Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4265. Wien, Dienstag, den 11. Juli 1876 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Nr. 4265. Wien, Dienstag, den 11. Juli 1876 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 11.07.1876
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Musik. (Hofoperntheater. — Opernschule.)

Ed. H. Mit lobenswerther Raschheit, hart vor ihrem sommerlichen Thorschluß hat die Hofopern-Direction zwei ältere Opern scenirt, beide dem komischen Genre angehörend: Des Teufels Antheil“, von Auber, und Donizetti’s Liebestrank“. Einen durchschlagenden Erfolg errang keine von beiden, eine freundliche Aufnahme die eine wie die an dere. Wie vorauszusehen, hat übrigens die Donizetti’sche Oper hier sympathischer angesprochen, als die von Auber. Italie nische Cantilene, zarte Lyrik sagen unseren Opernsängern noch immer mehr zu, als der geistreich prickelnde Conversa tionsstyl Auber’s, dessen Opern überdies Gewandtheit im Dialog erheischen. In den italienischen Opern fehlt diese Klippe der gesprochenen Prosa. Auch im Einzelnen erfuhr der Liebestrank“ eine glücklichere Wiedergabe, als „Des Teufels Antheil“. Herr Scaria, als schwermüthiger König so ganz und gar nicht an seinem Platze, war es vollständig als Dulcamara, und während Herr Walter der brillanten Lust spielfigur des jungen Rafael d’Estuniga nur sehr matten Glanz verlieh, erwies der gutmüthige Nemorino sich wie ge schaffen für Herrn Müller. Um beim „Liebestrank“ zu bleiben: es wird die beste deutsche Aufführung dieser Oper eine gute italienische nie erreichen; zu schwerflüssig rollt die deutsche Zunge und das deutsche Blut. Das unvergeßliche Musterbild eines italienischen „Elisir d’amore“ mit Calzo lari, Everardi, Zucchini und der Artôt umschwebte uns gestern wie ein entschwundener schöner Traum. Am nächsten dem italienischen Vorbild kam Herr Müller als Nemorino. Die Partie liegt seiner Stimme sehr günstig und bewegt sich dramatisch auf einem Empfindungs-Niveau, das Herr Müller wahr und natürlich beherrscht. Neben dem Sentimentalen, das Herr Müller niemals ins Tragische überschlagen ließ, brachte er auch das komische Element der Rolle überraschend gut zur Geltung. Seine

Romanze: „Una furtiva lagrima“ fand rauschenden Bei fall, sie sprach uns warm und überzeugend an, wie die ganze Leistung. Herrn Scaria’sDulcamara haben wir bereits lobend genannt; es harren dieses Sängers noch manche un berührte Erfolge, wenn er sein Buffo-Talent systematisch ausbildet. Für den Dulcamara besitzt er die Stimme und Persönlichkeit, deutliche Aussprache und Grandezza, es fehlt nur an munterer Beweglichkeit, zumal in den raschen Par landosätzen, und an frischer, unmittelbarer Komik. Herr v. Bignio begann den Sergeant Belcore, dem bei aller Courtoisie ein stark soldatischer Anflug nicht fehlen darf, zu weich und geziert; im Verlaufe wurde er bald heimisch in der Rolle, welche ja seiner Persönlichkeit vortrefflich zusagt. Fräulein Tagliana gab die Adina mit vielem Beifalle. Was ihr in dieser Oper vor deutschen Colleginnen zu statten kommt, ist ihre Nationalität. Als echter Italienerin ist ihr eine beredte Mimik angeboren, welche bei aller Beweglichkeit stets natürlich und graziös bleibt. Reizend in Spiel und Er scheinung, correct und anmuthig im Vortrage der leicht hin gaukelnden Allegrosätze, ließ Fräulein Tagliana nur Eines vermissen, was gerade in der italienischen Cantilene, dieser Verkörperung des Wohlklanges und der Fülle, überaus wich tig ist: Wohlklang und Fülle des Tones. Unpassend und überflüssig dünkt es uns selbst, engagirten Mitgliedern bei jeder Rolle neuerdings vorzuhalten, was ihnen nun einmal die Natur versagt hat — aber so wie bei jeder Spieloper im neuen Hause dem Kritiker leicht der stereotype Seufzer über die Unzweckmäßigkeit dieses Theaters entschlüpft, so vermag er auch zeitweilig das Bedauern über das Unzureichende eines kleinen Stimmchens in diesem Hause nicht zu unterdrücken. Es ist kein kleines Compliment, wenn wir Fräulein Tagliana unter den Sängerinnen eine ähnliche Stelle anweisen, wie dem „Liebestrank“ oder dem „Antheil des Teufels“ unter den Opern; aber alle drei, die beiden Opern und die Sängerin, bedürfen, wie wir uns eben jetzt wieder überzeugt haben, eines kleineren Theaters. Da wir dieses kleinere Theater, da wir eine eigene Komische Oper nicht besitzen, so müssen wir trotz alledem dankbar sein,

