Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4073. Wien, Dienstag, den 28. December 1875 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Nr. 4073. Wien, Dienstag, den 28. December 1875 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28.12.1875
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Concerte.

Ed. H. ... zwar die Ritter Ehren wir in allen Fällen Doch auch Fräulein sind nicht bitter, Wenn sie sich dazwischen stellen!

Kaum wären diese Goethe’schen Gelegenheitsverse uns je wieder in Erinnerung gekommen, ohne die jüngste Auf führung von Mendelssohn’s Octett, zu welcher Hellmesber ger’s Quartettspieler und vier weißgekleidete junge Mädchen sich vereinigten. Ein freundlicher Anblick und auch musikalisch ein lebensvolles Zusammenwirken! Hellmesberger an der Spitze seiner „Ritter“ hielt das Doppelfähnlein mit ge waltigem Bogenstrich zusammen; ihm gegenüber commandirte das nicht bittere Fräulein Theresine Seydel das weibliche Quartett, welches durch Fräulein Lechner und die beiden Schwestern Epstein vervollständigt war. Bratsche und Cello drohten mitunter in zarten Händen zu erlahmen, doch blieb der Eindruck des Ganzen ungetrübt, und das geist- und klangreiche Tonwerk flog siegreich zum Schlusse. Sein erstes Thema würde hinreichen, dieses Octett zu den glücklichsten Eingebungen Mendelssohn’s zu stempeln. Während der Meister sonst gerne seine Themen in engem Umfang, diato nisch, bildet und hoch einsetzend sie rasch nach abwärts fallen läßt, was ihnen einen Zug von Kleinlichkeit und Gedrückt heit gibt, greift das B-dur-Motiv des Octetts mächtig aus und drängt in dreimaligem weiten Bogen kühn in die Höhe. Mendelssohn’s Octett verleitete uns zu jenem wenig bekann ten Goethe’schen Citat; ein noch näherliegendes ist das Stammbuchblatt, womit Goethe den ihm so schnell lieb gewordenen jungen Felix beglückte.

Es steht in derselben Sammlung meist unscheinbarer und seltsamer Spätfrüchte, welche Goethe als Gelegenheits dichter zu Hunderten abschüttelte und deren Werth häufig nur darin besteht, mit „Faust“ und „Tasso“ auf Einem

Stamm gewachsen zu sein. Das Gedicht an Mendelssohn lautet:

Wenn das Talent verständig waltet, Wirksame Tugend nie veraltet. Wer Menschen gründlich konnt’ erfreuen, Der darf sich vor der Zeit nicht scheuen; Und möchtet ihr ihm Beifall geben, So gebt ihn uns, die wir ihn frisch beleben.

Man braucht nicht Goethe zu sein, um dergleichen zu können, weit eher, um es zu dürfen. Allein der herzliche Ver kehr des großen Alten mit dem Knaben Mendelssohn, auf dem zeitlebens ein sonniger Abglanz von dem Glücke des Olympiers haften blieb, gehört zu den schönsten intimen Momenten der Kunstgeschichte. Und darum halten wir jedes Denkmal desselben als solches werth. Schubert’sA-moll- Quartett und das neue F-moll-Quintett von Brahms (dessen Clavierpart Herr Epstein aufs feinste ausführte) hörten wir an demselben Abend. Vor mehreren Jahren hatte Brahms diese Composition als „Sonate für zwei Clavieremit Tausig öffentlich vorgetragen, ohne damit durchzu dringen. In seiner gegenwärtigen Gestalt, als Clavierquintett, gewinnt das Werk ungemein an Fülle, Reiz und Klarheit. Durchaus von ernstem, starkem Pathos getragen, nimmt es doch im Scherzo und Adagio Züge voll reizender Lieblichkeit auf. Daß es manche harmonisch dichtverflochten, geheimniß tiefe Stelle birgt und sich nicht dem ersten Eindruck voll ständig erschließt, braucht von einer neuen größeren Compo sition dieses Meisters nicht erst gesagt zu werden.

