Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4280. Wien, Mittwoch, den 26. Juli 1876 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Nr. 4280. Wien, Mittwoch, den 26. Juli 1876 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 26.07.1876
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Zur Erinnerung an Joseph Dessauer und A. W. Ambros. II.

Ed. H. Während die Erinnerung an Dessauer’s Schwanengesang wol den Meisten erloschen ist, umgaukeln uns Alle noch die Geistesfunken aus Ambros’ letzten Feuilletons. Auf Ambros paßt wie auf Wenige Büffon’s viel citirtes Wort: „Le style c’est l’homme“. Er sprach wie er schrieb und schrieb wie er war; unbekümmert um die Form, stets voll Witz und Laune, voll Belesenheit und Bilderreichthum, jederzeit Polyhistor und Improvisator in Einer Person. Mochte Einem die übersprudelnde Beredsamkeit, Anderen der luxuri rende Styl unseres Freundes mehr oder minder zusagen, gelangweilt hat sich gewiß Niemand, indem er ihn hörte oder las. Nie konnt’ ich ein Ambros’sches Feuilleton zur Hand nehmen, ohne daß mir nicht sogleich die bewegliche kleine Gestalt des Autors leibhaftig vor Augen stand, mit der hoch gewölbten grauumlockten Stirne und den so fröhlich durch die Brille blitzenden braunen Augen; ich hörte gleichsam den Aufsatz von ihm selbst vorlesen, mit der eigenthümlich schnei digen Frische seines etwas bohemisch modulirenden Organs. Man weiß, wie ihm die witzigen Einfälle, die Gleichnisse, die Citate, die Anekdoten nur so heraussprudelten, er mochte sprechen oder schreiben, und von was immer. Baron Hel fert, der dem verblichenen Freunde jüngst einen so farbenreichen Kranz von Jugend-Erinnerungen auf das Grab gelegt, wendet in seinem Nachrufe Schiller’s Wort über Jean Paul treffend auf Ambros: „Hieltest du deinen Reichthum nur halb so zu Rathe, wie Jener seine Armuth, du wärst unserer Bewunderung werth.“ Aber gerade hierin lag ein wesentlicher, nicht zu missender Charakterzug von Ambros’ Schaffen. Es gab ihm einen unendlichen Vor sprung vor anderen ähnlich Begabten, daß er für seinen Witz ein so riesiges Material zur Verfügung hatte und seine Production ununterbrochen aus dem Reservoir eines geradezu phänomenalen Gedächtnisses gespeist wurde. Jeder Gedanke ward ihm unwillkürlich zum Stichwort, auf welches ein

Dutzend andere herbeisprangen. Wer da meinte, Ambros jage nach Bildern und Citaten, der irrte; im Gegentheil, seine Einfälle jagten ihn, er war mitunter wie ein ver folgtes Wild auf der Flucht vor seinem unbarmherzig all gegenwärtigen Gedächtniß. War er vollends gerade vertieft im Studium einer älteren Periode der Kunstgeschichte, so drängten sich ihm in der Beurtheilung moderner Musiken Analogien mit diesem oder jenem alten Meister so unwider stehlich auf, daß er ganz übersah, bei wie wenigen Lesern die Erudition und das Interesse für diese antiquarischen Seitenblicke vorauszusetzen sei. Es fiel ihm schwer, über Richard Wagner zu schreiben, ohne in das Florenz des sechzehnten Jahrhunderts, in die venetianischen Madrigalisten, in die dramatischen Experimente des alten Veronesers Monteverde zu gerathen. Einen gutgemeinten Spott über diese Passion nahm er nicht übel, ja er lachte mit uns von Herzen, als eines Tages der Redacteur der Wiener Zeitung ein Täfelchen mit der lakonischen Warnung: „Kein Monteverde!“ auf Ambros’ Schreibtisch stellte. Sein Styl, anfangs fast verwildert durch den Einfluß seines Lieblings-Autors Jean Paul, hat sich später, in Wien namentlich, von diesem athem versetzenden Bilderwust sehr merklich befreit und gereinigt.

