Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4529. Wien, Freitag, den 6. April 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4529. Wien, Freitag, den 6. April 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 06.04.1877
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Friedrich Chopin. [Zweiter und letzter Artikel.]

Ed. H. Vergleiche das Feuilleton der „Neuen Freien Presse“ vom 28. Februar d. J. Als wir jüngst die Lebensgeschichte Chopin’s an der Hand seines neuesten Biographen M. Karasowski durchwanderten, gelangten wir bis zu seiner Uebersiedlung nach Paris (1831). Wie kommt es, daß aus den neunzehn Jahren seines Pariser Aufenthalts, dieser bewegtesten, glän zendsten Zeit Chopin’s, nicht ein einziger von seinen zahl reichen Briefen an seine Familie auf uns gelangt ist? Der Biograph antwortet auf diese Frage mit der Erzählung eines wahrhaft barbarischen Vorgangs, der für die damaligen Zu stände Russisch-Polens nur zu charakteristisch ist. Es hatte nach Chopin’s Tode seine Schülerin Miss Stirling den Nachlaß ihres vergötterten Lehrers angekauft und in ihrer schottischen Heimat eine Art Chopin-Museum daraus gebildet. In ihrem Testamente vermachte sie diese werthvolle Samm lung, welche Chopin’s Salon-Einrichtung, sein Piano und eine Menge werthvoller Andenken enthielt, der MutterCho pin’s, nach deren Tod sie der Schwester Chopin’s, Frau Isabella Borcinska in Warschau, zufiel. Aus dem vierten Stockwerke des von Letzterer bewohnten Hauses (es war Eigenthum des Grafen Zamoyski) fiel eines Abends im September 1863 ein Schuß, als gerade der Statt halter Graf Berg, von seiner tscherkessischen Leibgarde umgeben, vorüberfuhr. Der Schuß traf glücklicherweise kei nen Menschen, trotzdem wurde wenige Minuten später das Haus von Militär umzingelt, und eine wüthende Soldateska begann von Stockwerk zu Stockwerk Alles, was sich vorfand, zu zertrümmern (darunter allein fünfzehn bis zwanzig Cla viere) und aus den Fenstern auf die Straße herabzuwerfen. Unten errichteten die Soldaten einen Holzstoß aus all den Sachen und verbrannten singend und Branntwein trinkend

alle Bilder, Bücher und Papiere — darunter jene werth volle Sammlung von Chopin-Reliquien und dessen sämmt liche Briefe aus Paris an seine Familie. Ein echt russisches Volksbeglückungsbild!

Paris entzückte den jungen Ankömmling, aber seine Lage war dort eine zeitlang recht mißlich und unsicher. Gleich als Concertgeber aufzutreten, konnte der noch gänzlich Unbe rühmte in Paris nicht wagen. Er entschloß sich, vorerst noch zu lernen, und wendete sich an Friedrich Kalkbrenner, der damals für den ersten Pianisten Europas galt. Als ihm Chopin vorspielte, mußte Kalkbrenner offenbar das Genie des jungen Polen erkennen, der von ihm kaum mehr viel zu lernen hatte. Aber Kalkbrenner’s Ruhm als Lehrer konnte durch einen so außerordentlichen Schüler nur gewinnen, und er erklärte sich daher Chopin’s Wünschen geneigt, unter der Bedingung, daß dieser sich verpflichte, wenigstens drei Jahre bei ihm Unterricht zu nehmen. Chopin konnte auf so lange Lehrzeit nicht eingehen, auch fühlte er richtig die Gefahr heraus, die hier seiner künstlerischen Originalität drohte. „Ich würde mich gewiß auch entschließen,“ schreibt er an seinen Lehrer Elsner in Warschau, „noch drei Jahre zu studiren, wenn ich die Ge wißheit hätte, das Ziel, welches ich mir selbst gesteckt habe, dann zu erreichen. So viel ist mir klar, daß ich nie eine Copie von Kalkbrenner werde; er wird nicht im Stande sein, meinen vielleicht kühnen, aber edlen Willen zu brechen: eine neue Kunst-Aera zu schaffen.“ So entsagte er denn zu seinem Heil der Vormundschaft des prosaischen Kalkbrenner, den er durch die Widmung seines E-moll- Concertes besänftigte.

