Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4167. Wien, Sonntag, den 2. April 1876 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Nr. 4167. Wien, Sonntag, den 2. April 1876 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 02.04.1876
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Musik. (Italienische Oper. — Concerte. — Saint-Saëns.)

Ed. H. Es war nach dem ersten Act von Gounod’s Romeo und Julia“, daß ein Herr neben mir seinen Jubel hymnus für die Patti mit einer Mollcadenz über die hohen Eintrittspreise schloß; worauf ihm seine freundliche Nach barin sehr hübsch erwiderte: „Mir scheint im Gegentheil kein Preis zu hochgegriffen für den Genuß, den ich heute der Patti verdanke — das kann eigentlich mit Geld gar nicht bezahlt werden.“ Ja wol ist das unbezahlbar und leider auch unbeschreibbar. Wer überhaupt die glückliche Empfäng lichkeit für den Zauber vollendet schönen Gesangs nicht ein gebüßt, der durfte und mußte über die Giulietta der Patti in gelindes Schwärmen gerathen. Unwillkürlich rühmte man diese Julia, noch ehe sie zu singen begann. Es findet sich gar so selten für diese Shakspeare’sche Gestalt, sei es im Drama oder der Oper, eine ganz entsprechende Persönlichkeit. Adelina Patti, die noch immer wie ein sechzehnjähriges Mädchen aussieht, ist mit ihrer zierlichen Figur, ihrem flammenden Auge, ihrer fast kindlichen Anmuth dafür wie geschaffen. Die naive Ballfreudigkeit, mit der sie in den Saal tritt, die rasch aufbrechende Liebe zu Romeo — man glaubt ihr das Alles ohneweiters. Wie oft vergißt die Kritik und vergessen die Künstlerinnen selbst die Wichtigkeit der äußeren Erscheinung für einen bestimmten Charakter! Dieselbe große Sängerin kann uns in einer Rolle entzücken, in der andern ungerührt lassen, lediglich weil ihr Aeußeres mit der einen harmonirt, mit der andern nicht. Beispiele dafür bietet wol in Fülle die Erinnerung eines jeden Theaterfreundes. Die Julia der Patti hat fürs erste die Glaubwürdigkeit der Erscheinung für sich. Und nun ihr Gesang! Ihr Vortrag der Walzer-Arie ist für sich ein kleines Wunder: vollendete Gesangskunst, gepaart mit dem reinsten Geschmack und der lieblichsten Natürlichkeit. Die Patti singt das Stück, das fast alle Sängerinnen einen Ton tiefer transponiren müssen, in der Original-Tonart G-dur; die Leichtigkeit, mit der ihre helle Silberstimme die hohe Lage beherrscht, die immer wiederkehrenden A, H und C anschlägt, wirkt bezaubernd. Sie trug die Arie mit einer

