Musik.
(Die
italienische Oper. „
Faust. “„
Il Trovatore.“ — Production der Opern
schule des Conservatoriums.)
Ed. H. Die beiden ersten italienischen Abende im Hof
operntheater sind vorüber. Sie lassen jetzt schon den Erfolg
der Gesellschaft constatiren und ohneweiters dessen voraus
sichtliches Anwachsen prophezeien. Gounod’s „Faust“ mit
Fräulein Heilbron hat das Publicum eben nur be
friedigt, der zweite Abend („II Trovatore“) mit der Lucca
entzückte es, und daß Adelina Patti’s unfehlbarer Triumph
in der „Traviata“ heute Abend nicht versagen wird, steht
wol fest. Fräulein Heilbron als Gretchen mit der Er
öffnung der Saison zu betrauen, schien jedenfalls etwas ge
wagt. Es haben hier so viele vortreffliche Künstlerinnen
dieser Rolle ihren Stempel aufgeprägt, daß wir darin nur
mehr sehen möchten, was vollendet und obendrein in irgend
einem Punkte eigenartig ist. Durchaus fein und correct,
hatte die Leistung Fräulein Heilbron’s viel Anziehendes,
aber nichts Elektrisirendes. Ihre wohlausgeglichene Stimme
und ihr wohlausgeglichenes Temperament, sie werfen beide
kein Feuer aus. Manches hat uns trotzdem sehr angenehm
berührt. Gleich beim Auftreten die edle Anmuth der Er
scheinung, die sogar das eigene schwarze Haar nicht ver
leugnete. Sie folgte dem Beispiele Pauline Lucca’s, welche
zuerst in einer italienischen Operngesellschaft die Ketzerei ge
lehrt hat, es liege das „deutsche Gemüth“ Gretchens nicht
in der hellblonden Perrücke. Wohlthuend berührte uns der
schöne Ernst, mit dem Fräulein Heilbron die Rolle auf
faßte und ohne jegliche Affectation oder Uebertreibung durch
führte. Oft sind es gerade die nüchternsten Sängerinnen, welche
über ihre Leerheit durch ein unblässig rotirendes Spiel zu
täuschen suchen und damit doch nur die Luft bewegen. Wie viel
schöner und wahrer, wenn Fräulein Heilbron in dem Andante
des Liebesduetts regungslos, das große dunkle Auge auf
Faust geheftet, seinen Betheuerungen horcht. Nun muß es
aber Steigerungen geben und leidenschaftliche Höhepunkte.
Gleich der folgende Monolog am Fenster, wo Gretchens
Liebesseligkeit in heißen Wogen überquillt, ist ein solcher, ihr
verzweiflungsvolles Ringen vor dem Madonnenbild ein
zweiter. Hier fehlte der Sängerin der Ausdruck überwälti
genden Gefühls, an dem Sterbelager Valentin’s beinahe die
nöthige Theilnahme. Als Sängerin besitzt Fräulein Heilbron
schätzenswerthe Vorzüge: sie singt rein, im besten Geschmack,
ohne eine der modernen Unarten, die uns so oft die schönste
Stimme verleiden. Einer anderen neuen Erscheinung begeg
neten wir in der amerikanischen Miss Cary, deren kleiner,
weicher, ausgeglichener Mezzosopran sich fälschlich für einen
„Contra-Alto“ ausgibt. Das stört nicht in dem Part des
Siebel, welchen sie — rein musikalisch betrachtet — recht
gut sang. Trotzdem mißfiel uns die Leistung durch ihre Ge
ziertheit. Daß alle Sängerinnen auf das Geschlecht Siebel’s
vergessen, der ein junger Bursch, aber doch ein Bursch ist,
und ein muthiger obendrein, sind wir schon gewohnt — aber
gar so ballet-frauenzimmerlich, so neckisch gelächelt und
gehüpft wollen wir ihn doch nicht dargestellt sehen. Der
Tenorist Capoul stand uns von der Patti-Saison her,
namentlich aus der „Traviata“, in angenehmer Erinnerung.
Sie hätte sich gewiß aufs günstigste erneuert, wäre Capoul in
dieser ihm so homogenen Rolle aufgetreten. Aber daß er den
Faust vorstelle (der auch in der Gounod’schen Verdünnung
doch immer noch Faust bleiben muß), das möge er Niemandem
einreden. Wer, wie Capoul, den Faust im ersten Act als
achtzigjährigen, humpelnden Greis mit langem weißen Barte
spielt, hat keinen Begriff vom Faust. Wer ihn im zweiten
und dritten als einen charmanten, süßen Stutzer darstellt,
genau so lächelnd und schmachtend wie Alfredo in der
„Traviata“, der hat abermals keinen Begriff vom Faust.
