Musik.
(
Hofoperntheater. —
Opernschule.)
Ed. H. Mit lobenswerther Raschheit, hart vor ihrem
sommerlichen Thorschluß hat die Hofopern-Direction zwei
ältere Opern scenirt, beide dem komischen Genre angehörend:
„Des Teufels Antheil“, von Auber, und Donizetti’s
„Liebestrank“. Einen durchschlagenden Erfolg errang keine
von beiden, eine freundliche Aufnahme die eine wie die an
dere. Wie vorauszusehen, hat übrigens die Donizetti’sche Oper
hier sympathischer angesprochen, als die von Auber. Italie
nische Cantilene, zarte Lyrik sagen unseren Opernsängern
noch immer mehr zu, als der geistreich prickelnde Conversa
tionsstyl Auber’s, dessen Opern überdies Gewandtheit im
Dialog erheischen. In den italienischen Opern fehlt diese
Klippe der gesprochenen Prosa. Auch im Einzelnen erfuhr der
„Liebestrank“ eine glücklichere Wiedergabe, als „Des Teufels
Antheil“. Herr Scaria, als schwermüthiger König so ganz
und gar nicht an seinem Platze, war es vollständig als
Dulcamara, und während Herr Walter der brillanten Lust
spielfigur des jungen Rafael d’Estuniga nur sehr matten
Glanz verlieh, erwies der gutmüthige Nemorino sich wie ge
schaffen für Herrn Müller. Um beim „Liebestrank“ zu
bleiben: es wird die beste deutsche Aufführung dieser Oper
eine gute italienische nie erreichen; zu schwerflüssig rollt die
deutsche Zunge und das deutsche Blut. Das unvergeßliche
Musterbild eines italienischen „Elisir d’amore“ mit Calzo
lari, Everardi, Zucchini und der Artôt umschwebte
uns gestern wie ein entschwundener schöner Traum. Am
nächsten dem italienischen Vorbild kam Herr Müller als
Nemorino. Die Partie liegt seiner Stimme sehr günstig und
bewegt sich dramatisch auf einem Empfindungs-Niveau,
das Herr Müller wahr und natürlich beherrscht.
Neben dem Sentimentalen, das Herr Müller niemals ins
Tragische überschlagen ließ, brachte er auch das komische
Element der Rolle überraschend gut zur Geltung. Seine
Romanze: „Una furtiva lagrima“ fand rauschenden Bei
fall, sie sprach uns warm und überzeugend an, wie die ganze
Leistung. Herrn Scaria’sDulcamara haben wir bereits
lobend genannt; es harren dieses Sängers noch manche un
berührte Erfolge, wenn er sein Buffo-Talent systematisch
ausbildet. Für den Dulcamara besitzt er die Stimme und
Persönlichkeit, deutliche Aussprache und Grandezza, es fehlt
nur an munterer Beweglichkeit, zumal in den raschen Par
landosätzen, und an frischer, unmittelbarer Komik. Herr
v. Bignio begann den Sergeant Belcore, dem bei aller
Courtoisie ein stark soldatischer Anflug nicht fehlen darf, zu
weich und geziert; im Verlaufe wurde er bald heimisch in
der Rolle, welche ja seiner Persönlichkeit vortrefflich zusagt.
Fräulein Tagliana gab die Adina mit vielem Beifalle.