Wer Ambros lediglich aus seinen Schriften, nicht auch aus persönlichem Umgang kannte, der besaß kaum die Hälfte von dieser hochbegabten, stets anregenden und immer liebenswürdig heiteren Natur. Und auch von dem, was Ambros geschrieben, darf man nicht blos das Gedruckte kennen, will man seinen unermüdlich blitzenden und funkeln den Geist richtig schätzen. Es gibt Schriftsteller, die ihre Schwingen nur entfalten, wenn sie ein großes Lesepublicum vor Augen und den Druckerjungen hinter sich haben. Im mündlichen Verkehr, im Briefwechsel wollen sie gleichsam nichts vergeuden. Ambros that das gerade Gegentheil; mit vollen Händen warf er im Gespräch, in freundschaftlichen Briefen die besten Einfälle aus. Und so möchte ich, statt weiter über ihn zu sprechen, ihn selbst jetzt sprechen lassen. Was Ambros drucken ließ, ist längst bekannt und gewürdigt. Ueber seinen literarischen Nachlaß, in welchem sich der vierte Band seiner Musikgeschichte nahezu vollendet befinden soll,

hoffe ich den Lesern in einiger Zeit berichten und dabei einen Rückblick auf seine literarische Thätigkeit werfen zu können. In seinen intimen Briefen sprach sich Ambros auch über musikalische Dinge noch frischer und drastischer aus, als in seinen Zeitungsartikeln, wo er, ebenso vorsichtig als nach sichtig, die Stacheln seines Urtheils gern abzuschleifen liebte. Schade nur, daß ich einen der eigenthümlichsten Reize von Ambros’ Correspondenz nicht wiedergeben kann: die sauber ausgeführten Federzeichnungen, welche er fast in jedem seiner kalligraphisch geschriebenen Briefe anbrachte.

Als ich Dr. Ambros in Prag kennen lernte, war er Beamter des Fiscal-Amtes und wohlbestallter Musikreferent der Bohemia. Sein freundschaftliches Entgegenkommen machte mich, den fast zehn Jahre jüngeren Studiosus, gar stolz und glücklich. Durch mehrere Jahre genoß ich alle bedeutenderen Musikaufführungen in Prag doppelt und dreifach, indem ich sie mit Ambros hörte. Ein kleiner, intimer Freundeskreis versammelte sich häufig um Ambros, der diese bescheidenen, durch Vierhändigspielen, Debattiren und Kaffeetrinken aus gefüllten Abende mit dem Namen „Davidsbündeleien“ beehrte, in Nachahmung des von Robert Schumann (mehr in dessen Phantasie als in der Wirklichkeit) gestifteten „Davids bundes“ junger musikalischer Fortschrittler in Leipzig. Ambros nannte sich da „Flamin, den letzten Davidsbündler“, der Jüngste von uns, J. E. Hock, die Perle der Prager Musik professoren, wurde von ihm „Benjamin“ genannt, der Com ponist Joseph HellerObolus“, der Musik-Kritiker Ulm Barnabas“, meine Wenigkeit „Renatus“ u. s. f. Anfangs zierte auch Helfert und später Joseph Bayer diese Zusammenkünfte. Nachdem ich, Ende 1846, der Erste diesen Freundeskreis ver lassen hatte, bekam die Briefpost zwischen Wien und Prag einen lebhaften Aufschwung durch unsere Correspondenz. Die gute vormärzliche Zeit hatte eben viel Zeit — zum Brief schreiben, zum Plaudern, zum Musiciren. Ueberdies sollten nach Ambros’ Versicherung seine Briefe an mich einem eige nen tiefgefühlten Bedürfniß abhelfen. „Mittheilung ist mir nun einmal Bedürfniß,“ schrieb er, „wäre ich als Adam allein im Paradies, ich liefe heraus, um mir à tout prix Gesellschaft zu suchen. Es gibt aber gar viele Dinge, über