Für Rollen, welche ernste Männlichkeit erfordern, ist das
Glück, ein schöner Tenorist zu sein, ein wahres Unglück. Ein
schöner Mann, wie Capoul, trennt sich um keinen Preis von
seiner modern über der Stirne verschnittenen Frisur und von
seiner Garnitur verschiedenartig zugespitzter Bärtchen; er muß
auch stets bedacht sein, durch breites Lächeln und süßen
Augenaufschlag die Glanzpartien seines Gesichtes ins Licht
zu setzen. Kurz, wir sahen diesen Faust keinen Augenblick
ruhig, ernst und aufrecht dastehen; anfangs zappelte er vor
Alter, dann vor lauter Jugend und Schönheit. Von diesem
Vergreifen des Charakters abgesehen, erfreute Capoul durch
Eleganz des Vortrages, durch schmelzende (oft nur allzu ver
zuckerte) Empfindung, endlich durch die Geschicklichkeit, mit
welcher er seiner etwas schadhaft gewordenen Stimme die
größtmöglichen Effecte abgewinnt. Zwei hier völlig unbekannte
Namen, Strozzi und Jamet, haben sich in der „Faust“-
Vorstellung rasch zu entschiedener Anerkennung emporgeschwun
gen. Signor Strozzi, eine männlich-schöne Erscheinung, dabei
ernsthaft und ruhig, sang den Valentin mit weicher, volltönender
Baritonstimme und schlichter Empfindung. Er ist von der
ganzen Gesellschaft der echteste Italiener, um nicht zu sagen
der einzige. Die Stimme des Bassisten Jamet wirkt nicht
sowol durch Schmelz als durch charakteristische Schärfe und
Energie des Tones. Sein Mephisto bewährte den musikalisch
festen, geschulten Sänger, noch mehr den sehr talentvollen,
gewandten Schauspieler. Zum erstenmale sahen wir diese
wichtige Rolle, die von unseren deutschen Sängern meistens
nur geschlafen wird, gespielt, und sehr charakteristisch gespielt.
Die vortrefflich gewählte Maske war fortwährend belebt durch
das blitzende Auge und bewegliche Mienenspiel des Sängers.
Es lohnte sich, zu beobachten, wie dieser Mephisto kam und
ging, wie er sich setzte, wie er jetzt frech verhöhnte, jetzt
schadenfroh lauerte. Vielleicht gerieth Manches zu grell und
beweglich für deutsche Auffassung; jedenfalls gab uns Jamet
eine einheitliche, bis ins kleinste Detail charakteristisch aus
gemalte Figur. Wir freuen uns auf die weiteren Rollen
dieses Sängers, der, nebenbei bemerkt, für den besten italie
nischen Darsteller des Caspar im „Freischütz“ gilt. — Ein
Gewinn, nicht blos an Zeit, war an diesem Abend die Weg
lassung des großen Ballets im fünften Acte, welches Gounod
nachträglich für die „Faust“-Aufführungen in der Pariser
Großen Oper einfügen mußte. Der in die scenischen Vor
gänge des zweiten Actes so meisterhaft verwebte Kirmestanz
gehört zu den besten Ballet-Compositionen unserer Opern-
Literatur, das Ballet im fünften Acte zu den überflüssigsten und
insipidesten. Aber der Kirmeswalzer war eben nur ein Tanz,
nicht ein stylmäßiges Ballet mit langweiligen Soli u. dgl.
und da mußte den Gewohnheiten der Großen Oper das
gebührende Opfer dargebracht werden. Diese nachträglichen
Concessionen bringen selten Gutes; zwei gesungene hörten
wir zum erstenmale von den Italienern: eine Cavatine des
Valentin im zweiten Act (aus dem melodiösen F-dur-Motiv
der Ouvertüre gebildet, das ursprünglich gewiß keine Be
ziehung zu Valentin hatte), sodann zwei farblose Strophen
Siebel’s im dritten Act, welche, ohne musikalischen Gewinn,
die nach Entwicklung drängende Handlung aufhalten.
Der zweite Abend der italienischen Oper brachte Verdi’s
„Trovatore“. Ungleich mehr als die „Faust“-Vorstellung hat
er das Publicum erwärmt, ja theilweise enthusiasmirt.
