Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 3756. Wien, Dienstag, den 9. Februar 1875 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Nr. 3756. Wien, Dienstag, den 9. Februar 1875 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 09.02.1875
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Hofoperntheater. („Der Widerspenstigen Zähmung.“ Komische Oper in vier Acten nach Shakspeare’s Lustspiel von Joseph Widmann. Musik von Hermann Götz.)

Ed. H. „Am leichtesten gelingt die Wirkung eines Shakspeare-Lustspiels da, wo die Handlung einfach, nicht (wie so oft bei ihm) eine aus mehreren Stoffen zusammen gesetzte ist. Die „Bezähmte Widerspenstige“ ist also das sicherste Shakspeare-Lustspiel und auch das populärste.“ Die ser Ausspruch Laube’s (aus dessen neuestem Aufsatz: Shakspeare-Splitter“) klingt uns heute wie die unbeabsich tigte Rechtfertigung eines Componisten, der sich Shakspeare’s Widerspenstige“ zum Opernstoff erwählt. Denn die Ein fachheit einer überhaupt musikfähigen Handlung ist ja Haupt erforderniß für den Operncomponisten, welcher Platz braucht zu lyrischer Ausbreitung. Und daß jenes Lustspiel sich dem Tondichter von Haus aus verlockend präsentirt, wird Nie mand bestreiten. In Katharina und Petruchio findet er zwei Hauptpersonen von unvergleichlicher Lebendigkeit, immer in Kampf und Leidenschaft, der Kampf nicht ernsthaft, die Lei denschaft nicht tragisch, als rastlos schwingendes Triebrad der komischen Handlung. Der günstigste Gegensatz dazu liegt in dem sanften Liebespaar Bianca und Lucenzio fertig vor. Als komische Figuren gruppiren sich in charakteristischer Ab stufung Papa Baptista und der Geck Hortensio, Grumio und der Schneider um jenes Quartett; Alles wie vorgebildet für die komische Oper. Die scharfe psychologische Motivirung, der feine Regenschauer Shakspeare’scher Witze und Antithesen gehen freilich verloren; wo diese fehlen, muß sich eben „zu rechter Zeit“ eine Melodie einstellen. Das Libretto des Herrn Widmann bewegt sich durchaus logisch und gewandt, die Act- und Scenenfolge des Originals getreu einhaltend. Hiezu erfunden ist nur die echt opernmäßige Exposition mit der Se renade der beiden Nebenbuhler, weggelassen die Figur Tramio’s (in der Oper kann der lyrische Tenor nicht füglich seinen Bedienten für sich singen und lieben lassen) und der alte

Vincenzio. Wie jedes Operntextbuch, hat auch dieses seine Lücken und neutralen Stellen, in welche der Componist mit der Vollkraft seines Talentes eintreten muß.

Und die Musik der neuen Oper? Sie ist nicht leicht mit wenigen Worten zu charakterisiren. Von Anfang bis zu Ende bietet sie dem Hörer erfreuliche Anregung und entläßt ihn mit jenem reinen, harmonischen Total-Eindruck, welchen nur künstlerische Sittlichkeit und künstlerische Bildung sich erzwingen. Die Novität erregt ein ungewöhnliches Interesse, mehr noch, möchte ich sagen, für den Autor, als für das Werk selbst. Denn mit vielen Seiten dieser Composition kann man nicht einverstanden sein, muß sich aber sagen: der sie gemacht hat, ist ein gewissenhafter Künstler und ein fei ner, vornehmer Geist. Um es gleich kurz zu bezeichnen, was dem Werke fehlt: der echte Lustspielton, die melodiöse Frische, das leichte Blut. Zu viel künstliche und schwere Musik, über haupt zu viel Musik. Welcher Antheil davon auf das Na turell des Componisten fällt, und welcher auf die von ihm gewählte Methode, das läßt sich kaum entscheiden, bevor nicht ein zweites Werk von Götz zur Vergleichung vor liegt. Sein musikalischer Charakter ist edel, maßvoll, durch und durch deutsch, aber ohne Lustigkeit und Leichtsinn, sogar von sehr mäßiger Sinnlichkeit. Seine dramatische Methode ist mit Einem Wort die Wagner’sche, und zwar vom Styl der „Meistersinger“. Der Schwerpunkt des musikalischen Gedankens liegt im Orchester, nicht im Gesang. Das Orche ster setzt Scene für Scene mit einem charakteristischen Motiv ein, das es als selbstständiges, zusammenhängendes Ton wesen entwickelt und wie ein eifriges Gespräch zwischen den verschiedenen Instrumenten ausführt. Die Singstimmen verflech ten sich darein mehr declamatorisch als melodieführend; sie verfolgen eine überwiegend rhetorische Tendenz. Ihr Ziel geht vor Allem auf die prägnante Ausgestaltung des Wor tes, der Rede; das Orchester malt die Stimmung dazu. Damit läßt sich allerdings viel dramatische Wahrheit und dramatische Wirkung erreichen, das wissen wir aus Wagner recht gut. Nur daß diese Methode des neudeutschen „Musikdramas“ die einzig richtige und die „Oper“ daneben