welche ich mich gegen Niemanden lieber ausspreche, als gegen dich.“ Das waren die musikalischen. Da berichtet er zum Beispiel gleich über die Aufführung der großen „Leonore“- Ouvertüre von Beethoven: „Sie ist ein Coloß und recht eigentlich die Mutter unserer ganzen heutigen Musik. Lachen mußt’ ich, daß hinter mir Einer sagte: „I nun, ’s ist recht viel Kunst darin, aber sonst —“ „Das ist nur lächerlich, aber wirklich geärgert habe ich mich über einen Philister, der zwei alten Schachteln eine pausbackige Lobrede der Oper im selbstgefälligsten Ton, dem man anhörte, wie sehr sich der Mann zum gnädigen Richter berufen fühle und wie er den ganzen „Fidelio“, wie ein Präceptor eine Kinderarbeit, mit Einem Blick übersehe, vordeclamirte. Der verdammte Kerl sollte Gott täglich Früh und Abends auf seinen Knien danken, daß er wenigstens vom naturgeschichtlichen Standpunkte aus mit Beethoven zu Einer Classe gehört.“ „Ein Quintett von Gade in E-moll hat mir nicht sehr gefallen. Man kriegt es am Ende satt, immer und ewig die Walkyren im Nebel herumtraben zu sehen, und sehnt sich herzlich nach griechischem blauen Himmel und einem guten Schluck Nektar — ohne Bild: nach einer Musik wie etwa Mozart’s G-moll Sym phonie, gar nicht zu reden von dem Mann, der weder pfalz bayrische, noch San-marinesische, noch thurgau’sche, noch goth ländische, noch sonstige Territorial- und Specialmusik schrieb, sondern im großen All umherspazierte, wie auf einer Flur, wo die Sterne als Thautropfen hängen und die Milchstraße als Bächlein mitten durchfließt — et cui nomen est Beethoven.“

Mendelssohn’s Tod,“ klagt Ambros im Decem ber 1847, „kann ich noch immer nicht verwinden. Wir fühlen den Verlust doch nur erst halb. Es ist eine Sonne untergegangen, nun leuchtet freilich noch ein Streif Abend roth, aber auch dieser wird erlöschen, und dann kommt finstere Nacht. Und so hole der Teufel Alles! Balfe for ever! Evviva Verdi! Auf, ihr kleinen Geister, ihr werdet im Preise steigen, denn wenn die Sonne herunter ist, haben auch die Unschlittkerzen ihren Werth!“ Am meisten geräth Ambros ins Feuer, wenn er auf seine Lieblinge Bach,