Letztere Wirkung ging von Frau Pauline Lucca aus, deren
Leonore dramatisch wie musikalisch den Glanz- und Mittelpunkt
des Abends bildete. Die reichen Blumenspenden und rauschenden
Ovationen, welche die Künstlerin bei ihrem Auftreten als Ver
trauensvotum empfing, legalisirte sie durch ihre meisterhafte
Leistung als redlich verdient. Einer Charakteristik der Lucca
bedarf es nicht mehr in diesen Blättern, welche im vorigen
Jahre so oft und gerne von ihr gesprochen. Genug, daß sie
an diesem Abend ausnehmend gut disponirt, ja, noch kräftiger
und leichter bei Stimme war, als bei ihrem letzten Gast
spiel. Selbst in den anstrengendsten Scenen konnte man
weder Gewaltsamkeit noch Ermüdung an ihr wahrnehmen —
ein Vorzug, an welchen sich der noch größere reihte: daß sie
bei aller Leidenschaft doch nie die Linie künstlerischer Mäßi
gung überschritt. Selbst da, wo sie die Zuhörer am
stärksten packte, blieb ihr Spiel wie ihr Gesang unbe
rührt von derber Effecthascherei und Uebertreibung. Zwei
Stücke von bedenklicher Trivialität (die Allegrosätze der beiden
Arien mit dem verschwiegenen Motto: „Heiter auch in ernster
Zeit!“) wußte die Lucca durch Noblesse des Vortrages, ins
besondere durch ein geschicktes Pianissimo zu mildern; die be
deutendste Scene der Oper (Mi erore) erfüllte sie mit hin
reißendem Leben. Die schöne Wirkung des F-moll-Adagio
(Anfangs dieser Scene) beeinträchtigte ein wenig der auf die
Fermate folgende grelle Uebergang nach G-dur statt nach
As-dur; die Arie wäre zweckmäßiger ganz vom Anfang als
erst von der Mitte an zu transponiren. Neben dieser Leonore
erschien die Azucena der Miss Cary in blassen Farben,
wenn auch in richtigen und reinen Contouren. Diese Rolle
verlangt eine entschiedene Altstimme von kräftiger Tiefe und
sehr energischem Ausdruck. Beides vermißte man und behan
delte darum die Azucena weniger freundlich als jüngst den
Siebel, welcher doch künstlerisch ohne Frage tiefer stand. Ge
wiß gab Miss Cary zu wenig, aber nach den vielen Zigeuner
müttern, die alle zu viel geben, die wie Löwinnen singen und
wie wilde Katzen spielen, hat uns diese maßvollere Ausfüh
rung mitunter recht wohlgethan. Besonders im Abstich zu
Signor Nicolini, dessen nur durch rohe Effectmittel wir
kender Manrico vom Publicum über Verdienst ausgezeichnet
wurde. Gegenüber der mir wohlbekannten Berühmtheit dieses
Sängers kann ich, wie im vorigen Jahre, nur mein Unver
mögen eingestehen, seinen gänzlich undramatischen, geistlosen,
in greller Abwechslung von Lispeln und Schreien bestehenden
Vortrag schön zu finden. An dem elementaren Wohl
laut seiner kräftigen (wenngleich nicht mehr ganz
unbeschädigten) Stimme könnte man sich erquicken,
wäre sie nicht durch das häßliche Tremoliren ent
stellt, in welchem Nicolini seither noch Fortschritte gemacht
hat — Fortschritte bis nahe an die wälschen Drehorgeln mit
ihrem kläglichen Tremolo-Register. Gleich die ersten Töne
Manrico’s zitterten so unschön aus der Coulisse heraus, daß
Luna’s Ausruf: „Il Trovatore? Io fremo!“ fast wie eine
musikalische Kritik klang. In der Mittellage und bei ruhigem
Vortrag melden sich die Uebelstände dieses Tenoristen am
auffallendsten; es bleiben somit nur die derben Kraft
effecte, wie das in der Wachtparaden-Arie des dritten Actes
herausgestoßene hohe h (Nicolini hatte sie von C- nach H-dur
transponirt), was auch die Wiederholung der Nummer zur
betrübenden Folge hatte. Signor Mariano de Padilla
(Luna) ist den Wienern als Gemal der trefflichen Désirée
Artôt und selbst als vorzüglicher Sänger bekannt. Mit
seiner stattlichen Persönlichkeit und eleganten Haltung harmo
nirt das nicht mächtige, aber wohlklingende, schmiegsame
Organ und der edle, maßvolle Vortrag dieses Sängers.
Wir wünschten nur, daß seine rühmliche Opposition gegen
das Schreien ihn nicht ins Extrem, zum bloßen Säuseln,
verleiten möchte, wie er es — obendrein sehr gegen den
Charakter des Luna — in der B-dur-Arie producirte. Die
Baß- und Baritonstimme ist die Stimme des Mannes, des
Helden κατ’ ἐξοχήν, es kleidet sie schlecht, wenn sie sich in
die Schmachtlappen süßer Mondschein-Tenoristen wickelt. Signor
Padilla fand stürmischen Beifall, mußte seine Arie wie
derholen und dürfte sich als ein Liebling unseres Publicums
bewähren. Maestro Arditi, der Componist des Allerwelts-
Bacio, dirigirte den „Faust“ wie den „Trovatore“ mit Ruhe und
Accuratesse, vielleicht nur mit zu großer Vorliebe für schnelle Tempi.
