Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4469. Wien, Sonntag, den 4. Februar 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4469. Wien, Sonntag, den 4. Februar 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Musik. (Hofoperntheater. — Komische Oper. — Sing-Akademie.)

Ed. H. Kein guter Freund war es, oder kein weiser, der dem Director des Hofoperntheaters die Wiederaufnahme von Auber’s fast verschollener „Ballnacht“ anrieth. Die Erfolglosigkeit dieser Mühe war leicht vorauszusehen. Ungleich manchen frisch gebliebenen und noch lange frisch bleibenden Opern Auber’s („Stumme von Portici“, „Fra Diavolo“, Der schwarze Domino“) erzielt gerade seine „Ballnachtheute keine Wirkung mehr. Das liegt zum Theil in der Schwäche und Leerheit der Musik selbst, also in inneren Gründen, zum Theil in der hinzugetretenen überlegenen Con currenz des Verdi’schen „Maskenball“. „Gustave III, ou: Le bal masqué“ gehört durch sein Libretto zu den spannendsten und lebendigsten Opern Auber’s, der Musik nach zu seinen kühlsten, oberflächlichsten. Auber wußte dies und entschul digte sich mit der athemlosen Eile der Arbeit. Als die Proben von „Gustav“ begannen, hatte Auber kaum die zwei ersten Acte componirt; vom December bis zum Februar mußte er die ganze Oper vollenden und instrumentiren inmitten der über Hals und Kopf betriebenen Theaterproben. Er ver brachte den ganzen Tag im Theater und arbeitete die Nächte durch. Für die Große Oper war eigentlich weder Auber’s Partitur, noch Scribe’s Libretto das Ziel so begeisterter Anstrengungen, sondern die Scenirung des großarti gen Maskenballets im fünften Acte. Dieses Ballet verpflanzte den Glanz und den Sturm der berühmten Pariser Opernbälle auf die Bühne selbst und begründete den großen Erfolg der Oper. Seit dem 27. Februar 1833, dem Tage der ersten Auffüh rung, zog „Gustav III.“ mit seiner Ballnacht das Publicum massenhaft ins Theater. Die Oper hatte sehr wenige Num mern von tieferem Gehalte aufzuweisen; fast schien sie dem Schlußgalopp zuliebe componirt, wie später der „Dom Se bastian“ von Donizetti wegen des berühmten Trauermarsches. Nur wenige Partien in „Gustav III.“ verriethen das große, glänzende Talent des Componisten, am meisten noch die gra

ziöse Rolle des Pagen und einige kleine Stückchen im zweiten und dritten Acte. Alles das unterschätze ich nicht, ja ich habe es, in Kinderträumen befangen, lange Zeit sehr überschätzt, überschätzt bis knapp vor der neuesten Aufführung der „Ball nacht“ im Hofoperntheater. Da zerriß seufzend der letzte Schleier von Illusion, welchen die Jugendeindrücke vergol dend darüber gelegt. Wie lange hält noch solche Vergoldung auch in der Phantasie! Wie gläubig hofft man, nicht Alles zwar, aber doch Vieles von dem alten Zauber wiederzufinden in der seit Jahrzehnten verschollenen Oper! Leider machte ich an mir die betrübende Wahrnehmung, daß mich die Musik zur „Ball nacht“ vollständig kalt ließ. Obgleich glückliche Erinnerungen die besten Resonatoren sind, um das Schöne doppelt stark aus jedem veralteten Werke herauszuhören — es wollte nicht gehen. Es ist oft recht heilsam, solche wehmüthige Erfahrung an sich selbst zu machen, und zu beobachten, daß nicht blos „die Zeiten“ sich ändern, sondern die Kritiker gleichfalls. Als Verdi auf dasselbe Libretto die Oper „II ballo in mas chera“ componirte und diese in Wien erst italienisch, dann deutsch zur Aufführung kam, fand ich sie zwar in den leiden schaftlichen Scenen und dramatischen Effecten der Auber’schen Ballnacht“ überlegen, erklärte es aber trotzdem für bedauer lich, wenn diese verdrängt durch Verdi würde. Heute empfinde ich nichts mehr von solchem Bedauern; aus Auber’s „Ball nacht“ kommend, weiß ich besser als je, daß Verdi’s Oper nicht blos mit dem Reize des Neuen über das Alte, sondern mit dem guten Rechte des Stärkeren über den Schwächeren gesiegt hat. In Verdi’sBallo“ lebt eine reichere musika lische Erfindung, eine intensivere dramatische Gewalt, eine glühendere Leidenschaft. Manches darin ist roher als bei Auber, Alles aber größer und bedeutender. Der erste Act (bei Verdi nicht viel werth) ist bei Auber von geradezu er schreckender Leerheit. Wie tief steht des Herzogs Entrée-Arie bei Auber unter der ersten Romanze bei Verdi! Der zweite und dritte Act sind bei Verdi ohne allen Ver gleich kräftiger, bedeutender, musikalisch reicher und drama tisch lebendiger als bei Auber. Nur im vierten Acte (Terzett der drei Verschwornen) möchte ich der Composition Auber’s den Vorzug geben; hier siegt die Einfachheit des Franzosen

