Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4273. Wien, Mittwoch, den 19. Juli 1876 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Nr. 4273. Wien, Mittwoch, den 19. Juli 1876 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 19.07.1876
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Zur Erinnerung an Joseph Dessauer und A. W. Ambros. I.

Ed. H. Die Tonkunst und ihre Lieblingskreise trauern in Wien um zwei theure Todte: Joseph Dessauer und August Wilhelm Ambros. Im Vergleich zu der allge meinen schmerzlichen Erregtheit, die bei der Nachricht von Ambros’ Tode sich kundgab, blieb der Heimgang Dessauer’s beinahe unbemerkt, nur von seinen nächsten Freunden leb hafter empfunden und besprochen. Alt, krank, erblindend, hatte sich Dessauer schon seit mehreren Jahren gänzlich von der Gesellschaft zurückgezogen, zu deren Zierden er einst ge zählt. Seine Person blieb nur noch wenigen alten Freunden zugänglich, sein künstlerisches Schaffen betrachtete man schon lange vorher als abgeschlossen. Es war nur mehr ein trau riges Scheinleben, das er führte und dessen leidensvolle Ver längerung selbst die Freunde nicht mehr wünschen konnten. Unvergeßlich seinen Freunden, war Dessauer dennoch schon halbvergessen von der Welt, als der Sensenmann sich seiner erinnerte. Ambros hingegen, obgleich auch kein Jüngling mehr an Jahren, war es doch bis zum letzten Tag an Geist, Gemüth und Arbeitskraft; sein plötzlicher Tod traf uns wie ein betäubender Schlag. Stets hatten ihm die Freunde ein hohes Alter prophezeit, da er Krankheit niemals gekannt und seine Eltern in Gesundheit uralt geworden waren. Und gerade jetzt — er hatte nie witziger geschrieben, nie herzlicher gelacht, nie emsiger gearbeitet! Wie viel sollte er nach menschlicher Voraussicht noch leisten im Leben, wie viel Freude noch genießen und bereiten — da legt er, der ewig Unruhige, sich plötzlich hin zur ewigen Ruhe. Dem jetzigen Musikpublicum Wiens war Ambros ein in voller Frische wirkender Zeitgenosse, dessen Bild nicht so schnell ver blassen wird. Dessauer hingegen zählte für unsere jüngere Generation schon zu den verschollenen Größen, von denen man den Namen, aber kaum mehr die Werke kennt. Es ist deßhalb patriotische und künstlerische Pflicht, an seine Erfolge, seine Verdienste zu erinnern. Vieles von Dessauer’s Werken ist in jenem Kampfe ums Dasein unterlegen, der vielleicht auf künstlerischem Gebiete, wo der stärkere und modernere Künstler (nicht immer der edlere) den schwächeren rasch be seitigt, am grausamsten waltet. Das Beste jedoch, was uns Dessauer gegeben, sind nicht Tages-Compositionen, die mit

der nächsten Mode werthlos werden, sondern Blüthen echter Lyrik, deren Duft uns heute so stark und so süß anweht, wie vor zwanzig Jahren.

In meine Knabenzeit reicht die Erinnerung an eine eigenthümlich geschäftige Aufregung und Bewegung, welche sich eines Tages der Prager Gesellschaft bemächtigt hatte. Es galt der Ankunft eines berühmt gewordenen, weit gerei sten Landsmannes, welcher nun eine selbstcomponirte Oper in seiner Vaterstadt zur Aufführung bringen sollte. Der viel umschwärmte Componist war Dessauer, seine Erstlings oper hieß „Lidwinna“ und war von Karl Egon Ebert für ihn gedichtet. Es sind mit die klangvollsten Namen des öster reichischen Parnasses, welche die Dichtungen der Dessauerschen Opern zieren: Ebert, Bauernfeld, Alexander Baumann. Mitunter waren die Namen besser als die Leistung, z. B. gerade bei der „Lidwinna“, deren von abge schmacktem Zauberspuk strotzende Handlung man einem Dichter wie K. E. Ebert kaum zumuthen sollte. „Lidwinna“, mit der jugendlichen Jenny Lutzer in der Titel rolle, fand in Prag (1836) eine günstige Aufnahme, erhielt sich aber nur kurze Zeit auf dem Repertoire. Wenn die Prager Kritik an diesem Werke nur bedauerte, daß der Componist „zu sehr elegische und tragische Weisen vorherr schen ließ“, so erschien dieser Fehler bald getilgt in Dessauer’s zweiter Oper: „Ein Besuch in St. Cyr“. Das feine, im französischen Conversationsstyl gehaltene Libretto Bauern feld’s eignete sich vortrefflich für das Talent Dessauer’s, das im Ausdruck des Graziösen und Eleganten, des leicht Sentimentalen und Schalkhaften vorzugsweise glücklich war. Der „Besuch in St. Cyr“ brachte es in Prag zu aufrich tiger Beliebtheit und hätte auch auf fremden Bühnen als eine liebenswürdig heitere Production Verbreitung verdient. In ihrer jugendlichen Frische erscheint sie mir heute noch Dessauer’s späterer komischer Oper „Dominga“ vorzuziehen; für den heutigen Bühnengeschmack allerdings zu einfach, auch formell theilweise veraltet. Schon vor seinen ersten Opern versuchen hatte Dessauer große Erfolge als Liedercomponist errungen; auf diesem seinem eigensten Felde vermehrte sich noch sein Ruf, als Dessauer’sche Lieder und Romanzen förm lich Mode geworden waren in Paris. Zur Zeit, als mich der Abschluß meiner Universitäts-Studien nach Wien führte, genoß Dessauer unbestrittene Geltung als eine der ersten Notabilitäten der österreichischen Musikwelt. Die Situation, in welcher ich ihn kennen lernte, war drollig genug. Dessauer, in Hemdärmeln, eine Küchenschürze vor

