Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 2034. Wien, Donnerstag, den 28. April 1870 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 2034. Wien, Donnerstag, den 28. April 1870 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28.04.1870
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Memoiren von Hector Berlioz. I.

Ed. H. In den musikalischen Kreisen von Paris war es schon zu Berlioz’ Lebzeiten längst bekannt, daß der be rühmte Componist an einer Selbstbiographie arbeite, deren Publication erst nach seinem Ableben gestattet sein sollte. Diese „Mémoires de Hector Berlioz“ sind soeben in prachtvoller Ausstattung bei Michel Lévy (Paris1870) erschienen und werden die Aufmerksamkeit aller für Musik sich interessirenden Leser in hohem Grade erregen. Eine Persön lichkeit wie Berlioz ist durch ihre Eigenart wie durch ihre Schicksale zur Autobiographie ganz vorzugsweise berufen. Man mag über den Reiz, den Einfluß und den bleibenden Werth seiner Compositionen noch so verschieden denken, ja davon ganz absehen, Berlioz bleibt eine merkwürdige Erscheinung durch die seltene Energie seines Charakters, durch ungewöhnliche Feinheit des Geistes und der Empfindung, endlich auch durch eine bis ins Greisenalter forttosende, wahrhaft tragische Lei denschaftlichkeit. Zu diesem psychologischen Interesse tritt das kunsthistorische in dem Lebenslaufe eines Mannes, der, wie Berlioz, die Musikzustände von Frankreich, Italien, Deutsch land, England und Rußland aus eigener Anschauung kannte und ein halbes Jahrhundert lang als Tondichter und Kritiker mit einschneidender Wirkung thätig war. Berlioz begann die Abfassung seiner Memoiren im Jahre 1848 in London und schloß sie am Neujahrstage 1865, also vier Jahre vor sei nem Tode. Wenn man an diesem reichhaltigen Buche etwas zu beklagen hat, so ist es die übergroße Ausdehnung und der hohe Preis desselben, welche viele Leser abschrecken dürften. Es gehört schon ein lebhaftes Interesse für den Autor dazu, um sich durch mehr als 500 Seiten größten Octavformats mit seiner Person zu beschäftigen. Solch gewaltigen Umfang er

hielt die Selbstbiographie einmal dadurch, daß Berlioz’ Reiseberichte aus Italien, Deutschland, Rußland u. s. w., welche ursprünglich als Feuilleton im Journal des Debats, dann selbstständig in Broschürenform erschienen waren, hier unverändert und voll ständig wieder einverleibt sind. Sodann durch die bequeme Breite, mit welcher Berlioz, gewohnt an den Ton der feuille tonistischen „Causerie“, manchmal recht unerhebliche Scenen oder Gespräche wiedergibt. Die Lebhaftigkeit seines Tempera ments verleitet ihn, überall zu dramatisiren, wodurch seine Er zählung allerdings den Reiz der Frische gewinnt, aber an Haltung und Stetigkeit verliert. So ist Berlioz z. B. nicht im Stande, kurz zu erzählen: „Ich ging trotz wiederholter Abmahnungen meines Freundes nach Meylan“, sondern er führt dies (pag. 440), ganz als wenn er ein Bühnenstück schriebe, in einem sehr lebhaften Dialog aus, welcher doch nichts Anderes enthält, als das fortwährend wiederholte: „Geh’ nicht!“ des Freundes und Berlioz’ stereotyp darauf einschla gendes: „Ich gehe doch!“ Eine launige Conversation Berliozmit dem alten Thürsteher des Conservatoriums füllt das ganze 23. Capitel! Die eingefügten Reisebriefe endlich enthalten über fremde Künstler und Kunst-Institute kritische Ausfüh rungen von jetzt sehr antiquirtem oder nur mehr localem In teresse. Das Merkwürdigste in Berlioz’ Biographie ist ohne Zweifel seine Jugendzeit. Von dieser ist auch das Wenigste bekannt geworden, weßhalb einige Mittheilungen daraus unseren Lesern willkommen sein dürften. Hector Berlioz, geboren am 11. December 1803 in Côte-Saint-André, einem Städt chen zwischen Lyon und Grenoble, ist der Sohn eines verdienst vollen, geachteten Arztes daselbst. Man erzieht ihn natürlich im katholischen Glauben, „einer reizenden Religion, seitdem sie Niemanden mehr verbrennt“. Sie machte ganze sieben Jahre lang seine größte Seligkeit aus, später hat er sich mit ihr über worfen. Hector’s Vater war ein sehr aufgeklärter Mann, der nichtsdestoweniger seiner bigotten Frau förmlich versprochen hatte, den Sohn niemals vom strengen Glauben abwendig zu