Auch Jean Becker’s Florentiner Quartett erfreute uns mit einem Stück von Brahms, dem von Hellmes berger hier eingeführten Streichquartett in A-moll (op. 51). Es wurde technisch vollendet, in meisterhaftem Zusammen spiel und großer Klangschönheit vorgetragen. In diesem fein ausgeglichenen Ensemble, an welchem den zwei Mittelstimmen großes Verdienst zufällt, dann in dem, von jedem rasselnden, schabenden Beiklang freien schönen Ton fanden wir auch dies mal wieder den wesentlichsten Reiz des „Florentiner Quar

tetts“ und seinen theilweisen Vorzug vor dem Hellmesberger’ schen. Gleicherweise wiederholte sich uns aber auch der Ein druck, es sei Hellmesberger’s Individualität eine poetischer angelegte, lebhafter und feiner vibrirende, als jene Jean Becker’s; sie herrscht im Quartett über keinen so vollkomme nen Gesammt-Organismus, fällt aber durch ihr geistiges Ge wicht desto schwerer in die Wagschale. Ein zum erstenmal hier aufgeführtes Streichquartett von Theodor Kirchner hat das Publicum kalt gelassen und die zahlreichen Verehrer des feinsinnigen Clavier-Componisten ein wenig enttäuscht. Es fehlt dem Talente Kirchner’s der lange Athem für eine größere Form; so glücklich es im stimmungsvollen Verklingen oder Abbrechen eines Gedankens ist, so schwach erweist es sich im organischen Aufbauen ganzer Gedankenreihen. Trotz hüb scher Einzelheiten bleibt doch das Werk ohne innere Treib kraft und verfällt an mehr als Einer Stelle der Gewöhnlich keit gebildeter Routine. In Schumann’sEs-dur Quar tett spielte Herr Alfred Grünfeld die Clavierstimme mit vollendet schönem Anschlag und virtuoser Sicherheit.

Die Officierstöchter in Hernals, so vielgenannt und reichbedacht in diesen Tagen, ließen auch das Concertleben nicht ohne Einwirkung. Ihnen zum Vortheil gab die seit Jahren hier beliebte Clavier-Virtuosin Fräulein Gabriele Joël ein gut besuchtes Concert. Die Perle desselben war Frau Gräfin Wilhelmine Wickenburg-Almasy, die selbe schöne, geistvolle Dame, welche eine freigebig gelaunte Natur zugleich mit poetischem und musikalischem Talent so reich ausgestattet hat. Italienisches und Deutsches, Classisches und Modernes, heiter und schmerzlich bewegte Lieder, trug sie gleich schön und ausdrucksvoll vor. Sie sang wie eine gut geschulte Sängerin, die zugleich echte Dichterin ist. Das undefinirbare Aroma einer edlen Geistes- und Gemüths bildung drang wie feiner Blüthenduft durch diese Gesänge. Wir erfreuten uns daran ohne Voreingenommenheit; wäre die Sängerin als eine völlig Unbekannte aufgetreten, sie hätte denselben stürmischen Beifall wenn nicht er

