Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 3844. Wien, Sonntag, den 9. Mai 1875 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Nr. 3844. Wien, Sonntag, den 9. Mai 1875 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 09.05.1875
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Musikalische Briefe aus Paris. 1. Die letzten Tage Auber’s Paris, im Mai 1875.

Ed. H. Der Fremde, der nach mehrjähriger Abwesen heit eine ihm liebgewordene Stadt wieder besucht, empfindet lebhafter als der Einheimische selbst die Abwesenheit heim gegangener theurer und bedeutender Menschen. An Ort und Stelle berührt ihn, und nur ihn allein, ihr Tod wie eine schmerzliche Neuigkeit. In dem verschlingenden Lebenswirbel von Paris, wer spricht da noch viel von Auber, Rossini, Berlioz? Nicht zu gedenken so mancher minder berühmter, liebenswürdiger Künstler, die in dem glänzenden Ausstel lungsjahr 1867 hier mit uns sich fröhlich tummelten.

Dans ce pays-ci, quinze jours, je le sais, Font d’une mort récente une vieille nouvelle.

Alfred de Musset spricht nur zu wahr mit diesem traurigen Verse. Mir aber war’s vor den leeren Wohnungen jener drei Meister, als stünde ich vor frisch aufgeworfenen Gräbern; zähle ich doch meinen Verkehr mit ihnen dankbar zu meinen schönsten Erlebnissen.

Um die letzten Lebenstage Auber’s erkundigte ich mich angelegentlich, hatten wir doch in Deutschland so spär liche und unsichere Nachrichten darüber erhalten. Sogar in der Angabe des Todestages stimmten die Blätter nicht überein. Auber starb in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 1871, eine halbe Stunde nach Mitternacht. Unter den politischen Donnerschlägen jener Zeit blieb sein Tod fast unbeachtet, beinahe wie das Ableben Donizetti’s im April 1848. Die Nachricht vom Tode Donizetti’s verhallte in Deutschland und Frankreich inmitten des neuen Freiheitsjubels; wer kümmerte sich in dem allgemeinen Rausch jenes Völkerfrühlings um einen einzelnen Sarg, der unten still vorübergetragen wurde? Und doch lag ein Mann darin, der, hoch gefeiert und geliebt, durch seine Melodien Tausende in allen Ländern tausendmal erfreut hatte. Donizetti starb zu unrechter Zeit. Ebenso Auber, nur mit dem Unterschied, daß seine letzten Athem züge nicht von allgemeinem Völkerjubel, sondern von den Gräueln einer entsetzlichen politischen Katastrophe verschlun gen wurden. „Toute éxageration est une faute,“ sagte er in seiner letzten Krankheit, „man muß nichts übertreiben,

auch nicht, wie ich, das lange Leben.“ Es ist übrigens ein vielverbreiteter Irrthum, daß Auber allein und verlassen ge storben sei; Ambroise Thomas, sein treuer Freund und Schüler, der während der Belagerung und der Commune Paris keinen Augenblick verlassen hatte, war täglich um ihn und hat ihm die Augen zugedrückt.

Aus dem Munde Ambroise Thomas’ erfuhr ich nach stehende Einzelheiten: Auber’s größter Luxus bestand in schönen Wagen und Pferden. So recht geliebt hat er eigentlich außer seinen Pferden kein lebendes Wesen. Da kam die böse Hungersnoth über das eingeschlossene Paris, und die Communards requirirten überall gegen eine unbe deutende Entschädigung Pferde aller Art, um sie zu schlach ten. Von vier kostbaren Pferden, welche Auber damals im Stalle hatte, nahm man ihm vorläufig drei weg; er empfand tiefen Schmerz darüber, ohne sich zu beklagen oder die mindeste Einwendung zu erheben. Nun kam man auch, sein letztes Pferd zu holen, einen englischen Rappen von hohem Werthe. Ambroise Thomas wollte sofort Schritte thun, damit die Behörde aus Achtung für den berühmten, greisen Meister eine Ausnahme mache und ihm das letzte Pferd, seinen Liebling, lasse. Allein Auber ließ es nicht zu. „C’est la loi!“ wiederholte er unerschütterlich, obwol der Schmerz, das edle Thier geschlachtet zu sehen, ihn fast übermannte. Da fand Thomas einen glücklichen Ausweg. Er bat einen einflußreichen Beamten der Commune um die Erlaubniß, ein anderes Pferd an Stelle des Auber’schen ausliefern zu dürfen, und erhielt sie. Der ihm nahe befreundete Chef der berühmten Clavierfabrik Pleyel und Wolf, August Wolf, hatte von seinen zehn bis fünfzehn Pferden noch drei zum nothdürftigsten Betriebe seiner Fabrik in Saint-Denis zurückbehalten dürfen. Eines davon wurde heimlich in den Hofraum von Auber’s Haus gebracht und der Commune ausgeliefert, während Auber’s Lieblingsroß, vor einen mit Brettern beladenen Karren gespannt, nach Wolf’s Fabrik trabte. Genau wie in so vielen menschlichen Rettungsge schichten! Täglich erkundigte sich der von immer heftigeren Schmerzen gefolterte Auber, ob sein Pferd am Leben und gut versorgt sei. Noch am Vorabend seines Todes. Der Geist des fast Neunzigjährigen war während seines letzten schmerzlichen Krankenlagers merkwürdig hell geblieben. Er versuchte ein Stück für Kammermusik zu schreiben und ließ sich Quartette von Mozart und Beethoven aus seiner Bibliothek