Lieblichkeit und Freude vor, daß es Morgen in der Seele der Zuhörer wurde. Immer streng im Tacte, gestaltet sie doch innerhalb desselben den Rhythmus mit individueller Frei heit, nichts wird geschleppt, noch gejagt und doch Alles bis in die leiseste Tonschwingung belebt. Mit wie feinem musika lischen Gefühl bringt sie gleich die dreimal wiederholten Vor schläge des Themas, nicht scharf und geschnellt, sondern als ruhig-bewegten Hauch — und später die chromatische Scala, nicht etwa als gesungenen Sturmwind, sondern mit unvergleichlicher Ruhe und Reinheit jede Tonstufe wie in Marmor meißelnd! Ein ebenbürtiges Seitenstück zu ihrem Schattenwalzer in „Dinorah“; hier wie dort die größte Be stimmtheit der Zeichnung und darüber der lieblichste Duft und Farbenschmelz ausgegossen. Von beiden Tanzmelodien weiß sie jeden trivialen Beischmack zu tilgen und erhebt zu reiner Schönheit, was sonst im besten Fall ein gelungenes Bravour-Kunststück bleibt. Die künstlerische Größe der Patti besteht aber, wie wir oft hervorgehoben, keineswegs in ihrer Virtuosität, sondern ebensosehr in ihrem eminent musika lischen, von Schönheit getragenen Vortrag der Canti lenen. Gleich die folgende Nummer Giulietta’s bewies das aufs neue: ihr mit so keuscher Einfachheit vorgetragenes „Madrigal“ mit Romeo. Im zweiten Act der Oper stritten Gesang, Spiel und unübertreffliche Deutlichkeit der Aus sprache um die Palme. Wie dieser zweite, so ist auch der vierte und der fünfte Act im Grunde Ein langes Liebesduett, und schon darum finden letztere eine weniger empfängliche Hörerschaft. Die sentimentale Monotonie der Composition, die gerade hier, wo sie nach dem höchsten Ausdrucke ringt, unter ihrer Aufgabe bleibt, dann das passive Spiel Romeo’s, der in der Biedermannshaltung eines „Risler aîné“ vor seiner Julie saß — sie trugen beide Mitschuld an der geringeren Wir kung des Liebesduetts im vierten Acte. Desto bedeutender wuchs die Leistung Adelina Patti’s am Schluß dieses Actes. Nach der neuen, von Gounod selbst für London und Petersburg getroffenen Einrichtung fällt bei den Italienern ein großer Theil des vierten Finales weg; der Schluß des selben wird hart an den Moment vorgeschoben, wo Julie den Schlaftrunk nimmt. Es treten jetzt, ohne daß ein Deco rationswechsel stattfindet, die Hochzeitsgäste in Julie’s Schlaf gemach ein, die Orgel erklingt hinter der Scene, und nach

Capulet’s Ansprache sinkt Julie, von den Wirkungen des Giftes übermannt, todt nieder. Mit der Streichung des kurzen Einzugsmarsches und Ballets, dann des schönen Vocal chors „O Juliette!“ hat Gounod ein Opfer gebracht für den strammeren Zusammenhang der Handlung. Trotzdem bleibt dieser Gewinn nicht ohne Verlust, denn die Hochzeits feier bildete einen der wenigen glänzenden Sonnenblicke in der tristen Atmosphäre der Oper. Die Schlußscene spielte die Patti mit überraschenden dramatischen Details und mit dem vollen Ausdrucke des Grauens vor dem sie immer fester umklammernden Todesschlaf. So besäßen wir denn in dieser Giulietta einen neuen Stern in dem Künstlerdiadem der Patti und in diesem Stern wieder den ersten Act als einen ihrer strahlendsten Brillanten. Im Uebrigen gerieth die Vorstellung nur theilweise befriedigend. Nicolini, als Romeo, besser disponirt als an dem letzten „Hugenotten“- Abend, scheint sich noch immer nicht ganz erholen zu können; in langsamen, getragenen Gesangsstellen — die ja den größten Theil dieser Rolle ausfüllen — wird sein Tremoliren gar zu empfindlich. Am besten gelang ihm die erste Begegnung mit Julie und das einzige heroische Aufflackern Romeo’s im dritten Finale. Daß die Oper durch Capoul als Romeo und Rokitansky als Lorenzo gewonnen hätte, haben wir bereits jüngst erwähnt. Die Herren Padilla, Strozzi, Jamet genügten, ohne sich besonders hervorzuthun.