halten, doch jedenfalls verdient. Noch einen an deren Sänger hatte der Wohlthätigkeitszweck aus dem Salon vor die Oeffentlichkeit gelockt: den Reichsraths-Abge ordneten Dr. Wanka, dessen kräftige und geschmackvoll verwendete Baritonstimme in mehreren Liedern einen Effect erzielte, um alle Operndirectoren neidisch zu machen. Am selben Tage, zur selben Stunde mit dem Joël’schen Concert producirte sich in einem andern Saale die talentvolle junge Violinspielerin Fräulein Bertha Haft. Da wir nicht allgegenwärtig sind (man schreibt diese Eigenschaft nur dem Doyen der Wiener Musik-Kritik, Grafen Laurencin, zu, aber auch von ihm ist es nicht gewiß), so folgen wir einem ge wissenhaften Freunde, der uns den glänzenden Erfolg Fräu lein Haft’s und ihre großen Fortschritte seit dem Vorjahre constatirt. Den lebhaftesten Beifall erntete sie mit Reber’s Berceuse“, einem zierlichen Sordinenstück, das wir von Herrn Hellmesberger mit unvergleichlicher Eleganz vortragen gehört. Zwei nur halböffentliche, aber erwähnens werthe Productionen der letzten Woche waren das erste Concert des „Orchester-Vereins“ und die Beethoven- Feier in Horak’s Musik-Institut. Im Orchester-Verein hat den von Friedrich Heßler mehrere Jahre lang ehren voll geführten Tactirstab nunmehr Herr Robert Fuchs auf genommen, dessen erstes Dirigenten-Debüt vollkommen glückte. Herr Ed. Horak vergißt niemals, am 17. De cember den Geburtstag Beethoven’s in seiner rühmlich be kannten Musikschule zu feiern. Nach einer einleitenden Festrede von Dr. Th. Helm, welche lebhaft ansprach, hörten wir die Waldstein-Sonate, das Es-dur-Trio, den ersten Satz des Es-dur-Concertes und andere Beethoven’sche Compositionen, in deren sicherem und verständnisvollem Vor trage sich Herrn Horak’s Schüler, darunter besonders die Fräulein Lorinser und Sochor, auszeichneten.

Die vollendete Vortragskunst des Wiener Männer gesang-Vereins hatte Sonntag gegen die Ungunst eines wirkungslosen Programmes zu kämpfen. Der herrliche

Gefangenen-Chor aus „Fidelio“ wirkt nur auf der Bühne und bedarf ihrer. Esser’s bekannter Chor: „Mahomet’s Gesang“, eine Arbeit voll Kunst und Sorgfalt, vermag sich des gedankenreichen Goethe’schen Gedichtes nur von Seite der Tonmalerei zu bemächtigen und läßt kalt trotz aller darauf gehäuften Instrumentalreize. Fischer’sMeeres stille und glückliche Fahrt“ (mit sehr couragirten „Verbesse rungen“ des Goethe’schen Textes) webt in ordinären Lieder tafel-Effecten; Brambach führt in seinen zwei Chören: Am Rhein“ (op. 23) zwar eine gewähltere Sprache, weiß uns aber darin auch gar nichts Neues zu sagen. In dem „Chor der vom Feste heimkehrenden jungen Capulets“ aus BerliozRomeo“-Symphonie ist uns jederzeit die trüb selige Stimmung dieser jungen Nachtschwärmer aufgefallen; gar so grämlich reflectirend pflegt man doch in Italien einen „Götterball“ und eine „Himmelsnacht“ nicht zu preisen. Allein nach dem darauffolgenden „Ständchen“ von A. E. (nicht Heinrich) Marschner mochten wir Berlioz fast Ab bitte leisten. Solche leichensteinige Serenaden bringt nicht der unglücklichste Liebhaber, kaum die Entreprise des pompes funèbres. Was die Neugierde der Musikfreunde zumeist er regte, waren vier Nummern aus Franz Schubert’s unge druckter zweiactiger Oper: „Die beiden Freunde von Sala manca.“ Auf einem recht schauderhaften Libretto von Mayer hofer hatte der neunzehnjährige Schubert die ganze Partitur in kürzester Zeit hingeworfen. (Das uns vorliegende Manuscript von Schubert bezeichnet die Oper als „angefangen am 18. No vember, beendet am 31. December 1815“.) Die vier aufgeführten Fragmente (eine Sopran-Arie, ein Liebesduett, ein Strophen lied der Guerillas und ein größeres Ensemble: „Weinlese“) sind durchaus physiognomielose, matte, altmodische Musik, die gerade nur die mittlere Höhe Gyrowetz-Weigl’scher Opern-Production — an die „Schweizerfamilie“ nicht zu denken — erreicht. Schade um das Aufgebot von Orchester, Männer- und Frauenchor nebst Solosängern für diese flüchtige Jugendarbeit, welche der reife Meister wahrscheinlich selbst der Oeffentlichkeit verweigert hätte.

