Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4258. Wien, Dienstag, den 4. Juli 1876 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
Georg-Coch-Platz 2 1010 Wien Österreich Wien
Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

Sie dürfen: Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten

Bearbeiten — das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.

Der Lizenzgeber kann diese Freiheiten nicht widerrufen solange Sie sich an die Lizenzbedingungen halten. Unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Keine weiteren Einschränkungen — Sie dürfen keine zusätzlichen Klauseln oder technische Verfahren einsetzen, die anderen rechtlich irgendetwas untersagen, was die Lizenz erlaubt.

Hinweise:

Sie müssen sich nicht an diese Lizenz halten hinsichtlich solcher Teile des Materials, die gemeinfrei sind, oder soweit Ihre Nutzungshandlungen durch Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts gedeckt sind.

Es werden keine Garantien gegeben und auch keine Gewähr geleistet. Die Lizenz verschafft Ihnen möglicherweise nicht alle Erlaubnisse, die Sie für die jeweilige Nutzung brauchen. Es können beispielsweise andere Rechte wie Persönlichkeits- undDatenschutzrechte zu beachten sein, die Ihre Nutzung des Materials entsprechend beschränken.

Nr. 4258. Wien, Dienstag, den 4. Juli 1876 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 04.07.1876
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Die Musik auf der Münchener Kunstausstellung. München, Ende Juni.

Ed. H. Man kann in dem Münchener Glaspalast lange genug unter Kunstgegenständen aller Art umherwandeln, ohne auf etwas Musikalisches zu stoßen. Es sind überhaupt blos drei Gattungen von Instrumenten hier vertreten, und diese nur in wenigen Exemplaren: Claviere, Harmoniums und Zithern. Das Meiste davon, unter Glas oder Sperre, bleibt obendrein stumm. Während bei der Pariser, bei der Wiener Weltausstellung der Lärm von unermüdlich probir ten Musik-Instrumenten uns bis in den Park, bis auf die Straße verfolgte, hört man hier nicht Einen Ton. Als wäre es von Haus aus durchdrungen von dem exclusiv malerischen und plastischen Geist, welchem diese Ausstellung huldigt, betrachtet das Münchener Publicum die vorhandenen Instru mente höchstens wie ein geschmackvolles Möbel, ohne die ge ringste musikalische Neugier. Die officielle Jury wird damit auch nichts Anderes thun; sie darf die Instrumente nur auf die schöne Form hin ansehen und prüfen, nicht auf den Ton. Im Münchener Glaspalast entscheidet nur der wohlgestaltete Leib, nicht die singende Seele des Instruments. Darum prä miirt auch dieselbe Jury, welche über die ausgestellten Möbel, Teppiche, Glaswaaren richtet, die Musik-Instrumente, je nach dem Styl und Geschmack ihrer äußeren Ausstattung. Ist das möglich? so rief ungläubig, wo nicht gar entrüstet jede musikalische Seele, die von dieser Entmusicirung und Möbel werdung der Instrumente in München zuerst hörte. Und doch schwindet bei näherer Betrachtung unser Befremden und weicht einem friedlichen Begreifen. In einer kunstgewerblichen Ausstel lung, welche ihrem Programme gemäß sich mit Musik gar nicht zu befassen hat, kann ein Tonwerkzeug nur durch seine künst lerisch schöne Außenseite Bedeutung erlangen. Die ausnahms

weise Berechtigung auch dieses Standpunktes ist unter solchen Prämissen kaum anzufechten, und ein interessantes Factum in der Geschichte der Instrumenten-Fabrication bleibt es, daß jener Standpunkt jetzt zum erstenmale von der Münchener Ausstellungs-Jury eingenommen wird.

Wesentliche Fortschritte in der Schönheit der Form kommen zunächst wol nur bei der Orgel, dem Clavier und dem Harmonium in Betracht. Diese Instrumente gestatten schon durch ihre räumliche Ausdehnung eine gewisse archi tektonische Schönheit und ornamentalen Schmuck. Es läßt sich da künstlerischer Geschmack, Stylgefühl, ja erfinderischer Geist bewähren. Ehemals war man entsetzlich gleichgiltig da gegen; kaum ein Vierteljahrhundert ist es her, daß die Fabrikanten von Pianos und Harmoniums auch auf deren geschmackvolle Außenseite einige Sorgfalt verwenden. Einzelne luxuriös bemalte, vergoldete und ausgelegte Spinette aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, wie deren das Clapisson’sche Museum in Paris enthält, sind Aus nahmen, welche nur die Regel bestätigen. Und diese Regel konnte man am besten bei der Wiener Weltausstellung in dem Pa villon für Geschichte der Musik-Instrumente kennen lernen. Wie mitleiderregend blickten uns die Claviere von Haydn und Mozart an, wie dürftig, schmuck- und schwunglos jene Schubert’s und Beethoven’s! Eine abgehobelte Kiste, ein flacher Sarg auf drei schmalen Beinen stehend oder viel mehr unaufhörlich wackelnd — das war das Aussehen der älteren Flügel. Der Sinn für schönere Form regte sich zuerst bei der Verfertigung von Pianinos und Harmoniums, welche, durch ihre symmetrische und aufrechte Gestalt weit ästhetischer und bildsamer als der langgestreckte Flügel, eine elegante stattliche Façade gewähren. Aber auch diese beiden jüngsten unter den Tasten-Instrumenten, das Pianino und das Har monium, traten noch durch geraume Zeit als sehr schmucklose Vierecke in die Welt. Die Amerikaner machten zuerst Auf sehen durch die schöne Form, die Sculpturarbeit und reichere