Nach vielen mühevollen Vorbereitungen brachte Chopin endlich sein erstes Concert in Paris zu Stande, am 26. Februar 1832 — es deckte nicht einmal die Unkosten! Er hatte keine Aussicht, seine Stellung in Paris zu verbessern, und trug sich mit dem Plane, nach Amerika zu übersiedeln. Als seine Eltern dieses Vorhaben mißbilligten, entschloß er sich zur Rückkehr nach der Heimat. Da führt ein glücklicher

Zufall ihm den Fürsten Valentin Radziwill auf der Straße entgegen, der ihm wenigstens das Versprechen ab nimmt, diesen Abend noch mit ihm zu Rothschild zu gehen. Die ganze Haute volée von Paris füllt die glän zenden Salons von Madame Rothschild, welche auf die liebenswürdigste Weise Chopin ersucht, etwas zu spielen. Er setzt sich an den Flügel und improvisirt in glücklichster Stim mung. Die Zuhörer bewundern entzückt dies neuentdeckte Meteor, und noch während der Soirée selbst erhält Chopin die schmeichelhaftesten Einladungen, in den ersten Häusern von Paris Unterricht zu ertheilen. Wie mit einem Zauber schlag änderte sich von diesem Abend seine Lage, und Chopin dachte nicht mehr daran, Paris zu verlassen.

Wie der Rothschild’sche Salon an jenem entscheidenden Abend, so blieb der Salon überhaupt der eigentliche Boden von Chopin’s Triumphen. Einige wenige Concerte gab Chopin in großen Theater- und Concertsälen; da machte jedoch sein überaus feines poetisches Spiel nicht entfernt den tiefen Eindruck wie im Salon. Auch waren ihm die Concert- Vorbereitungen höchst peinlich, ja jedes öffentliche Auftreten unangenehm. „Ich bin nicht geeignet,“ sagte er eines Tages zu Liszt, „Concerte zu geben, da ich von dem Publicum scheu gemacht werde, mich von seinem Athem erstickt, von seinen neugierigen Blicken mich paralysirt fühle; Sie aber, Sie sind dazu berufen; denn wo Sie des Publicums Liebe nicht gewinnen, da vermögen Sie wenigstens dasselbe zu er schüttern und zu betäuben.“ In den Jahren 1834 bis 1848 hat Chopin in Paris nur Ein öffentliches Concert gegeben; doch veranstaltete er fast jedes Jahr im Pleyel’schen Clavier salon eine musikalische „Séance“, in welcher er stets allein spielte, vor seinen näheren Bekannten und Verehrern, welche das Billet mit zwanzig Francs bezahlten.

Im Mai 1834 machte Chopin zum erstenmale einen Ausflug aus Paris; er reiste mit Ferdinand Hiller nach Aachen, wo Mendelssohn (damals Director des Düssel dorfer Orchesters) das niederrheinische Musikfest dirigirte. „Als Clavierspieler,“ schrieb Mendelssohn damals, „ist