Diese Schubert-Ausgrabungen um jeden Preis, wie sie hier seit Jahren betrieben werden, vermehren weder seinen Ruhm noch unsern Genuß. Sie haben vielleicht nur den Einen unbeabsichtigten Nutzen, daß sie das immer wieder nachgebetete Geschwätz widerlegen: die Opern-Directoren brauchten in ihrer Novitäten-Noth nur frischweg aus dem Nachlasse Schubert’s zu schöpfen. Abgesehen von dem lie benswürdigen Singspiel: „Der häusliche Krieg“, wird man im Gegentheile gar nichts darin finden, was heute auf der Bühne halbwegs lebensfähig wäre. Von allen Nummern des Programms hat diesmal eine einzige eingeschlagen, ist eine einzige zur Wiederholung begehrt worden: Engelsberg’s Heini von Steyer“, ein Chor von poetischem Gehalt und reizender Melodie, charakteristisch durchwebt von einem Violinsolo, das Hellmesberger allerliebst vortrug. Nachdem unmittelbar zuvor das angebliche „Ständchen“ von A. E. Marschner im eigenen Grabe bestattet worden war, fühlte man sich in „Heini von Steyer“ wieder zu frischem Leben auferstanden. Sämmtliche Chöre waren von den Her ren Weinwurm und Kremser vorzüglich einstudirt und dirigirt; in den Schubert’schen Opernfragmenten machte sich die prächtige Sopranstimme von Frau Kauser-Gerster und der gediegene Vortrag der Herren Maaß, Ruff, Gaßner und Deckner vortheilhaft bemerkbar.

Das Hofoperntheater brachte in der Christwoche bei sehr besuchtem Hause Byron’sManfred“ mit der Schu mann’schen Musik und das Requiem von Verdi. Die Einführung und treffliche Darstellung des „Manfred“ im Hofoperntheater ist ein bleibendes Verdienst Herbeck’s. Das bei aller Fremdart und Seltsamkeit doch tief ergreifende Drama verfehlte auch diesmal nicht seine Wirkung, obgleich die Aufführung in manchen Einzelheiten von ihrer früheren Höhe herabgestiegen war. Den Manfred spielte Herr Emerich Robert, dessen Name gewiß manchen Zuschauer und noch mehr Zuschauerinnen ins Theater gelockt hat. Herr Robert erfreut sich bekanntlich großer Beliebtheit als Liebhaber und

Heldenspieler; das verrieth nur zu sehr auch sein Manfred. Die glänzenden Mittel des Darstellers traten stark in den Vordergrund: melodisch tönte jede Phrase aus, plastisch schön rundete sich jede Stellung. Nur die innere Ueberzeugung schien diesem Manfred zu fehlen, und darum wirkte er auch nicht überzeugend. Bei aller äußeren Anerkennung, welche Herrn Robert wurde, stand doch alsbald das Urtheil fest, daß er den Manfred Lewinsky’s nicht entfernt erreiche. Wenn Byron und Schumann den „Manfred“ mit ihrem Herzblut geschrieben haben, so kann man ähnlich von Lewinsky sagen, daß er ihn mit seinem Herzblut spielte. Jedes Wort quoll ihm aus tiefstem Gemüthe, einfach, wahr, natürlich, mit prahlloser und darum unwiderstehlicher Be redsamkeit. Herr Robert wollte in bester Absicht noch mehr thun, that zu viel und erreichte wenig. Bekanntlich wirken im „Manfred“ alle Kräfte des Hofoperntheaters mit; wir müßten den langen Theaterzettel abschreiben, um Jedem ge recht zu werden. So sei nur erwähnt, daß im gesprochenen Dialog, dieser Klippe für alle Opernsänger, Frau Dillner (als Alpensee eine prachtvolle Erscheinung) und Frau Ehnn das Beste leisteten; unter den Herren die Sänger Beck, Mayerhofer und Lay. Herr Capellmeister Gericke dirigirte das Orchester.