Gluck, Beethoven zu sprechen kommt. „Wir haben so lange Pfeffer mit Löffeln gefressen,“ schreibt er nach der Auffüh rung von Gluck’sAlceste“ in Prag, „daß uns das ein fache Himmelsbrot anfangs nicht recht schmecken will. Aber es ist gut, wenn alle halbe Jahre so eine Himmelserschei nung wie „Alceste“ oder „Iphigenie“ vorüberzieht. Wer im Stande ist, Gluck nachzufühlen, dessen Herz und Seele ist gut — das behaupte ich fest, ein Schlechter kann es nicht. Alceste“ — ist das eine Musik! Alles so ursprünglich, daß Einem unsere ganze Musik daneben völlig erzwungen und erkün stelt vorkommt. Nun, ich hoffe, Gluck wird unserer Bühne nicht mehr so völlig Fremdling sein, wie bisher, und es freut mich, daß ich ein klein wenig dazu habe beitragen können. Das könnte mich fast versuchen, die Schreiberei nicht ganz aufzugeben, und doch wird es geschehen müssen, denn selber kochen und anderer Leute Kocherei als kritischer Nürnberger Schmeckherr beschnüffeln, das sind unvereinbare Dinge. Sobald mein Es- dur-Trio fertig ist, sperre ich mich ein Jahr ein und treibe wieder contrapunktische Studien, und dann soll was Großes kommen, eine Oper oder so etwas. Und da habe ich noch etwas auf dem Herzen, was ich dir bei dieser Gelegenheit sagen will. Du kennst Immermann’s „Münchhausen“. Nun — darin kommt ein alter Hauptmann vor, der erst unter Napoleon, unter den Rheinbundstruppen, gefochten und dann in den Befreiungsjahren auf deutscher Seite gestanden. Dieser Zwiespalt in seinen Erinnerungen macht den alten Mann halb wahnwitzig, und da hilft er sich endlich zur Ge müthsruhe dadurch, daß er ein Zimmer seiner Wohnung französisch, d. h. mit lauter napoleonischen Erinnerungen, und ein anderes deutsch-patriotisch ausstaffirt und abwechselnd entweder ganz Soldat der Kaiserzeit oder ganz deutscher Mann ist. Siehe, etwas Aehnliches ist es mit dem zusammen gewachsenen Zwilling Dr. Ambros und Flamin, dem letzten Davidsbündler. Der Kunsttrieb in mir war mit aller Kraft nicht zu ersticken — und gleichwol mit meinem Berufe als Jurist nicht zu vereinigen. Aber jene Theilung meines Ichs hat mich gerettet. Der Mensch, der jetzt mit allem Feuer eifer über neue Hofdecrete, mit allem Heißhunger eines Prüfungs

candidaten herfällt, sich in die Geheimnisse des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches vertieft etc., ist Jur. Dr. Ambros, fiscalamtlicher Referent. Aber jener Mensch, der jetzt vor Sebastian Bach und Beethoven verehrend kniet und sich mit Ideen zu großen Musiken trägt und Notenpapier beklext, das ist Flamin, der letzte Davidsbündler. Da siehst du, was eine bloße Idee kann, und darum halte es für keinen Scherz, für keine Kinderei, wenn ich auf meine Eigenschaft als „Flamin“ Gewicht lege — es ist der tiefste Ernst hinter lachender Maske versteckt.“ Niemand wird Ambros das Zeugniß versagen, daß er seine Doppelrolle zeitlebens nicht blos treulich, sondern auch glänzend durchgeführt hat. Oft freilich schien das amtliche Joch ihn niederzudrücken, und die Hofdecrete wollten nicht immer schmecken. Da flüchtete er zu seiner geliebten Kunst und fühlte sich alsbald wie neugebo ren. „Au fond bin ich noch immer der Alte; wäscht man mir den Actenstaub mit etwas Hyppokrene ab, so guckt das alte Flaminsgesicht deutlich heraus. Freilich kann ich mich wie ein Grobschmied nur am Sonntag waschen — und es ist fatal, wenn Jemand, der sonst 365 Dichtertage des Jah res hatte, nun auf 52 reducirt ist. Eben habe ich eine vierhändige Pianoforte-Sonate zusammengeklext, die ich gern mit dir spielen möchte. An einem Oratorium, einem höchst curiosen Ding, skizzire ich. Am wohlsten ist mir jedoch in Sebastian Bach’s colossalen Ton-Labyrinthen, in die ich mich ganz verloren habe. Da ist Alles groß und gewaltig, wie in der ersten Schöpfung; die Ichthyosauri und Plesiosauri schwimmen darin herum, wie anderwärts die Haberfische, und selbst das Farnkraut hat Baumhöhe. Sieht man, wie der alte Perrückenmann aus nichts ganze Welten erschafft, so kommt er Einem vor wie eine Gottheit, auf deren bloßes „Werde“ endlose Schöpfungskräfte zu walten beginnen, wo gegen man sich mit der eigenen Production erscheint, als habe man mit vieler Mühe auf gewöhnliche Weise ein klei nes rotziges Mädel erzielt. Und man läßt es Babi taufen und freut sich sehr darüber.“

