Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4013. Wien, Dienstag, den 26. October 1875 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Nr. 4013. Wien, Dienstag, den 26. October 1875 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 26.10.1875
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Carmen.“ Oper in vier Acten, von Meilhac und Halévy. Musik von Bizet. Erste Auf führung im Hofoperntheater am 23. October 1875.

Ed. H. Prosper Mérimée beginnt seine Novelle „Car men“ mit der Schilderung eines Ausflugs in die andalusi schen Berge, wo er in einer einsamen Waldschlucht unver muthet auf den gefürchteten Räuberhauptmann Don José- Maria stößt. Ein Zug von Schwermuth und von rauher Ehrlichkeit in dem verwilderten Manne gewinnt ihm fast die Sympathien des Erzählers. Einige Zeit nachher trifft er Don José in Cordova bei einer jungen Zigeunerin, Namens Carmen, welche den Erzähler in ihre Hütte gelockt, um ihm Karten aufzuschlagen und nebenbei seine goldene Repetiruhr zu entwenden. Eine wilde, seltsame Schönheit, anfangs befremdend, aber unmöglich zu vergessen. Ihre wunder bar geschnittenen Augen hatten einen Ausdruck zugleich von Wollust und von Grausamkeit, wie man ihn nur bei man chen wilden Thieren antrifft. („Zigeuneraugen — Wolfs augen“ sagt ein spanisches Sprichwort.) Diese Carmen ist das böse Schicksal im Leben Don José’s, der, obwol Edel mann und Officier, aus Liebe zu ihr fahnenflüchtig wird, sich zu Schmugglern und Räubern gesellt, um schließlich als Mörder Carmen’s durch Henkershand zu enden. Mérimée besucht den Verurtheilten im Gefängniß, wo dieser ihm aus führlich, rückhaltlos seine traurige Lebens- und Liebesgeschichte mittheilt. Diese Erzählung wirkt ergreifend durch die lebens wahre Schilderung der beiden Hauptpersonen und ihrer Schick sale, zugleich überzeugend durch die Stetigkeit und Schärfe des psychologischen Processes. In diesen Vorzügen von rimée’s Novelle liegt der Reiz und die Gefahr für drama tische Behandlung. Eine Oper „Carmen“ wird uns die Fi guren und Begebenheiten anschaulich, aber kaum glaubwür dig machen, weil sie auf das Secirmesser und Mikroskop des Psychologen verzichten muß. Die Verfasser des Opern- Librettos haben wohlweislich einige der häßlichsten Züge Car men’s beseitigt: sie stiehlt wenigstens keine Taschenuhren und gibt auch Don José nicht den Wink, ihren Mann, ein einäugiges Scheusal, gelegentlich niederzuschießen. So viel sie der Heldin an abstoßender Härte genommen, so viel mindestens hätten die

Bearbeiter dem Don José an Muth und Ritterlichkeit bei legen sollen. Die Gestalt dieses armen Jungen bleibt immer hin rührend durch seine leidenschaftlich treue Hingebung, die, hundertmal verwundet, dennoch in ihm nicht sterben kann. Ein wahrer Sonnenstich der Liebe, der den Getroffenen wehr- und willenlos macht. Derselbe Sonnenstich, der den Chevalier de Grieux für Lebenszeit zu den Füßen der un getreuen und leichtsinnigen Manon Lescaut hinstreckte. Eine Figur, die in der Original-Novelle gänzlich fehlt, ist das Landmädchen Micaëla, welche — ein Seitenstück zur Alice in „Robert der Teufel“ — ihren Landsmann José aus den Zaubernetzen der Carmen erretten und einem ruhigen Fa milienleben zurückgeben möchte. Die Bearbeiter empfanden ganz richtig das Bedürfniß nach einem sanften Gegenbild Carmen’s, und es ist kaum ihre Schuld, wenn der Com ponist nicht mehr daraus zu machen wußte.

Der Inhalt der Oper ist in aller Kürze folgender: Ein junger Brigadier, José, soll eine Zigeunerin wegen einer blutigen Rauferei ins Gefängniß escortiren. Von ihrer koketten, wilden Schönheit berückt, läßt er sie entschlüpfen. Für dieses Vergehen degradirt und eingesperrt, eilt er nach überstandener Strafe gleich zu der leichtfertigen Carmen, wird ihr Liebhaber und auf ihr Drängen Schleichhändler. Immer wieder von ihr betrogen und verrathen, folgt er ihr doch treulich auf ihren gefahrvollen Schmugglerzügen. Endlich übermannt ihn die Eifersucht gegen einen von Car men begünstigten Toreador. Er will seine Ehre, sein Lebensglück nicht vergebens hingeopfert haben; sie soll ihrem Toreador, soll ihrer Schmugglerbande entsagen und mit ihm fliehen. Da sie sich weigert und José höhnisch abweist, ersticht er sie. Die Handlung entfaltet sich in vier Tableaux von national spanischer Färbung: eine Straße in Sevilla mit einer Hauptwache, an der die Posten einander ablösen; eine abgelegene Schänke für Schleichhändler und Dirnen; eine Bergschlucht, in welcher die Zigeunerbande Halt macht; endlich ein Platz in Cordova mit dem Circus der Stier gefechte als Hintergrund. Auf diesen Platz eilt Carmen als Zeugin des Triumphes ihres Toreador, hier durchbohrt sie der rächende Stahl des unglückseligen José.