wenn wir Werke wie den „Liebestrank“ im Hofoperntheater zu hören bekommen. In Opern wie dieser „Liebestranktritt Alles, was an der italienischen Musik eigenthümlich und liebenswerth ist, uns unbeirrt entgegen. Wie süß, gesangvoll und in der Hauptsache auch immer dramatisch sind diese Melodien, diese Scenen! Ein natürliches Ebenmaß, wie es nur der italienischen Musik eigen, verbindet sich hier mit rei zender Frische und einer fast genial zu nennenden Leichtig keit. Ungemein hübsch contrastirt das idyllische Element in Liebestrank“ mit dem soldatischen, und diese beiden wieder gegen ihre gemeinsame köstliche Folie, den alten Charlatan. Ohne Frage der Höhepunkt von Donizetti’s Schaffen, be zeichnet „L’Elisir“ gemeinschaftlich mit „Don Pasquale“ zu gleich den Höhepunkt der nach-Rossini’schen Opera buffa. Welcher Abstand zwischen diesen heiteren Singspielen, worin Donizetti’s munteres, bewegliches Talent seine duftigsten Blüthen trieb, und dem halb langweiligen, halb trivialen Pathos seiner „lyrischen Tragödien“! Im „Liebestrank“ ist Alles natürlich, genügsam, lebensfroh. Die Lebendigkeit stei gert sich nicht selten zum Glänzenden, die Weichheit zur herzlichen Empfindung; selbst das „Gewöhnliche“, so läh mend in heroischen und tragischen Opern, erscheint hier „freundlich“ in der milderen Beleuchtung des Alltagslebens. Ein Freund Mendelssohn’s, Chorley, erzählte einmal im Musical World, wie eines Tages in London ein Kreis von „gelehrten“ Componisten und Musikkennern den „Liebestrankin gründlicher Entrüstung verurtheilte, wie Mendelssohn an fangs stumm und unruhig sich auf seinem Sessel hin- und herbewegte und schließlich, um sein Votum gedrängt, aus rief: „Ich weiß nur, meine gelehrten Herren, daß ich sehr froh wäre, hätte ich den „Liebestrank“ componirt!“

Nach dem „Liebestrank“ wurde im Orchester Richard Wagner’s neuer Festmarsch (componirt zur Eröffnung der Weltausstellung in Philadelphia) gespielt. Schwerlich würde darüber Mendelssohn dieselbe Aeußerung wie über den Liebestrank“ gethan haben, eher die entgegengesetzte. Daß Wagner einen glänzenden Marsch zu schreiben weiß oder wenigstens in seiner früheren Stylperiode zu schreiben wußte,

