Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 3722. Wien, Mittwoch, den 6. Januar 1875 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Nr. 3722. Wien, Mittwoch, den 6. Januar 1875 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 06.01.1875
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Die Komische Oper.

Ed. H. Es war in einer Aufführung der „Beiden Schützen“ von Lortzing. Wie um ein trautes Kaminfeuer saßen wir vor der Bühne und wärmten uns an dem be scheidenen gesunden Humor der Handlung, an dem gemüth vollen Frohsinne der Musik. Das ist so recht das Genre, das für unsere Komische Oper paßt und mit ihren Kräf ten befriedigend gegeben werden kann. Die Herren waren vortrefflich, über die Schwächen des schwachen Geschlechtes sah man willig hinweg, und Alles unterhielt sich bei dem alten Singspiele, das im großen Opernhause wahrscheinlich als eine beleidigende Kinderei aufgenommen und todtgegähnt worden wäre. Die „Beiden Schützen“ belebten neuerdings in uns den Wunsch, es möchte dies schmucke Haus für Wien erhalten bleiben — wohlgemerkt als ein Hort der wirklichen komischen Oper, nicht als ein Durchhaus für alle erdenkli chen Sehenswürdigkeiten oder als ein Treibhaus für Kraut und Rüben. Mit welcher Freude hatten wir die Gründung dieses Theaters begrüßt und aus seinen ersten glücklichen Anfängen eine zukünftige Opéra Comique Deutschlands herausgelesen oder doch herausgehofft! Diese Illusion hat uns treulos verlassen: die Komische Oper hält nicht, was sie versprach, steht nicht auf der Höhe der Wiener Theater ansprüche, sie ist eine anständige Provinzbühne, ohne den Vortheil des sicheren, stabilen Publicums einer solchen. Alle Ehren der rastlosen Thätigkeit Hasemann’s — aber die unruhige Hast, mit welcher diese Thätigkeit sich auf die ver schiedenartigsten Gattungen wirft („Sommernachtstraum“, Ludwig XI.“), die seltsamsten Combinationen eingeht (Gall meyer-Rosen), beweist, daß der Grund und Boden bereits wankt, auf welchem die ursprüngliche Kunstbestimmung dieses Theaters sich aufbaute.

Die Komische Oper steckt zwischen einem bösen Di lemma. Entweder sie engagirt ein ausgezeichnetes, das Publicum fesselndes Personal: dann findet sie im uner schwinglichen Gagen-Etat ihren sicheren Ruin, oder sie spielt

mit größtmöglicher Sparsamkeit („ganz einfach und beschei den“, wie Matras singt), dann erzielt sie niemals ein volles Haus. Bei den hohen künstlerischen Ansprüchen des Wiener Publicums und bei den enormen Gagen der ersten Sänger und Sängerinnen — sie werden von ihrer Schwindelhöhe gerade so herabsteigen müssen wie unsere Wohnungszinse — kann ein gutes Operntheater ohne Subvention schlechterdings nicht bestehen. Selbst in Paris, wo doch das Genre der komischen Oper sich auf die ältesten Traditionen und die lebhaftesten Sympathien der Bevölkerung stützt, vermöchte die Opéra Comique nicht ohne Zuschuß zu existiren; die Regierung gewährt ihr bekanntlich eine hohe Subvention, wie auch der Großen Oper und dem Théâtre Lyrique. Eine vorzügliche Oper ist ein theures Ding und kostet mehr, als sie einträgt. Es verlautete auch schon in Wien der Wunsch nach einer Subventionirung der Komischen Oper, und gewiß nicht ohne Berechtigung; aber man weiß, daß er bei den Mächten des Hof-Aerars auf unüberwindlichen Widerstand stößt. „Wie?“ heißt es dort, „wir sollten, selbst schwer bedrückt von dem Deficit des Hofoperntheaters, auch noch einen Rivalen desselben unterstützen, einen Concurrenten prämiiren?“ Nun, eine starke Concurrenz macht euch die Komische Oper nicht, bemerkte ich mit einem bedauernden Blick auf die halbleeren Bänke zu einer Hofopern-Autorität, die sich neben mir in den „Beiden Schützen“ amüsirte. „Doch, doch!“ seufzte die Autorität. „Solcher Theaterbesuch hilft der Komischen Oper nicht auf und uns schadet er. Angenommen, daß die „Komische“ auch nur dreihundert Zuschauer allabendlich anlockt, so entzieht sie diese Dreihun dert dem Hofoperntheater. Macht aber eine Vorstellung oder eine Serie von Vorstellungen volle Häuser, wie das Gastspiel der Lucca oder voraussichtlich das bevorstehende der Patti, so empfindet unsere Kasse den Rückschlag sehr bedeutend.“ Es müßte also, schlossen wir übereinstimmend, ein Mittel gefunden werden, die Komische Oper zu erhal ten, ja zu heben und sie trotzdem unschädlich, sogar vor theilhaft zu machen für das Hofoperntheater. Dies wäre der Fall, wenn das Hof-Aerar die Komische Oper in eigene Regie übernähme und mit dem Or ganismus der großen Oper verbände.