Die ungeheuchelte Ehrfurcht, mit welcher Ambros sich vor allem Großen in der Kunst beugte, bildete einen seiner

schönsten Charakterzüge. Was er als groß verehrte, wie Bach, Gluck, Beethoven, das verehrte er ganz, unbedingt und mit schrankenlosem Enthusiasmus. Da ließ er keine Einwendung gelten. Eine tüchtige Strafpredigt trug mir’s ein, als ich einmal gegen den letzten Satz von Beethoven’s Neunter Symphonie einige Ketzereien äußerte. Obwol meine Opposi tion das Riesenwerk nur streifte und eigentlich der Affec tation unmusikalischer Dilettanten galt, die gerade über Ton sätze, für die sie kaum die Auffassung, unmöglich aber wahr hafte Begeisterung aufbringen, sich völlig verzückt geberden Ambros antwortete mir höchlich unzufrieden. „In jenen Stellen (den von mir citirten des Freudenhymnus) stellt sich die Idee so hoch, daß ihr das materielle Tonkleid nicht mehr genügt, daß ihr die vorhandenen disponiblen Mittel nicht mehr zureichen, sie greift nach dem Unmöglichen, was freilich Niemand leisten kann. Jene Mißgriffe sind eine Beglaubigung des Genius, und Alles, was wir kleinen Geister in unseren weihevollsten Stunden denken und schaffen — auch unser Bestes — steht daneben klein und elend da. Wie hättest du vor der heiligen Menschenliebe, die alle die Millionen mit Einer Umarmung umfassen möchte, und in dem 3/2 Adagio nicht den Schauer von der Nähe der Gottheit gefühlt? Jenes Adagio in dem Chor-Finale ist die einzige Musik, die mich Thränen gekostet hat, und nie hat sich der menschliche Geist Gott mehr genähert, als in diesem kleinen Adagiosatz und in dem Briefe Emanuel’s im Hesperus von Jean Paul.“

Ueber die großen Meister vergaß Ambros doch keines wegs der Zeitgenossen und berichtete mir fleißig über die in Prag gehörten Novitäten. „Lindpaintner’s Oratorium Abraham“, schreibt er einmal, „hat uns übel erbaut. Im ersten Theil handelt es sich darum, daß Abraham opfern soll, im zweiten, daß er opfern will, im dritten, daß es doch nicht zum Opfer kommt. Keine Spur von biblischer Hal tung, fade deutsche Gemüthlichkeit à la August Lafontaine, Abraham geberdet sich, als ob er Magistrats-Secretär in Budweis wäre: „O mein Isaak, weiche nie vom Pfade der Tugend!“ die hundertundsechsjährige Sarah singt Schrei-

Arien bis ins hohe B, und diese Fugen, in die sich der Componist unentwirrbar verwickelt, sind wie der berühmte Schöps, den Abraham dann opferte und der mit seinen Hör nern im Dornendickicht hängen geblieben!“