über das triviale Harfen- und Posaunen-Pathos des Ita lieners. Einige flotte Melodien in der Ballnacht („Alte Sy bille“ und dergleichen) begrüßten wir als gute alte Bekannte, fanden sie aber sehr alt geworden. Für die leichte, tän delnde Grazie solcher Musik sind vierundvierzig Jahre eine beträchtliche, kaum länger zu tragende Last. Die Achtung vor Auber, den ich liebe, möchte ich selbst zum Scheine nicht ver letzen: es galt hier, Oper gegen Oper, Ballnacht gegen Ball nacht abzuwägen, nicht die Tondichter selbst gegen einander. Und auch diese Eine Oper, die den Erfolg für sich hat, Verdi’sMaskenball“, hat eben zugleich das Glück, fünf undzwanzig Jahre jünger zu sein, als ihre französische Ri valin. Sie ist heute die bessere Oper, im Jahre 1833 wäre sie es noch nicht gewesen, und im zwanzigsten Jahr hundert wird sie es wahrscheinlich nicht mehr sein neben einer neueren dritten.

Möge man aber den musikalischen Werth von Auber’s Ballnacht“ höher oder niedriger taxiren, die Wieder einführung dieser Oper ist und bleibt ein Fehltritt auf jedem Theater, welches den Verdi’schen „Maskenball“ im Reper toire hat. Es ist ein Erfahrungssatz, fast so unanfechtbar wie ein Naturgesetz, daß zwei Opern mit demselben Libretto heutzutage nicht neben einander bestehen können und auch nicht gleichzeitig sollen gegeben werden. Verdi’s „Masken ball“ hatte hier wie anderwärts die halbvergessene „Ball nacht“ von Auber vollständig verdrängt. Daß man jetzt den Stiel umkehren und eine gewaltsame Restauration vornehmen will, das heißt die effectvollere, modernere Oper durch die abgesetzte ältere wieder vernichten, ist ein dramaturgischer Un sinn. Vor dem 31. Januar 1877 konnte die „Ballnachtwenigstens noch in unseren rosigen Jugenderinnerungen leben; jetzt ist sie erst recht verloren. Die Masken-Galoppade wird sie nicht retten, und der neue pikante Reiz der Hoftracht Louis’ XV. ebensowenig. Man spielt nämlich jetzt die „Ball nacht“ in diesem Costüm, gepudert, mit Haarbeutel und Degen. Für jedes tragische oder heroische Drama ist dieses Costüm ein Unglück und zu vermeiden, wo dies nur immer mög lich. Dr. Louis Véron, der berühmte Pariser Opern-Director, von welchem Auber das (zuerst Rossini zugedachte) Textbuch