Als eine Zweigstiftung, eine Dependance des Hofopern theaters könnte die Komische Oper — in Privathänden ein fressendes Kapital — zur ergiebigen Einnahmsquelle werden. Sie würde allmälig einen Theil der Auslagen der großen Oper decken, welche sonst an ihrem Deficit zu ersticken droht. Die Komische Oper braucht, um ein zahlreiches Publicum anhaltend zu fesseln, mehrere Kräfte ersten Ranges, deren Engagement eben das Budget eines Privatdirectors über steigt. Das Hofoperntheater besoldet ein so zahlreiches Per sonal, daß ein Theil davon, der sonst unbeschäftigt spazieren geht, leicht an einigen Abenden in der Komischen Oper singen könnte, bei zweckmäßiger Verminderung der Vorstel lungen. Auch jetzt schon sind die so hoch bezahlten Kräfte der großen Oper nicht hinreichend benützt; so z. B. unsere vier ersten Tenoristen, deren jedem ein achtmaliges Auftreten im Monat garantirt und bezahlt wird, obgleich die wirkliche Erfüllung dieser Contractspflicht eine Unmöglichkeit ist. Denn damit jeder dieser vier Tenoristen achtmal im Monat sänge, müßte der Monat 32 Tage haben und nie ein Ballet ge geben werden. Es sind das thörichte Contracte, gewiß, aber man hat sie einmal gemacht und macht sie noch immer. Könnte nicht Herr Walter in einer seiner unbeschäftigten Wochen ganz gut in der Komischen Oper den George Brown oder Belmonte singen, Herr Müller den Postillon oder Knappen Georg, Herr Labatt den Fra Diavolo — Rollen, die sie im Hofoperntheater zu leisten haben? Aehnlich ver hält es sich mit den Beherrschern des Sopran- und des Baßschlüssels. Fräulein Tagliana hat das Licht zu einem Stern in der Komischen Oper, wie vordem Minnie Hauck; die spiel- und redegewandten Sängerinnen Dillner und Gindele fänden da ein ergiebiges Feld für ihr Talent. Und Rokitansky als Waffenschmied, Scaria als Falstaff, Mayerhofer als Bijou — zu welcher Wir kung brächten sie am Schottenring die Spielopern, die in den Hallen des neuen Opernhauses sich unscheinbar ver lieren! Diese und andere für die Spieloper begabte Künstler (Pirk, Neumann, Lay, Hablawetz etc.) denken wir uns abwech selnd in der Komischen Oper verwendet, aus deren bisherigem Personal die besten Kräfte beizubehalten und wieder ihrerseits aushilfsweise in der großen Oper zu beschäftigen wären.

Zwei Sätze stehen bei jedem Theaterkenner längst außer Frage. Erstens, daß unser Hofoperntheater sich vollständig nur für große Opern und Ballete eignet; zweitens, daß das tägliche Spielen daselbst vom Nachtheil ist. Die erste Wahr heit erprobt sich an jedem Versuch aufs neue; sie war auch bereits officiell durch die Thatsache anerkannt, daß Herbeck anfangs die Spielopern im alten Kärntnerthor-Theater gab, bis dieses der Vernichtung anheimfiel. Wenn das ganze Re pertoire des musikalischen Lustspiels, mit den Kräften des Hofoperntheaters besetzt, in die Komische Oper übersiedelte, so würden diese Opern nicht nur ungleich günstiger wirken, sie würden auch mehr eintragen. Der weit bessere Effect eines Fra Diavolo“, „Waffenschmied“ etc. im kleineren Raum und der Trieb nach Abwechslung müßten diesen Opern am Schottenring mehr Besucher zuführen, als sie bei gleicher Besetzung thatsächlich im Hofoperntheater vorfinden.

Um das Alterniren den Hofopernsängern auf zwei Büh nen zu erleichtern, müßte die Zahl der Vorstellungen in der großen Oper reducirt werden. Ueber das Unzweckmäßige täglicher Opernvorstellungen herrscht kaum mehr eine Mei nungsverschiedenheit; die Große Oper in Paris gibt hierin ein nachahmenswerthes Beispiel, und thatsächlich kommt es auf dasselbe heraus, wenn die Hofbühnen von Dresden, München, Stuttgart nur zwei Abende wöchentlich der Oper einräumen. Das Publicum strömt dann mit verdoppeltem Eifer hinein, die Vorstellungen sind besser vorbereitet, die Sänger frischer an Geist und Körper. Wie schlaff und nachlässig hat übermäßige Abnützung bei uns die Aufführungen von „Wilhelm Tell“, „Faust“, „ProphetHugenotten“ etc. gemacht! Richard Wagner hat in einem an den Redacteur Friedrich Uhl gerichteten Send schreiben „Ueber das Wiener Hofoperntheater“ (1863) sich mit ebensoviel Scharfsinn als Entschiedenheit darüber aus gesprochen. Er sagt: „Vom ersten Functionär bis zum letz ten Angestellten herab weiß das gesammte Personal des Operntheaters, daß der Grund aller Nöthen, Verwirrungen und Mangelhaftigkeiten in den Vorstellungen desselben fast einzig in der Nöthigung, jeden Tag zu spielen, liegt, und Jeder begreift auf der Stelle, daß ein allergröß