schlechtweg undramatisch sei, ist ein böser Irrthum. Nichts Beschränkteres, ja Komischeres als das principielle Miß trauen dieser Schule in die dramatische Kraft der Gesangs melodie! Ertönen im „Freischütz“ die Themen Caspar’s, Max’, Agathens, Aennchens, so hören wir nicht blos die köstlichsten Melodien, sondern wissen zugleich unfehlbar, welche den frechen Wüstling und den zärtlichen Liebhaber, welche das schwärmerische und welche das heitere Mädchen schil dert. In dem heutigen „Musikdrama“ wird blos dem Or chester diese dramatische Kraft zugetraut, die Instrumente allein müßten uns da den Charakter und die Empfindungen der vier Hauptpersonen schildern, diese würden nur dazu declamiren, und wahrscheinlich eine so ziemlich wie die andere. Am ungeeignetsten scheint uns dieser Styl für die komische Oper. Sie erzielt ihre schönste und natürlichste Wirkung, wenn die Melodien wie leichte Barken behend über den sanft bewegten Spiegel des Orchesters gleiten, während in Opern wie die „Meistersinger“ und großentheils auch die „Widerspenstige“ das Schiff des Gesanges un beweglich zu schaukeln scheint inmitten der von allen Seiten einstürmenden Winde und Wogen der Orchesterbeglei tung. Den Vorwurf absoluter Melodielosigkeit — sie ist nahezu ein Unding — machen wir der „Wider spenstigen“ so wenig wie den „Meistersingern“. Die wenigen selbstständigen Gesangsmelodien in letzteren (Walther’s Preislied, Pogner’s Anrede, das Sextett und viele Stellen des dritten Finales) prangen bekanntlich in außerordent licher Schönheit. Mit ihnen kann sich nichts in der „Wider spenstigen“ entfernt vergleichen. Uebrigens steht die Oper von Götz entschieden über dem Verdachte, eine bloße Nach ahmung zu sein. Hätte Götz nur der Mode oder eitlem Ehrgeiz zuliebe sich Wagner angeschlossen — was sich gewiß durch das Bestreben verriethe, den Meister noch zu über wagnern — so dürfte man über seine Arbeit zur motivirten Tagesordnung schreiten. Aber die „Widerspenstige“ trägt alle Zeichen sowol der ehrlichen Ueberzeugung, als der künst lerischen Reife. Sie ist unter dem Einfluß der „Meister singer“ componirt, aber nicht über deren Schablone nach