Von Pauline Lucca hörten wir nach den „Hugenotten“, in welchen sie die Valentine mit echt künstlerischer Bereit willigkeit im letzten Augenblicke übernahm, noch die „Afrika nerin“. Als Valentine erreichte sie nicht blos das Höchste ihrer so hochentwickelten dramatischen Kunst, sondern an diesem Abend auch den Gipfelpunkt ihrer Inspiration. Wir haben sie nie zuvor mit solcher Hingebung, mit so mächtigem, heroischem Ausdruck singen gehört. Daß sie in dem Duett mit Marcell die Kletterei vom hohen C herab unterließ, be klagen wir nicht; es wird Einem ohnehin immer angst und bang bei diesem geschmacklosen Wagstück. Ihr vierter Act war meisterhaft, imposant von Anfang bis zu Ende; wir würden nicht fertig mit dem Aufzählen glänzender Einzel heiten. Nur Ein neuer, geistreicher Zug von vielen sei er wähnt: während alle Darstellerinnen der Valentine sich bei dem Verschwörungs-Chor hinter einen Vorhang oder eine

Thür flüchten und erst auf ihr nächstes Stichwort den Kopf herausstecken, bleibt die Lucca die ganze Scene hindurch an wesend, auf der Lauer hinter den Verschworenen, und belebt den Vorgang durch ein unvergleichliches stummes Spiel. Ihre Selica glänzte in grandiosen Momenten, namentlich des vierten Actes, verhielt sich aber im Ganzen zu ihrer Valen tine, wie — Meyerbeer’s „Afrikanerin“ zu seinen „Hugenotten“. Die Selica ist aus lauter falschen Contrasten zusammen gesetzt, wie ihr Gesang aus lauter unvermittelten Melodie brocken. Kaum können wir es der Lucca verdenken, daß sie von dieser raffinirten, unwahren Figur sich nicht sehr begei stert fühlt. So leidenschaftlich sie in einzelnen Scenen hervor brach — wie in dem ergreifend gespielten Kerker-Finale — sie kehrte doch immer bald und für lange zu einer sehr ruhigen, überlegenen Haltung zurück, welche allerdings die „Königin“ hervorhob, aber mit dem heißen Blut der ungezähmt leiden schaftlichen Afrikanerin doch in Widerspruch stand. Auch die Erscheinung der Lucca, ihre behagliche Fülle und ihre großen blauen Augen stimmen nicht zu diesem wilden Naturkind Afrikas. Mit dem ganz neuen Reizmittel der braunen Haut und des unkleidsam phantastischen Costüms hat sich Meyer beer doch verspeculirt. Von all den zahlreichen Sängerinnen, die wir in dieser Rolle gesehen, hat eine einzige charakteristisch und zugleich vortheilhaft ausgesehen und durch ihren nie ruhenden Feuerblick, ihre scharfgeschnittene Physiognomie und die jugendliche Raschheit ihrer Bewegungen diese exotische Figur glaubwürdig gemacht: Caroline Bettelheim. Die Afrikanerin der Lucca war ein Erfolg, ihre Valentine ein Triumph. Capoul kämpfte als Vasco de Gama gegen eine durch Ueberanstrengung leicht erklärliche Müdigkeit, oben drein gegen die Unsicherheit in einer so umfangreichen, von ihm zum erstenmal gesungenen Partie. Trotzdem bot seine Leistung viel des Guten; für den heldenmäßigen Theil der Rolle fand er Ton und Haltung über alles Erwarten, für die lyrischen Stellen im vierten Acte die volle Wärme und Zartheit der Empfindung. Padilla, gewohnt, durch ele gante Weichheit des Vortrags einzunehmen und mit halber Stimme ganz zu wirken, sang den grimmigen Nelusko. Ein harter Stand, zumal in Wien, wo Beck’s gewaltiger Ne lusko jeden Rivalen verdunkelt. Der künstlerische Eifer, welchen Padilla aufwendete, um die Rolle seinem wider

strebenden Naturell abzuzwingen, verdient alle Anerkennung. Auch fanden einige von ihm zart gesungene, gleichsam auf der Flöte vorgetragene Saharastürme reichlichen Beifall.

