Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4536. Wien, Freitag, den 13. April 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4536. Wien, Freitag, den 13. April 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 13.04.1877
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Musik. (Concerte. — Caroline Ungher.)

Ed. H. Das gleichzeitige Zusammentreffen zweier Con certe am selben Abend ist meistens ein Gegenstand heimlicher Freude für das Herz des Kritikers. Eines davon darf er sich ja schenken. Ausnahmsweise und desto lebhafter bedauerten wir eine solche Concurrenz am letzten Samstag, nämlich des Concerts von Sarasate und Door mit der Produc tion der Sing-Akademie. Diese Gleichzeitigkeit hätte unbedingt vermieden werden sollen, denn die Zahl passionirter Concertbesucher ist zur Stunde nicht gar so groß, daß man jedem Concert gleichsam einen Aderlaß appliciren, einen Ab fluß verschaffen müßte durch ein zweites. Im Gegentheil, es verlieren dann sicherlich beide Unternehmungen etwas von ihrem Publicum. Das Programm der Sing-Akademie bot eine Reihe von Novitäten, die Firma Door und Sarasate garantirte virtuose Ausführung; hier lockte das Wie, dort das Was. Diesmal half einigermaßen das Wo. Die beiden Concerte rivalisirten nämlich im selben Gebäude, ja Thür an Thür, so daß in ihrer Musikleidenschaft oder in ihrem Pflicht gefühl bedrängte Gemüther nur aus dem kleinen Musikver einssaale in den großen hinüberzugehen brauchten, um von jeder der beiden Tafeln die besten Bissen zu erhaschen.

Wenn man von Sarasate’s Programm etwas opfern muß, so verzichtet man noch am leichtesten auf seinen Vortrag Beethoven’scher Tondichtungen; da thut es mancher deutsche Musiker ihm zuvor, während im eigent lichen Bravourspiel den Spanier sehr Wenige erreichen. Wir siedelten uns also, während Sarasate mit dem Beethovenschen Violin-Concert begann, in der „Sing-Akademie“ an. Diese eröffnete ihre Production mit Mendelssohn’s Kirchenmusik in F-moll: „Aus tiefer Noth schrei’ ich zu dir“, welche mit Clavierbegleitung und dem befremdenden Beisatz neu“ gegeben wurde. Das Stück, welches wir bereits im Jahre 1860 in der Sing-Akademie gehört haben, übersteigt

einigermaßen die Leistungsfähigkeit des Vereins, sowol was den Chor (namentlich in der Fuge) als das Tenor-Solo betrifft. Desto besser kam Taubert’sKönig von Thuleheraus, ein Chorlied, das zwar Niemandem sonderlich warm macht, aber immerhin durch den Klangreiz einfacher, wohl gesetzter Harmonien wirkt. Eine interessante, auch wirklich neue Novität brachte Herr Weinwurm in Gade’s Bildern des Jahres“. Es sind dies vier, im Charakter der „Vier Jahreszeiten“ gehaltene Gedichte, halb lyrisch, halb be schreibend, von Andersen, für Frauenchor mit Alt-, Sopran- und Tenor-Solo gesetzt. Eine sinnige, fein empfun dene Composition, welche durchwegs die erfahrene, zarte Hand des Meisters verräth und überall befriedigt, wo nicht die poetische Schilderung den vom Componisten gewählten bescheidenen Mitteln allzu viel zumuthet. Sehr anziehend durch hübsche charakteristische Züge ist die vierhändige Clavierbegleitung, welche die Herren Landskron und Pottje vortrefflich ausführten. Für den Vortrag der Gesang-Soli wurden die Fräulein Kner, Beck und Herr Dr. Trutter lebhaft applaudirt. Es folgten zwei neue, gar nicht anspruchsvolle, aber desto ansprechendere Chöre von Engelsberg: „Waldmädchen“ und „Weißt du noch?“ Beide wirken durch die natürlichste Verschmelzung von poetischer Textauffassung und selbstständigem musikali schen Reiz. Wir freuen uns des unerschöpflichen Melodien quells unseres bereits in ganz Deutschland populären Lands mannes, dessen kleinster Composition man es anfühlt, daß sie durch eine feine allgemeine Bildung hindurchgegangen ist. Zwischen diesen Chorproductionen hörten wir Brahms dreisätzige Sonate für Clavier und Violoncell. Wenn wir davon absehen, daß Brahms’sche Musik mehr als jede andere eine männliche Energie des Geistes wie des Anschlages erfor dert, so dürfen wir Fräulein Gabriele Joël für den tadel los ausgeführten Clavierpart unumwunden loben. In der Bewältigung der überaus schwierigen Violoncellstimme lieferte Herr Hummer eine der vollgiltigsten Proben seines Talents. Unter den Brahms’schen Compositionen gehört gerade die Cello-Sonate nicht zu den Lieblingen des Publicums oder