Dem Textbuche gebührt das Lob einer geschickten, büh nenkundigen Arbeit; es bringt gewagte, aber originelle Cha

raktere und Situationen und bietet in drei Rollen lohnende Aufgaben für das Talent der Darsteller.

In der Partitur Georges Bizet’s begrüßen wir weder die That eines schöpferischen Genies, noch die Arbeit eines fertigen Meisters; aber als eine interessante Production von Geist und Talent muß man sie immerhin gelten lassen. Gewiß auch als eine vielversprechende, leider durch den Tod Bizet’s vernichtete Anweisung auf Besseres, das von ihm nachfolgen sollte. Der Componist hatte nach einigen unsicher tastenden Versuchen endlich mit der Oper „Carmen“ einen festen Boden und seinen ersten Erfolg gefunden. Da ereilte ihn, den Aufstrebenden, Jungen, Glücklichen, am 3. Juni dieses Jahres ein plötzliches Ende — drei Monate nach der ersten Aufführung von „Carmen“. Bizet genoß als streng geschulter, guter Musiker besonderes Ansehen bei der neuesten musikalischen Schule Frankreichs, die ihn nicht ungern als ihr Haupt bezeichnete. Diese jüngste nach-Auber’sche Opernschule besitzt Geist und Gewandtheit bei geringer musikalischer Urkraft; es charakterisirt sie die specifisch dramatische Intention, die sorgfältige, mitunter glänzende Technik, das raffinirt geistreiche Detail, leider nicht die Fülle und Originalität der Erfindung. Halb an die Sen timentalität Gounod’s, halb an den Esprit A. Thomas’ an lehnend, sucht sie diese Elemente mit der dramatischen Me thode R. Wagner’s, so weit ihr dieser zugänglich, zu kitten. Müssen wir auch lächeln, wenn das Pariser Opernpublicum in jedem dissonirenden Accord, jedem chromatischen Motiv, jeder unklaren oder unsymmetrischen Form sofort „du Wagnèrerblickt, so ist doch eine zunehmende Einwirkung des „Tann häuser“ und „Lohengrin“ auf die neuesten französischen Com ponisten unleugbar. Pariser Kritiker bezeichneten Bizet ge radezu als „un des plus farouches intransigeants de notre jeune école wagnérienne“ und wunderten sich, daß er in Carmen“ sich trotzdem maßvoll und manierlich benehme. Nun, „Wagnerisch“ kann man Bizet nur finden, wenn man ihn mit den früheren französischen Opern-Componisten und nicht mit R. Wagner vergleicht. Allein der üppige Melodien strom in „Fra Diavolo“ und der „Stummen von Portici“, selbst die sorglose Heiterkeit des „Postillon von Lonjumeau“, erscheinen sie nicht wie ein goldenes Märchen, wenn man ihre jüngsten Abkömmlinge daneben hält? Immer ernsthafter werden die

Gesichter, immer zugespitzter der Ausdruck, immer sorgfälti ger und complicirter Harmonisirung und Instrumenta tion, aber unter der fortgeschrittenen Technik und den höhe ren „Intentionen“ sickert spärlich aus abgeleiteten Quellen die melodische Erfindung. Werke dieser Art erheben und be glücken uns nicht, wie die Schöpfungen genialer Meister; sie wollen andererseits ernster aufgefaßt und höher taxirt sein, als bloße Unterhaltungsmusik vom Schlag der Operetten. Also ein Mittleres zwischen zwei grundverschiedenen Ein drücken, halbe Kunst, wenn man so sagen darf, wie sie jetzt nahezu allein herrscht auf dem Theater und in ihren besse ren Erzeugnissen ihm auch unentbehrlich ist. Wie geschickt gerade die Franzosen darin sind, selbst ein mittleres Talent durch eine gewisse Formvollendung und Sicherheit wirksam zu machen; wie ihre Opern durch Feinheit, Esprit und Bühnen tact uns wenigstens lebhaft anregen und interessiren können, das beweist unter Anderm auch die Oper „Carmen“. Sie ist eine der besten aus nach-Auber’scher Schule und seit Mignon“ (1866) wol der namhafteste Erfolg in der Opéra comique. Im Laufe der Wiederholungen hat sich in Paris der Kreis ihrer Anhänger entschieden vergrößert, und da ihre zahlreichen reizenden Details wirklich nicht auf den ersten Blick hervortreten, dürften wir in Wien die gleiche Erfah rung erleben.