machen. Er ließ ihn sogar manchmal den Katechismus aufsagen — „eine Gewissenhaftigkeit oder philosophische Gleich giltigkeit“, zu welcher sich Hector seinem eigenen Sohne gegen über für unfähig erklärt. Hector’s Vater unterrichtete ihn mit größter Sorgfalt selbst und ausschließlich, konnte ihm aber niemals Geschmack an den classischen Studien beibrin gen. Hingegen schwärmte er für Landkarten und Reisebeschrei bungen, welche seiner Phantasie ein unermeßliches Feld er öffneten. Er war zwölf Jahre alt, als er gleichzeitig die zwei großen Passionen seines Lebens kennen lernte: die Musik und die Liebe. Gegenstand der letzteren war ein schönes achtzehn jähriges Mädchen, das Hector auf dem Landsitze seines Onkels, Meylan an der savoyischen Grenze, kennen lernte. Estella (schon der Name entzückte ihn) hatte natürlich nur ein mit leidiges Lächeln für die heftige Leidenschaft des Knaben, der seinerseits dieses Jugend-Ideal niemals vergessen hat. Mit er greifender Wahrheit schildert er die Qualen dieser leidenschaft lichen ersten Liebe. In dieselbe Zeit fielen seine ersten, un beholfenen Versuche in der Composition. Etwas früher hatte er unter Anleitung seines Vaters das Flageolet und die Flöte spielen gelernt, hierauf auch die Guitarre. Dies waren die drei ersten Instrumente, durch welche Berlioz in die Musik eingeführt wurde, und die drei einzigen, die er in seinem Leben spielen gelernt! Gewiß der seltsamste Anfang und das dürftigste Material gerade für den Meister der großen Instrumental-Effecte und Orchester-Combinationen! Berlioz freut sich übrigens, daß sein Vater ihn nicht im Clavierspielen unterrichten ließ: „Ich wäre sonst wahrscheinlich ein gefürchteter Pianist geworden, wie vierzigtausend Andere.“ Seine ersten Compositions-Versuche trugen, unter dem Einflusse der un glücklichen Liebe von Meylan, den Stempel fester Melancholie; Berlioz hat sie sämmtlich vernichtet, nur die schwermüthige Melodie zu einer Romanze aus „Estella“ (!), von Florian, rettete er später in den ersten Satz seiner „Phantastischen Symphonie“ (1829) unverändert hinüber. Die Biographien

großer Componisten, inbesondere Gluck’s und Haydn’s, bildeten nun die Lieblingslectüre des jungen Berlioz, der den Beruf des Tondichters als das höchste denkbare Glück träumte. Sein Vater war anderer Ansicht und entschlossen, aus Hector einen Mediciner zu machen.

Um ihn für die medicinischen Studien vorzubereiten, be gann der Vater das riesige Handbuch der Osteologie von Munzo mit ihm durchzunehmen. Hector empfand den größten Widerwillen dagegen, und nur das Versprechen, man werde ihm eine werthvolle Flöte mit allen neuen Klappen aus Lyon kommen lassen, ermuthigte ihn, diesen Widerwillen vorläufig noch zu bekämpfen. Mit neunzehn Jahren verließ er schweren Herzens das Vaterhaus, um in Paris die medicinische Schule zu besuchen. Der erste Anblick der zerstückelten Leichen im Secirsaale erfüllte ihn mit solchem Grausen, daß er zum offe nen Fenster hinaussprang und lief, so weit ihn seine Füße trugen. Sein College und Stubengenosse Robert erschöpfte seine ganze Beredsamkeit, um Berlioz bald nachher zu einem zweiten Besuche des anatomischen Saales zu bewegen. Und seltsamerweise ließ ihn der gefürchtete Anblick diesmal uner schüttert, er empfand nichts weiter als kalten Ekel. Die me dicinischen Studien wurden fortgesetzt, und Berlioz gewöhnte sich an den Gedanken, die große Zahl gemeinschädlicher Aerzte noch um einen Unglücklichen zu vermehren, als ein Abend in der Großen Oper seinen Gedanken eine neue Wendung gab. Die Danaïden“ von Salieri war die erste Oper, welche Berlioz hörte. Die entzückende, berauschende Wirkung, welche sie auf den jungen Mann übte, steigerte sich mit jedem Besuche des Opernhauses und erreichte ihren Gipfel bei der Aufführung von Gluck’sIphigenie in Tauris“. Unter dem Eindrucke dieser Vorstellung that Berlioz noch auf der Schwelle des Opernhauses den Schwur, trotz Vater und Mutter, Onkel und Tanten nichts Anderes zu werden, als Musiker. Er ver schaffte sich Zutritt zu dem greisen Lesueur, dem berühm