das hat er im „Tannhäuser“ und „Rienzi“ bewiesen. Ganz verschieden davon, im Styl des „Tristan“ und der „Walküre“, bewegen sich die beiden späteren HuldigungsmärscheWag ner’s an den König Ludwig von Bayern und an Kaiser Wilhelm, Compositionen, welche selbst von seinen wärmsten Anhängern schwer verdaut werden. Immerhin stehen sie beide an Erfindung und Ausführung noch hoch über dem neuen Festmarsch, der, unsäglich prätentiös, durch seine Länge und instrumentale Ueberladung, doch selbst bescheidenen musikali schen Ansprüchen nicht gerecht wird. Diese Abwesenheit jeder originellen Erfindung, jeder gesunden, zusammenhängenden Melodie hat etwas Grauenhaftes. Ein raffinirtes Bröckel werk kleiner, unaufhörlich wiederholter, in allen Instrumenten herumgezerrter Motivchen; die schreckliche Allgegenwart einer gehämmerten Triole, die uns einen musikalischen Haupt gedanken ersetzen soll; ein Orcan losgelassener Instru mente — das Alles täuscht doch keinen Augenblick über die innere Dürftigkeit dieser Composition. Rhythmisch ganz monoton und melodisch reizlos, schiebt sie sich wie eine leblose, schwere Masse unförmlich weiter. Auffallend ist ein Charakterzug, welchen dieser amerikanische Festmarsch mit den zwei früher genannten gemein hat: die zerflossene Weichlichkeit und nervöse Sentimentalität, nament lich in dem B-dur-Mittelsatz, in dem all das chromatische Liebesstammeln, die Verzücktheit und Aufgelöstheit walten, die wir aus dem Vorspiel von „Tristan und Isolde“ kennen. An „Tristan“ erinnert auch die über immer dichter zusam menrückenden Dissonanzen und Vorhälten sich endlos hinaus dehnende Steigerung, die schließlich unter dem Fortissimo aller Posaunen und Lärm-Instrumente platzt, wenn die Ner venqual ihren Höhepunkt erreicht hat. Diese stöhnende Exal tation in einem „Festmarsch“ wiederzufinden, wird Ameri kaner und Europäer gleichmäßig betroffen machen, klingt das doch mitunter, als sollte Philadelphia sammt der Weltaus stellung nicht begrüßt, sondern kläglich zu Grabe geleitet wer den. Dem „Festmarsch“, den das Hofopern-Orchester unter Herrn Gericke’s Leitung virtuos ausführte, antwortete ein gekünstelter, sich mühsam stimulirender Applaus; hätte die

Composition aufrichtig gefallen, das Da capo würde nicht ausgeblieben sein.

Das Publicum, welches sich trotz des heißen Juli- Abends zahlreich eingefunden hatte, erhielt nach der Oper und dem Marsch schließlich noch ein getanztes Dessert: das einactige, in seiner anspruchslosen Komik sehr ergötzliche Ballet-Divertissement: „Die Tänzerin auf Reisen“. Das Drollige der Situationen (eine reisende Tänzerin und ihr furchtsamer Begleiter müssen im Walde den Räubern vortanzen) wurde von Fräulein Linda und Herrn Price mit Humor aufgefaßt und virtuos herausgearbeitet.

Aus der letzten, bereits etwas schweißtriefenden Periode des Hofoperntheaters wäre noch die Acquisition zweier jün gerer Kräfte zu melden, welche sich bald nützlich in das Ensemble einfügen dürften. Zuerst Herr Alexy aus Braunschweig, dessen markige schwarze Baßstimme an Dr. Krauß erinnert und den er sich im Punkte künstlerischer Mäßigung auch zum Vorbild nehmen möge, denn bei einigem Forciren bekommt die Stimme des Herrn Alexy einen un willkommen starren Ausdruck. Herr Alexy zeigte sich als Valentin im „Faust“ und als Luna im „Troubadour“ recht tüchtig und erhielt Beifall. Das zweite neue Mitglied, Fräulein Zulifay, hat als Siebel im „Faust“ weniger befriedigt. Ausgestattet mit Jugend, Stimme und redlichem Eifer, wird diese Anfängerin, über deren Talent wir aller dings noch kein Urtheil haben, ohne Zweifel bald vorwärts schreiten; sie hat als Gemmy im „Tell“ auch freundliches Entgegenkommen gefunden. Ihrem Siebel müssen wir Sünden gegen die Intonation und gegen die dramatische Auffassung vorwerfen. Mädchenhaftes Spiel und Aussehen ist allerdings der gewöhnlichste Fehler fast aller Siebel- Sängerinnen; aber gar so ängstlich herumflatternd, so hilflos zwitschernd, wie ein nasses Vögelchen, haben wir den wackeren Beschützer Margarethens noch nicht sich gebahren sehen. Durch die ganzen letzten sechs Wochen zog sich das nicht enthusiastisch, aber sehr freundlich aufgenommene Gastspiel der Sängerinnen Burenne und Bretfeld. Sie halfen der Direction aus der argen Verlegenheit, gleichzeitig zwei