gebunden, stand auf einem Stuhle und lackirte mit einem in Firniß getauchten Pinsel einen hohen, geschnitzten Wandschrank. „Alte Möbel,“ entschuldigte er sich lachend, „das ist meine neueste Liebe! Ueberall schaue ich nach alterthümlichen Schränken und Truhen aus und habe schon hübsche Stücke zusammengebracht.“ Auf meine Bemerkung, daß seine Musik mich denn doch mehr interessire, warf er Pinsel und Schürze fort und legte seinen eben erschienenen Lieder-Cyklus „Sla vische Melodien“ (Texte von Siegfried Kapper) auf das Clavierpult. Er sang sie mir mit einer abschreckenden „Com ponistenstimme“, und dennoch hätte ich seine musikalische Be kanntschaft kaum auf günstigere Art machen können. Wer Dessauer nicht blos als gefälligen Melodiker, sondern als intensiv poetisches Talent kennen lernen will, der singe sich diese „Slavischen Melodien“. Seine beliebtesten, auch in Concerten am häufigsten gesungenen Lieder waren damals die Lockung“, „Nach Sevilla“, der reizende Bolero „Ouvrez, ouvrez!“ und manches Andere, das unsere Sänger und Sän gerinnen der Vergessenheit entreißen sollten. Einige im Jahre 1863 oder 1864 bei Spina erschienene Liederhefte (op. 62, 63, 65) dürften das Letzte sein, was Dessauer veröffentlicht hat. Der melodische Fluß, der anmuthige Bau, die leichte Sangbar keit, welche Dessauer’s Lieder von jeher ausgezeichnet, fehlen auch diesen Gaben nicht. Darunter sind namentlich die Lieder: „Klinge, klinge“, „Hol’ über!“ und „Im Arm der Liebe“ von einschmeichelndem Wohllaut. Ein Mozart’scher Blutstropfen quoll in jeder seiner Compositionen. Von In strumentalwerkenDessauer’s sind mir nur zwei be kannt: eine Sonate für Violoncell und Clavier (op. 58), dreisätzig, ein liebenswürdiges, im besten Sinne brillantes Stück, dann ein Heft Ländler unter dem Titel „Aus den Alpen“. Diese anspruchslose, reizende Gabe brachte uns Dessauer als eine Erinnerung an seinen Aufenthalt in den österreichischen Alpen. Dort fand er sich mit seinem jüngeren Freunde Alexander Baumann fast alljährlich zusammen, und Mathilde Wildauer, das Ideal einer Nandl, war dann meist auch nicht fern. Als in den Fünfziger-Jahren die Nachricht auftauchte, Alexander Baumann dichte einen Opern text für Dessauer, da hofften wir, es werde ein Genrebild aus den österreichischen Alpen sein, was die beiden Freunde gemeinsam ausführen wollen. Die Gebirgswelt der Steiermark und Oberösterreichs war Baumann’s poe tische Domäne; hier herrschte sein engbegrenztes, aber frisches und ursprüngliches Talent nach Herzenslust. Mit jedem Zug dieses Naturlebens, das er mit ganzem Herzen

