Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4302. Wien, Donnerstag, den 17. August 1876 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Nr. 4302. Wien, Donnerstag, den 17. August 1876 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 17.08.1876
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R. Wagner’s Bühnenfestspiel in Bayreuth. 2. Das Theater. Bayreuth, 14. August.

Ed. H. Warum just in Bayreuth? Ein neuer Theaterbau an diesem Ort war ursprünglich gar nicht in Wagner’s Absicht gelegen. Er dachte anfangs das alte Bayreuther Opernhaus, ein stattliches Monument ehemaliger markgräflicher Pracht, für seine Zwecke benützen zu können. Je mehr er aber die nothwendige Umgestaltung überdachte, desto weniger konnte dieses Haus ihm genügen. Wagner erkannte bald, daß er, von Grund aus reformirend, auch von Grund aus bauen müsse, für eine neue Operngattung auch ein neues Theater. Er blieb aber bei dem kleinen, ab gelegenen Bayreuth, um durch keinerlei großstädtische Zer streuung den Zuschauer von seinem Werk abzulenken. Gerade hier zählte er auf die festlichste, denkbar günstigste Stimmung des Publicums. In diesem Punkte scheint sich aber doch, nach übereinstimmenden Aeußerungen zahlreicher Festgäste, der Meister verrechnet zu haben. Ein Städtchen wie Bayreuth ist für so massenhaften Fremdenbesuch in keiner Weise vor bereitet, es fehlt nicht blos überall an Comfort, sondern häufig am Nothwendigen. Ich weiß nicht, ob das wirklich die günstigste Stimmung für einen Kunstgenuß ist, wenn man eine Woche lang unbequem wohnt, elend liegt, schlecht ißt und nach einer fünf- bis sechsstündigen anstrengenden Opern vorstellung nicht weiß, ob man sich einen bescheidenen Imbiß werde erkämpfen können. Auf wenigen Gesichtern ist eine zustimmende Antwort zu lesen, und manchen in heller Be geisterung hier Angekommenen sahen wir gestern bereits in sehr herabgemunterter Stimmung die glühend heiße, staubige Straße zu dem weit entfernten Wagner-Theater hinaufschleichen. Auch die mitwirkenden Künstler äußern gerechtfertigte Bedenken. Wie leicht, sagen sie, hätte mancher erst bei den General

proben zu Tage gekommene Uebelstand (ungenügende Besetzung kleinerer Partien u. dgl.) sich noch beheben lassen in einer Großstadt, während hier eine Aenderung nicht mehr möglich ist. Ein ausgezeichnetes Mitglied des hiesigen Orchesters hatte das Mißgeschick, mit einem unterwegs halbzertrümmerten Violoncell anzukommen; in jeder Hauptstadt wäre es leicht reparirt worden, Bayreuth besitzt aber keinen Instrumenten macher. Es soll dieses Capitel nicht weiter ausgemalt werden, welches mit dem Motto: „Wer nie sein Brot in Bayreuth aß“ sich besser für humoristische Behandlung eignet. Nur meine, hier gründlich bestärkte Ueberzeugung wollte ich aus sprechen, daß ein großes künstlerisches Unternehmen auch in eine große Stadt gehört.

Und die Bestimmung des Wagner-Theaters? Besteht es, so wird jetzt häufig gefragt, wirklich nur für den „Ring des Nibelungen“? Wagner’s Antwort lautete anfangs: „Diese neue Institution soll zunächst nichts Anderes bieten, als den örtlich fixirten Vereinigungspunkt der besten theatralischen Kräfte Deutschlands zu Uebungen und Aufführungen in einem höheren Original styl ihrer Kunst.“ Also Mustervorstellungen als solche. In seinem „Schlußbericht“ zieht Wagner den Kreis schon enger und meint, daß die Bayreuther Aufführungen „in immer weiterer Ausdehnung vielleicht jede Gattung dramatischer Arbeiten“ aufnehmen dürften, welche der Originalität ihrer Conception und ihres wirklich deutschen Styles wegen auf eine besonders correcte Aufführung Anspruch er heben können“. Daß hierunter nicht ursprünglich italienische Opern, wie „Don Juan“, oder französische, wie „Armida“, auch nicht mit gesprochenem Dialog versetzte, wie „Der Freischütz“ oder Fidelio“ gemeint sind, weiß jeder in Wagner’s Schriften Belesene. Es wäre auch wirklich ein thörichtes Unternehmen, eigens nach Bayreuth zu reisen, um Opern von Mozart, Beethoven und Weber zu hören, die man an unseren Hoftheatern gut genug aufzuführen pflegt. Niemand macht sich mehr eine Illusion darüber, daß der für die Nibelungen errichtete