Die März-Revolution machte diesem beschaulich ruhigen, blos von Musik und Literatur sich nährenden Leben bald ein Ende. Zuerst hing auch in Prag der Himmel voller Geigen. „O Eduard, o Mensch, o Freund, kannst du denn noch ruhig herumgehen, oder ist dein Gang ein unaufhörlicher Longitudinar-Walzer? Preßfreiheit, Constitution, keine Naderer mehr, und „der Urquell alles Uebels“ mit Gestank abge zogen! Da reichen Worte allein nicht mehr aus, sondern etwas wie: (folgt in Noten der Eintritt des C-dur-Schlusses im Finale der C-moll-Symphonie) wäre noch ein würdiger Ausdruck unserer Empfindungen!“ Aber nur zu bald endet der Jubel unseres Freundes. „Auch ich,“ klagt er im August 1848, „habe den Champagner-Rausch der Freiheit mitgemacht, und auch ich laborire an dem Katzen jammer, den du in deinem Briefe schildert. Als reine Ta fel gemacht worden, da hofften wir Alle, es werde das Größte und Herrlichste darauf geschrieben werden und die heiligen Worte, die uns begeisterten, in unverwischbaren Charakteren dastehen. Leider aber waren gleich Kerle zur Hand, „zu malen auf das Weiß, ihr Gesicht oder ihren —.“ Was für un glaubliche Eselei, Rohheit, Verkehrtheit jetzt in hellem Son nenlicht herumprunkt, muß man nur selbst sehen! Die Gleichstellung beider Nationalitäten besteht bei uns in Folgendem: (Zwei köstliche Federzeichnungen, Ge genstücke, zeigen hier drei Czechen, die einen Deutschen, und drei Deutsche, die einen Czechen durchprügeln.) Von dem, was ich in diesen Tagen erlebt habe, könnte man vier Evan gelien nebst Apostelgeschichte zusammenschreiben.“ Ambros war nichts weniger als eine politische Natur, sein Interesse an öffentlichen Angelegenheiten schwand rasch nach dem ersten Freiheitsrausch; Verfassungskämpfe, Parteihader, das Alles störte seine Cirkel. Seine fein besaitete Künstlernatur schreckte zusammen vor dem Trommelwirbel der Politik. Ambros ver mied es, wo er nur konnte, Partei zu nehmen, und da er

beider Landessprachen gleich mächtig war, so fiel es ihm nicht schwer, mit den Czechen auf gutem Fuße zu bleiben. „Da man in Prag jetzt nicht mehr weiß, soll man einem Begegnenden „Guten Morgen!“ oder „dobre jitro“ sagen, so habe ich mir einen eigenen Nationalitäten-Gleichstellungs- Grunzlaut erdacht, der, langsam ausgesprochen und in seine Elemente aufgelöst, die Sylben Emme-lem-blem! gibt und noch wunderbarerer Nuancirungen fähig ist, als unseres Freundes Berlioz double idée fixe. Durch besagtes Emme lemblem ist es mir bisher gelungen, mit allen Parteien gut Freund zu bleiben.“ (Federzeichnung: Ambros, einen Hut in jeder Hand, grüßt gleichzeitig nach rechts einen Deutschen, nach links einen Czechen; aus seinem Munde flattert ein „Emmelemblem!“ nach rechts, ein detto nach links.) In den späteren Jahren seines Prager Aufenthaltes, da Ambros mit einer zahlreichen Familie und noch zahlreicheren Arbeiten gesegnet war, kamen seine Briefe immer seltener, am häufig sten noch als Empfehlungsschreiben irgend eines Musikers oder einer Sängerin. „In Jean Paul ist irgendwo die Rede von Leuten, die nach Flötenuhren tanzen — wir Beide cor respondiren in Empfehlungsbriefen, denn außerdem kommen wir selten dazu!“ Bald hörte unsere Correspondenz gänzlich auf — glücklicherweise! Denn Ambros übersiedelte nach Wien, und mir wie ihm war damit ein alter Wunsch er füllt. Ein tröstender Gedanke mag es uns bleiben, daß Am bros sich in Wien glücklich fühlte bis zum letzten Athemzuge, glücklich im Kreise seiner trefflichen Familie, seiner ihm treu anhänglichen Freunde, zufrieden mit seiner amtlichen wie mit seiner journalistischen Thätigkeit, anerkannt, geehrt, geliebt von Allen. Für die Kunstkritik, für das Lehramt, für das Musikleben Wiens ist Ambros kaum ersetzlich, für seine alten Freunde noch weniger. Es gibt einfache Naturlaute des Schmerzes, die mehr sagen, als lange Grabreden und Nach rufe. „Was gäb’ ich darum, wenn ich den herauskratzen könnte,“ sagte jüngst einer von Ambros’ Freunden leise vor sich hin. Dieses Wort mit seiner herben, wahren Empfindung schwirrt mir unaufhörlich im Ohre. Es fällt mir schwer, mit einem andern zu schließen.