doch nur durch ihr menuetartiges Allegretto, dessen klaren, melodiösen Fluß man in den schwerer gebauten und schwerer verständlichen äußeren Sätzen vermißt. Es ist erfreulich, daß allmälig auch die minder bekannten Compositionen von Brahms in unseren Concerten häufiger vorkommen. Wir möchten nicht gerne hinter den Engländern zurückstehen, welche gegenwärtig einen sehr ernsthaften Brahms-Cultus anheben und dessen große C-moll-Symphonie bereits zweimal mit vollständigem Erfolg aufgeführt haben.

Von der Brahms’schen Sonate gelangten wir noch gerade rechtzeitig in den großen Musikvereinssaal, um Herrn Sara sate die Raff’sche Suite für Violine und Orchester vor tragen zu hören. Der Virtuose kann sich diesmal über den Componisten nicht beklagen: die Suite liefert ihm Schwierig keiten von lohnendster Halsbrecherei. Erstaunlich sind ins besondere die Gleichheit und Reinheit, mit welcher Sarasate in dem Final-Presto („Perpetuum mobile“) die denkbar größte Anzahl von Noten in Einer Secunde staccato hervor bringt. Wunderdinge aller Art producirte er hierauf in einer selbstverfaßten Phantasie über Gounod’s „Faust“. Die Com position, sehr unbedeutend, aber geschickt in der Ausbeutung von Violin-Effecten, führt fast die halbe Oper in ihren Haupt themen an uns vorüber. Zuerst schnurrt Gretchen’s Spinn rad; dann ertönt, umwunden von Trillerketten, der Oster gesang; an Gretchen’s Gebet im Dome schließt sich Me phisto’s Lied: „Ja, das Gold“, das Sarasate mit den aben teuerlichsten Hexereien ausstattet, wie sie seit Paganini’s Streghe“ und Ernst’s „Carneval“ nicht dagewesen, in Sprüngen, chromatischen Octaven-Scalen, Pizzicati und mit unter recht übelklingenden Ueberraschungen über und unter dem Steg. Am schönsten gespielt, nicht gehext, sondern gesungen war das Liebesduett aus dem dritten Act: Sarasate bringt die Melodie Faust’s mit vibrirendem breiten Ton auf der G-Saite, hierauf die Antwort Gretchen’s wie in Silberklän gen dreistimmig in den höheren Chorden, dann beide Stimmen in polyphonem Spiel vereint. Es weht ein Anflug von Poesie in diesem Satz. Zum Schluß kommt der Walzer aus dem zweiten Finale herangestürmt, in eine Wolke von Passagen

