Concerte.
Ed. H. Sowol die „Philharmoniker“ als die „Musik
freunde“ haben ihr erstes Concert hinter sich. Beide mit
der reichsten Ernte an Beifall und Besuch. Letzterer hat bei
den Philharmonie-Concerten sogar die Normalhöhe so be
trächtlich überschritten, daß zweihundert frühere Abonnenten
und wol noch mehr neue Bewerber diesmal leer ausgehen
mußten. Wir erinnern die „Philharmoniker“ an den Vorschlag,
Doppelaufführungen zu veranstalten, musikalische Nachmittags
vorstellungen oder philharmonische Parallelclassen, wie man sie
bei Ueberfüllung der Schulen eröffnet. Um noch einer an
dern Aeußerlichkeit zu erwähnen: es scheint der neue Diri
gent der Philharmoniker, nach seinem ersten Programm zu
schließen, eine mäßigere Concertdauer einführen zu wollen.
In dieser Tendenz verdient er ausdrücklich bestärkt zu wer
den. Mit langen Mittagsconcerten erweist man weder den
vorgetragenen Compositionen, noch den Spielern, noch end
lich dem Auditorium einen Gefallen. Als im jüngsten Gesell
schaftsconcert nach halb 3 Uhr der „Lobgesang“ noch im
vollen Zuge war, entwischten erst leise einzelne verschämte
Hungrige, dann wuchs die Emigration an Zahl wie an
Kühnheit und lief, von den mißbilligenden, aber nicht neid
losen Blicken der alten Garde verfolgt, herzhaft davon.
Im Philharmonischen Concert hingegen verblieb Alles
in frischer Empfänglichkeit bis zur letzten Note.
Das erste Philharmonie-Concert begann mit Richard
Wagner’s „Faust-Ouvertüre“, welche von unserm doch
hinlänglich Wagner-holden Publicum diesmal, wie bei früheren
Aufführungen, kühl aufgenommen wurde. Musikalisch Aber
gläubige konnten es fast als böses Omen ansehen, daß der
Jahreslauf der Philharmonie-Concerte mit einem so un
philharmonischen Thema eingeweiht wurde, wie es das
obendrein von dem brutalsten Instrument, dem Baßbombardon,
intonirte Anfangsmotiv dieser Ouvertüre ist.
Es folgte das gleichfalls bereits bekannte G-dur-Con
cert für Streichinstrumente von J. Sebastian Bach, dessen
markige Rhythmik und gesundheitstrotzende Harmonie wie ein
Stahlbad auf die Hörer wirkte. Zwischen die beiden einzigen
Sätze des Originals wurde das Adagio aus einer Bach’schen
Violinsonate eingelegt, welche von Ferdinand David mit einer
Clavierbegleitung versehen und in seiner Sammlung classi
scher Geigenmusik publicirt ist. Unser Hellmesberger
erhob das also erhöhte Solostück noch um eine Stufe höher,
ins Orchester, und spielte die Violinstimme mit so vollende
tem Geschmack und Adel, daß wir schon um dieser Leistung
willen gern auf jeden Einspruch gegen das Passende dieser
Einlage verzichten. Von Seite des Orchesters war die Aus
führung des Bach’schen Concertes fest und glänzend wie po
lirter Stahl. Als dritte und letzte Nummer gab man
Beethoven’s „Eroica“. Eine anerkannte Musterleistung
der „Philharmoniker“, entsprach sie auch diesmal in Präcision
und feinster technischer Ausarbeitung den höchsten Anforde
rungen. Die Tempi nahm Capellmeister Richter langsamer,
als wir sie gewohnt sind, namentlich im ersten Satz und im
Trauermarsch. Dadurch gewann allerdings das reiche musika
lische Detail eine schärfere Beleuchtung und höchste Klarheit
der Contouren, aber häufig auf Kosten der unmittelbar zün
denden Totalwirkung. Ein Hauch von Gelassenheit und re
flectirter Vornehmheit strich kühlend über diese feuergewalti
gen Gestalten; Tempo-Streitigkeiten bleiben jedoch immer ver
fänglich für die Kritik. Einmal übt hier die Macht der Ge
wohnheit, die als Tradition sogar ihre unleugbare Berechti
gung hat, einen fast unwiderstehlichen Einfluß. Sodann steht
im Proceß über die Richtigkeit eines Tempos nicht nur
Keinem, außer dem Componisten, ein autorisirtes Richteramt zu,
es gehen mit dem letzten verhallenden Ton sogar der nackte
Thatbestand und alle Beweismittel für den Streit verloren.
