Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4506. Wien, Dienstag, den 13. März 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4506. Wien, Dienstag, den 13. März 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 13.03.1877
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Concerte.

Ed. H. Das letzte „Gesellschafts-Concert“ begann mit den zwei einzig vorhandenen Sätzen von Schubert’s un vollendeter H-moll-Symphonie und schloß mit Mozart’s Türkischem Marsch“ in der effectvollen Instrumentirung von Herbeck. Zwischen diesen beiden Endpunkten des Pro gramms standen zwei neue Erscheinungen: der Pariser Violin-Virtuose Sauret und eine neue größere Compo sition von Herbeck: „Lied und Reigen“. Herr Emil Sauret entlockt seiner Geige leider nur ein kleines Ton volumen von dünnem, fast spitzem Klang, erreicht daher in der einfachen, auf breiten Vortrag berechneten Cantilene keinen tieferen Eindruck auf den Hörer. Hingegen gehört er in Bezug auf technische Bravour zu den Hexenmeistern. Die Schnelligkeit und Reinheit, mit welcher dieser Virtuose Octa ven- und Terzenläufe ausführt und in Passagen oder Trillern bis in die höchsten Schneeregionen der Applicatur dringt, erregt Staunen. Das Fis-moll-Concert von H. W. Ernst (erster Satz) hatte Herr Sauret wahrscheinlich nur gewählt, weil es dem Virtuosen derlei schwierige Aufgaben in Fülle darbietet. Die Composition selbst ist trotz ihrer finstern Po saunenstöße und Paukenwirbel, trotz ihrer angestrengt tragi schen Miene doch sehr unbedeutend; am ehesten darf man sie vom Standpunkt der Virtuosität loben. In früherer Zeit gingen allerdings die Concert-Componisten gern zu weit in der einseitigen Voranstellung der Bravour, welche aus ihrem Passagen-Feuerwerk gar stolz auf das unterthänige Orchester herabsah. Uns dünkt aber, daß unsere Modernen, wenn sie Violin-Concerte schreiben, wieder zu wenig für den Virtuosen thun, dem sie zwar harte, aber wenig lohnende Nüsse zu knacken geben. Mit der Wahl von Ernst’s Fis-moll-Concert hat Herr Sauret diesen Componisten fast aus völliger Ver schollenheit gezogen. Und es ist doch nicht so lange her, daß Ernst’s Othello-Phantasie auf allen Virtuosen-Programmen stand, seine „Elegie“ jeden Violinspieler in eine Thränen weide verwandelte und vollends der „Carneval von Venedig“, von sämmtlichen Solo-Instrumenten annectirt, eine euro päische Landplage bildete! Ernst selbst wußte freilich den

Adel und die Liebenswürdigkeit seiner Individualität jederzeit in den Vortrag seiner eigenen Compositionen zu legen. Herr Sauret, dessen weiteren Productionen wir mit Interesse entgegensehen, wurde durch lebhaften Beifall und Hervorruf ausgezeichnet. Herbeck’sLied und Reigen“ zeugt von dem sinnigen Bestreben dieses Componisten, neue Formen und Combinationen zu schaffen, gleich seiner jüngst aufge führten „Künstlerfahrt“, die auch ihrem Inhalt nach dazu ein Seitenstück bildet. Ein ländliches Fest mit Gesang und Tanz — Lied und Reigen — spielt sich durch sechs kleine Scenen vor uns ab, welche abwechselnd dem Chor und dem Orchester zufallen. „Mailied“, „Traurige Kirmeß“, „Minne lied“ (von Walther von der Vogelweide), endlich „Dorf runde“ lauten die Titel der Chöre, von denen das Mailied und das Minnelied rein vocal, die anderen vom Orchester begleitet sind. Dazwischen erklingen drei Orchesterstücke: „Unter der Linde“, „Fremde Spielleute“ und „Schlußreigen“. Kurze Orchester-Zwischenspiele leiten, stets an das letzte Hauptmotiv anknüpfend, unmittelbar in die nächste Num mer über, eine Anordnung, die uns entschieden dafür zu sprechen scheint, daß der ganze Cyklus in Einem Zusammenhange gespielt werden und nicht nach jeder Num mer durch Abklopfen unterbrochen werden sollte. Die Form interessirt durch ihre Neuheit und dürfte bei einer glückliche ren Zusammensetzung eine Zukunft haben. Dem Herbeckschen Cyklus fehlt, um gleich dessen schwache Seite zu nennen, die rechte Einheit, welche den Hörer diese einzelnen Stücke als etwas nothwendig Zusammengehöriges, organisch aus einander sich Entwickelndes empfinden ließe. Einmal wird die Einheit der Stimmung sogar grell unterbrochen: durch den Chor „Traurige Kirmeß“, worin der Liebhaber „Kreuz und Licht“ zum Sarge seiner todten Geliebten trägt. Für den kleinen Rahmen dieser fröhlichen Idylle ist solch ein Contrast zu gewaltsam, der allenfalls in einem Roman oder einem Drama seine richtige Ausführung finden kann. Auch manche andere Seltsamkeit befremdet den Hörer, wie das langaus gesponnene Verklingen des „Schlußreigens“, der doch an demselben Platz ausgetanzt wird, wo er begann, oder der Ruf des Nachtwächters, der die guten Leute nach Hause tutet, ehe sie noch angefangen haben, sich recht zu unterhalten. Ueber alle diese Bedenken hinweg erfreuen wir uns jedoch