gepinselt. Götz weicht mit achtunggebietender Selbstständig keit vielfach von Wagner ab. Fürs Erste bringt er keine sogenannten Erinnerungs- oder Leitmotive, wofür allein er schon einen musikalischen Orden verdient, denn über die Meistersinger“ und die „Nibelungen“ hinaus in gleicher Consequenz fortgesetzt, führt diese Methode zum reinen Schwindel, zum mechanischen Handgriff, dessen Reiz mit jeder neuen Anwendung verblaßt und dessen lästige Bevor mundung immer langweiliger wird. Götz raisonnirt mit Recht, man solle den Petruchio und die Katharina aus dem erkennen, was sie selbst singen, ohne daß das Orchester-Leit motiv jedesmal wie ein Thürsteher annoncirt. Fräulein Katharina! Herr Petruchio! Selbst musikalische Anspielungen mit der Tendenz eines Citats bringt der Componist nur zweimal und jedesmal mit gutem Grund; das G-moll- Motiv, mit dem Petruchio als Freier aufgetreten, klingt wider beim Einzug in sein Haus, und Katharina’s „Ich möcht’ ihn fassen“ bei ihrer Versöhnung mit dem Gatten. Ferner benimmt sich Götz viel maßvoller und einfacher in der Verwendung aller Mittel. Er liebt zwar ein com plicirtes und reichcolorirtes Orchesterspiel, aber keinen Orchester lärm. Weder große noch kleine Trommel, weder Becken noch Triangel, ja ursprünglich nicht einmal Posaunen! Erst nachträglich hat der Componist (wahrscheinlich mit Rücksicht auf unser Opernhaus) Posaunen zugesetzt in der Ouvertüre und den drei letzten Finalen. Fast möchten wir dies be dauern, blos weil es eine That von seltenem Muthe war, heutzutage eine Oper ohne Posaunen zu schreiben. Auch läßt sich Götz von Wagner keineswegs zu übermäßiger Ausdeh nung der einzelnen Musikstücke verführen. Die Musik zur Widerspenstigen“ tritt durchaus würdig und bescheiden auf, mit nobler Gelassenheit, fest in den Contouren, überaus sorg fältig in der Ausmalung, überall gewählt, oft geistreich, nir gends trivial. Das ist kein geringes Lob, und soweit wäre der neuen Oper nur Gutes nachgesagt. Was ihr abgeht, wurde bereits angedeutet: der frische, flotte Lustspielton, der uns niemals vergessen läßt, daß es sich hier um ein heiteres Spiel handle. Die fröhliche Laune, der ungesuchte Humor,

diese beneidenswertheste Mitgift fürs Leben, ist zugleich die unentbehrlichste für die komische Oper. Mit ihrer patheti schen Declamation und ihrem ewig aufgeregten Orchester spiel drückt Götzens Musik schwer auf die Handlung, statt wie ein leicht einströmendes Gas sie in die Höhe zu tragen. Weder das laute herzliche Lachen Rossini’s, noch das be zaubernde Geplauder Auber’s, noch selbst der derbe Spaß Lortzing’s finden ein Echo in dieser „Widerspenstigen“. Ihr Ernst ist pathetisch, ihre Heftigkeit tragisch, selbst ihr Scherz hat etwas Nachdenkliches, beinahe Feierliches. Schauten wir nicht mit Augen, was auf der Bühne vorgeht, wir ver mutheten kaum, daß wir in derselben lustigen Comödie sind, welche im Original, ohne Musik, uns unaufhörlich das herz lichste Lachen entlockt. Allzusehr herrschen die langsamen Tempi, die Mollton-Arten und die gleichmäßigen Rhythmen vor. Da ja Götz im Grunde immer gute Musik bringt, so möchten wir keineswegs diese oder jene Nummer schlechtweg aus der Oper verbannt wissen, aber es müßte ihr eine frischere vorangehen und eine lustigere nachfolgen. Mit all ihren Vorzügen leidet die komische Oper von Götz an dem deutschen Erbfehler: sie ist keine Theatermusik.

Werfen wir einen raschen Blick auf die Höhepunkte unserer Novität. Nach einer Ouvertüre, deren schwere und wirre Leidenschaftlichkeit die unpassendste Ankündigung für ein Lustspiel abgibt, folgt eine der melodiösesten Nummern, Lucenzio’s Serenade; ihre zarten Strophen unterbricht der Lärm des revoltirenden Hausgesindes, welches von Katharina beschimpft, von ihrem Vater schließlich begütigt wird; Alles mit sehr geschickter Hand gemacht, aber theils zu trist, theils zu heroisch. Das Liebesduett zwischen Bianca und Lucenzio beginnt mit einem zart empfundenen und in dem E-dur- Satz („O strahlend Himmelslicht“) auch eigenthümlichen Gesang, geräth aber bald vollständig unter Wagner’sche Bot mäßigkeit. Die Serenade Hortensio’s und sein Duett mit Lucenzio empfehlen sich durch natürlichen und behaglichen Ton, gehören auch zu den wenigen Stücken mit selbststän diger Gesangsmelodie. Diese verräth in ihrem nüchternen Rococoschritt bereits, daß die melodische Erfindung nicht