Somit bleibt dem Einzelnen kein Proceß, sondern nur das
Aussprechen seiner individuellen Empfindung übrig; die meine
hätte im vorliegenden Falle mehr Feuer und Wärme ge
wünscht. Die Augsburger Allgemeine Zeitung brachte vor
einiger Zeit einen geistreichen Artikel „wider die feurigen
Dirigenten“ — vielleicht wird der anonyme Verfasser nach
Jahr und Tag über die langsamen Dirigenten zu klagen
haben. Das Herzen des Tempos ist allerdings die verbrei
tetste, weil billigste und dankbarste Effecthascherei der Capell
meister, aber sie ist nicht die modernste. Die Wagner’sche
Schule hütet sich davor, seit ihr Meister das allzu feurige
Dirigiren als „mendelssohnisch“ gebrandmarkt hat. Mit
mehr objectivem Grunde, als die immerhin mehrdeutige Auf
fassung des Tempos läßt sich der willkürliche Wechsel des
Zeitmaßes im Verlaufe desselben Satzes anfechten. Man
weiß, woher dieser Wind weht: aus Wagner’s Broschüre:
„Ueber das Dirigiren“, worin die „von unseren Dirigenten
mit tölpisch abweisender Verketzerung behandelte Modifi
cation des Tempos“ anbefohlen wird. Wir fordern
aber sogar vom Pianisten, daß er im Tact bleibe und da
nach den verschiedenen Empfindungsschattirungen in einem
und demselben Stücke gerecht werde. Umsomehr vom Or
chester, das durch ein systematisches Tempo rubato allmälig
den Charakter unserer classischen Compositionen gefälscht
haben wird. Hanns Richter, der es löblicherweise unterließ,
die bekannte Horn-Prolapsis im ersten Satze der „Eroica“
wagnerisch zu corrigiren, brachte dennoch der „Modification
des Tempos“ die jetzt vorgeschriebenen Opfer durch Ritar
diren fast aller mit „dolce“ bezeichneten Gesangstellen. Mag
man nun auch im Einzelnen anderer Meinung sein, als
Herr Richter, den Eindruck einer kräftigen, ernsten und
durchaus achtungswerthen künstlerischen Persönlichkeit wird
man von ihm gewiß empfangen haben. Gewinnt schon auf
den ersten Blick seine imposante, von jeder Geziertheit freie,
männliche Erscheinung, so wird dieser günstige Eindruck noch
verstärkt durch die ruhige Festigkeit seines Tactschlages und
die würdevolle Bescheidenheit seines ganzen Benehmens.
Jedenfalls ist es eine künstlerische Persönlichkeit von aus
gesprochenem Talente, die jetzt Dessoff’s schwer zu ersetzen
des Wirken aufnimmt und uns mit Vertrauen in die Zu
kunft der „Philharmonischen Concerte“ erfüllt.
Feierte das Publicum der „Philharmoniker“ mit lautem
Beifall die Geburt eines neuen Dirigenten in der Person
Richter’s, so beging man im Ersten Gesellschaftsconcert
nicht minder festlich die Rückkehr eines altbewährten, um
unser Concertwesen hochverdienten Meisters: Johann
Herbeck. Wer in musikalischen Dingen nicht völlig indiffe
rent oder gedächtnisschwach ist, der weiß, daß Herbeck die
Gesellschaftsconcerte vor sechzehn Jahren aus einem Zu
stande trostloser Stagnation zu hoher Blüthe gebracht und
gleichzeitig dem „Wiener Männergesang-Verein“ und dem
von ihm geschaffenen „Singverein“ zu hohem Ruhm ver
holfen hat.