Theaterbau auch fortan nur den Nibelungen gehört. Dabei drängt sich aber unwillkürlich das Dilemma auf: Entweder ist Wagner’s „Nibelungenring“ wirklich blos in diesem „Bühnenfestspielhause“ aufführbar — dann stünde Wagner’s ungeheure Arbeit in gar keinem Verhältniß zu dem schnell verrauschenden Erfolg — oder das Werk kann und soll auch auf anderen großen Theatern dargestellt werden — dann erscheint der Bau eines so kostspieligen eigenen Theaters doch als ein sonderbarer Luxus. So unerbittlich aber Wagner auch unsere Theater verdammt, mit denen er „nie wieder in Berührung kommen“ will, es drängt doch Alles zu unserer zweiten Annahme, und Wagner selbst wird sich schwerlich dagegen stemmen. Jedes ernste Kunstwerk will mehrmals gehört sein; es erreicht seine volle Wirkung und Würdigung erst durch den wiederholten, periodisch wiederkehrenden Ein druck. Das Hauptwerk seines ganzen Lebens auf Bayreuth beschränken zu wollen, gliche fast einem künstlerischen Selbst mord. Die Anzahl der wohlhabenden Bayreuth-Pilger ist lange nicht so groß, als Wagner sie für sein Werk wünschen muß; am wenigsten repräsentiren diese „Patronatsherren“ das deutsche Volk, für welches ja der „Nibelungenringbestimmt sein soll. Will Wagner mit seiner größten Schöpfung nicht blos eine Handvoll Menschen an Einem Orte und ein- für allemal ergötzt haben, sondern damit Wurzel fassen in der Nation, dann muß er sie ohneweiters den verwünschten „Opernbühnen“ anvertrauen. In der That steht bereits fest, daß Wien demnächst die „Walküre“, München sogar die ganze Trilogie aufführen wird. Diese Bühnen werden, wenn ich nicht irre, das Werk wol mit etwas geringerem Maschinen zauber, aber musikalisch zufriedenstellend darstellen können. Sollte der „Nibelungenring“ in Wien, München, Berlin, Dresden keine Lebensfähigkeit bewähren, blos weil etwa die farbigen Dämpfe da weniger qualmen, die Rheintöchter un eleganter schwimmen und die Walküren langsamer reiten, dann müßte es mit der Hauptsache, mit dem musikalischen

Kern des Werkes schlecht bestellt sein. Je echter und stärker die innere poetische Kraft eines dramatischen Werkes, desto leichter verträgt es Unvollkommenheiten der Darstellung und Ausstattung. „Don Juan“ und der „Freischütz“, „Egmontund die „Räuber“ packen die Gemüther auch in bescheidenen Provinztheatern. Und Wagner’s Opern selbst, diejenigen, welchen er seinen Ruhm, seine Beliebtheit und damit die Möglichkeit des ganzen Bayreuther Unternehmens verdankt — „Tannhäuser“, „Holländer“, „Lohengrin“ — sie haben auf kleinen Bühnen ihm den größten Anhang erobert. Der glänzendste Erfolg der „Nibelungen“ in Bayreuth — er war ja so gut wie assecurirt — ist noch keine Goldprobe für Werth und Wirkung dieser Composition. Dazu ist nothwendig, daß nunmehr Bayreuth nach Europa reise, nachdem Europa nach Bayreuth gereist ist. Einmal kam der Berg zum Propheten, jetzt wird der Prophet zum Berge müssen.