Chopin jetzt einer der allerersten; macht so neue Sachen wie Paganini auf seiner Geige und bringt Wunder dinge herbei, die man sich nicht möglich gedacht hätte.“ Ein zweiter und letzter Aufenthalt Chopin’s in Deutschland fiel in das Jahr 1836 und hatte zunächst Marienbad zum Ziele, wohin ihn mehr eine Herzens-Angelegenheit als ärzt liche Vorschrift trieb. Die Wunde war endlich vernarbt, welche die Verheiratung seiner Jugendliebe Constantia Gladkowska ihm geschlagen, als Chopin in Paris ein reizen des polnisches Fräulein kennen lernte, Maria Wodzynska, das bald sein ganzes Herz besaß. Er wußte, daß er Mitte Juli die Holde mit ihrer Mutter in Marienbad finden würde, und reiste voll beseligender Hoffnung hin. Die Bei den verlobten sich in Marienbad, und Chopin fühlte sich auf dem Gipfel des Glückes. Er schied — wie er glaubte, nur für kurze Zeit — von seiner Braut, um über Leipzig (wo er Schumann’s Bekanntschaft machte) nach Paris zu geben. Hier erhielt er, bald nach seiner Ankunft, die Nach richt, daß seine Braut Maria es vorgezogen habe, einen Grafen zu heiraten. Es war dies die zweite schmerzliche Ent täuschung, die Chopin in der Liebe erfuhr; eine dritte, noch härtere sollte bald nachfolgen. Wir meinen das für ihn so unheilvolle Verhältniß zur George Sand. Dasselbe läßt sich, wie uns dünkt, erst jetzt vollständig und richtig beur theilen, seit durch die neuesten Publicationen von Paul de Musset und Paul Lindau die Herzensgeschichte der Sand mit Alfred de Musset in wahrheitsgetreuer Schilde rung uns vorliegt. So verschiedenartig auch die äußeren Um stände gewesen, das Benehmen der George Sand gegen Chopin findet sehr merkwürdige Analogien in ihrem zehn Jahre früher mit Musset gespielten Liebesdrama. Kein Zweifel, daß sowol der leidenschaftliche, maßlose Musset, wie der überempfindliche, nervöse, kränkliche Chopin als Liebhaber oft schwer zu behandeln, mitunter vielleicht schwer zu er tragen waren und die Geduld ihrer Geliebten auf manche Probe setzten. Allein in der rückhaltlosen Ehrlichkeit ihrer Leidenschaft erscheinen sie uns doch Beide sympathischer als

die kühle, überlegende Verständigkeit der Sand, welche, an fangs Feuer und Flamme, die Beiden doch ruhig in den Ab grund stürzen läßt, nachdem sie ihrer überdrüssig geworden. Der Herzensbund zwischen George Sand und Musset dauerte nur sechs Monate, ihre Beziehung zu Chopin über zehn Jahre — der Hauptunterschied war somit, daß die schmerz liche Enttäuschung Musset’s mit acuter Heftigkeit auftrat, während sie Chopin als chronisches Leiden langsam unter grub. Der erste Eindruck, den die berühmte Frau auf unseren Tondichter machte, war — ganz wie bei Musset — kein sehr angenehmer. „Ihr Gesicht,“ schreibt Chopin nach der ersten Begegnung mit George Sand, „ist mir nicht sympathisch und hat mir gar nicht gefallen; es ist sogar etwas darin, was mich abstößt.“ Trotzdem währte es nicht lange, daß Chopin — genau wie früher Musset — sich leidenschaftlich von der genialen Frau angezogen, auch von ihrer Liebe nicht wenig geschmeichelt fühlte. George Sand pflegte in dem Maße kühler zu werden, als die Leidenschaft ihrer Anbeter wuchs; bei Musset kam dies früher, bei Chopin später zu Tage. „Am meisten,“ sagt Paul Lindau, „verletzte es Musset, daß seine Geliebte beständig das Mütterliche und Schwesterliche ihrer Zuneigung herauskehrte.“ Dasselbe that sie mit Chopin, mit noch größerem Nachdrucke, aber kaum mit größerem Rechte. Die schönen, im Momente des Niederschreibens gewiß auch empfundenen Worte, welche sie in ihren „Briefen einer Reisenden“ für Musset hat, finden manches Seitenstück in dem 13. Band ihrer Selbstbiogra phie, wo sie ihr Zusammenleben mit Chopin schilderte. Was sie hier wie dort von ihrer aufopfernden Hingebung, ihrer „schwesterlichen“ Liebe und Treue aussagt, stimmt nicht immer mit den beglaubigten Thatsachen, und über ihre Ge fühle führte sie, mit Paul Lindau zu sprechen, doppelte Buch haltung. Anfangs fühlte sich Chopin in der Liebe der George Sand stolz und glücklich. Als sich im Herbst 1837 zum erstenmale Anfälle von Brustleiden bei ihm zeigten, reiste Chopin mit der George Sand und deren Kindern nach Majorca, wo sie den reizbaren, ungeduldigen Kranken ohne