Kein Wunder, wenn die Musikfreunde gar betrübt
dreinsahen, als Herbeck vor einigen Jahren die Direction
all dieser Concert-Institute niederlegte, um die Leitung des
Hofoperntheaters zu übernehmen. „Kehr’ wieder, schließt sich
dir das Heil!“, so riefen ihm, wie Venus dem entrinnen
den Tannhäuser, laut oder im Geiste die Genossen seiner
früheren Laufbahn nach. Und er ist wiedergekehrt, nachdem
manch unverdient bittere Erfahrung ihn veranlaßt hatte, die
theatralische Dornenkrone niederzulegen. Für die „Gesell
schaft der Musikfreunde“ war es eine glückliche Fügung,
daß Herbeck fast im selben Momente frei wurde, wo
jene durch den Austritt einer künstlerischen Autorität
allerersten Ranges, Johannes Brahms’, einen schweren
Verlust erlitt. Nun bedurfte es keines Suchens, keines
Wählens, Herbeck war der einzig mögliche, der natürliche
Nachfolger in das schon einmal beherrschte Reich der Ge
sellschaftsconcerte. Darf er doch mit einigem Recht der
Vater dieses Kunst-Instituts heißen, das er zwar nicht ins
Leben gerufen, aber zu neuem Leben gehoben, das er zur
Tüchtigkeit herangebildet und jahrelang sorgsam behütet hat.
So wurde denn Herbeck von seiner zahlreichen Gemeinde
mit jubelndem Zuruf begrüßt, als er am letzten Sonntag
wieder an das reichbekränzte Dirigentenpult des Musikver
einssaales trat. Ob Herbeck der Alte geblieben? Durchaus.
Dasselbe stürmische Jugendfeuer, dieselbe drängende Energie,
nur noch gesteigert, beinahe bis an die Grenze des Wün
schenswerthen. Auffallend war schon die Schnelligkeit, in
welcher das Finale der Haydn’schen Symphonie, allerdings
glänzend genug, dahinstürmte; noch mehr die fast leiden
schaftliche Heftigkeit in der Auffassung von Mendelssohn’s
„Lobgesang“. Sei es nun, daß wir den Gegensatz zu Hanns
Richter gerade jetzt greller empfanden; sei es, daß etwa
Herbeck selbst sich in diesen Gegensatz zu Richter setzen
wollte — genug, wir fanden in seiner Leitung des „Lob
gesangs“ etwas Gewaltsames, fortwährend Antreibendes
und Aufstachelndes, das nicht im Charakter dieses Ton
werkes begründet liegt.
Ein oft gehörtes Stück, Haydn’s lebensfrohe G-dur-
Symphonie, eröffnete das Concert. „Wo man auf einem
Concertzettel eine Haydn’sche Symphonie angekündigt liest,“
sagt David Strauß, „da mag man getrost hingehen, man
wird sich gewiß nicht enttäuscht finden, es müßte denn durch
die Ausführung sein. Denn da kann es allerdings vorkom
men, daß gerade sogenannte bessere Orchester es am schlimm
sten machen. Sie wenden gerne ihre Effectmittel, ihre
schroffen Wechsel in Tonstärke und Tempo auf eine Musik
an, die nur der schlichteste Vortrag richtig zur Erscheinung
bringt.“ In diesen Fehler absichtlicher Modernisirung ver
fiel die Herbeck’sche Aufführung nicht bei aller Virtuosität.
Aber es will uns scheinen, als alterire jedes so starkbesetzte
Orchester den ursprünglichen Charakter dieser Compositionen.
Da klingt Alles gleich so anspruchsvoll und war doch von
Papa Haydn so anspruchslos gemeint. Erfaßt von einer Le
gion von Geigern, wird ein lustiges Passagenspiel, wie im
Finale der G-dur-Symphonie, zur stürmischen Windsbraut
und ein leichter häuslicher Kummer zum National-Unglück.
Wir fühlen das Mißverhältniß der aufgewendeten Mittel
zum Inhalt, die Masse von Ton lastet wie eine prahlerische
Rüstung auf Haydn’s netten, zutraulichen Gestalten. Voll
ständig, wie sie sollen, wirken derlei ältere Symphonien in
einem kleineren Saale, vor einem kleineren Publicum, mit
einem kleineren Orchester. In unseren großen Concertsälen
macht mir eine Haydn’sche Symphonie ungefähr den Ein
druck wie ein älteres musikalisches Conversationsstück auf der
Prachtbühne unserer Großen Oper. Wir haben jetzt Alles
größer und besser, ohne Frage; aber es ist nicht mehr
dasselbe.