zur „Ballnacht“ erhielt, erzählt in seinen Memoiren, daß das Costüm dem Eindruck diese Oper in Paris sehr geschadet habe. „Gepuderte Schauspieler,“ fährt Véron fort, „fühlen sich immer genirt, leidenschaftliche Gefühle auszusprechen; die Zierlichkeiten und Koketterien jener Epoche passen mehr für das Lustspiel. Mademoiselle Mars, die berühmte Tragödin, bestätigte das; sie wollte keine dramatische Rolle mehr mit gepudertem Haar spielen, weil Eine heftige Bewegung Lachen erregen kann, indem sie eine Wolke von Puder hervorbringt. Die Sänger (in der „Ballnacht“) waren also zu einer Reserve und Unbeweglichkeit genöthigt, welche über alle Situationen Kälte verbreitet.“ Aehnliches war hier zu be merken, sogar mit einem leichten Stich ins Komische: der tapfere Held Reuterholm sah in seiner rothen Weste und hohen Stiefeln, gepudert und behaarbeutelt einem fürst lichen Kutscher bedenklich ähnlich. Da man nun auf dem Theaterzettel die beiden historischen Namen, Gustav III. von Schweden und Ankarström, gestrichen und durch frei erfundene Olafs und Reuterholms ersetzt hat, so ist nicht einzusehen, warum die historische Correctheit sich gerade auf das Costüm werfen muß, das zur Zeit Gustavs III. am Hofe zu Stockholm getragen wurde. Die neue Besetzung hat für den Erfolg der „Ballnacht“ keineswegs Besonderes ge leistet. Am passendsten waren Fräulein Tagliana als Page und Herr Müller als Herzog Olaf verwendet; unseres Erinnerns ernteten nur sie im Laufe des Abends einen halbwegs lebhaften Beifall. Uebrigens schienen Herr Müller sowie Frau Materna (Amalie) sich fortwährend zu erinnern, welch dankbarere Aufgabe sie Scene für Scene bei Verdi haben. In der Auber’schen Rolle fühlen die meisten deutschen Sän gerinnen sich genirt durch die quecksilberne Beweglichkeit der Melodie und die ganz französische Coloratur. Das schöne, etwas schwere Organ der Frau Materna kann sich weder in das flüchtige Parlando der einen, noch in die etwas krausen Schnörkel der andern fügen. Wo der Gesang leidenschaft licher wird und sich getragener ausbreitet, da leistet Frau Materna selbst mit etwas angegriffener Stimme, wie in der Ballnacht“, Effectvolles. Eine Hauptsache für diesen Opern styl, die Deutlichkeit der Aussprache, vermißten wir fast bei

allen Mitwirkenden, am empfindlichten bei Herrn Roki tansky (Reuterholm), dessen Text ein tiefes Geheimniß blieb. Ueberhaupt wurde dieser hochgeschätzte Sänger seiner Rolle nur in den beiden ruhiger hinfließenden ersten Acten gerecht; im dritten und vierten will es ihm nicht gelingen, eine anhaltend leidenschaftliche Erregung auszudrücken. Stimme und Gesichtsausdruck kommen bei Rokitansky selten über einen gewissen trotzigen Gleichmuth hinaus. Im dritten Acte raffte er sich, beim Erkennen seiner Gattin, zu einer Geste äußersten Schreckens auf, eine Anstrengung, für die er sich in den folgenden Acten gründlich als wahrer Philosoph ent schädigte. Die für das Ensemble sehr wichtigen kleineren Rollen der Zigeunerin, dann der beiden Edelleute Dehorn und Warting wurden von Frau Jaïde, den Herren Alexy und Schittenhelm ganz befriedigend gegeben. Das Beste an der neuen Mise-en-scène blieb das Maskenballet und die malerische Schneelandschaft (Aussicht auf Stockholm) im dritten Acte. Das Publicum hatte sich zahlreich eingefunden, ging aber mit allen Symptomen einer ansteckenden Ent täuschung auseinander.

Wir haben jüngst in Kürze von Großman’s komi scher Oper „Der Geist des Wojwoden“ gesprochen. Ein doppelt erfreulicher Erfolg, weil er ein neues, schönes Talent ans Licht gezogen und weil er endlich die Komische Oper wieder einmal in ihr eigentliches Fahrwasser gelenkt hat. Dieses Theater hatte beinahe jede Erinnerung an seinen Namen und jede Selbstkritik verloren, gab in jüngster Zeit fortwährend Opern, welche die Kräfte seines Personals weit überschritten und dem abgespieltesten Repertoire des Hof operntheaters angehörten. Das unbegreiflich lange Gastspiel eines einst berühmten Tenoristen, welcher schon vor vierzig Jahren die Karlsruher und Frankfurter erfreut hat, über gehen wir mit Stillschweigen. Wenn ein bejahrter, sehr be leibter, von Athemnoth geplagter Mann, der nur noch in der Maske eines bösen alten Juden (Eleazar) auf der Bühne möglich ist, so wenig Selbstkenntniß oder Selbstachtung besitzt, um in Wien als jugendlicher Liebhaber, wie George Brown, Fra Diavolo, Lyonel u. s. w., aufzutreten, dann entzieht er sich eigentlich jeder ernsthaften Kritik. „Der Geist des Wojwoden