an zahlreichen schönen Einzelheiten der Composition, wie dies von Herbeck nicht erst gesagt zu werden braucht. Von seiner erprobten Kunst im Chorsatz, der immer stimmgemäß und prächtig klingt, gibt insbesondere das „Minnelied“ neues Zeugniß, während in den drei Orchesterstücken, insbesondere dem „Schlußreigen“, die bei allem Farbenreichthum discrete und elegante Instrumentirung den Hörer unausgesetzt erfreut. Die Novität, in welcher unser „Singverein“ durch fein schattirten Vortrag excellirte, wurde lebhaft applaudirt, der Componist wiederholt gerufen.

Es war dies das jüngste, zugleich auch mit nur zwei Ausnahmen das einzige größere, hervorragende Concert in einer langen Reihe von Musik-Productionen. Unter jenen erfreulichen Ausnahmen meinen wir das siebente Philharmo nische Concert und Walter’sSchubert-Abend“. Drei reizende, vielleicht nur etwas zu nahe verwandte Tondich tungen bildeten den Inhalt des Philharmonie-Concerts: Schumann’sSinfonetta“ (Op. 52), Mendels sohn’sMusik zum „Sommernachtstraum“ und Volk mann’s dritte Serenade, deren Andante, eine melancholische Puszta-Landschaft in Lenau’s Geschmack, durch den gesang vollen Ton des Cellisten Hummer einen besonderen Reiz erhielt. Der Tenorist Herr G. Walter, als Liedersänger nach Gebühr anerkannt und gefeiert, hat in einem eigenen Concert den ganzen Cyklus der Schubert’schen „Müllerliedervorgetragen. Für die jüngere Generation unserer Concert besucher ist dieses Experiment neu — es sind über zwanzig Jahre her, daß Stockhausen es in Wien ersann — und insoferne mag die Wiederholung desselben durch Walter ge billigt werden. Aber gegen die Sache selbst hatten wir da mals schon unsere Bedenken. Wir sprachen sie aus, unbeirrt durch unsere Bewunderung für Stockhausen, dessen individualisirende Kunst nicht nur jedes Lied in seiner tiefsten Eigenthümlichkeit zu erfassen, sondern aus manchem etwas geradezu Neues zu schaffen wußte. Stockhausen’s Einfall erschien nach zwei Seiten hin bestechend. Fürs erste gewann das Publicum die Anschauung von dem Zusammen hange eines Werkes, das in vielen Theilen allbekannt, in anderen auffallend zurückgesetzt ist. Sodann erzielte der Sänger durch diesen Zusammenhang den Vortheil, das bis her nur lyrisch Vereinzelte auch einmal dramatisch auffassen