ten Componisten der „Barden“, welcher ihn unter seine Schüler aufnahm und stets mit aufrichtigem Wohlwollen behandelte. Die Aufführung einer Messe, auf welche Berlioz große Hoff nungen gesetzt, scheiterte an einer Probe, welche in Folge feh lerhaft ausgeschriebener Stimmen einem Charivari glich. Ber lioz machte sich sofort an eine Umarbeitung der Messe und ver wendete drei Monate angestrengter Arbeit auf die eigenhändige Co piatur aller Auflagstimmen. Doch fehlten ihm vollständig die Mittel, eine neue Aufführung zu bezahlen. Seine Bitte an Chateaubriand um ein Darlehen von zwölfhundert Francs wurde mit einigen höflichen Zeilen abgelehnt. Der Verzweif lung nahe, erhielt Berlioz unerwartet Hilfe von einem enthu siastischen (später im äußersten Elende verstorbenen) Kunst freunde, Namens de Pons. Dieser lieh die nöthigen zwölf hundert Francs, und die Messe wurde mit vorzüglichen Kräf ten in der Kirche St. Roch aufgeführt. Es folgt ein drollig- ärgerlicher Auftritt mit Cherubini, welcher überhaupt in der ganzen Geschichte unseres Berlioz eine schlechte Rolle spielt. Cherubini, für seine Person nichts weniger als ascetisch, hatte strenge Sittlichkeits-Verordnungen für das Conservatorium publicirt, z. B. daß die männlichen Zöglinge durch ein ande res Thor und eine andere Straße eintreten mußten, als die weiblichen. Berlioz, mit diesem Ukas nicht vertraut, eilt eines Tages zu seinen geliebten Gluck’schen Partituren durch das verbotene Damenthor. Ein eifriger Diener klagt ihn bei Cherubini, und dieser läßt Berlioz nach heftigem Wortwechsel aus der Bibliothek hinausjagen. Berlioz freut sich übrigens, daß er in der Folge jede ihm von Cherubini servirte Blind schleiche diesem mit einer „Klapperschlange“ vergelten konnte. Inzwischen war die Spannung zwischen Berlioz und seinen Eltern aufs Aeußerste gediehen; der Vater erklärte, den ab trünnigen Sohn nicht mehr unterstützen zu wollen. Um den letzten Versuch zu wagen, eilte Berlioz ins väterliche Haus zurück. Er fand eine eisige Aufnahme. Der Vater erklärte,

Hector müsse der Musik entsagen und dürfe nicht mehr nach Paris zurück. Berlioz verfiel darüber in eine an Stumpfsinn grenzende dumpfe Verzweiflung; er berührte keine Speise, sprach mit Niemandem und brachte die Tage entweder einge schlossen in seinem Zimmer oder in Wäldern umherirrend zu. Dieser Anblick beängstigte denn doch endlich den Vater und milderte seinen Starrsinn. Hector dürfe wieder nach Paris und zu seinen Musikstudien zurück, aber nur probeweise, für einige Zeit; falls er da keine künstlerischen Erfolge, keine Anerkennung seines Talentes zu erringen vermöchte, müsse er unweigerlich eine andere Laufbahn einschlagen. Diese Entscheidung sollte, der strengen Mutter wegen, Ge heimniß bleiben. In seinem Herzensjubel vermochte aber Hector nicht zu schweigen; er vertraute das Geheimniß der Schwester an, und diese verrieth es an die Mutter. Letztere, von reli giösen Vorurtheilen vollständig befangen, hielt ihren Sohn auf Erden entehrt und jenseits verdammt, wenn er sich einer mit dem Theater so eng verbundenen Kunst widme. Nachdem sie ihre Drohungen machtlos abprallen sieht, wirft sie sich vor ihrem Sohne auf die Knie und beschwört ihn, der Musik zu entsagen. Er sucht sie zu beschwichtigen. Da springt die alte Frau auf ihm zurufend: „So ziehe hin! Entehre deinen Na men, tödte mich und deinen Vater durch Kummer und Schande! Ich verlasse das Haus. Du bist mein Sohn nicht mehr; ich fluche dir!“ Damit verschwand sie und flüchtete sich in ein entferntes Landhaus. Als unmittelbar vor der Trennung Hector mit seinem Vater sich dahin begab, um ein Lebewohl von ihr zu erbitten, lief sie davon, sobald sie die Beiden erblickte. Berlioz hat diese entsetzliche, unglaubliche Scene niemals ver gessen; ihr schreibt er zumeist den Haß zu, der ihn seither gegen allen religiösen Fanatismus und frommen Unverstand erfüllte. Nach Paris zurückgekehrt, nahm Berlioz sofort seine Studien bei Lesueur wieder auf und war vor Allem bemüht seine Schuld an de Pons so schnell als möglich zu tilgen.