mitgelebt, war er vertraut, hatte treu und feinfühlend nicht blos die Eigenthümlichkeiten der Sprache und Sitte, sondern die poetische Seele des Landes und Völkchens erfaßt. Nächst Baumann galt wol Dessauer für den anhänglichsten Gast freund in den Alpen. „Verwöhntes Kind“ der feinsten Kreise Deutschlands, Frankreichs und Italiens, hatte er doch zugleich in den österreichischen Bergen beinahe das Bauernrecht erlangt. War auch sein vielseitigeres und gebildeteres Talent keineswegs wie Baumann’s an das Ländchen gebannt, so hatte er doch mit besonderer Liebe dessen kunstlose Melodien aufgefaßt und wiedergegeben. Eine feine Empfänglichkeit und Reproductionskraft für nationale Charakteristik gehörte über haupt zu Dessauer’s hervorstechenden Eigenschaften; seine französischen Romanzen, spanischen Boleros, die „Slavischen Melodien“, endlich der oben erwähnte reizende Ländlerkranz Aus den Alpen“ bezeugen es vollauf. Durch das Zusammen wirken zweier in die Gebirgswelt so warm eingelebter Künstler wie Baumann und Dessauer konnte eine österreichische komische Oper entstehen, ganz einzig in ihrer Art. Der Titel Dominga“, der am 5. Mai 1860 zum erstenmal auf dem Anschlagszettel des Kärntnerthor-Theaters prangte, be lehrte uns, daß die beiden Freunde es vorgezogen hatten, sich weit weg von ihrem Lieblingsland auf spanisches Gebiet zu begeben. Leider! Baumann war im besten Sinne Localpoet und wurzelte in österreichi schem Grund und Boden. Seine spanische „Domingawar gänzlich mißrathen, ein Libretto ohne eine Spur von Handlung, ein zähes Fortspinnen von lauter verbrauchten Situationen. Um diesen geringen Inhalt doch einigermaßen zusammenzudrängen, reducirte Dessauer die dreiactige Oper des inzwischen verstorbenen Freundes Baumann auf zwei Acte. Mit bangem Vorgefühl sah Dessauer die erste Auf führung herannahen. „Leben Sie wohl,“ schrieb er mir am Morgen des 5. Mai 1860, „und weinen Sie mir eine Thräne! Falle ich heute Abends, so geschieht es wenig stens an einem bedeutenden Tage — dem Todestage Napo leon’s I.“ Von einem „Fall“ war natürlich keine Rede; Dessauer und die Darsteller der drei Hauptrollen (Fräu lein Wildauer, Fräulein Liebhardt, Herr Walter) wurden wiederholt gerufen, und die Oper erlebte noch einige gutbesuchte Wiederholungen. Weiter reichte ihre Lebenskraft nicht; sie theilte mit ihrer Vorgängerin „Paquita“ das Schicksal raschen Verschwindens. Letzteres Werk, eine ernste Oper, auf welche Dessauer besonders viel Mühe und Liebe verwendet haben soll, wurde 1850 im Hofoperntheater ge geben. Ich habe, damals von Wien abwesend, nichts davon

kennen gelernt, aber wiederholt günstige Urtheile darüber ver nommen, welche namentlich den Vorzug der „Paquita“ vor der „Dominga“ betonten. Letztere wirkte nur durch einzelne reizende Stücke, das Ganze — obendrein gelähmt durch das ganz interesselose Buch — entbehrte der nachhaltigen Kraft. Das nahende Alter schien sich anzukündigen nicht blos durch die spärlicher quellende Erfindung, sondern ebensosehr in den zahlreichen bedauerlichen Concessio nen, welche hier Dessauer den Sängerinnen und dem trivialeren Geschmack des Publicums machte. Diesen Charakter zug der Aengstlichkeit theilte Dessauer mit Meyerbeer. Die Besorgniß, nicht immer und nicht Allen zu gefallen, dictirte ihm in der „Dominga“ mitunter Coloraturen, Cadenzen und Schlußfälle, die seinem feineren Geschmacke wahrscheinlich selbst nicht zusagten. „Dominga“ blieb die letzte Oper Dessauer’s, welcher, niedergeschlagen durch die halben Er folge seiner Opern, fortan auf die Bühne verzichtete. Seine überaus sensitive Natur empfand überdies auf das peinlichste all die kleinen Widerwärtigkeiten, Intriguen und Hemmnisse, welche von einer ersten Opern-Aufführung unzertrennlich sind. Er litt unbeschreiblich unter diesen Vorbereitungen seiner Dominga“. Mit welcher Kraft und philosophischer Resigna tion Dessauer große Schicksalsschläge, unabwendbares Unheil zu tragen wußte, hat er in seinen langen Leidensjahren ge zeigt; aber was seine Nervosität nicht ertragen konnte, waren die kleinen Nadelstiche des Tages, die durchgehenden Noten des Lebens.