erkrankte Primadonnen (Dillner und Kupfer) und eine beurlaubte (Ehnn) entbehren zu müssen. Sängerkrankheiten, interessante wie uninteressante, wird die Direction auch künftig müssen über sich ergehen lassen, aber hoffentlich nie wieder einen Contract, welcher ein so hochbezahltes Mitglied wie Frau Ehnn berechtigt, volle sechs Monate auf Reisen zu sein. In wenigen Tagen schließen sich die Pforten des Hof operntheaters für fünf Wochen. Hoffen wir, daß die wieder geöffneten uns zu genußreichen Abenden, welche nicht blos Gutes, sondern auch Neues bringen, fröhlich versammeln werden. Möge auch die Kunde von zahlreichen, durch Director Jauner zur Aufführung angenommenen Opern-Novitäten sich erwahren, soweit diese wirklich durch inneren Werth und nicht blos aus freundlichen Rücksichten für solche Auszeichnung vorgemerkt sind.

Am letzten Samstag schloß das Conservatorium sein Schuljahr mit der alljährlichen dramatischen Production der Opernschüler. Frau v. Marchesi, Director Hellmes berger und Professor Leo Friedrich hatten in ihrem rühmenswerthen Eifer für die mühsame Vorbereitung der Productionen auch diesmal nicht nachgelassen. Mit Recht war dieser kleinen Bühnen-Aufführung strenger als bis her der Charakter einer Prüfung gewahrt, der Eintritt unentgeltlich, das Hervorrufen der Schüler verbeten. Die Kritik hat Anfängern gegenüber eine schwierige Stellung: sie muß die Wahrheit in Ehren und zugleich zwischen ver blendendem Lob und einschüchternder Strenge die Mitte hal ten. Ungewöhnliche Talente, in denen alle Elemente des Erfolges, Stimme und Persönlichkeit, dramatische und musi kalische Begabung, vereinigt wären, wenn auch nur in der Knospe, traten diesmal nicht vor die Lampen. Man mußte sich begnügen, wenn eine oder einige dieser Eigenschaften in bemerkenswerthem Grade auftauchten. Dem Publicum bereits vortheilhaft bekannt ist Fräulein Anna Riegl, welche die Bravour-Arie der Prinzessin aus den „Hugenotten“ mit Geschmack und Geläufigkeit sang; der leidende, müde Aus druck ihrer Stimme, verstärkt durch die unverändert vorge bückte Haltung, scheint um Schonung und Ruhe zu bitten.