Ornamentik ihrer Harmoniums, und zwar — was sehr wichtig ist — nicht für exceptionelle Zwecke, sondern für den gewöhnlichen Verkauf und zu billigen Preisen. (In Wien kann man sich gegenwärtig von diesem Fortschritt an einer Auswahl verschiedenartiger amerikanischer Harmoniums über zeugen, die in der Clavierhandlung des Herrn B. Kohn zu sehen sind.) Daß man anfängt, auch bei Musik-Instru menten Werth auf die schöne Form zu legen, so weit diese das Vorrecht des Tones nicht angreift, verdient aufrichtiges Lob. Nur darf die decorative Tendenz nicht überwuchern und im Gegensatz zur früheren Kahlheit eine geschmacklose Ueberladung mit Farben, Schnitze reien und Ornamenten einreißen. Zwei bis drei warnende Beispiele dieser Art stehen auch im Münchener Glaspalast; unter Anderm ein schwerfällig barockes Pianino weiß und blau, mit goldenen Engeln, Lyras und Kränzen — auf dem ich mich nimmermehr entschließen könnte, eine Melodie von Beethoven oder Weber zu spielen. Zum Glück sind die ge schmackvollen Formen in entschiedener Majorität, das Material bei den meisten schwarzgebeiztes Birnbaumholz. Muster edelsten Styles sind die von unserem Hansen entworfenen Zeich nungen zu zwei Pianinos von Fr. Ehrbar aus Wien. Da, wie gesagt, nicht die musikalischen, sondern lediglich die augenfälligen Vorzüge der Instrumente hier Berücksichtigung finden, haben die wenigsten Aussteller daran gedacht, musika lische Fortschritte oder Verbesserungen vorzubringen; ja viele der ausgestellten Instrumente sind nicht einmal eigens für München gemacht worden, sondern gute Bekannte von früheren Ausstellungen. An zwei Clavieren fanden wir eine Art „Er findung“ angebracht: an dem „Pianino-Melodikon“ des talent vollen und rührigen M. J. Schramm in München (eine Ver bindung von Clavier und Harmonium) dann in dem „Transponir- Pianino“ von Hermann Wagner in Stuttgart. Das auf jeder Ausstellung neu auftauchende Problem eines transponirenden Apparates auf dem Clavier hat Niemand sinnreicher und

einfacher gelöst, als August Wolff (Firma Pleyel) in Paris. Mit dem Wolff’schen „Transpositeur“ ist der schwerfällige Zahnrad- und Schlüssel-Apparat H. Wagner’s ebensowenig zu vergleichen, wie andererseits Wolff’s kindischer Versuch eines theilweisen „Prolongements“ mit der so vollkommen geglückten Lösung dieses Problems durch Friedrich Ehrbar in Wien. Ein mit dieser neuen Erfindung versehener Concert flügel von Ehrbar war hier durch einige Tage in einem eigenen Saale ausgestellt, wo die Musiker Münchens, un beirrt durch den Ausstellungslärm, sie mit aller Muße studiren konnten. Es freut uns, melden zu können, daß Oesterreich, wie es überhaupt auf der Münchener Ausstel lung eine glänzende Rolle spielt, auch mit dieser neuesten Leistung seiner Clavierbaukunst hier großes Aufsehen macht. Die angesehensten musikalischen Autoritäten Münchens waren stundenlang um dieses Prolongement-Clavier versammelt, das Herr Ed. Kremser so trefflich zu spielen und zu erklären verstand — eine Art freiwilliger, nichtofficieller Jury, welche das Musikalische des Instruments prüfte und ihrer unbedingten Anerkennung dieser Erfindung auch in einer höchst ehrenvollen Adresse an Ehrbar Ausdruck lieh.