gehüllt. Der Applaus wollte kein Ende nehmen. Jedenfalls ist Sarasate die hervorragendste Virtuosenkraft, die wir nicht blos in dieser Saison, sondern wol überhaupt in den letzten Jahren als neue Bekanntschaft in Wien begrüßt haben. Herr Door spielte Liszt’s unsäglich schwierige „Ungarische Phantasie für Clavier und Orchester“ mit erstaunlicher Kraft und Ausdauer; sein Forte, für kleinere Localitäten zu gewalt sam, wirkte siegreich im großen Musikvereinssaal. Daß letz terer nur wenig leere Plätze aufwies, darf die beiden Concert geber schon eitel machen. — Hellmesberger’s anhaltend gutbesuchter Quartetten-Cyklus ist inzwischen bis zum fünften Abend vorgerückt. Die versprochene Novität von Hermann Grädener fiel zwar abermals aus, dafür wurde Schu bert’sA-dur-Quintett Op. 114 von Fräulein G. Joël und dem Hellmesberger’schen Quartett sehr hübsch gespielt. Neu“, wie das Programm behauptet, war das Quintett keineswegs; Herr Epstein hat es schon 1860 öffentlich vorge tragen, und außerdem noch ein anderesmal das variirte Andante daraus über das Lied: „Die Forelle“. Mit dem lockenden Beisatz „neu“ und „erste Aufführung“ wird in Wien etwas leicht sinnig gewirthschaftet; Chöre, die wir bereits aus dem Sing verein oder dem Männergesang-Verein kennen, figuriren als „Novitäten“ in der Sing-Akademie oder dem Akademi schen Gesangverein, Orchesterstücke aus dem Repertoire der Philharmoniker werden wieder „neu“ auf den Programmen der Gesellschafts-Concerte u. s. w. „Neu für mich,“ denkt offenbar der betreffende Concert-Dirigent in solchen Fällen. Auf diese Weise entsteht aber doch eine gar zu große Anzahl von „Novitäten“, ja es brauchte nur eine dritte Orchester- Gesellschaft sich in Wien zu organisiren, damit vielleicht auch die Pastoral-Symphonie oder die „Melusina“-Ouvertüre „neu“ würden. Etwas mehr Genauigkeit hierin wäre drin gend zu wünschen, nicht blos um künftigen Musik-Historikern grenzenlose Confusion zu ersparen, sondern auch aus Rück sicht für unsern Ruf im Auslande, wo es doch seltsam be fremden muß, wenn heutzutage in Wien altbekannte größere Compositionen von Mendelssohn, Schubert und An deren als neu aufgeführt werden.

Die letzten Tage brachten uns die Nachricht von dem Tode einer der berühmtesten Opernsängerinnen, der in Wien geborenen Caroline Ungher-Sabatier. Seit 35 Jahren von der Bühne zurückgetreten, war die Ungher als Künstlerin lange verschollen; als hochgebildete und wohl wollende Frau hingegen ist sie bis an ihr Ende Allen, die sie kannten, eine werthvolle Erscheinung geblieben, deren Hingang insbesondere in Wien schmerzlich empfunden wird. Sie pflegte alljährlich zum Curgebrauche nach Karlsbad zu reisen. Dorthin begab sich eines Tages Desirée Artôt, eigens um einige ihrer Partien der Unger vorzu singen. Mit Begeisterung erzählte mir die Artôt, wie aus drucksvoll die alte Frau mit dem behäbigen Embonpoint und der schwarzen Hornbrille auf der Nase ihr die Recitative der Norma vorgesungen. Da habe man die Runzeln, die Beleibt heit und die Hornbrille vergessen und die leibhaftige Norma vor sich gesehen. Mir wurde die persönliche Bekanntschaft der berühmten Künstlerin erst vor wenigen Jahren zu Theil, als sie, von Karlsbad rückkehrend, in Wien verweilte, haupt sächlich um ihrer geliebten Ziehtochter Anna Regan als Concertsängerin hier den Boden zu ebnen. Man konnte die Ungher nicht von liebenswertherer Seite kennen lernen, als in ihrer zärtlichen Fürsorge für die junge Sängerin, in welcher sie echte Empfindung und edle Einfachheit des Vor trages hochschätzte und unermüdlich förderte. Charakteristisch für ihre künstlerische Anschauung sind einige Worte, die sie mir (nach dem Concert der Regan) aus Florenz schrieb: „Sie haben durch Ihr Urtheil mein liebes Kind in die Reihe ernster Künstler gestellt, und dies ist nach meinem Ermessen der ehrenvollste Platz.“ Man hätte es damals der rüstigen, lebhaften Frau nicht angemerkt, daß sie im Jahre 1808 geboren war. Von ihren ehe maligen Erfolgen sprach sie sehr selten, doch erinnerte sie sich gerne, daß ihre erste Partie in Wien (1819) der Page in Mozart’sFigaro“ war und daß es ihr vergönnt ge wesen, in dem denkwürdigen Concert vom 7. Mai 1824 im Kärntnerthor-Theater mitzuwirken, das Beethoven gleich sam als Abschied von der Oeffentlichkeit gab. Caroline