holen. „Ein Blick auf diese Werke,“ sagte er lächelnd, „wird mich hoffentlich bestimmen, zu verbrennen, was ich eben geschrie ben habe.“ Wenigen Sterblichen war ein so ununterbrochen glückliches Leben beschieden gewesen, wie unserem Meister; aber der Tag kam doch, wo er seine Schuld abzahlen mußte. Das Schicksal Frankreichs erfüllte ihn mit Angst und Kummer, die Herrschaft der Communards mit grenzen losem Abscheu. Einen politischen Trost vermochte ihm zur Stunde Niemand zu geben, nach religiösem verlangte er nicht. So endete der Componist des „Fra Diavolo“, der Ewig-Junge, Uralte — zermartert von körperlichen Schmer zen, erdrückt von Kummer über seine Landsleute und von Angst für Paris, das er über Alles geliebt und zeitlebens, Sommer und Winter, nicht verlassen hat. Die Communards wollten den Tod des berühmten Meisters zu einer dema gogischen Manifestation benützen, mit rothen Fahnen und greller Militärmusik die Leiche zur Bestattung abholen. Die Demagogen haßten Auber, den sie „le musicien aristocratique“ nannten, und hätten die Gelegenheit zu häßlichen Demonstrationen nicht unbenützt gelassen. Ambroise Thomas, dem diese Leute ebenso verhaßt waren wie seinem verstorbenen Meister, beschloß, eine solche Demonstration um jeden Preis zu verhindern und die Leiche für eine fried lichere Zeit und ein ehrbareres Geleite aufzubewahren. Er machte geltend, daß man mit der Bestattung Auber’s war ten müsse, bis dessen einzige Verwandten, zwei Nichten in der Provinz, nach Paris gelangen könnten. Auf diesen Vorwand hin erwirkte er die Erlaubniß, Auber’s Leiche aus dessen Hotel, Rue St. Georges, in aller Stille fortschaffen und in einem Gewölbe der Kirche St. Trinité beisetzen zu dürfen. Hier lag der Leichnam drei Monate lang. Erst nach dem Einrücken der französischen Armee in Paris fand (am 15. Juli 1871) die feierliche Uebertragung desselben nach dem Père-Lachaise statt, und Ambroise Thomas, Alexander Dumas und Andere sprachen warme, erhebende Worte an dem offenen Grabe. Es ist dies jedoch nur eine provisorische Grube, in welcher die Gebeine Auber’s noch immer nicht zur Ruhe kommen sollen. Erst kürzlich haben die Freunde und Collegen Auber’s ein eigenes Grab ange kauft und sammeln jetzt für ein würdiges Denkmal. Ambroise Thomas und der hochgeachtete Chef der Musikhandlung Brandus stellten sich an die Spitze einer Subscription und veranlaßten einen öffentlichen Aufruf. Aus Dankbarkeit für

die Monumente, welche Auber durch seine Werke der Nation gesetzt, soll diese nun dem Meister das gebührende Denkmal setzen. Ich sah bei Herrn Brandus den Subscriptionsbogen, auf welchem die Namen fast aller renommirten Tonkünstler sich finden. Rührend erschien es mir, daß zuerst und mit den größten Beträgen die Witwen der verstorbenen Freunde Auber’s (veuveScribe, veureHalévy, veuveMeyer beer, veuve G. Kastner etc.) sich eingestellt hatten. Die echte Pietät des Frauenherzens!

Es erregte anfangs allgemeines Befremden, daß man die Kosten des Grabsteins durch öffentliche Subscription decken müsse. Wie? rief man, ein Grand-Seigneur von dem Einkommen Auber’s, der für Niemanden zu sorgen hatte sollte nicht einmal so viel hinterlassen haben? Die Erklä rung lautet fürs erste, daß Auber seine Einnahmen fast voll ständig für sich und seine verschiedenen Liebhabereien ver brauchte; sodann daß dieses Einkommen nicht so beträchtlich war, wie man glaubt. Zur Zeit seiner größten Theater- Erfolge standen Honorare und Tantièmen keineswegs auf ihrer gegenwärtigen Höhe; Auber hat mitunter in vier bis fünf Jahren nicht so viel eingenommen, wie Offenbach in manchem Monat. Obendrein hatte er bei herannahendem Alter sein Autorrecht ein- für allemal gegen eine billige Jahresrente veräußert. So hinterließ er nur ein bescheidenes Vermögen, welches zwei im Leben ihm ziemlich fremd ge bliebene Nichten, alte Betschwestern in der Provinz, geerbt haben. In nicht ferner Zeit wird auf dem Père-Lachaise ein Denkstein die Ruhestätte des Meisters bezeichnen, dessen glänzendes Talent nur von seiner unverwüstlichen Arbeits kraft noch übertroffen wurde. Frankreich, das seine großen Männer im Leben wie im Tode zu ehren weiß, hat damit seine Schuldigkeit gethan. Aber trotzdem kann man sich des Eindrucks hier nicht erwehren, daß die egoistische Kaltherzig keit, welche Auber als Menschen charakterisirt, sich noch in seinen letzten Tagen und nach seinem Tode an ihm gerächt habe. Mit Rührung und Herzlichkeit habe ich Niemanden von Auber sprechen hören. An seinem Grabe flossen Ströme bewundernder und bewunderungswürdiger Beredsamkeit — aber es floß keine Thräne. Seine Gleichgiltigkeit gegen die Mitmenschen wird ihm nun von diesen nachträglich zurück gezahlt, und der Tod Auber’s scheint keine Lücke zurückgelassen zu haben in dem Herzen von Paris.