Außer einigen Clavieren und Harmoniums sind, wie erwähnt, mehrere schön ausgelegte Zithern ausgestellt, eine Specialität Bayerns, das hierin auch musikalisch seine Stamm verwandtschaft mit Oesterreich darthut. Kein anderes Instru ment wird in Bayern durch eine Firma repräsentirt, welche mehr als blos locales Renommée besäße. Dafür besitzt Bayern in dem Marktflecken Mittenwalde einen ganzen Ort, der von lauter Instrumentenmachern bewohnt ist. Ein ähn licher Industriebezirk wie das sächsische Markneukirchen, das böhmische Graslitz — in allen Familien wird da an den verschiedenen Bestandtheilen der Instrumente gearbeitet, von Männern, Weibern und Kindern. Mittenwalde ist durch die Massenhaftigkeit seiner Production und durch großen Export wichtig. Das Aufblühen von Mittenwalde, das in seiner Geigen-Fabrication sogar das größere Markneukirchen lange

überflügelt hatte, ist größtentheils Verdienst der bayrischen Regierung. Der verstorbene König Max gründete dort eine Geigenmacher-Schule und kaufte für dieselbe Instrumente der besten italienischen und Tiroler Meister (Stradivari, Maggini, N. Amati, Guarneri, Jacob Stainer). Von einem besonders dazu angestellten Lehrer werden die angehenden Geigenmacher auf alle Vorzüge dieser Meister aufmerksam gemacht und daran unterrichtet. Zu Gunsten der Mittenwalder erschien eine königliche Verordnung, daß Bäume, die sich zur Instru menten-Fabrication besonders eignen, den Instrumentenmachern von den Eigenthümern käuflich überlassen werden müssen. Wenn also ein Geigenmacher einen ihm passenden Baum im Staats- oder Privatwalde findet, so muß ihm derselbe auf Wunsch zu dem von einem königlichen Förster angegebenen Taxwerth überlassen werden. In der Münchener Ausstellung ist Mit tenwalde nicht vertreten. Was sollten auch vor einer Jury, die nur Neuheit und Eleganz der Formen berücksichtigt, die Geigen und Cellos, Oboën und Flöten? Die Orchester- Instrumente sind schon durch ihr verhältnißmäßig kleines Format und durch ihre mit der Klangschönheit eng zusam menhängende stereotype Form ungeeignet, mit Clavieren und Harmoniums bezüglich der äußeren Ausstattung zu concur riren. Man schätzt an der Geige lediglich den schönsten Ton, bei größter Einfachheit der seit Jahrhunderten stereotypen Form. Eine sehr zierliche Ausstattung wendete man ehemals an die kleinen Discant- oder Tanzmeistergeigen; die schönsten eingelegten Arbeiten von Elfenbein, Ebenholz und Perlmutter auf die Lauten und Mandolinen. Diese Instrumente sind außer Gebrauch, aber ihre Pracht-Exemplare werden stets zu den reizendsten Producten des Kunstfleißes gehören. Und darum hätten sie auf der Münchener Ausstellung nicht gänz lich fehlen dürfen. „Die Werke unserer Väter“, so lautet die Aufschrift über einer eigenen historischen Abthei lung im Glaspalast, welche ältere Kunstgegenstände deutscher Herkunft in ziemlich bunter Reihe aufnimmt. Hier war der Ort auch für ältere Musik-Instrumente von künstlerisch schöner

Form und reicherer Ausarbeitung. Dieser Zweig hätte wenigstens nicht ganz unvertreten bleiben sollen. Freilich ein fruchtbrin gendes Studium in solchem Fache ist ohne systematische An ordnung und eine gewisse Vollständigkeit nicht erreichbar — wem es mehr um Belehrung als um Schaulust zu thun ist, der wird deßhalb einen Gang ins National-Museum vorziehen. Dieses bayrische National-Museum in der Maxi miliansstraße, eines der herrlichsten Institute des neuen München, legt uns „die Werke unserer Väter“ in allen Theilen des Kunsthandwerkes in schönster systematischer An ordnung vor Augen. Wir sehen da eine Geschichte des Costüms durch eine Reihe von Gemächern leibhaftig ausgehängt; wir verfolgen durch eine andere Zimmerreihe die Entwicklung der Waffen-Fabrication, der Kunstschlosserei, Kunsttischlerei, der Textil-Industrie, endlich im letzten Zimmer eine kleine Samm lung alter Musik-Instrumente. Es ist nur ein bescheidener Anfang, aber doch ein Anfang; er wird, vom Patriotismus der Privaten unterstützt, seine Fortsetzung finden und mit der Zeit eine Geschichte des Instrumentenbaues in Deutsch land illustriren. Der Schmerz darüber, daß wir in Wien das unvergleichliche, nie wieder zusammenkommende Material der „Historischen Ausstellung“ von 1873 in alle Winde zer stieben ließen, erwachte hier wieder lebhaft in mir. Welche Geschichte des Clavierbaues in Oesterreich hatten wir da in Einem Pavillon beisammen, und zugleich welche Reliquien unserer großen Tonmeister! Um billige Preise, von manchem Eigenthümer umsonst, hätte die Regierung diese alten Instru mente erhalten, wenn sie die Gründung eines kunsthistorischen vaterländischen Museums damit bezweckt und begonnen hätte! Von alten Instrumenten enthält die Münchener Aus stellung nichts als einen Stuttgarter Flügel von dem Grün der des Hauses Schiedmayer. Diese Reliquie steht neben den neuen Instrumenten der Enkel und Urenkel Schied mayer’s (wohin sie, streng genommen, nicht gehört) lehrreich genug; ein kahles Bauernhaus neben einer prächtigen mo dernen Villa.