Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 3968. Wien, Samstag, den 11. September 1875 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Nr. 3968. Wien, Samstag, den 11. September 1875 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 11.09.1875
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Zur Pflege der Musik in Frankreich.

Ed. H. Die Elasticität, mit welcher Frankreich nach so furchtbarer Niederlage sich aufgerichtet, die Rüstigkeit, mit der es an der Wiederherstellung seines volkswirthschaftlichen und geselligen Glanzes arbeitet, sie haben in der Publicistik gerechte Anerkennung längst gefunden. Allein auch in der Pflege und Aufmunterung der schönen Künste bleibt die neue Republik nicht zurück hinter der Monarchie. In Frank reich betrachtet man das als eine nationale Ehrensache, der weder die Individualität des Staatsoberhauptes noch der Regierung hindernd in den Weg treten darf. Um speciell von der Musik zu sprechen, so hat Louis Napoleon seine gänzlich unmusikalische Person überall willig hergeliehen, wo es sich um eine glänzende Ermunterung französischen Musik lebens handelte. Die Republik, diese sparsamste, geschäfts mäßigste unter den Regierungsformen, kann für den holden Luxus der Künste unmöglich schwärmen; in Frankreich hält sie trotzdem jene Traditionen mit fast demonstrativem Eifer aufrecht. Es kann nicht schaden, manchmal über die Grenzen des eigenen Vaterlandes auszuschauen nach dem, was ander wärts von staatswegen für die Kunst geschieht; auch das nicht unmittelbar Nachahmbare mag uns zielzeigend oder wenigstens anregend nützen. Gerade in jüngster Zeit, in dem einzigen Monat August, folgten einander in Paris eine Reihe von Maßregeln und Demonstrationen, durch welche der Staat und die Stadt ihren Eifer für musikalische Inter essen kundgaben.

Das Budget der Stadt Paris systemisirt eine jährliche Auslage von 250,000 Francs zur Förderung der „schönen Künste“, worunter jedoch ausdrücklich nur Malerei, Sculp tur und Kupferstecherkunst verstanden waren. Die Musik erfreute sich einer Subvention nur für die sogenannten „Orphéons“, die Liedertafeln und Gesangvereine, welche, von Oben in jeder Weise begünstigt, sich zu besonderen Lieblingen des französischen Volkes aufgeschwungen haben. In der letzten Gemeinderathssitzung stellte der Municipal rath Herold (Sohn des berühmten Compositeurs der

Opern „Zampa“, „Zweikampf“ etc.) den Antrag, es sei in das Budget der Stadt Paris auch für musikalische Zwecke ein Posten, und zwar von jährlich 10,000 Francs einzustellen. Dieser mit warmen, beredtsamen Worten empfohlene Antrag fand sofort einhellige Zustimmung, und die genannte Summe, deren Widmung „einen allgemeinen Charakter tragen und keine Gattung Musik ausschließen soll“, wird von nun an alljährlich zur Hebung gediegener, volksthümlicher Musik in Paris verwendet. Der Präfect äußerte ausdrücklich die Zuversicht, daß diese für den An fang bescheidene Summe sehr bald anwachsen werde. Die erste Verwendung dieser 10,000 Francs wurde folgen dermaßen beschlossen: 1. Preis von 300 Francs und einer von 200 Francs für jene zwei Volksschullehrer, welche die besten Musikzöglinge in ihrer Schule aufzuweisen. 500 Francs. 2. Drei Medaillen zu 500 Francs für die drei vorzüglichsten Privat-Musik-Institute. 1500 Francs. 3. Ein jährlicher Preis von 3000 Francs für das bedeutendste nichttheatralische Tonwerk (Symphonie, Cantate, etc.). 3000 Francs. 4. Zwei Preise zu 500 Francs für jene Privat-Gesangvereine, welche den besten Frauenchor auszubilden. „Denn wir brauchen in Frankreich,“ heißt es in der Motivirung, „solche Chöre von Diletantinnen, um die großen Werke von Bach und Händel regelmäßig aufführen zu können.“ 1000 Francs. 5. Zwei Preise zu 1000 Francs für einen einstimmigen, von dem Volke unisono vorzutragenden Gesang patriotischen Inhalts und einen solchen vierstimmigen für die Pariser Orphéons. Die Poeten erhalten für den Text je 500 Francs. „Es sollen keine kriegerischen Lieder sein, sondern vaterländische Gesänge ohne Bezug auf Krieg und Politik.“ 6. Ein jährlicher Betrag von 1000 Francs soll die Kosten der vorgeschriebenen Musikprüfung für Mädchen bestreiten, welche sich dem Lehramt widmen.