Was ihr in dieser Oper vor deutschen Colleginnen zu statten
kommt, ist ihre Nationalität. Als echter Italienerin ist ihr
eine beredte Mimik angeboren, welche bei aller Beweglichkeit
stets natürlich und graziös bleibt. Reizend in Spiel und Er
scheinung, correct und anmuthig im Vortrage der leicht hin
gaukelnden Allegrosätze, ließ Fräulein Tagliana nur Eines
vermissen, was gerade in der italienischen Cantilene, dieser
Verkörperung des Wohlklanges und der Fülle, überaus wich
tig ist: Wohlklang und Fülle des Tones. Unpassend und
überflüssig dünkt es uns selbst, engagirten Mitgliedern
bei jeder Rolle neuerdings vorzuhalten, was ihnen
nun einmal die Natur versagt hat — aber so wie
bei jeder Spieloper im neuen Hause dem Kritiker leicht der
stereotype Seufzer über die Unzweckmäßigkeit dieses Theaters
entschlüpft, so vermag er auch zeitweilig das Bedauern über
das Unzureichende eines kleinen Stimmchens in diesem Hause
nicht zu unterdrücken. Es ist kein kleines Compliment, wenn
wir Fräulein Tagliana unter den Sängerinnen eine ähnliche
Stelle anweisen, wie dem „Liebestrank“ oder dem „Antheil
des Teufels“ unter den Opern; aber alle drei, die beiden
Opern und die Sängerin, bedürfen, wie wir uns eben jetzt
wieder überzeugt haben, eines kleineren Theaters. Da wir
dieses kleinere Theater, da wir eine eigene Komische Oper
nicht besitzen, so müssen wir trotz alledem dankbar sein,
wenn wir Werke wie den „Liebestrank“ im Hofoperntheater
zu hören bekommen. In Opern wie dieser „Liebestrank“
tritt Alles, was an der italienischen Musik eigenthümlich und
liebenswerth ist, uns unbeirrt entgegen. Wie süß, gesangvoll
und in der Hauptsache auch immer dramatisch sind diese
Melodien, diese Scenen! Ein natürliches Ebenmaß, wie es
nur der italienischen Musik eigen, verbindet sich hier mit rei
zender Frische und einer fast genial zu nennenden Leichtig
keit. Ungemein hübsch contrastirt das idyllische Element in
„Liebestrank“ mit dem soldatischen, und diese beiden wieder
gegen ihre gemeinsame köstliche Folie, den alten Charlatan.
Ohne Frage der Höhepunkt von Donizetti’s Schaffen, be
zeichnet „L’Elisir“ gemeinschaftlich mit „Don Pasquale“ zu
gleich den Höhepunkt der nach-Rossini’schen Opera buffa.
Welcher Abstand zwischen diesen heiteren Singspielen, worin
Donizetti’s munteres, bewegliches Talent seine duftigsten
Blüthen trieb, und dem halb langweiligen, halb trivialen
Pathos seiner „lyrischen Tragödien“! Im „Liebestrank“ ist
Alles natürlich, genügsam, lebensfroh. Die Lebendigkeit stei
gert sich nicht selten zum Glänzenden, die Weichheit zur
herzlichen Empfindung; selbst das „Gewöhnliche“, so läh
mend in heroischen und tragischen Opern, erscheint hier
„freundlich“ in der milderen Beleuchtung des Alltagslebens.
Ein Freund Mendelssohn’s, Chorley, erzählte einmal im
Musical World, wie eines Tages in London ein Kreis von
„gelehrten“ Componisten und Musikkennern den „Liebestrank“
in gründlicher Entrüstung verurtheilte, wie Mendelssohn an
fangs stumm und unruhig sich auf seinem Sessel hin- und
herbewegte und schließlich, um sein Votum gedrängt, aus
rief: „Ich weiß nur, meine gelehrten Herren, daß ich
sehr froh wäre, hätte ich den „Liebestrank“ componirt!“
Nach dem „Liebestrank“ wurde im Orchester Richard
Wagner’s neuer Festmarsch (componirt zur Eröffnung
der Weltausstellung in Philadelphia) gespielt. Schwerlich
würde darüber Mendelssohn dieselbe Aeußerung wie über den
„Liebestrank“ gethan haben, eher die entgegengesetzte. Daß
Wagner einen glänzenden Marsch zu schreiben weiß oder
wenigstens in seiner früheren Stylperiode zu schreiben wußte,
das hat er im „Tannhäuser“ und „Rienzi“ bewiesen. Ganz
verschieden davon, im Styl des „Tristan“ und der „Walküre“,
bewegen sich die beiden späteren HuldigungsmärscheWag
ner’s an den König Ludwig von Bayern und an Kaiser
Wilhelm, Compositionen, welche selbst von seinen wärmsten
Anhängern schwer verdaut werden. Immerhin stehen sie beide
an Erfindung und Ausführung noch hoch über dem neuen
Festmarsch, der, unsäglich prätentiös, durch seine Länge und
instrumentale Ueberladung, doch selbst bescheidenen musikali
schen Ansprüchen nicht gerecht wird. Diese Abwesenheit jeder
originellen Erfindung, jeder gesunden, zusammenhängenden
Melodie hat etwas Grauenhaftes. Ein raffinirtes Bröckel
werk kleiner, unaufhörlich wiederholter, in allen Instrumenten
herumgezerrter Motivchen; die schreckliche Allgegenwart einer
gehämmerten Triole, die uns einen musikalischen Haupt
gedanken ersetzen soll; ein Orcan losgelassener Instru
mente — das Alles täuscht doch keinen Augenblick über
die innere Dürftigkeit dieser Composition. Rhythmisch
ganz monoton und melodisch reizlos, schiebt sie sich
wie eine leblose, schwere Masse unförmlich weiter.