Götzens starke Seite ist. Auch kündigt sich schon in dieser Scene ein zweiter Mangel an, der Mangel an rhythmischer Abwechslung. Wie in dem Duettsatze „Ha, was euch so fröh lich macht“ der gleiche Rhythmus von vier Viertelnoten fort pendelt, so geschieht es noch unzähligemal im Verlauf der Oper. Petruchio tritt auf. Seine musikalische Charakteristik hat der Componist offenbar mit besonderer Sorgfalt ausge führt, und wäre Petruchio wirklich der Menschenfresser, den er zu spielen sich vornimmt, so fänden wir die Charakteristik auch gelungen. Seine D-dur-Arie „Sie ist ein Weib“ stellt sich an wie zum Sängerkampf in der Wartburg, schwillt unter anhaltenden Paukendonner zu einem furchtbaren Herois mus auf und beendet ihren Flug schließlich auf die kühnen Worte: „Besser brechen als sich biegen“ mit gänzlich geknickten Flügeln in lauter gleichmäßigen Viertelnoten. Der zweite Act beginnt mit der Zankscene zwischen Katharina und Bianca. Gegen die Musik wäre nichts einzuwenden, wenn Katharina ihrer Schwester vorwürfe, den Vater vergiftet zu haben — die Zwischenactmusik schien wirklich auf einen Todesfall vor zubereiten — aber für den nichtigen Zank einer Gewohn heitskeiferin klingt das doch gar zu tragisch. Baptista tritt mit den beiden Freiern auf. Eine reizende Violinfigur im Orchester beherrscht die Scene, welche nebst dem folgenden Gespräch („Wir sind allein“) zu den gelungensten, freund lichsten der Oper gehört und, bis auf vereinzelte Wagner- Anfälle, den Conversationston am besten trifft. Die Scene zwischen Petruchio und Katharina, schon durch die Handlung von unvergleichlichem und unangreifbarem Effect, ist auch bei Götz hervorragend. Schade nur, daß Petruchio’s ein leitender Monolog „Jetzt gilt’s“ mit seinen schneidenden Dissonanzen und wüthenden Orchesterstürmen ebenso über trieben im Ausdruck ist, wie viele seiner noch folgenden Reden. Aus diesem Dialog hebt sich der mehr liedmäßig ge formte Es-moll-Satz Katharina’s „Ich möcht’ ihn fassen“ sehr ausdrucksvoll heraus. Nach diesem schönen, aber tief ernsten Satz müßte nothwendig ein recht heiterer den Act schließen: aber Vater Baptista tritt unbegreiflicherweise wieder in Moll auf und gibt seinen Segen in wahren Klagetönen;