Fräulein Leeder ist ein Bild lachender Jugend und Ge sundheit. Die Sicherheit, mit welcher sie die letzte Scene aus Donizetti’s „Favorite“ sang und spielte, zeugte von großen Fortschritten seit ihrem letzten Auftreten. Allein dieser Sterbegesang eines brechenden Herzens, das noch ein mal in dem Brande von Liebe, Hoffnung und Verzweif lung aufzuckt, ist keine Aufgabe für eine Anfängerin. Um das überzeugend darzustellen, wird Fräulein Leeder noch viel lernen müssen, vorausgesetzt, daß sie überhaupt besitzt, was sich nicht erlernen läßt: Innigkeit und Leidenschaft. Oft schien es, als arbeite das junge Mädchen nur äußerlich mit tragischen Mienen und klagenden Accenten, zwischen welchen manchmal ein verstecktes Lächeln aufzublitzen drohte. Es war dies nicht der einzige Fall an diesem Abend, daß die vom Director oder den Lehrern gewählten Stücke schlechterdings mit der Individualität des Schülers nicht harmonirten. So folgte auf die Verzweiflungs- und Sterbescene des lustigen Wiener Kindes eine übermüthig neckische Scene aus „Don Pasquale“, dargestellt von einer sehr ernsthaften Engländerin, welche verzweifelte Anstrengungen machte, nur halbwegs mun ter und kokett auszusehen. Der silberhelle und bereits tüchtig geschulte Sopran von Fräulein Harriet Schell konnte in einer ruhigen, ernsthaften Arie mit ganz anderm Erfolg producirt werden. Besser eignete sich für die klangvolle Stimme und das ziemlich bewegte Spiel von Fräulein Kaulich die Arie der Amelie aus dem dritten Acte von Verdi’s Ballo in maschera“; zu einem tieferen Eindruck kam es aber doch nicht, dazu fehlte es an Poesie und Wahrheit der Empfindung. Dieser Mangel — für uns der empfindlichste — lag überhaupt wie Mehlthau auf den musikalischen Blüthen dieses Abends. Die entschiedenste Begabung müssen wir ohne weiters Fräulein Baier nachrühmen, deren Talent durch die glückliche Wahl einer Scene aus „Carmen“ auch in das rechte Licht gerückt war. Da pulsirte wirkliches dramatisches Leben, nicht copirt, sondern von Innen heraus, Alles indivi duell angeschaut und empfunden. Durch ihre bescheidenen Stimm- Mittel, selbst durch die eigenthümliche Schärfe ihrer Mimik dürfte Fräulein Baier auf ein enges Feld beschränkt bleiben; in dramatischen Aufgaben wie diese „Carmen“ vermag sie schon

durch ihr Spiel allein zu fesseln. Von allen Leistungen des Abends war die Fräulein Baier’s jedenfalls die einzige, die nicht blos interessirte, sondern durch einen starken Zug von Geist und Origi nalität imponiren konnte. Eine schwächere, bürgerliche Aus gabe von Fräulein Baier ist die Soubrette Fräulein Racher, die als Rose Friquet (erster Act aus dem „Glöckchen des Eremiten“) ein artiges Spieltalent bei übrigens bescheidenen Mitteln an den Tag legte. Von den Herren der Opern schule ist an erster — fast an einziger — Stelle Herr Zobel zu nennen. Den günstigen Eindruck seiner sonoren, kräftigen, etwas dunkelgefärbten Tenorstimme unterstützt eine stattliche Bühnenfigur und eine ruhige, ernsthafte Haltung. In Spiel und Gesang noch Anfänger, gewann doch Herr Zobel in der Schlußscene Fernando’s („La Favorite“) schnell die Sympathien des Publicums, das in ihm vertrauensvoll den künftigen Künstler begrüßte. Wir sahen und hörten noch eine Reihe von jungen Herren und Damen, von denen einige uns vergeblich nachsinnen ließen, warum sie gerade den Beruf von Opernsängern ergriffen haben. Wir fürchten, daß manche von diesen Opernschülern, die jetzt Zeit, Geld und Gemüthsruhe opfern, um sich auf dem Theater eine glän zende oder wenigstens sorgenfreie Existenz zu schaffen, in dieser Hoffnung werden getäuscht werden. Es ist verzeihlich, sich über sein eigenes Aussehen, über seine eigene Stimme und Begabung zu täuschen. Solcher Irrthum sollte aber sein unerbittliches Correctiv in der Abmahnung der Vorge setzten finden, in dem Rathe des Lehrers, lieber eine andere Laufbahn zu wählen. Junge Leute, die auf den ersten Blick als hoffnungslos für die Opernbühne erscheinen, gehen dort einer freudlosen Zukunft entgegen, wenn man sie bei dem Glauben läßt, man könne bei den bedenklichsten Passiven an Stimme, Wohlgestalt und Talent blos durch Fleiß und Courage eine glänzende Theater-Carrière erringen. Das Lampenlicht der Bühne versengt genug der unvorsichtigen Schmetterlinge, die im Bureau, in der Wechselstube, im Mädchen-Pensionat, selbst in der Herrschaftsküche eine lohnen dere Existenz gefunden hätten. Es scheint uns eine Ge wissenspflicht der Lehrer, solchen Illusionen lieber ein Ende mit Schrecken zu bereiten, als einen Schrecken ohne Ende.