Die feierliche Preisvertheilung im Conservatorium bietet alljährlich der französischen Regierung einen willkom menen Anlaß, das Interesse des Staates an dem musika lischen Unterricht zu documentiren. Sah ich doch selbst bei den dieser Feierlichkeit vorangehenden Prüfungs-Productionen den greisen Marschall Vaillant (Minister der schönen Künste unter Louis Napoleon) an der Seite Auber’s sitzen und die Leistungen der Schüler mit aufmunterndem Beifalle verfolgen. Diesmal (am 4. August) erschien der Minister des Cultus, des Unterrichts und der schönen Künste, Mr. Wal

lon, begleitet von seinem Staatssecretär und mehreren höheren Beamten, bei der Preisvertheilung und hielt da selbst eine in ihrem Inhalte bemerkenswerthe, in der Form musterhaft elegante Ansprache. Man konnte sie fast eine artistische Thronrede nennen, da sie alle musikalisch und theatralisch denkwürdigen Ereignisse des abgelaufenen Jahres Revue passiren und daneben verlauten ließ, was für die nächste Zukunft vorbereitet oder wünschenswerth sei. Der Minister beklagte zuerst den Verlust mehrerer Tonsetzer, Dichter, Lehrer, und nannte auch die Namen jener Sänger und Schauspieler (Couderc, Melingue, Grenier, Caroline Duprez etc.), welche der Tod vor Kurzem weggerafft. Diese Verluste sind schmerzlich, aber die Kunst ist unsterblich und macht in öffentlichen Festen das Gedächtniß ihrer Auser wählten wiederaufleben.“ Solch ein Fest, fuhr der Redner fort, war das jüngst in Rouen gefeierte hundertjährige Jubi läum Boieldieu’s. Aehnliche Ehren stehen demnächst dem Tondichter bevor, dessen Name gleich dem Boiel dieu’s unzertrennlich ist von der Komischen Oper: Auber. Wenn die Vorsehung ihm nur noch einige Jahre geschenkt hätte, Auber würde selbst seinen hundertsten Geburtstag gefeiert haben, „und gewiß hätte er’s mit einem jener Werke gethan, deren unsterbliche Jugend die Hand der Zeit entwaffnet“. Mit kurzen Worten charakterisirt hierauf der Minister den gegenwärtigen Zustand der Theater. Es sei zu hoffen, daß eine Bühne von so reichem Repertoire, wie die Opéra Comique, sich aus momentanem Herab sinken bald wieder erheben werde. Die Pracht der Großen Oper locke Besucher aus allen Theilen der Welt herbei; aber gerade dieses außerordentliche Zuströmen verpflichte den Director zu vermehrten Anstrengungen. Die Große Oper bedarf neuer Sänger und neuer Werke. Sie allein kann übrigens dem musikalisch-dramatischen Fortschritt nicht ge nügen; um überhaupt auf diese Bühne zu gelangen als Sänger oder Componist, muß man einen Namen haben, und um diesen zu erlangen, ein Theater. Für diesen Zweck war vor einer Anzahl Jahren ein anderes Operntheater, das Théâtre Lyrique, gegründet worden. Es bildete gleich sam einen Vorsaal zur Großen Oper, jedoch mehr als eine bloße Versuchsbühne, denn Opern wie Gounod’s „Faust

und „Romeo“ waren für dasselbe geschrieben. Dieses durch die Brandlegungen der Commune zerstörte Théâtre Lyrique, für welches die National-Versammlung in Hoffnung auf sein Wiederaufleben eine Subvention von 100,000 Francs votirt und aufbewahrt hat, sieht jetzt seiner Wiedereröffnung ent gegen.