Der Chor sang in beiden Opern deutsch, ein Uebelstand, den
wir sehr beklagen, wenngleich wir die Einwendung nicht wider
legen können, es sei unmöglich, den Chor zum italienischen
Vortrag von so vielen rasch aufeinanderfolgenden Opern zu
verhalten. Aber verlangen darf und muß man, daß eine
Nebenperson, wie Fernando im „Trovatore“, nicht im ersten
Acte deutsch und im zweiten italienisch singe. Herr Habla
wetz — er war der sprachenkundige Haushofmeister — hätte
sich seine Collegen, Fräulein Tremel und Herrn Lay, zum
Beispiel nehmen sollen, welche ihre kleinen Partien durchaus
italienisch sangen.
Gehen wir von der Oper zur „Opernschule“ über.
Dieses bereits vielbewährte Institut unseres Conservatoriums
gab am 7. d. M. eine sehr zahlreich besuchte Vorstellung im
Musikvereinssaale. Bei der lebhaften Theilnahme, mit der
wir die Leistungen der Opernschule stets verfolgt haben, muß
es uns hart ankommen, diesmal Ungünstiges darüber sagen
zu müssen. Aber gesagt muß es werden, im Interesse des
Instituts selbst und seiner Zukunft, die wir nicht durch un
reife und voreilige Schaustellungen compromittirt sehen möch
ten. Der außerordentlich günstige Ruf, den sich die Opern
schule des Conservatoriums durch ihre dramatischen Vorstel
lungen im vorigen und vorvorigen Jahre rasch eroberte, er
könnte leicht wieder verloren gehen, wenn mehrere Auffüh
rungen wie die jüngste einander folgen sollten. Im vorigen
Jahre konnte die Opernschule eine Anzahl talentvoller und
stimmbegabter Novizen von meistens respectabler Ausbil
dung vor die Oeffentlichkeit stellen, und der Erfolg glückte
über alle Erwartung. Die besten Lehrer können aber
nicht jederzeit ein gleich günstiges Material zur Verfügung
haben; diesmal sind allerdings die Lehrer die besten geblie
ben, nicht aber die Schüler. Diese Eleven, welche weder durch
ihre Stimme, noch durch ihre technische Ausbildung, noch
durch ihr dramatisches Talent derzeit berufen erschienen, vor
einem zahlenden Publicum und einer eigens geladenen Kritik
aufzutreten, hätte man lieber auf eine häusliche Prüfungs-
Production beschränken sollen. Da erst vor einigen Wochen
eine öffentliche Production der Opernschule stattfand („Lucia
von Lammermoor“), so lag keine Nothwendigkeit vor, so schnell
eine zweite folgen zu lassen. Obendrein hatte die Direction
mit dem ersten Acte von Beethoven’s „Fidelio“, welcher die
erste Nummer des überlangen Programms bildete, diesen
Zöglingen eine viel zu schwierige, ja die denkbar schwierigste
Aufgabe gestellt. Nur der Darsteller des Rocco, Herr
Waldner (ein Schüler von Fräulein C. Pruckner),
und der in manchen Aeußerlichkeiten an Beck erinnernde Herr
Naviasky (Pizarro) machten sich verhältnißmäßig vor
theilhaft bemerkbar. Selbst das so vortreffliche Zöglings-
Orchester vermochte (in den Blas-Instrumenten) die Schwie
rigkeiten der großen Leonore-Ouvertüre nicht zu bewältigen.
Es folgten Scenen aus der „Afrikanerin“, „Linda von Cha
mounix“, „Der Waffenschmied“, „Das Glöckchen des Ere
miten“, „Die Regimentstochter“. Den meisten Beifall erntete
Fräulein Baier (Irmentraud), die als komische Alte ihre
Strophen mehr gesprochen als gesungen, aber wenigstens
deutlich gesprochen hat. Außerdem erfreute Fräulein Leeder
(Pierotto) durch natürliche Frische und Fräulein Kell
(Rose Friquet) durch gewandtes Spiel, bei allerdings mäßigen
Stimm-Mitteln. Fräulein Riegel konnte als Regiments
tochter wenigstens ihre leichte Coloratur glänzen lassen.
Ueber die anderen jungen Sänger und Sängerinnen decken
wir den Mantel christlicher Liebe und erwähnen nur noch die
namhaften Verdienste zweier Nichtsänger: des Directors
Hellmesberger, der das Orchester leitete, und des
Hofschauspielers Leo Friedrich, welcher als Regisseur
des kleinen Interim-Theaters und als dramatischer Exercir
meister einer noch ganz ungeübten Truppe das Menschenmög
liche geleistet hat.