Auffallend ist ein Charakterzug, welchen dieser amerikanische
Festmarsch mit den zwei früher genannten gemein hat: die
zerflossene Weichlichkeit und nervöse Sentimentalität, nament
lich in dem B-dur-Mittelsatz, in dem all das chromatische
Liebesstammeln, die Verzücktheit und Aufgelöstheit walten, die
wir aus dem Vorspiel von „Tristan und Isolde“ kennen.
An „Tristan“ erinnert auch die über immer dichter zusam
menrückenden Dissonanzen und Vorhälten sich endlos hinaus
dehnende Steigerung, die schließlich unter dem Fortissimo
aller Posaunen und Lärm-Instrumente platzt, wenn die Ner
venqual ihren Höhepunkt erreicht hat. Diese stöhnende Exal
tation in einem „Festmarsch“ wiederzufinden, wird Ameri
kaner und Europäer gleichmäßig betroffen machen, klingt das
doch mitunter, als sollte Philadelphia sammt der Weltaus
stellung nicht begrüßt, sondern kläglich zu Grabe geleitet wer
den. Dem „Festmarsch“, den das Hofopern-Orchester unter
Herrn Gericke’s Leitung virtuos ausführte, antwortete
ein gekünstelter, sich mühsam stimulirender Applaus; hätte die
Composition aufrichtig gefallen, das Da capo würde nicht
ausgeblieben sein.
Das Publicum, welches sich trotz des heißen Juli-
Abends zahlreich eingefunden hatte, erhielt nach der Oper
und dem Marsch schließlich noch ein getanztes Dessert: das
einactige, in seiner anspruchslosen Komik sehr ergötzliche
Ballet-Divertissement: „Die Tänzerin auf Reisen“.
Das Drollige der Situationen (eine reisende Tänzerin und
ihr furchtsamer Begleiter müssen im Walde den Räubern
vortanzen) wurde von Fräulein Linda und Herrn Price
mit Humor aufgefaßt und virtuos herausgearbeitet.
Aus der letzten, bereits etwas schweißtriefenden Periode
des Hofoperntheaters wäre noch die Acquisition zweier jün
gerer Kräfte zu melden, welche sich bald nützlich in das
Ensemble einfügen dürften. Zuerst Herr Alexy aus
Braunschweig, dessen markige schwarze Baßstimme an
Dr. Krauß erinnert und den er sich im Punkte künstlerischer
Mäßigung auch zum Vorbild nehmen möge, denn bei einigem
Forciren bekommt die Stimme des Herrn Alexy einen un
willkommen starren Ausdruck. Herr Alexy zeigte sich als
Valentin im „Faust“ und als Luna im „Troubadour“ recht
tüchtig und erhielt Beifall. Das zweite neue Mitglied,
Fräulein Zulifay, hat als Siebel im „Faust“ weniger
befriedigt. Ausgestattet mit Jugend, Stimme und redlichem
Eifer, wird diese Anfängerin, über deren Talent wir aller
dings noch kein Urtheil haben, ohne Zweifel bald vorwärts
schreiten; sie hat als Gemmy im „Tell“ auch freundliches
Entgegenkommen gefunden. Ihrem Siebel müssen wir
Sünden gegen die Intonation und gegen die dramatische
Auffassung vorwerfen. Mädchenhaftes Spiel und Aussehen
ist allerdings der gewöhnlichste Fehler fast aller Siebel-
Sängerinnen; aber gar so ängstlich herumflatternd, so hilflos
zwitschernd, wie ein nasses Vögelchen, haben wir den wackeren
Beschützer Margarethens noch nicht sich gebahren sehen.