Der Schluß der ministeriellen Ansprache betrifft das Conservatorium und die durch Ambroise Thomas ein geführten Gesammt-Productionen der Zöglinge, ein wohlthä tiges „Präludium zur großen Oeffentlichkeit“. Aber nicht blos die Musik, auch die Declamation und Schauspielkunst besitzt in dem Pariser Conservatorium eine berühmte Schule, wel cher das Théâtre Français zu fortwährendem Danke ver pflichtet ist. Dieses Theater dürfe stolz sein auf den Erfolg seines jüngsten Dramas: „La Fille de Roland“, „der beweist, daß das Gefühl für Edles und Erhabenes weder bei den Autoren, noch bei den Schauspielern, noch endlich bei dem Publicum von heute verloren gegangen sei“. Meines Wissens ist Frankreich das einzige Land, wo die Staatsregierung ihren Antheil an der heimischen Kunst so eclatant bekennt, daß sie durch den Minister den Erfolg einer Schaubühne be glückwünscht und die jüngstverstorbenen Lieblinge des Theater- Publicums durch ein Wort der Trauer ehrt. Manches, womit bei solchen Anlässen die französische Regierung ihren Respect vor der Kunst documentirt, besteht allerdings in Worten und kommt mehr der persönlichen oder nationalen Eitelkeit als dem praktischen Bedürfniß entgegen — möge man es darum nicht gering anschlagen und niemals vergessen, daß unter Jenen, welche „nicht vom Brot allein leben“, überall die Künstler obenan stehen. Das gute Beispiel der Regierung wirkt auch auf das große Publicum, aus dessen Mitte immer einige Kunstfreunde mit materiellen Unter stützungen nachrücken. So spendete zu dieser Preisverthei lung, wie schon zu früheren, die Witwe Erard zwei Con certflügel für den besten männlichen und den besten weib lichen Zögling der Clavierschule. Es kamen ferner zwei Jahresrenten von 500 und von 300 Francs zur Verthei lung, welche Madame Ravinet, und eine Jahresrente von 300 Francs, welche die Witwe Guérineau für immerwährende Zeiten zu Gunsten hervorragender Conser vatoriums-Zöglinge gestiftet. Eine von der Witwe Leprince

gestiftete Subvention von 3000 Francs wurde unter die Laureaten des Grand prix de Rome getheilt. So folgt dem lobenden Worte von Oben gerne die helfende That von Unten.

Erwähnen wir gleich hier des letzten Jahresberichtes der vom Baron Taylor gegründeten „Association dra matischer und musikalischer Künstler“, welche Pensionen an alte oder erwerbsunfähige Künstler vertheilt. Die Musik zeitung Le Ménéstrel veröffentlicht diesen Bericht mit dem Bemerken, es erscheine der Pensionsfonds für die Musiker zu gering und für den nächsten Bedarf kaum ausreichend. Diese Bemerkung begleitet der unermüdlich thätige Heraus geber Mr. Heugel auf der Stelle mit einer Subscription von 500 Francs für jenen Fonds, „um Anderen mit gutem Beispiel voranzugehen“.