Für das letzte Philharmonische Concert haben wir die lobendste Anerkennung bezüglich der Auffüh rung, bei triftigen Bedenken gegen das Programm. Es be stand aus Beethoven’s Ouvertüre Op. 124, einem Violoncell- Concert von J. Raff und der vollständigen „Harold“- Symphonie von Berlioz. Beethoven’s Ouvertüre zur Eröffnung des Josephstädter Theaters gerieth, wie fast alle seine Gelegenheits-Compositionen, zu groß für die Gelegen heit und doch unter dem Einfluß derselben weniger groß und frei, als der ungelegentliche Beethoven. Auf diesen Einen Beethoven-Satz kamen im Philharmonischen Concert drei Sätze Raff und vier Sätze Berlioz. Das ist entschieden zu viel, insbesondere wenn man außer diesen Namen auch die Qualität der gewählten Stücke in Betracht zieht. Raff,

den ehemals enragirten Zukunftsmusiker, finden wir erstaun lich zahm geworden. Sein Violoncell-Concert, ein reines Virtuosenstück, ist so wenig symphonisch gedacht, daß das Orchester nirgends selbstständig hervortritt, sondern nur den unterthänigen Begleiter des Virtuosen abgibt. Nachdem der erste Satz nichts als fortwährende Seiltänzerei des Solisten enthält, nur nothdürftig vom Orchester accompagnirt, so er scheint die „Cadenz“ darin als barer Ueberfluß. Das Andante, ein romanzenartiger Sechsachtel-Tact, läßt sich nicht übel an, geräth aber bald in die langweiligste Ausführlichkeit. Der dritte von den (in einander übergehenden) Sätzen beginnt mit einem Thema von trivialer Lustigkeit, ist aber trotzdem ein gar trau riges, gedankenarmes Stück. Um in einer langen Composition nichts als die schweißtriefende Bravour eines Virtuosen zu bewundern, gehen wir nicht ins Philharmonische Concert. Herr Grützmacher bewährte seinen großen Ruf als Cel list vollkommen und entwickelte in dem Raff’schen Concert den schönsten Ton und die erstaunlichste Bravour. Die Kühle seines Vortrages ihm vorzuwerfen, fällt uns nicht ein — wer will den Frost warm vortragen? Die „Harold“-Symphonie haben wir wiederholt unter Herbeck und Dessoff und erst im vorigen Winter unter Brahms gehört; sie jetzt wieder zu bringen, war vom Ueberfluß. Sollte Berlioz (der erst im dritten Philharmonie-Concert durch „Benvenuto Cellinivertreten gewesen) durchaus wieder im vierten erscheinen, so war die lange nicht gehörte und weit wirkungsvollere „Sin fonie fantastique“ vorzuziehen. Unsere Meinung, daß aus der „Harold“-Symphonie nur der Pilgermarsch einen gesun den musikalischen Kern und ein Anrecht auf häufigere Wieder holung habe, blieb auch nach der jüngsten vortrefflichen Auf führung unerschüttert. Die übrigen drei Sätze gehören zu dem Ungesundesten, Raffinirtesten und musikalisch Dürftigsten, was unter der schützenden Flagge eines berühmten Namens je in die Welt verschifft wurde. Wir haben uns jüngst die Freiheit genommen, Herrn Capellmeister Hanns Richter vor ähnlichen Programmbildungen zu warnen; wir wieder holen heute unsere freundschaftliche Mahnung.