zu können. Dennoch mußten wir damals abrathen von einer Wiederholung des Experiments: die Nachtheile eines solchen lyrischen Monstre-Concertes treten empfindlich hervor, sobald der Reiz der Neuheit sie nicht mehr deckt. Der enge Kreis, in welchem Dichter und Componist der „Müllerlieder“ ihre idyllischen Bildchen ausführen, muß eine vollständige Abrol lung derselben allmälig monoton werden lassen. Die „Schöne Müllerin“ gehört zu dem Herzlichsten und Reizendsten, was Schubert gesungen, was die deutsche Musik überhaupt besitzt. Allein die Liebe des guten Müllerburschen in all ihren zwanzig Stadien auf Einem Sitze mit durchzumachen, zwanzig Lieder hindurch in lauter zarten Empfindungen zu schwelgen, muß man das nicht am Ende mit einer tiefen Ermattung bezahlen? Dazu kommt, daß die frisch und wohlgemuth anhebende Geschichte alsbald einem unglücklichen Ausgange zusteuert und die Mühlräder nachgerade von einer Thränenfluth getrieben werden. Die Dichtung geräth aus warmer, ungeschminkter Empfindung häufig in falsche Sentimentalität. Wenn es gegen das Ende so weit kommt, daß der Mond sich hinter die Wolken versteckt, damit die Welt seine Thränen nicht sehe, und daß die Engelein sich alle Morgen die Flügel abschneiden, um zur Erde zu gehen, dann darf man wol ungeduldig werden. Auf welche himmlische Höhe Schubert’s Musik derlei Poesie ge hoben hat, das ermißt man erst, wenn die von ihm nicht componirten Gedichte des Cyklus dazu gesprochen werden. Die unausstehlich gezierten Ansprachen „Prolog“ und „Epilog“ wurden von Fräulein Schratt mit jenem zauberhaften Tone gemüthvoller Naivetät vorgetragen, den diese Schau spielerin so sehr in ihrer Macht hat. Das Walter’sche Con cert gehörte nach Besuch und Applaus zu den glänzendsten der Saison.

Das übrige Concertwesen der letzten Wochen war ein förmlicher Walkürenritt von Pianistinnen. Eine Anzahl „junger, talentvoller“ Clavierspielerinnen, die zum Theil nicht mehr jung, auch nicht gerade zum Ueberlaufen talentvoll sind, bildet durch alljährliches Concertgeben hier eine Art Kern, an welchen krystallartig immer neue jüngere Cla vieroiden anschießen. Ihre Concerte sämmtlich zu besuchen, gehört zu den Unmöglichkeiten, selbst wenn man, auf die Ge

fahr hin, stumpfsinnig zu werden, diesen Heroismus aus üben wollte. Ich halte dies auch keineswegs für nothwendig und die Musikreferenten großer politischer Blätter nicht dazu verpflichtet. Dieser delicate Punkt muß einmal zur Sprache kommen. Die meisten Concertgeber leben und sterben in der Meinung, mit dem Anschlagen eines Concertzettels sei auch für alle Musik-Kritiker die Verpflichtung gegeben, das Con cert zu besuchen und zu besprechen. Wir lassen das höchstens für Musikzeitungen gelten, welche, als ausschließlich der Ton kunst dienstbare Organe, auch hierin eine gewisse Vollständig keit anstreben müssen. Der Musikreferent eines großen poli tischen Blattes kennt hingegen nur die Verpflichtung, die her vorragenden, einen größeren Leserkreis interessirenden Concerte zu beurtheilen. So halten es seit jeher die Pariser Zeitungen, die in ihrem wöchentlichen oder vierzehntägigen Musik- Feuilleton nur die großen Orchester-Concerte und die Pro ductionen der berühmtesten Virtuosen besprechen, und auch das blos als bescheidenen Anhang zu den Opern-Referaten. Die Er ledigung der kleineren Concerte ist dort ausschließlich Sache der Musikzeitungen und geschieht meistens nur mit telst kurzer Notizen. In Wien hat das Concertwesen, insbesondere das ansteckende Clavierfieber, dergestalt an Aus dehnung gewonnen, daß wir uns dagegen wie die Pariser Kritiker verhalten müssen. Ein halbwegs bedeutendes Talent wird dadurch nicht unentdeckt bleiben. Ragt aus der Menge junger Concertgeber ein wirklicher Virtuose empor, wie in jüngster Zeit Grünfeld oder Joseffy, dann dringt die Kunde rasch über den kleinen Freundeskreis hinaus, der meist das ausschließliche Publicum eines ersten Concerts zu bilden pflegt, und veranlaßt ein zweites. Wählt ein Concertgeber wie Door regelmäßig interessante, durch Alter oder Neu heit unbekannte Compositionen, dann wird die Kritik gleich falls aus eigenstem Antriebe thun, was sie so oft nur aus Zwang oder Gefälligkeit thut: hineingehen. Was kümmert es hingegen einen großen Leserkreis, zu erfahren, wie die jugend lichen Pianistinnen Fräulein A, B, C, D etc. das Fis-dur-Noc turne von Chopin, den „Faust“-Walzer von Liszt, die Car neval-Scenen von Schumann nebst den unvermeidlichen Stückchen von S. Bach und Scarlatti fertig gebracht haben? Aus dieser oder ganz ähnlicher Mischung bestehen