hingegen findet in der Komischen Oper eine gute Darstellung, ergötzt durch harmlose Luftigkeit das große Publicum, interessirt in nicht gewöhnlichem Grade den Musiker und ist durch die glückliche Charakteristik nationaler Besonderheiten (Polen, Ungarn, Czechen) speciell für Oesterreich wie gemacht. Die Musik Herrn Großman’s gewinnt vor Allem durch Frische und Natürlichkeit; wenn sie auch nicht überall bedeutend oder originell klingt, so klingt sie doch auch nirgends affectirt und geschraubt. Der Componist weiß manche Nummer von unbe deutenderer Erfindung durch geschmackvolle, distinguirte In strumentation überraschend zu heben; auch mancher geist reiche, harmonische und rhythmische Zug zeichnet die Partitur aus. Kräftigste Wirkung machen natürlich die nationalen Nummern (darunter eine ganz reizende Ballet-Mazurka mit Chor); aber auch die ernsten Stücke, in welchem der deutsche Styl durchwegs vorherrscht, enthalten allerliebste Einzelheiten. Das große Quintett im dritten Act („Ich höre Geräusch“), zu welchem sich nach und nach die einzeln im Waldesdunkel heranschleichenden Personen vereinigen, erinnert an die besten ähnlichen Ensembles von Lortzing. Freilich sollten alle darin Mitwirkenden und nicht blos einige derselben Stimmen haben und singen können. Wie immer, müssen wir Frau Charles-Hirsch, diesen musikalischen Solitär der Komi schen Oper, zuerst nennen; die Mazurka im zweiten Act singt sie ebenso virtuos als geschmackvoll. Die Komiker Hanno und Stelzer zeichnen sich durch eminente nationale Charak teristik aus und werden von Fräulein Tomsa, den Herren Grengg, Steiner und Groß lobenswerth unterstützt. Wir wünschen nur, daß der Erfolg der Novität den Compo nisten Herrn Großman zu neuer, lebhafterer Thätig keit anspornen möchte.

Am 2. d. M. gab die Wiener Sing-Akademie unter Herrn Weinwurm’s Leitung ein sehr gut besuchtes Concert. Den Anfang machte ein tiefernster, kunstvoll ver schlungener Chor von Brahms („Heimat“); es folgte ein recht wohlklingender, von J. Rheinberger („Maienthau“), endlich ein schon durch die unglückliche Wahl des Textes halb gelieferter Chor von Grädener („Des Sängers Harfe“). Ein König und ein Harfner liegen todt in zwei Särgen

neben einander; der erste das Schwert, der zweite die Harfe an der Seite. Nach allerlei Umwälzungen streifen „milde Lüfte“ über die Särge, des Sängers Harfe ertönt, aber das Schwert nicht, was wir ganz natürlich finden. Aus dieser Thatsache, daß wol Harfen, nicht aber Schwerter im Winde klingen, macht der Dichter ein allegorisches Aufhebens, das der Poesie zusteht, in der Musik jedoch ein sehr mate rielles Aufhebens wird. Herr Grädener feiert diesen Harfennachklang mit einem so maßlosen Fortissimo der Stimmen in angestrengtester hoher Lage und so opernmäßi gem Verweilen, daß es für ein Concert von Schwertern eben auch ausreichte. — Die zweite Abtheilung des Concerts füllte das „Italienische Liederspiel“ von En gelsberg, Text von Paul Heyse. Wir haben diese ebenso reizende wie charaktervolle, an schönen Melodien geradezu überreiche Composition bei Gelegenheit ihrer ersten und zweiten Aufführung gewürdigt. Seither ist das Werk in sehr hübscher Ausstattung (bei Buchholz und Diebel in Wien) erschienen und darf somit einer weiteren Verbreitung und häufigeren Wiederholungen getrost entgegensehen. Die jüngste Aufführung des „Italienischen Liederspiels“ konnte zwar jene vorletzte im großen Musikvereinssaal (mit Fräulein Raba tinsky, den Herren Müller, Bignio und Krauß) nicht erreichen, wußte aber dennoch den Schönheiten des Werkes gerecht zu werden und die Hörerschaft zufriedenzu stellen. Fräulein M. Widl, deren starke Sopranstimme nach dem Theater hinweist, dann die Herren Schultner, Schmidtler und Maas wurden mit reichem Beifall gelohnt. Nur Eines dünkt uns noch erforderlich für die volle, richtige Wirkung des „Italienischen Liederspiels“: eine Orchester-Begleitung. Das Clavier, möge es auch so vor trefflich behandelt werden, wie diesmal von Professor Lands kron, bietet den vollen Chören ein zu schwaches Fundament und den wechselnden Stimmungen des Gedichtes ein zu gleich mäßiges, monotones Colorit. Gutem Vernehmen nach hat der Componist eine vollständige Orchester-Begleitung zu seinem Italienischen Liederspiel“ geschrieben, welche uns zu einem lohnenden Versuch sehr einladend erscheint.