Das Wagner-Theater selbst gehört zu den interessante sten und belehrendsten Sehenswürdigkeiten. Nicht durch sein Aeußeres, das architektonisch dürftig ist und nur durch seine Lage imponirt, sondern durch die sinnreiche Neuheit der in neren Einrichtung. Gleich der Eintritt in den Zuschauer raum überrascht: amphitheatralisch im Halbkreis aufsteigende Sitzreihen, hinter welchen eine niedrige Galerie, die „Fürsten loge“, sich erhebt. Sonst keine Loge im ganzen Hause, an deren Stelle Säulen rechts und links. Der Zuschauer sieht von jedem Sitze gleich gut und ungehemmt die Vorgänge auf der Bühne, und nichts als diese. Bei Beginn der Vorstellung wird der Zuschauerraum vollständig verfinstert; die hellerleuchtete Bühne, auf welcher weder Seiten- noch Fußlampen sichtbar werden, erscheint wie ein farbenglänzendes Bild in dunklem Rahmen. Manche Scenen wirken fast wie Transparentbilder oder An sichten in einem Diorama. Wagner erhebt damit den Anspruch, „das scenische Bild solle dem Zuschauer in der Unnahbarkeit einer Traumerscheinung sich zeigen“. Am merk würdigsten ist das unsichtbare Orchester, der „mystische Abgrund“, wie es Wagner nennt, „weil er die Realität von der Idealität zu trennen habe“. Das Orchester ist so tief

gelegt, daß man an den Maschinenraum eines Dampf schiffes gemahnt wird. Ueberdies ist es durch eine Art Blechdach fast gänzlich verdeckt. Die Musiker ha ben nicht den geringsten Ausblick auf die Bühne oder auf das Publicum, nur der Capellmeister kann die Sänger sehen, nicht aber die Zuschauer. Den genialen Gedanken Wagner’s, uns in der Oper von dem störenden Anblick all der geigenden, blasenden und schlagenden Musiker zu befreien, habe ich längst und wiederholt gewürdigt und dafür, nach dem Münchener Vorbild, Propaganda zu machen versucht. In seinem Bayreuther Theater scheint mir jedoch damit zu weit gegangen, oder besser gesagt, zu tief, denn ich vermißte das ganze „Rheingold“ hindurch zwar nicht die Deutlichkeit, aber den Glanz des Orchesters. Selbst die stürmischesten Stellen klangen wie gedämpft und verdeckt. Den Sängern geschieht damit ohne Frage eine Wohlthat, aber doch ein wenig auf Kosten der Instrumental-Partie, welcher ja gerade in diesem Werke das Bedeutendste und Schönste anvertraut ist. Nach dem gedämpften Klang würde kaum Jemand die numerische Stärke dieses Orchesters vermuthen, dessen acht Harfen zum Beispiel wie zwei oder drei klingen. Aber nicht nur in Hauptsachen, wie die Stellung des Orchesters, auch in Nebendingen ist Wagner bemüht gewesen, neue Anordnun gen zu treffen, um so wenig als möglich an unsere „Opern theater“ zu erinnern. So wird das Zeichen zum Anfang des Stückes und zu jedem Akt nicht durch Glockensignale, sondern durch eine Trompeten-Fanfare gegeben; der Vorhang geht nicht auf und nieder, sondern in der Mitte auseinander und so weiter.

Ueber das Vorspiel „Rheingold“, das gestern in überwiegend guter, theilweise vortrefflicher Aufführung den Anfang des Festspiels machte, soll demnächst im Zusammen hang mit den drei folgenden Stücken berichtet werden. In aller Kürze möchte ich den Eindruck dieses ersten Abends als einen scenisch blendenden, aber musikalisch dürftigen und er müdenden bezeichnen. In letzterer Hinsicht wird er ohne Frage von den drei folgenden Abenden übertroffen werden.