Zum erstenmale hörten wir eine bisher verschollene
Tenor-Arie aus Schubert’s Opernfragment „Adrast“.
Nach Kreißle’s Vermuthung ist der Held des (von Johann
Mayrhofer gedichteten) Librettos der griechische Philosoph
Adrastus von Philippopolis und die nur angefangene
Schubert’sche Composition eine Jugendarbeit aus dem Jahre
1815. Die Arie schmeichelt sich dem Hörer ein durch ihre
weiche, süße Stimmung und einige melodische Knospen von
echt Schubert’schem Duft. Eine dramatische Ader tritt nir
gends hervor. Der Componist schwelgt im behaglichen Aus
strömen Einer zarten Empfindung, und ganz liedmäßige
Wendungen, Mißachtung der Declamation, unablässige Wort
wiederholungen stören ihn nicht in seinem lyrischen Drange.
Die Morgenröthe eines großen Talents schimmert hier durch
unscheinbare, altmodisch möblirte Räume. Walter’s seelen
voller Vortrag sicherte dieser Reliquie einen sympathischen
Eindruck. Zwei neue Vocalchöre von Herbeck: „Glocken
töne“ und „Lieb’ und Traum“, fanden in trefflicher Aus
führung durch den „Singverein“ lebhaften Beifall. In
schöner Klangwirkung des mehrstimmigen Vocalsatzes werden
es Herbeck Wenige zuvorthun; auch die genannten Novitäten
wirkten durch diesen Reiz, bei keineswegs bedeutender Erfin
dung. Den einfacheren, sanft ausklingenden „Glockentönen“
geben wir unbedingt den Vorzug vor dem reicher figurirten
zweiten Chor, welcher, von mehr äußerlicher Lebendigkeit,
obendrein gar zu rücksichtslos gegen die Gesetze der Decla
mation vorgeht. (So springt z. B. in den Versen: „Und
wo’s Schifflein nicht fährt“ und „Wo endlos der Raum“
die zweite Sylbe von „Schifflein“ und von „endlos“ ener
gisch in die Sext hinauf und werden die folgenden Wörter
„nicht“ und „der“ lang genommen.)
Die zweite Abtheilung des Gesellschaftsconcertes füllte
Mendelssohn’s Symphonie-Cantate „Lobgesang“. Zwei
in Wien gebildete junge Sängerinnen, Marianne Lieder
und Marie Hellmer, traten darin zum erstenmale vor
die Oeffentlichkeit. Fräulein Lieder besitzt eine der schön
sten und stärksten Sopranstimmen, die man gegenwärtig hier
hören kann, ein beneidenswerthes Material von allerdings
noch unzureichender Schulung. Ihr Vortrag ermangelte der
Wärme und nuancirenden Färbung; wahrscheinlich hat der
Alpdruck des ersten Auftretens (dem wir auch das sehr häu
fige Athemholen zuschreiben wollen) noch zu stark auf Fräu
lein Lieder gelastet. Die Altistin hat im „Lobgesang“ gar kein
Solo und wirkt in einer einzigen Nummer, dem Frauen
duett, mit. Wir können deßhalb vorläufig von Fräulein
Hellmer nur berichten, daß sie ihre kleine Aufgabe mit
kräftiger Stimme und befriedigendem Vortrag löste. Herr
Walter steht in der schwierigen Tenorpartie des „Lob
gesangs“ wol ohne Rivalen da; die Zartheit und ruhig aus
tönende Empfindung, mit der er die rein lyrischen Stellen
sang, steigerte sich in der dramatisch bewegten Scene: „Hüter,
ist die Nacht bald hin?“ zum starken Pathos. Nur der Chor
unseres „Singvereins“ stand ihm ebenbürtig zur Seite. —
Was Mendelssohn’sComposition betrifft, so ist ihr
Reiz in den letzten zwanzig Jahren stark verblaßt. Nur ein
zelne hervorragende Schönheiten, wie in der Symphonie das
Allegretto, in der Cantate das Frauenduett und das drama
tische Tenorsolo (der Höhepunkt des Ganzen), üben noch
ihren alten Zauber. Unter den geistlichen Compositionen Men