Durch die ganzen letzten sechs Wochen zog sich das nicht
enthusiastisch, aber sehr freundlich aufgenommene Gastspiel
der Sängerinnen Burenne und Bretfeld. Sie halfen
der Direction aus der argen Verlegenheit, gleichzeitig zwei
erkrankte Primadonnen (Dillner und Kupfer) und eine
beurlaubte (Ehnn) entbehren zu müssen. Sängerkrankheiten,
interessante wie uninteressante, wird die Direction auch künftig
müssen über sich ergehen lassen, aber hoffentlich nie wieder
einen Contract, welcher ein so hochbezahltes Mitglied wie
Frau Ehnn berechtigt, volle sechs Monate auf Reisen zu
sein. In wenigen Tagen schließen sich die Pforten des Hof
operntheaters für fünf Wochen. Hoffen wir, daß die wieder
geöffneten uns zu genußreichen Abenden, welche nicht blos
Gutes, sondern auch Neues bringen, fröhlich versammeln
werden. Möge auch die Kunde von zahlreichen, durch Director
Jauner zur Aufführung angenommenen Opern-Novitäten sich
erwahren, soweit diese wirklich durch inneren Werth und
nicht blos aus freundlichen Rücksichten für solche Auszeichnung
vorgemerkt sind.
Am letzten Samstag schloß das Conservatorium
sein Schuljahr mit der alljährlichen dramatischen Production
der Opernschüler. Frau v. Marchesi, Director Hellmes
berger und Professor Leo Friedrich hatten in ihrem
rühmenswerthen Eifer für die mühsame Vorbereitung der
Productionen auch diesmal nicht nachgelassen. Mit Recht
war dieser kleinen Bühnen-Aufführung strenger als bis
her der Charakter einer Prüfung gewahrt, der Eintritt
unentgeltlich, das Hervorrufen der Schüler verbeten. Die
Kritik hat Anfängern gegenüber eine schwierige Stellung:
sie muß die Wahrheit in Ehren und zugleich zwischen ver
blendendem Lob und einschüchternder Strenge die Mitte hal
ten. Ungewöhnliche Talente, in denen alle Elemente des
Erfolges, Stimme und Persönlichkeit, dramatische und musi
kalische Begabung, vereinigt wären, wenn auch nur in der
Knospe, traten diesmal nicht vor die Lampen. Man mußte
sich begnügen, wenn eine oder einige dieser Eigenschaften in
bemerkenswerthem Grade auftauchten. Dem Publicum bereits
vortheilhaft bekannt ist Fräulein Anna Riegl, welche die
Bravour-Arie der Prinzessin aus den „Hugenotten“ mit
Geschmack und Geläufigkeit sang; der leidende, müde Aus
druck ihrer Stimme, verstärkt durch die unverändert vorge
bückte Haltung, scheint um Schonung und Ruhe zu bitten.
Fräulein Leeder ist ein Bild lachender Jugend und Ge
sundheit. Die Sicherheit, mit welcher sie die letzte Scene aus
Donizetti’s „Favorite“ sang und spielte, zeugte von großen
Fortschritten seit ihrem letzten Auftreten. Allein dieser
Sterbegesang eines brechenden Herzens, das noch ein
mal in dem Brande von Liebe, Hoffnung und Verzweif
lung aufzuckt, ist keine Aufgabe für eine Anfängerin.