Im Vordergrund unseres Concertlebens stand über eine Woche lang Camille Saint-Saëns. Schon bei früheren Anlässen haben wir uns mit diesem Componisten beschäftigt und seine hervorragende Stellung in der Pariser Musikwelt bezeichnet. Er hat sich dort durch sein Talent so sehr in Respect gesetzt, daß sogar das höchst exclusive Conservatoriums- Concert Compositionen von Saint-Saëns aufzuführen sich gezwungen sieht. Obwol das Pariser Conservatoire nicht wie die Londoner „Concerts of ancient music“ statutenmäßig die Compositionen aller Tondichter zurückweisen muß, die nicht wenigstens seit dreißig Jahren todt sind, so näherte sich seine Praxis doch stark dieser Tendenz. Berlioz hat vergebens um Einlaß gepocht in diesen Tempel des Classi cismus. In neuerer Zeit hat er sich ausnahmsweise auch einigen wenigen Modernen geöffnet; neben Félicien David und Theodor Gouvy ist der viel jüngere Saint- Saëns wol der Einzige, dem das Conservatoire zeitweilig ein Plätzchen zwischen Rameau und Haydn oder Mozart ver gönnt. Und daran thut es wohl, denn die Franzosen, fast nur für theatralische Musik begabt, sind arm an Instrumental- Componisten. Man kann (von dem längst vergessenen Sympho nienzopf Gossec abgesehen) Berlioz den ersten Orchester- Componisten Frankreichs nennen, der Zeit und dem Range nach. Nach ihm ist Saint-Saëns der erste Franzose, überhaupt der erste nichtdeutsche Componist, der in reiner Instrumental-Musik Werthvolles und Eigenthümliches schafft und damit über Frankreich hinaus Erfolge gewinnt. Offenbar hat Berlioz stark auf ihn eingewirkt, wie die Programm- Musiken („Todtentanz“, „Phaëton“, „Omphale“) beweisen, und außer diesen noch gewisse orchestrale Lieblingseffecte, welche direct auf Berlioz hinweisen, wie die reichliche Ver wendung von zwei Harfen, die häufigen Geigen-Pizzicatos etc. Man thäte aber sehr Unrecht, Saint-Saëns für einen Nach ahmer oder Fortsetzer von Berlioz zu halten. Berlioz ist, um ein Schlagwort zu gebrauchen, ein exceptioneller Componist, Saint-Saëns ein universeller. An genialer Eigenart hinter jenem zurückstehend, ist doch Saint-Saëns ein besserer Musiker als Berlioz, welcher streng genommen, mit musika

lischen Elementen dichtete. Berlioz war bei aller Genialität verloren, sobald er sich nicht an einen poetischen Stoff, ein Sujet, lehnte; verloren, wenn er auf den berückenden Effect seiner Orchesterfarben verzichten sollte. Nie hätte er ein Werk so rein musikalisch in Form und Inhalt, wie Saint- Saëns’ Trio oder Quintett, zu Stande gebracht. Und das macht uns die Erscheinung des jungen Franzosen so erfreulich und achtungswerth, daß er durch ernste Arbeit rasch zu einem universellen Standpunkt emporgestiegen und nicht an dem verführerischen Vorbilde einer französischen Specialität hängen geblieben ist. Ein geregelter Bildungsgang und sein dem Excentrischen im Grunde abholdes Naturell entzogen ihn dieser Gefahr. Berlioz war höchst einseitig, nicht nur in eigener Production, sondern auch in seiner Empfänglichkeit für Fremdes. Ihn hat immer nur das „Poetische“ in der Musik angezogen, zunächst das Poetische von stark dramatischer Färbung. Er schwärmte nur für Gluck, Weber und Beet hoven; die classische Heiterkeit des musikalischesten aller Componisten, Mozart’s, ließ ihn ebenso kalt, wie der combinatorische Tiefsinn Bach’s. Saint-Saëns hingegen hat sich zumeist an Bach gebildet, den er auswendig kann auf der Orgel wie auf dem Clavier. Mit Leidenschaft vertiefte er sich dann in die Werke der übrigen deutschen Meister, von denen Schumann das lauteste Echo in ihm weckte. So ganz an deutscher Musik herangebildet und dabei doch ganz Franzose geblieben: das ist der eigenthümlichste Reiz an Saint-Saëns. Weder Tiefe und Ursprünglichkeit der Gedanken wollen wir ihm nachrühmen, noch eine reiche melodiöse Ader, ebensowenig seelenvolle Innigkeit, deren Mangel sich am deutlichsten in seinen Adagios verräth; aber Geist, Witz, glänzende Wirkung und sprühende Lebendigkeit walten in seinen Compositionen, die überdies eine eminente Geschicklichkeit in der Mache, eine meisterliche Beherrschung aller Ausdrucksmittel auszeichnet. Während seiner kurzen An wesenheit in Wien hat Saint-Saëns uns zwei symphonische Dichtungen, zwei Clavier-Concerte und ein Quintett (in Hellmesberger’s Soirée) vorgeführt. Zahlreiche andere har ren der Aufführung. Diese Productivität eines ernsten, geist reichen Componisten von eigenthümlicher Physiognomie und glänzender Technik scheint uns für unsere in der Instrumen tal-Musik so sterile Epoche so erfreulich, daß wir uns nicht