delssohn’s hat der „Lobgesang“ mit all seiner silbernen Klarheit
die wenigste Tiefe. Ueberdies läßt sich die Heterogenität der beiden
aneinandergefügten Theile, des symphonischen und des voca
len, nur schwer verwinden. Wie kommt nur ein Symphonie-
Allegretto von der weltlichen Grazie dieses Sechsachteltactes
zu dem Inhalt des „Lobgesangs“? Stets kommt mir die
Vermuthung, daß irgend eine unbekannt gebliebene äußere
Veranlassung den Meister zu dieser Koppelung bewogen oder
genöthigt habe. Vielleicht eine angefangene Symphonie, für
die sich kein rechter Abschluß finden wollte, und eine Can
tate, die für das Festconcert des Gutenberg-Jubiläums (1840)
zu kurz erschien? Eine Nachahmung der Neunten Sym
phonie war gewiß nicht beabsichtigt; nicht nur fehlt im
„Lobgesang“ gänzlich die psychologische Motivirung, welche
dort den Eintritt der Menschenstimme erklärt; es hielt sich
auch Mendelssohn’s maßvolle, bescheidene Künstlernatur zeit
lebens fern von der heute florirenden Irrlehre, der moderne
Componist müsse an Beethoven’s letzte Schöpfungen „an
knüpfen“. Der „Lobgesang“ ist seit mehr als einem Decen
nium in Wien nicht gehört worden, daher seine Wieder
aufführung im Gesellschaftsconcert vollständig zu rechtferti
gen. Von Zeit zu Zeit wird man die Mendelssohn’schen
Chorwerke immer wieder mit Vortheil ans Licht ziehen, ein
mal wegen ihrer musikalischen Schönheiten, dann im In
teresse der Sänger, welche sich in Mendelssohn’s effectvollem
Chorsatz und fließender Stimmführung jederzeit wohl fühlen.
Was der Bach-strenge M. Hauptmann seinerzeit über
Mendelssohn’s geistliche Musik äußerte: „sie sei das Beste
dieser Art in unserer Zeit, wenngleich letztere nicht die beste
sei für die Art“, war gerecht und treffend. Heute gilt der
Ausspruch nicht mehr vollständig. Man macht in unserer
Zeit wieder geistliche Musik von tieferem Ernst und mäch
tigerem Gepräge, als jene Mendelssohn’sche. Das heißt,
„man“ macht sie nicht, aber Brahms macht sie.
Apropos Brahms! Wen hat es nicht befremdet, auf
den für diese Saison veröffentlichten Gesammt-Programmen
sowol der Philharmonischen als der Gesellschaftsconcerte den
Namen Brahms nicht zu finden? Kein einziges Stück
von diesem Tondichter in dem ganzen Jahreslauf unserer
beiden einzigen großen Concert-Institute ! Es ist wirklich so.
Auf den ellenlangen musikalischen Speiszetteln, die einen so
großen Raum für Symphonien von Hofmann, Bruck
ner, Goldmark, Rufinatscha und Anderen haben,
fehlt just der Name Brahms. Wir zweifeln nicht, daß es
den Herren Herbeck und Richter ebenso gut gelungen wäre,
wie es Herrn Hellmesberger gelungen ist, irgend eine No
vität von Brahms zur Aufführung zu erhalten. Und falls
sie diese Mühe scheuten, sind etwa die vor drei Jahren von
den Philharmonikern gespielten „Orchester-Variationen über
ein Haydn’sches Thema“ nicht der Wiederholung werth?
Keines der zahlreichen Chorwerke von Brahms (die zu
pflegen unser „Singverein“ überdies eine persönliche Ver
pflichtung hätte) der Wiederholung werth? Wir wissen
nicht, ob diese Ausschließung des anerkannt bedeutendsten
Concert-Componisten seit Schumann aus der Wiener In
strumental- und Vocal-Aristokratie aus Vergeßlichkeit oder in
bewußter Absicht geschah. Das Eine wäre nicht minder un
begreiflich und niederschlagend als das Andere. In jedem
Falle bleibt der unschuldig Gestrafte einzig und allein —
das Publicum.