Kehren wir zu den Theatern zurück, so finden wir deren fünf in Paris, welche von der Regierung subventio nirt sind. Die National-Versammlung hat die betreffenden Commissions-Anträge ohne Debatte angenommen und für das nächste Jahr folgende Subventionen bewilligt: Große Oper: 800,000 Francs; Théâtre Français: 240,000 Francs; Opéra Comique: 140,000 Francs; Odéon: 60,000 Francs; Théâtre Lyrique: 97,000 Francs. Nachdem die vorjährige Subvention von 100,000 Francs für das Théâtre Lyrique unberührt geblie ben ist, wird dessen Director, Herr Campo-Casso, in der beneidenswerthen Lage sein, sein Amt mit einem Zu schuß von beinahe 200,000 Francs für das erste Jahr an zutreten. Der Eifer, mit welchem alle die Kunst berühren den Journale und Vereine, dann die Behörden und legalen Vertretungen in Frankreich für die Wiederherstellung und Subventionirung des Théâtre Lyrique kämpften, verdient die rühmendste Anerkennung. Ohne Widerspruch wurde geltend gemacht, daß zwei subventionirte Opernbühnen für Paris nicht genügen, daß vielmehr neben der Großen und der Komischen Oper das Théâtre Lyrique eine künstlerische Noth wendigkeit sei, ein Institut, dessen rühmliche Vergangenheit ebensowenig vergessen, wie seine Zukunft untergraben werden dürfe. Wäre in Wien für unsere so verheißungsvoll aufge blühte und so traurig verdorrte „Komische Oper“ der zehnte Theil von dem geschehen, was Paris seinem dritten Opern

hause an moralischem und materiellem Succurs leistete, das schöne Theater am Schottenring stände heute nicht verwaist. Die französische Regierung subventionirt außer den fünf Theatern noch das Conservatorium, und zwar für das nächste Jahr mit dem Betrage von 224,000 Francs. „C’est bien peu!“ ruft der Ménéstrel aus.

Seit einigen Wochen besitzt Frankreich noch eine ganz neue Institution zu Gunsten der schönen Künste. Es ist dies der „Conseil supérieur des beaux arts“. welcher soeben unter dem Vorsitze des Unterrichtsministers seine erste Sitzung gehalten hat. Dieser Oberste Kunstrath soll durch seine Permanenz jeder Veränderlichkeit der Mini sterien widerstehen und alle seine Arbeiten ruhig fortsetzen und beenden können, ohne sich um die Fluctuationen der Politik zu kümmern. Also ein dem Unterrichtsministerium beigeordneter selbstständiger Senat, welcher, „stabil und doch aus sich selbst erneuerbar, ebensosehr die Traditionen be wahren, als den Geist des Fortschrittes in sich aufnehmen soll“. Dieser Rath ist zusammengesetzt aus zwölf Künstlern (sechs Maler, zwei Bildhauer, zwei Architekten, ein Kupfer stecher, ein Tonkünstler), aus zwei Mitgliedern der Académie des inscriptions et belles lettres, dem ständigen Secretär der Akademie der schönen Künste und dem Seine-Präfecten: ferner aus den Directoren des Conservatoriums, der Kunst schule, der Civilbauten, der Museen, einem Mitgliede für die Porcelan-Manufactur von Sèvres, endlich aus acht durch ihre Kunstkennerschaft ausgezeichneten Männern. Als Präsident fungirt der Minister, als Vice-Präsidenten sein Staatssecretär und der Director der schönen Künste. Der Oberste Kunstrath versammelt sich Einmal in jedem Monate und gibt in allen die Kunst betreffenden Fragen, über Aus stellungen, Preisausschreibungen, Anschaffungen von Kunst werken etc., sein Votum ab.

Diese Zusammenstellung von Thatsachen aus aller jüngster Zeit bezeugt jedenfalls, daß die französische Re publik die schönen Künste und deren Repräsentanten als einen der wichtigsten Bestandtheile des nationalen Ruhmes ansieht und ermuntert. In Deutschland lieben die Höfe und Regierungen — vielleicht aus Verehrung für Schillerdie Huldigung der Künste; in Frankreich finden wir wenigstens neben dieser auch eine Huldigung den Künsten.