neun Zehntheile unserer Clavierconcerte. Zwischen diesen Handarbeiten bescheeren uns jugendliche Sängerinnen im mer dieselben zwei oder drei Lieder von Schumann, R. Franz und Brahms, Componisten, von deren hochauf gethürmten Liederschatz sie keine Ahnung zu haben scheinen. Blättern wir am Schlusse der Saison die Programme unserer jugendlichen Concertgeber durch, so haben wir fast den Ein druck, daß sie Alles einander nachspielen und nachsingen. Eine seltenere öffentliche Besprechung dieser kleinen Virtuosen- Concerte kann auch dazu beitragen, deren erschreckende Zu nahme einigermaßen zu hemmen, was wir allen Ernstes als eine Wohlthat nicht nur für die concerthörende, sondern auch für die concertgebende Welt ansehen. In unserer clavierüber sättigten Zeit vermag nur mehr ein musikalisch hochbegabter und technisch vollendeter Spieler sich eine angesehene und lohnende Stellung zu erringen. Die halben, unausgereiften Talente, die nicht gottbegnadeten, sondern nur wohlabgerich teten gehen durch diese Berufswahl meistens einem düstern Lose entgegen, das in gerader Linie zum musikalischen Pro letariat führt.

Unter den concertirenden Pianisten der letzten vierzehn Tage stand Herr Joseph Rubinstein obenan durch Bra vour und Feinheit des Spieles. Im weiblichen Lager thaten sich Frau Toni Raab durch Virtuosität, Fräulein E. Goldberger durch ungewöhnliches Gedächtniß, Fräulein P. Dürnberger durch Zartheit hervor. Zwei neu auf gehende Claviersternlein, Emilie Eisler und Sophie Dudos, wurden von dem Publicum freundlichst begrüßt. Von den mitwirkenden Sängerinnen fanden den meisten Bei fall die Fräulein Papperitz, Shell, Leeder und A. Fischek. Die Freunde des höheren Zitherspieles wußte in drei gut besuchten Concerten Herr August Huber mit seinem „Wiener Zitherquartett“ bestens zu unterhalten. Recht anziehend gestaltete sich die jüngste Production der Opernschule des Conservatoriums auf der Probe bühne des kleinen Musikvereinssaales. Gerne besuchen und besprechen wir diese dramatischen Miniatur-Aufführungen, doch niemals ohne die Mahnung, daß sie nur dann inter essant für das Publicum und unschädlich für das Institut bleiben, wenn sie möglichst selten stattfinden. Denn jede solche

lang vorbereitete Opern-Production der Schüler unterbricht auf das nachtheiligste die Stetigkeit und Ruhe des Studiums, arbeitet somit gegen den eigentlichen Zweck des Conserva toriums. Das Auswendiglernen der Opernpartien, die zer streuenden und anstrengenden Proben, die Beschaffung des Costüms, dazu die vorzeitig entfesselten Leidenschaften des Ehrgeizes, der Eifersucht, des Rollenneides — dies Alles birgt große Gefahren für Schüler, die vorläufig nur zu ler nen, nicht zu gaukeln haben, und lediglich nach dem Beifall ihrer Lehrer, nicht aber des Publicums geizen sollen.