Er erhielt vom Hause nur ein Monatgeld von 120 Francs; dazu kam der bescheidene Ertrag einiger Flöten- und Guitarre- Lectionen. Trotzdem gelang es Berlioz, indem er sich die größten persönlichen Entbehrungen auflegte, nach einigen Mo naten 600 Francs zu ersparen und damit die Hälfte seiner Schuld abzuzahlen. Es ist eines der rührendsten und für Ber lioz’ Charakter ehrenvollsten Bekenntnisse, daß er, um jene Schuld bezahlen zu können, eine winzige Kammer im fünften Stockwerke miethete und, anstatt wie früher beim Restaurant zu diniren, sich montelang von Brot, Weintrauben und Pflaumen nährte. Diese Malzeiten, zu dem Preise von höchstens sechs bis acht Sous, verzehrte er auf dem Pont neuf, zu Füßen der Statue Heinrich’s des Vierten. De Pons, von diesen Entbehrungen seines Freundes unterrichtet und selbst in Geldverlegenheit, hatte den unglücklichen Einfall, sich um die Bezahlung der zweiten Hälfte seines Darlehens direct an Hector’s Vater zu wenden. Dieser Schritt wurde verhängniß voll. Vater Berlioz sendete zwar sofort die gewünschten 600 Francs an de Pons, erklärte aber, seinen Sohn nicht weiter zu unterstützen, falls dieser nicht unverzüglich die Künstler laufbahn verlasse. Der alte Herr fühlte längst Reue über seine Nachgiebigkeit, sein Sohn hatte nun fünf Monate in Paris zugebracht, ohne eine Stellung zu erlangen, einen Erfolg zu erringen; anstatt ein berühmter Componist, war er in den Augen des Vaters nichts geworden, als ein leichtsinniger Schul denmacher und unpraktischer Phantast. Hector ließ aber nicht mehr ab von seinem Lebens-Ideal; er blieb in Paris, ent schlossen, sich mit Hilfe einiger Lectionen und großer Spar samkeit allein fortzuhelfen. Mit Feuereifer componirte er eine große Oper: „Les Francs-juges“ (die Vehmrichter), und eine heroische Cantate auf ein Sujet der griechischen Revolution, welche damals alle Gemüther erfüllte. Alle Bemühungen des jungen Componisten um eine Aufführung seiner Werke schei terten vollständig. Der Winter kam. Berlioz konnte sein lu

cullisches Mal nicht mehr im Freien einnehmen, er brauchte Holz, Licht, wärmere Kleider. Seine Lectionen, zu 1 Franc die Stunde, hatten beinahe sämmtlich aufgehört. Er hat nur die Wahl, demüthig zum Vater zurückzukehren oder Hungers zu sterben. Da gibt die unbezähmbare Leidenschaft für die Musik ihm neue Kraft. Berlioz läßt sich als Chorist im Théâtre des Nouveautés engagiren, einer kleinen Bühne, welche Vaudevilles und leichte komische Opern gab. Trotz seiner nur mittelmäßigen Baritonstimme siegt Berlioz durch seine musikalische Sicherheit bei der Aufnahmsprobe über seine fünf Mitbewerber: einen Leinweber, einen Hufschmied, einen invaliden Schauspieler und einen Kirchensänger von Saint-Eustache. Sein Dienst begann unverzüglich und wurde mit einer Monatsgage von 50 Francs entlohnt. Es gelang Berlioz, der seinen Eltern diesen größten Schmerz ersparen wollte, seinen neuen Theaterdienst vollstän dig geheimzuhalten. Sie erfuhren von dieser Choristen- Carrière erst 7 bis 8 Jahre nach deren Abschluß, und zwar durch Journale, welche zuerst biographische Notizen über ihn veröffentlichten.

Berlioz, der inzwischen bei Reicha Contrapunkt studirt hatte, meldete sich zu dem Compositions-Concurs am Conser vatorium; seine Cantate „Orpheus“ wurde jedoch nach sehr oberflächlicher und übelwollender Prüfung für „unausführbar“ erklärt. Nach so vielen Schicksalsschlägen fiel Berlioz in eine gefährliche Krankheit. Da erscheint glücklicherweise sein Vater, den so viel Festigkeit und Ernst doch endlich besiegen mochten, und gewährte Hector die frühere Unterstützung wieder. Nun konnte er seinen Choristendienst aufgeben, welcher, abgesehen von der physischen Anstrengung, den jungen Componisten ver rückt zu machen drohte. „Nur ein wahrhafter Musiker,“ ruft er aus, „der zugleich unsere französischen kleinen Bühnen kennt, vermag zu begreifen, was ich bei dem Lernen und Ausführen dieser dummen Musiken gelitten habe!“