Zweifel mit liebevoller Ausdauer gehütet und gepflegt hat. Weit günstiger als dieser durch tausend Unbequemlichkeiten verbitterte Aufenthalt im Süden wirkte der folgende Som mer, den Chopin mit der Sand auf deren Gute Nohant zubrachte, auf das Befinden des Leidenden. Doch war ihm die größte Ruhe und Schonung geboten, eine Vorschrift, der unser Patient sich nur wenig fügte. Den Sommer verlebte er nun regelmäßig in Nohant, im Winter bezog er einen Pavillon von George Sand’s Wohnung auf dem Quai d’Orléans. Der Winter verschlimmerte in steigender Progression, was der Sommer halbwegs gutgemacht; vom Jahre 1840 an nahm Chopin’s Lungenleiden stetig zu und verscheuchte bald jede Hoffnung auf Besserung. Zugleich wurde seine Stimmung immer düsterer, seine Phantasie immer aufgeregter.

Was für bittere Erfahrungen noch hinzutraten? Folgen wir dem Berichte seines Biographen in den Hauptumrissen. Chopin konnte es sich nicht mehr verhehlen, daß die Frau, die ihn durch die Leidenschaftlichkeit ihrer Liebe an sich ge zogen, auf deren Beständigkeit er Felsen gebaut hätte, von Tag zu Tag kälter gegen ihn wurde. Er, der sogar lebhaft gewünscht hatte, sie zum Altar führen zu können, was die Verhältnisse unmöglich machten, sah jedenfalls seinen Bund mit der Geliebten als einen bleibenden und heiligen an; er hätte sich durch nichts bewegen lassen, sich von ihr zu trennen. Die Sand jedoch fühlte anders; der Kranke war ihr zur Last geworden. Sie zeigte es ihm auf mancherlei Weise. Als Chopin diese Kränkungen stillschweigend hinnahm, ohne an eine Trennung von George Sand zu denken, griff sie zu einem drastischen Mittel: zu der Veröffentlichung ihres Roman’s Lucrezia Floriani“. Nach der übereinstimmenden Ansicht der Zeitgenossen war unter der Heldin Lucrezia die Ver fasserin selbst zu erkennen, in der Figur ihres kränklichen, nervösen Liebhabers, des Fürsten Karl, hingegen unser Cho pin. Lucrezia schildert, wie sie nach einigen Jahren ihres anfangs glücklichen Zusammenlebens von Karl immer mehr gequält wird, bis ihre Liebe für ihn erloschen ist und einem