Einmal, höchstens ausnahmsweise zweimal im Jahre sollten solche öffentliche Productionen der Opernschüler statt finden, und womöglich nur, wenn einige ausgezeichnete, der praktischen Opern-Carrière schon nahestehende Eleven vorhan den sind. An auffallend schönen Stimmen und hervorragen den dramatischen Talenten hat die letzte Production keines wegs großen Reichthum entfaltet. Desto verständiger war deß halb der Gedanke, eine vollständige kleine Oper zum Haupt stück des Abends zu machen: Schubert’s reizenden „Häus lichen Krieg“. Mittlere Kräfte pflegen in Arien und Duetten wenig Lorbeern zu ernten; in ein größeres Ensemble gestellt, ergänzt und deckt Einer den Andern. In Werken, wie dieser „Häusliche Krieg“ überwiegt oben drein der unwiderstehliche Reiz der Composition so sehr, daß man auch einer nicht durchaus vollkommenen Darstellung sich dankbar verpflichtet fühlt. In dieser Aufführung entfalteten Fräulein Zips als komische Alte, Fräulein Neuß als naive Zofe ein sehr hübsches Spieltalent. Unter den Herren ragte der Tenorist Zobel durch Stimmfülle und gewandtes Spiel hervor; ihm zunächst der Bassist Herr Rix durch gute Haltung und verständigen Vortrag, endlich Herr Schau mann durch den Wohlklang seiner noch etwas ungelenken Tenorstimme. Zwei Scenen aus „Aïda“ und „Zampa“ gin gen dem Schubert’schen Singspiel voraus. Die Darstellerin der Amneris, Fräulein Stahl, war jedenfalls die hervor stechendste Erscheinung des Abends, durch Kraft und Wohl laut ihres tiefen Mezzosoprans, wie durch ihre einnehmende Persönlichkeit. Letzterer Vorzug, an dem man allerdings selbst kein Verdienst hat, ist so wichtig für die Bühnencarrière, daß wir immer von neuem staunen, wie viele Damen von unvor

theilhaftem Aeußern und nicht viel besserer Stimme sich gerade der Oper widmen. Herr Mattachich brachte für das Fragment aus „Zampa“ (zweiter Act) eine hübsche Ba ritonstimme, aber noch nicht die erforderliche Leichtigkeit und Eleganz mit. Vortrefflich wirkten die vielen jugendfrischen Stimmen in den Chören des „Häuslichen Kriegs“. Mit außerordentlicher Sorgfalt und bestem Gelingen hatte Herr Hofschauspieler Leo Friedrich die Eleven im Spiel unter wiesen und die Vorstellung in Scene gesetzt. Daß die Aus bildung der jungen Sängerinnen der Frau v. Marchesi und jene des wohlgeschulten Orchesters Herrn Director Hell mesberger zu danken ist, brauchen wir unseren Lesern nicht erst zu sagen. Die oben genannten Sänger gehören theils der Gesangsclasse des Professors V. v. Rokitansky, theils jener des Professors Gänsbacher an.

Minder glücklich oder vielmehr unverblümt unglücklich war der Akademische Gesangverein mit seinem letzten Concert. Es bestand aus Chören zu Aeschylos’ Tra gödie: „Die Perser“ von der Composition des Erb prinzen von Sachsen-Meiningen. Das Concert war gut besucht, blieb es aber nicht lange. Erheiternd war es zu beobachten, wie anfangs (schon sehr anfangs) Einzelne, die genug hatten, sich davonschlichen, dann Gruppen von drei, vier, fünf Zuhörern, bis schließlich die Flucht vor den Per sern und deren mit tödtlicher Langweile vergifteten Pfeilen bataillonsweise vor sich ging. Die Liebe zur classischen Litera tur und die Beschäftigung mit Musik ernsthaftesten Inhalts sind zwei Vorzüge, die wir an einem Erbprinzen hochschätzen und die uns für sein künftiges Wirken von günstigster Vor bedeutung scheinen. Wahrscheinlich dürften die künftigen Unter thanen des Herzogs auch seine Perser-Chöre mit Loyalität und ohne Revolutions-Gedanken anhören. Wir sind aber nicht in Meiningen und verlangen, daß unsere Concert-Dirigenten sich vor keiner andern Hoheit bücken möchten, als vor der künstlerischen. Die Wahl solcher ganz unpassender, unreifer Studien für sein statutenmäßiges Concert discreditirt unsern sonst so beliebten Akademischen Gesangverein, und wenn sein Chormeister nicht den Muth hatte, dies dem erlauchten Ton dichter unter vier Augen zu sagen, so muß er sich’s jetzt selber Schwarz auf Weiß sagen lassen.