Erinnern wir uns flüchtig der hervorragendsten Num mern der Partitur. Gleich der lebendig bewegte erste Act wird gut eingeleitet durch einen Soldatenchor, dessen etwas gesuchtes chromatisches Thema pikant genug klingt. Muster haft ungezwungen verflicht sich darein das kurze Gespräch Micaëla’s mit dem Brigadier Moralès; im leichten Aufbau solcher Conversations-Scenen sind die französischen Compo nisten unübertroffen. Gefällig, doch ohne tieferen Eindruck berührt uns das Duett Micaëla’s mit José. Die Chöre der Fabriksarbeiterinnen tragen sowol in ihrer sorgfältigeren Ausarbeitung als ihrem für diesen Anlaß etwas zu hoch gegriffenen Ausdruck ganz die Signatur der neuesten fran zösischen Schule. Aber erst mit dem Auftreten Carmen’s ge räth das Blut des Componisten und der Zuhörer in Wallung. Ihr Strophenlied: „L’amour est enfant de Bohème“ mit dem nach je acht Tacten kurz einschlagenden Chor-Refrain „Prends garde à toi!“ verdankt einer spani

schen Volksmelodie seine Originalität, dem Componisten Bizet seine effectvolle und elegante Einkleidung. Desgleichen die (von Frau Ehnn reizend gesungene) Seguidilla, mit welcher Carmen, die Hände auf dem Rücken gebunden, José den Kopf verrückt — ein Stück von charakteristischer, zier lichster Haltung. Im zweiten Act geht es noch lustiger her; noch dominirender waltet hier die spanische Localfarbe, mit den baskischen Tambourins und Castagnetten. Das Zigeuner lied Carmen’s, das, vom Chor begleitet, sich allmälig in einen allgemeinen tanzenden Wirbel auflöst, hat, zusammenwirkend mit der ganzen Scenerie, etwas Berauschendes. Der Toreador Escamillo tritt in die Schänke; seine an banale italienische Opernmelodien erinnernden Couplets erweisen sich trotzdem hier wie in Paris als sichere Treffer, welche im Nachhause gehen leicht nachgeträllert werden. Wir ziehen die feineren Züge des darauffolgenden Buffo-Quintetts weit vor, ein rasches, halb flüsterndes Geplauder zwischen den drei Zi geunermädchen und zwei Schmugglern in der Manier des bekannten Terzetts aus Herold’s „Zweikampf“. Es folgt ein großes Duett zwischen Carmen und José, dessen C-dur- Satz (Sechsachtel-Tact) mir das leidenschaftlichste und her vorragendste Stück der Oper scheint. Carmen’s drängendes Zureden „Là-bas, dans les montagnes“, durchschnitten von José’s immer heftigerem Ausruf: „Carmen!“, würde durch etwas weniger gesetzten Vortrag sehr gewinnen. Auch hätte gerade dieser Satz nicht gekürzt werden sollen, am wenigsten in seinem ersten Theil; was man hier wegstrich, ist keines wegs bloße Wiederholung. Dem ziemlich unbedeutenden An dantino Don José’s in Des-dur hat die Kürzung nicht ge schadet, wol aber das etwas zu rasche Tempo; das Stück wirkt nur, wenn man dem Sänger Zeit läßt, ein schönes Portamento zu entfalten. Die beiden ersten Acte sind dra matisch und musikalisch die gelungensten. Der dritte Act fällt durch den Stillstand der Handlung und die Dürftigkeit der Musik nachtheilig ab; nur das Terzett der Kartenaufschläge rinnen erzielt als graziöses, feingemeißeltes Tonstück bedeu tendere Wirkung. Gegen den dritten Act hebt sich wieder der vierte, aber mehr durch seine üppige Augenweide, als durch musikalischen Reichthum. Der Festzug zum Stier gefecht mit dem trefflich dazu stimmenden nationalen Ballet entfaltet hier eine Pracht, an welche die Pariser Aufführung

nicht entfernt hinanreicht. Die Balletmusik in H-moll be strickt durch ihren exotischen Reiz, wenngleich das Pikante ihrer monotonen Begleitungsfigur und der dazu dissoniren den Oberstimme hart ans Stachlige grenzt. Dies Alles ist eigentlich nur die sich bequem ausbreitende Einleitung zu dem kurzen, wie ein Beilhieb niederblitzenden Schluß des Ganzen; eine fast brutale Tragik, die uns indessen nicht unvorbe reitet findet.