schweren Märtyrerthum Platz macht. Lucrezia hat endlich ihre Kräfte durch unausgesetzte Opfer und Leiden erschöpft und stirbt. George Sand hat später in der „Histoire de ma vieallerdings behauptet, sie habe nicht daran gedacht, in dem genannten Roman sich und Chopin zu schildern, aber die Analogien waren doch zu auffallend, und selbst die Kinder der George Sand fragten eines Tages, mit dem Roman in der Hand: „Herr Chopin, wissen Sie, daß Sie mit dem Fürsten Karl gemeint sind?“ Noch immer war Chopin so rücksichtsvoll — so schwach, möchten wir lieber sagen — zu bleiben. Wenn ich die Frau, die ich verehrte und liebte, jetzt verlasse, dachte er, so mache ich den Roman zur wahren Ge schichte und gebe sie der Verachtung der Besseren preis. Zu Anfang des Jahres 1847 führte die Sand durch einen heftigen Auftritt den vollständigen Bruch herbei. Auf ihre Vorwürfe erwiderte Chopin nur, er werde ihr Haus sofort verlassen und wünsche für sie nicht mehr zu existiren. Die Sand machte keine Ein wendungen; Chopin verließ sie augenblicklich und für immer. In Folge dieser heftigen Gemüthsaufregungen erlitt Chopin’s Gesundheit neuerdings eine gefährliche Verschlimmerung. Man rieth ihm, im Frühling 1848 nach England zu reisen, wohin Freunde und Verehrer ihn so oft und dringend eingeladen hatten. Kurz vor seiner Abreise sollte er noch eine letzte, un vermuthete Begegnung mit George Sand haben. Es war in einer Soirée, wo sie, unbemerkt von den Gästen, auf Chopin zuging und ihm mit dem leisen Ausruf „Friedrich!“ die Hand entgegenstreckte. Chopin wurde todtenblaß, starrte sie einen Moment an und verließ schweigend den Salon. Wie früher nach ihrem Bruche mit Musset, so fühlte die Sand jetzt auch Chopin gegenüber Reue, aber hier wie dort scheiterten ihre Versuche einer Wiederversöhnung. In England wird Chopin auf das glänzendste gefeiert, in Schottland genießt er die zuvorkommendste Gastfreundschaft auf dem Gute der Schwe stern Stirling. Trotzdem gefällt ihm der Aufenthalt nicht; er klagt über die fortwährenden Nebel und über die uner trägliche Last, mit welcher die gesellschaftlichen Verpflichtungen auf ihn, den Müden und Leidenden, drücken. Zum Concert

geben zwingt er sich, um etwas zu verdienen. „Ich fühle mich schwächer,“ schreibt er aus Schottland einem polnischen Freunde, „ich kann nicht componiren, nicht aus Mangel an Lust, sondern aus physischen Ursachen, und weil ich mich jede Woche wo anders befinde. Aber was soll ich thun? Wenigstens spare ich etwas zum Winter.“ Immer häufiger stoßen wir auf Aeußerungen trüber Hoff nungslosigkeit. „Ich empfinde überhaupt nichts mehr, ich vegetire nur noch und warte geduldig auf mein Ende.“ Auch die Erinnerungen an die geliebte Frau ließen ihn nicht los, die Geister entschwundenen Glücks und schmerzlicher Krän kungen. „Ich habe niemals Jemanden verflucht,“ schreibt er einem Freunde, „aber jetzt bin ich des Lebens so überdrüssig, daß ich nahe daran bin, die Lucrezia zu verfluchen. Aber dort leidet man auch, und leidet deßhalb mehr, weil man ihr der Bosheit täglich älter wird!“

Endlich kann er Anfangs 1849 das ihm „schreckliche London“ verlassen und nach Paris zurückkehren. Hier macht die Krankheit rapide Fortschritte; seine Verwandten werden benachrichtigt, und Chopin’s Schwester Louise eilt nach Paris, ihm durch ihre Liebe und Pflege die letzten Tage zu erleich tern. Chopin starb am 17. October 1849. Er hatte, seiner Verehrung für Mozart getreu, gebeten, man möchte zu seiner Seelenmesse Mozart’s Requiem aufführen. Da bis dahin die Mitwirkung von Frauen in der Madeleine-Kirche nicht gestattet war, bedurfte es dazu der besonderen Genehmigung der geistlichen Behörde. Sie wurde ertheilt, und unter Mit wirkung von Lablache und der Viardot-Garcia er tönte Mozart’s Requiem bei der von Meyerbeer ge leiteten Trauerfeierlichkeit. Seinem Wunsche gemäß wurde Chopin auf dem Père-Lachaise begraben, und zwar neben Bellini, mit dem er sehr befreundet gewesen. Man streute polnische Erde auf seinen Sarg. Es war dieselbe Erde, die sich Chopin vor neunzehn Jahren in dem Dorfe Wola zum Andenken an sein Vaterland mitgenommen und sorgsam auf bewahrt hatte, damit sie — sollte er nicht in polnischer Erde ruhen — ihn wenigstens in fremdem Boden bedecke.