eine Stelle, welche doch entschieden zum Humor heraus fordert, wo solcher vorhanden. In gefälligster Weise kündigt sich der dritte Act an, mit einem wohlklingenden, fließen den Ensemblesatz. Es folgt eine der hübschesten Scenen der Oper: Bianca’s Musik-Lection und Uebersetzung der Aeneïde. Man kann die musikalische Erfindung nicht eben bedeutend nennen, aber sie athmet Grazie und Geist, wohlgemerkt hier den richtigen Geist. Alles Uebrige im dritten Acte behandelt die Vorbereitungen zur Hochzeit und diese selbst — eine Aufgabe, die musikalisch jedenfalls mit größerer Lebendigkeit und Frische zu lösen war. Selbst der harmlose Chor der Dienstleute: „Heute heißt’s die Arme rühren!“ geht aus E-moll und fletscht be drohlich die Zähne. Das Finale enthält sehr geistreiche Einzelheiten, bei übertrieben heroischer Haltung im Ganzen. Ein ungemein schöner Moment in diesem Finale ist Katha rinens Ausruf: „Der du dein Herz geweiht!“ (E-dur.) Wie wohlthuend wirkt hier der frische, beherzte Aufschwung in die Sexte, von b nach gis; wir hören endlich aus voller Brust singen! Der vierte und letzte Act beginnt mit einem aufgeregten Moll-Chor der Dienstleute. Dem Text buche zufolge erwarten sie ihre Herrschaft, nach der Musik zu schließen, den Weltuntergang. Den folgenden Scenen zwischen Petruchio und Katharina fehlt die Leichtigkeit und der Humor; die Singstimmen springen nach „Meistersinger“- Art declamirend in den entlegensten Intervallen; das schmerzlich aufgewühlte Orchester läßt uns ernstlich für Katharina zittern. Alles Weitere im vierten Acte ist gering, bis auf den Monolog Katharina’s. Die Klage der jungen Frau, deren Trotz gebrochen ist, während ihre Liebe zu Petruchio unaufhaltsam auflodert, steht unter den Schön heiten der Oper ganz obenan. Freilich ist auch hier die Begleitungsfigur („Es schweigt die Klage!“) schöner und seelenvoller als der Gesang, aber das Ganze klingt so wahr und rührend, daß es den dramatischen Beruf des Compo nisten laut verkündet. Ob den Beruf zur komischen Oper, ist eine andere Frage. Es ist bezeichnend, daß in dieser Scene, wo der bittere Ernst des Lebens, der Auf schrei eines wunden Herzens in die Handlung eintritt, der

Componist zuerst seine volle Kraft findet. Mit dem günstigen Eindrucke dieser Scene wollen wir von einem Werke schei den, dem wir die Bekanntschaft eines neuen, vielversprechen den und hochachtbaren Tondichters verdanken.

Die Aufführung der „Widerspenstigen“ im Hofopern theater verdient das Prädicat musterhaft. Frau Ehnn, wieder im Vollbesitz ihrer schönen Stimme, singt und spielt die Katharina mit hinreißendem Feuer; Fräulein Dillner als Bianca liefert dazu das freundlichste, namentlich in der Lectionsscene anmuthigste Gegenbild. Die musikalisch wie dramatisch gleich schwierige Rolle des Petruchio findet in Herrn v. Bignio einen ausgezeichneten Darsteller; durch die Eleganz seiner Erscheinung und die Liebenswürdigkeit seines Ausdrucks mildert er den thierbändigerischen Bei geschmack dieses Ehestandshelden und erklärt zugleich auf menschlichere Weise dessen schnellen Sieg. Die Leistungen der Herren Müller, Scaria, Mayerhofer, Hablawetz und Lay kann man nur mit wärmster An erkennung nennen. Die sorgfältige Vorbereitung und emi nente Ausführung der neuen Oper ist das eigenste Verdienst des Directors Herbeck, welcher auch mit voller Begeiste rung persönlich das Orchester dirigirt. Sein Verdienst greift jedoch noch tiefer. Es besteht darin, daß er die Erstlings oper eines unbekannten deutschen Componisten blos auf deren inneren Gehalt hin zur Aufführung gewählt und mit dem ganzen Gewichte seines Talentes und seiner Autorität unter stützt hat. So viel wir auch vom absoluten Standpunkte an Götzens Oper auszustellen fanden, sie bleibt eine der acht barsten und feinsten Arbeiten der gegenwärtigen deutschen Opern-Production. Wir freuen uns ihres Erfolges und hoffen ein Gleiches für die beiden anderen deutschen Erst lingswerke, welche ihr unmittelbar nachfolgen sollen: Gold mark’sKönigin von Saba“ und Kretzschmer’s Volkunger“. Mit „Der Widerspenstigen Zähmung“ hat Director Herbeck zugleich ein altes böses Vorurtheil ge zähmt: daß man ein Sohn des Auslandes oder ein Kind der Protection sein müsse, um als Tondichter Einlaß in die Hallen unserer Großen Oper zu erringen.