht die Höhe des Momentes. Auch Frau Wilt hatte auf die Ar mida eingehendes Studium und sichtlichen Fleiß verwendet; die Rolle macht aber zu große Ansprüche an declamatorische Kunst und ergreifende psychologische Darstellung, als daß Frau Wilt dieser eminent dramatischen Aufgabe hätte genügen können. Sie sang gut, rührte uns aber weder im Haß noch in der Liebe. Frau Materna sah als „Furie des Hassesprachtvoll aus und sang diese schwierige Partie mit fast über sprudelnder Energie. Fräulein Tellheim, die Herren Bi gnio, Schmid und Müller ließen es ihrer sorgfältigen Darstellung keinen Augenblick anmerken, daß es kleine und undankbare Rollen sind, auf welche sie ihr Talent und ihre Mühe verwendeten. Wie Herr v. Dingelstedt um die Scenirung der „Armida“, so hat sich Herr Capellmeister Dessoff um den musikalischen Theil der Aufführung sehr verdient gemacht.