Um das überzeugend darzustellen, wird Fräulein Leeder noch
viel lernen müssen, vorausgesetzt, daß sie überhaupt besitzt,
was sich nicht erlernen läßt: Innigkeit und Leidenschaft. Oft
schien es, als arbeite das junge Mädchen nur äußerlich mit
tragischen Mienen und klagenden Accenten, zwischen welchen
manchmal ein verstecktes Lächeln aufzublitzen drohte. Es war
dies nicht der einzige Fall an diesem Abend, daß die vom
Director oder den Lehrern gewählten Stücke schlechterdings
mit der Individualität des Schülers nicht harmonirten. So
folgte auf die Verzweiflungs- und Sterbescene des lustigen
Wiener Kindes eine übermüthig neckische Scene aus „Don
Pasquale“, dargestellt von einer sehr ernsthaften Engländerin,
welche verzweifelte Anstrengungen machte, nur halbwegs mun
ter und kokett auszusehen. Der silberhelle und bereits tüchtig
geschulte Sopran von Fräulein Harriet Schell konnte in
einer ruhigen, ernsthaften Arie mit ganz anderm Erfolg
producirt werden. Besser eignete sich für die klangvolle
Stimme und das ziemlich bewegte Spiel von Fräulein
Kaulich die Arie der Amelie aus dem dritten Acte von Verdi’s
„Ballo in maschera“; zu einem tieferen Eindruck kam es
aber doch nicht, dazu fehlte es an Poesie und Wahrheit der
Empfindung. Dieser Mangel — für uns der empfindlichste —
lag überhaupt wie Mehlthau auf den musikalischen Blüthen
dieses Abends. Die entschiedenste Begabung müssen wir ohne
weiters Fräulein Baier nachrühmen, deren Talent durch
die glückliche Wahl einer Scene aus „Carmen“ auch in das
rechte Licht gerückt war. Da pulsirte wirkliches dramatisches
Leben, nicht copirt, sondern von Innen heraus, Alles indivi
duell angeschaut und empfunden. Durch ihre bescheidenen Stimm-
Mittel, selbst durch die eigenthümliche Schärfe ihrer Mimik
dürfte Fräulein Baier auf ein enges Feld beschränkt bleiben;
in dramatischen Aufgaben wie diese „Carmen“ vermag sie schon
durch ihr Spiel allein zu fesseln. Von allen Leistungen des Abends
war die Fräulein Baier’s jedenfalls die einzige, die nicht blos
interessirte, sondern durch einen starken Zug von Geist und Origi
nalität imponiren konnte. Eine schwächere, bürgerliche Aus
gabe von Fräulein Baier ist die Soubrette Fräulein Racher,
die als Rose Friquet (erster Act aus dem „Glöckchen des
Eremiten“) ein artiges Spieltalent bei übrigens bescheidenen
Mitteln an den Tag legte. Von den Herren der Opern
schule ist an erster — fast an einziger — Stelle Herr
Zobel zu nennen. Den günstigen Eindruck seiner sonoren,
kräftigen, etwas dunkelgefärbten Tenorstimme unterstützt eine
stattliche Bühnenfigur und eine ruhige, ernsthafte Haltung.
In Spiel und Gesang noch Anfänger, gewann doch Herr
Zobel in der Schlußscene Fernando’s („La Favorite“) schnell
die Sympathien des Publicums, das in ihm vertrauensvoll
den künftigen Künstler begrüßte. Wir sahen und hörten noch
eine Reihe von jungen Herren und Damen, von denen einige
uns vergeblich nachsinnen ließen, warum sie gerade den Beruf
von Opernsängern ergriffen haben. Wir fürchten, daß
manche von diesen Opernschülern, die jetzt Zeit, Geld und
Gemüthsruhe opfern, um sich auf dem Theater eine glän
zende oder wenigstens sorgenfreie Existenz zu schaffen, in
dieser Hoffnung werden getäuscht werden. Es ist verzeihlich,
sich über sein eigenes Aussehen, über seine eigene Stimme
und Begabung zu täuschen. Solcher Irrthum sollte aber
sein unerbittliches Correctiv in der Abmahnung der Vorge
setzten finden, in dem Rathe des Lehrers, lieber eine andere
Laufbahn zu wählen. Junge Leute, die auf den ersten Blick
als hoffnungslos für die Opernbühne erscheinen, gehen dort
einer freudlosen Zukunft entgegen, wenn man sie bei dem
Glauben läßt, man könne bei den bedenklichsten Passiven an
Stimme, Wohlgestalt und Talent blos durch Fleiß und
Courage eine glänzende Theater-Carrière erringen. Das
Lampenlicht der Bühne versengt genug der unvorsichtigen
Schmetterlinge, die im Bureau, in der Wechselstube, im
Mädchen-Pensionat, selbst in der Herrschaftsküche eine lohnen
dere Existenz gefunden hätten. Es scheint uns eine Ge
wissenspflicht der Lehrer, solchen Illusionen lieber ein Ende
mit Schrecken zu bereiten, als einen Schrecken ohne Ende.