ter Theil dieser Calamitäten verschwinden würde, wenn diese Vorstellungen etwa um die Hälfte vermindert würden. Wenn in Paris das Théâtre Français und in Wien das Burgtheater der Forderung, täglich zu spielen, erträglich und ohne zu stark ersichtlichen Schaden für ihre Leistungen nachkommen können, so liegt der Grund hievon darin, daß erstens dem recitirenden Drama eine unendlich größere Anzahl von Stücken, selbst von guten und vorzüg lichsten Stücken, zu Gebote steht, als einem Operntheater; daß zweitens diese Stücke in genau geschiedene Genres sich theilen, und daß drittens die Leistungen eines Schauspiel personals zum großen Theil auf dem Privatstudium der Einzelnen beruhen, der einfachere Hergang einer Schauspiel vorstellung aber verhältnißmäßig weniger Ensemble-Proben benöthigt. Ganz anders aber verhält es sich bei einem Opern theater, namentlich wenn es das sogenannte große Genre repräsentiren soll; und ganz richtig hat dagegen die Große Oper in Paris (wie auch in Berlin) blos drei- bis viermal die Woche zu spielen, wobei das Gesangspersonal immer noch mit dem Balletpersonal für ganze Vorstellungen abwechselt.“

Das Hofoperntheater thäte wohl daran, nach diesem Beispiel auch nur vier, höchstens fünf Vorstellungen (worunter zwei Ballete) wöchentlich zu geben. Der voraussichtlich viel größere Besuch bei verminderten Tageskosten würde kaum einen finanziellen Nachtheil aufkommen lassen, denn leere Häuser, wie wir sie jetzt so oft erleben, bringen der Kasse keinen Segen. Die trefflichen Vorschläge R. Wagner’s unterschreiben wir vollständig, nur mit dem Hintergedanken, daß die Sänger die dadurch reichlich gewonnene freie Zeit nicht blos zum Studium Wagner’scher Partituren, sondern zur Mitwirkung in der Komischen Oper zu verwenden hätten. Wir denken uns die Vorstellungen in der großen und in der Komischen Oper alternirend; nur an den erfahrungs mäßig einträglichsten Theatertagen (Sonntag, Samstag, allenfalls auch Donnerstag) könnte auf beiden Bühnen zu gleich gespielt werden, was bei dem großen Personal und mit Hilfe der Balletvorstellungen erreichbar ist.

Und die Kosten? Ein so schwacher Rechenkünstler wie ich vermag die finanzielle Seite dieses Vorschlages aller

dings nicht hinreichend zu beleuchten; auch berührt nur die künstlerische die Tendenz dieser Zeiten. Ueber die Haupt sache wird glücklicherweise kein Streit möglich sein: daß zu keiner Zeit ein neues, schönes und wohleingerichtetes Theater mit so geringen Opfern zu erwerben war, als gegenwärtig die durch die Zeitverhältnisse hartbedrängte Komische Oper. Wird diese vom Hof-Aerar übernommen und mit dem Hof operntheater unter gemeinsame Oberleitung gestellt (Herbeck’s Energie und Arbeitskraft reicht wol für beide aus), so kann der Vortheil einer viel besseren Verwerthung der engagirten Künstler bei nur unbedeutend vermehrten Directionskosten nicht ausbleiben. Was ich hier den Freunden der Oper in Kürze vorgetragen, ist kein fertiger Plan, sondern nur eine Anregung, welche von praktischen Theater- und Finanzmännern in Erwägung gezogen und weiter aus geführt werden möge. In engeren Kreisen hat der Ge danke eine überraschend beifällige Zustimmung gefunden. Wir wollen nicht verschweigen, daß ein in allerjüngster Zeit aufgetauchtes Gerücht unseren Vorschlag zu durchkreuzen scheint: die Nachricht, es sei die Komische Oper zur pro visorischen Stätte des Hofschauspieles ausersehen, bis zur Vollendung des neuen Burgtheaters. Dem Wiener Theater- Publicum wäre allerdings auch mit dieser Uebersiedlung ein erfreuliches Geschenk dargebracht, denn der Gedanke, noch einige Jahre an das finstere, enge und feuergefährliche Ver ließ am Michaelerplatz gebannt zu sein, wirkt niederdrückend. Vom Standpunkte des Hof-Aerars mag es sich empfehlen, durch diesen Ankauf unter allen Umständen Ein Theater außer Concurrenz zu stellen. Aber die Benützung der Komischen Oper für das Schauspiel wäre doch nur eine vorübergehende und kann unser im Interesse der Oper ge hegtes Project nur aufschieben, nicht aufheben. Mit dem Eröffnungsabend des neuen Burgtheaters stünde das Haus der Komischen Oper wieder frei, und dann wüßten wir demselben keine schönere Bestimmung, keinen besseren Wunsch, als daß es unter gemeinsamer Leitung mit dem Hofopern theater seiner ursprünglichen Mission zurückgegeben und wieder das werde, was es von Anfang gewesen: die Ko mische Oper.