dazu bequemen können, nergelnd und maßleidig die Mängel dieses Tondichters unter die Loupe zu nehmen, die doch von seinen Vorzügen sehr entschieden überstrahlt werden. Den lebhaftesten Eindruck auf das Publicum machten die beiden symphonischen Tongemälde: „La danse macabre“ und Phaëton“; sie mußten auf stürmisches Verlangen wieder holt werden. Es sind Programm-Musiken in Einem fort laufenden Satze, blendende Schilderungen, die nicht blos durch das poetische Sujet, sondern auch durch die Einheit der musikalischen Idee und Form stramm zusam mengehalten werden. Ein wenig Spielerei ist bei solchem Unternehmen kaum zu vermeiden; jedenfalls wird kaum ein Zweiter sie so effectvoll und geistreich zu gestalten wissen, wie Saint-Saëns. Der Anflug von Ironie, womit der Componist bei aller Vorliebe für den zu bearbeitenden Stoff doch zugleich über demselben steht und es so ver meidet, durch übertriebenes Pathos den Hörer ärgerlich und sich selbst lächerlich zu machen, bildet einen bemerkenswerthen Charakterzug seines „Todtentanzes“ und seines „Phaëton“. Es liegt darin etwas von der feinen Ironie, mit welcher Gottfried Keller seine köstlichen „Legenden“ erzählt. In seinen Clavier-Concerten (Es-dur, Op. 29, und D-dur, Op. 17) begegnen wir neuen Formen und neuen effectvollen Passagen; daß die Bravour des Spielers (allerdings ohne den veralteten Tummelplatz der „Cadenz“) darin in vollem Lichte glänzt, finden wir in der Ordnung. Jede Gattung hat ihre eigenen Gesetze, und ein Concert soll keine Symphonie sein wollen. Auch in seinen Clavier-Compositionen ist Saint- Saëns ein durchaus moderner und doch kein Mode-Com ponist, ein „enfant du siècle“, dem es schwer wird, tief und erhaben, aber auch unmöglich, langweilig zu sein. Das eigene Concert, welches Saint-Saëns (unter sehr beifälliger Mit wirkung der Sängerin Ida Gaßebner) im kleinen Musikvereinssaale veranstaltete, präsentirte ihn zugleich als vortrefflichen Clavier-Virtuosen, dessen erstaunliches Passagen- und Octavenspiel, dessen feiner, von jeder Uebertreibung und Affectation freier Vortrag den besten Eindruck machten. Diesen vortheilhaften Eindruck erhöht noch die bescheidene Anspruchslosigkeit, mit welcher Saint-Saëns, verschieden von dein merveilleusen Naturen unserer neuesten Schule, auftritt und spielt.