Nach der „Dominga“ zog sich Dessauer von der Oeffent lichkeit immer mehr zurück; in Freundeskreisen trieb aber sein Talent bei zahlreichen Anlässen noch ganz köstliche Blüthen. Ich erinnere mich namentlich einer überwältigend komischen Composition, welche Dessauer für Baumann’s „Gnomen höhle“ schrieb: eine Parodie der „Schöpfung“ von Haydn, mit Recitativen, Arien etc. Eine andere Gelegenheits- Cantate, die von Humor und Melodien sprühte, machte Aufsehen bei einer Geburtstagsfeier der Frau Josephine v. Wertheimstein. Häufig wählte er für derlei musika lische und declamatorische Scherze den böhmisch-deutschen Dialekt, den er mit Virtuosität und drastischer Wirkung be handelte. Solche gesellige Anforderungen und intime Feste unterbrachen wenigstens zeitweilig die trübe, von Jahr zu Jahr melancholischere Stimmung, der sich Dessauer hingab. In einem engeren, intimen Freundeskreise traf ich ihn zuletzt vor sechs bis acht Jahren, wo er mitunter auf ein Stündchen im Salon der unvergeßlichen und unersetzlichen Frau Julie Ladenburg vorzusprechen pflegte. Da setzte er sich denn

auch, in lebhaftem Gespräch mit Unger oder Hlasiwetz, seinen Lieblingen, ans Clavier und spielte auswendig halbe Opern von Mozart, Cherubini, Spohr, Rossini, Auber und Anderen. Hier konnte man das außerordentliche Gedächtniß und den ausdrucksvollen Vortrag des alten Herrn bewun dern. Immer seltener verließ er jedoch seit dieser Zeit seine einsame Hagestolzenwohnung. Er war Hypochonder aus Princip und aus Neigung; das hatte ihm, den häufig Ver stimmten, in dem Bauernfeld-Baumann’schen Kreise den Beinamen „Raunzender“ zugezogen. Der eigenthümlich weiche, klagende Accent seiner Rede ließ diese Ausbrüche von Hypochondrie oft noch tragischer erscheinen, als sie gemeint waren. „Was fehlt eigentlich unserem Dessauer?“ fragte man eines Tages Liszt, der eben von dort kam. „Das weiß er selbst nicht recht,“ erwiderte Liszt; „ich glaube, wenn er den „Don Juan“ componirt hätte, er wäre der gesündeste Mensch.“ In dieser scherzhaften Antwort liegt etwas schlagend Wahres und Ernsthaftes nicht blos für Dessauer allein. Den „Don Juan“ componirt zu haben, wäre noch für manchen Andern eine sehr gesunde Medicin; sie verlängert ganz unglaublich das Leben — nach dem Tode. Was an Dessauer’s Seelenfrieden nagte, kam allerdings nicht blos aus seinem körperlichen Befinden. Die bittere Empfindung, als Künstler nicht nach Verdienst anerkannt zu sein, und die noch viel schmerzlichere, sich selber sagen zu müssen: du hast nicht Alles geleistet, was man von dir hoffte und erwarten durfte — das brannte ihm heimlich auf dem Herzen. Anfangs ein verhätscheltes Kind des Glücks, empfand er später nur um so schmerzlicher den Rückschlag in dem Ver halten des Publicums. Vielleicht hätte er mehr und Größeres, Bleibenderes geschaffen, wäre ihm das Leben nicht von Kind heit auf so leicht gemacht, die Noth, die zehnte Muse, ihm nicht zeitlebens so ganz fremd gewesen. Seine Opern sind vom Strom der Zeit rettungslos fortgeschwemmt, aber das Beste, was Dessauer im Liede geleistet, wird noch lange fort leben oder sollte es wenigstens. Dessauer’s erstes Auf treten fällt in eine sehr ärmliche Periode der Lieder-Compo sition: die Zeit unmittelbar nach Schubert, der im Liede das Höchste geschaffen, darin alle Vorgänger verdunkelt und den Nachfolgern die Hände gebunden hatte. In dieser dürren Periode zwischen Schubert’s Verstummen und dem Auf blühen eines neuen Liederfrühlings in Mendelssohn und Schumann haben Dessauer’s Lieder zu dem Besten und Erquickendsten gehört, was musikalischen Gemüthern Freude und dem österreichischen Namen allwärts Ehre ge macht hat.