Die Aufführung der Novität gereicht dem Director und dem Personale des Hofoperntheaters zur Ehre. Das Talent unserer Ehnn hat an „Carmen“ eine neue verlockende Aufgabe gefunden und dieselbe unter allgemeinem Beifalle glücklich gelöst. Nichts Gefährlicheres für Dichter und Dar steller, als eine Heldin, die ohne jeden sittlichen Gehalt Alles nur durch den Höllenzwang ihrer wilden Schönheit berückt. Kaum wird man eine Künstlerin finden, die, hervorragend als Sängerin und Schauspielerin, auch noch durch ihre Per sönlichkeit einem solchen Bilde entspräche. Es will schon viel heißen, wenn die Rolle der Carmen gesanglich ganz be wältigt und dramatisch halbwegs glaubwürdig gemacht wird. Das ist Frau Ehnn gelungen, welche die anstrengende Partie mit jugendlicher Stimmkraft, voll Feuer und dra matischem Nachdruck sang, sie auch sehr gewandt spielte. In den beiden letzten Acten, wo Carmen ihre stolze, kalt ab wehrende Seite hervorkehrt, schien uns Frau Ehnn noch charakteristischer, als in dem der Koketterie gewidmeten ersten Theil der Oper. Der Erfolg der ganzen Oper wird in Deutschland, genau wie bei „Mignon“, einzig von dem Talent der Darstellerin Carmen’s abhängen. Ein reich zugemessenes Lob gebührt Herrn Müller für seine treffliche Leistung als José. Es liegt in dem Wesen dieses Sängers ein Zug von schlichter Redlichkeit und Treue, welcher ihn für Don José ganz vorzugsweise eignet. Jeder Schein von eitler Selbst bespiegelung oder Eleganz würde diese Rolle Lügen strafen. Wir haben Herrn Müller noch nicht so leidenschaftlich spielen gesehen, wie in der Schlußscene von „Carmen“; daneben können wir auch eine kleine musikalische Rarität nicht un gerühmt lassen: seine langen, schöngeschwellten Triller in dem Liebchen hinter der Scene. Von den übrigen Personen der Oper treten, allerdings in ziemlichem Abstand von den zwei Hauptcharakteren, noch Micaëla und Escamillo selbstständig

hervor. Der Micaëla kam die freundliche Erscheinung, die silberhelle Stimme und der in Wort und Ton durchaus angemessene Vortrag der Frau Kupfer auf das günstigste zu statten. Nicht ebenso vortheilhaft war der Toreador Escamillo mit Herrn Scaria besetzt. Wie im Stiergefecht der Toreador nicht durch rohe Muskelkraft, sondern durch Schmiegsamkeit und Beweglichkeit siegt, so beruht seine Rolle in „Carmen“ keineswegs auf einer massiven Stimme und Persönlichkeit, sondern auf der Eleganz der Erscheinung und des Spieles, musikalisch auf dem mühelosen freien Anschlagen der hohen Töne und der vollkommenen Leichtigkeit des Vortrages. Escamillo ist ein populärer Don Juan, eitel und galant; er singt seine Couplets „avec fatuité“, wie der Componist vorschreibt. In diesem Sinne ist die Rolle in Paris mit Herrn Bouhy besetzt, einem schlanken, schmucken Bariton, für den wir in Herrn v. Bignio den richtigen Doppel gänger besitzen. Bei Herrn Scaria kam Alles viel zu breit, stark und gravitätisch heraus; weder seine gewichtige Person, noch seine in hoher Lage gedeckt klingende und nur behutsam verwendete Stimme passen für diese Partie. Nach seinen so dankbaren Couplets im zweiten Acte erntete er übrigens lebhaften Applaus. Die kleineren Rollen, jede wichtig an ihrer Stelle, wurden von Fräulein Tagliana, Fräulein Mordini, den Herren Hablawetz, Nollet, Neumann, Lay und Schmitt sehr lobenswerth gegeben. Ist die Rolle von Fräulein Tagliana undankbar, so wollen wir es nicht auch sein. Im Gegentheil. Diese Sängerin verdient ein ausdrück liches Dankvotum dafür, daß sie jüngster Zeit zwei kleine Rollen übernahm, die eine junge, anmuthige Darstellerin unumgänglich brauchen und für den Erfolg des Ganzen sehr wichtig sind: Papagena in der „Zauberflöte“ und Mercedès in „Carmen“. Fräulein Tagliana hat beide, ohne dazu verpflichtet zu sein, rein im Interesse der genannten Opernaufführungen übernommen, welche nun durch diese künstlerische Bereitwilligkeit ebensosehr gewonnen haben, wie Fräulein Tagliana selbst in den Augen aller Musikfreunde. Die Chöre und das Orchester lösten ihre zum Theil sehr schwierige Aufgabe vortrefflich unter der Leitung des Herrn Hanns Richter, welcher sich um das Gelingen von „Car men“ wacker und erfolgreich bemüht hat.