Ungher und Henriette Sontag sangen dabei die Soli in der zum erstenmale aufgeführten Neunten Sym phonie, und die Ungher war es, die am Schlusse den tauben Meister bei der Hand nahm und gegen das Publicum drehte, damit er — der den Applaus nicht mehr hörte — wenig stens das Händeklatschen und Tücherschwenken sehen könne. Sie folgte im nächsten Jahre dem Impresario Barbaja nach Italien, das (mit Ausnahme weniger Gastspiele in Paris, Wien und Dresden) fortan der Boden ihrer künst lerischen Laufbahn blieb. Von ihrer stattlichen Erscheinung und großem schauspielerischen Talent unterstützt, begeisterte sie durch fünfzehn Jahre das Publicum in den dramatischen Partien Bellini’s, Mercadante’s, Donizetti’s. Aus eigenem Erlebniß kann ich leider nichts von der Kunst der Ungher erzählen, doch existirt dafür das merkwürdigste Zeugniß in den Büchern eines großen Dichters, dessen leidenschaftliche Hingebung den Namen Caroline Ungher mit poetischer Ver klärung umgibt. Ich meine Lenau. Manche Leser, nament lich die mit österreichischen Verhältnissen unbekannten, dürften nicht wissen, daß die in Lenau’sBriefen (zwei Bände, herausgegeben von Schurz) vorkommende „Caroline“ nie mand Anderer als unsere Caroline Ungher ist. Der Ein druck, den ihr Gesang auf Lenau machte, war ein nieder zwingender, und die herrlichen Worte, womit er ihn schildert, wollen wir der verewigten Künstlerin als schönsten Nachruf hiehersetzen:

Am 25. Juni 1839 schreibt Lenau an eine Freundin von seinem Zusammentreffen mit der Ungher beim Grafen Ch. in Penzing: „Caroline sang vor Tische den „Wandererund das „Gretchen“ von Schubert hinreißend schön. Es rollt wirklich tragisches Blut in den Adern dieses Weibes. Sie ließ in ihrem Gesange ein singendes Gewitter von Leiden schaft auf mein Herz los. Sogleich erkannte ich, daß ich in einen Sturm gerathen; ich kämpfte und rang gegen die Macht ihrer Töne, weil ich vor Fremden nicht so gerührt erscheinen mag; umsonst, ich war ganz erschüttert und konnte es nicht verhalten. Da faßte mich, als sie ausgesungen, ein Zorn gegen das sieghafte Weib, und ich trat ins Fenster zurück,

sie aber folgte mir nach und zeigte mir bescheiden ihre zit ternde Hand, und wie sie selbst im Sturm gebebt. Das ver söhnte mich, denn ich sah, was ich gleich hätte sehen sollen, daß es ein Stärkerer war als ich und sie, der durch ihr Herz gegangen und meines, und vor dem wir Beide gleich gebeugt dastanden, als es wieder stiller war. Wir setzten uns zu Tische. Caroline war sehr freundlich und gesprächig. „Ich bitte mir meinen Lenau zum Nachbar aus,“ sagte sie, und so ward ich denn ihr Nachbar. Doch das Singen hatte mir den Appetit verdorben und mich in mich selbst gekehrt.“

Wenige Tage später schreibt Lenau: „Die letzte Woche war für mich eine Zeit stürmischer Bewegung. Caroline ist ein wunderbares Weib. Nur am Sarge meiner Mutter habe ich so geschluchzt wie an jenem Abend, als ich die herrliche Künstlerin in „Belisario“ gehört hatte. Da war es nicht das bestimmte Stück, die bestimmte Rolle, deren Tragik mich angegriffen hätte. Die Sängerin ging weit über jede Einzel heit hinaus, und ich hörte in ihren leidenschaftlichen Klagen, in ihrem Aufschrei der Verzweiflung das ganze tragische Ge schick der Menschheit rufen, die ganze Welt des Glücks aus einanderbrechen und das Herz der Menschheit zerreißen. Mich ergriff ein namenloser, ungeheurer Schmerz, von dem ich noch ein heimliches Zittern durch mein innerstes Leben spüre. Da war es zu hören, daß es dem Schicksal Ernst ist mit seinem Leide, daß dies nicht ein wohlgemeinter Rathschluß unserer Herzenserziehung ist. Ich war viel mit Caroline zu sammen; sie fühlte sich mir verwandt wie eine Wetterwolke der andern. Nach der Vorstellung des „Belisario“ ging ich, wie öfter, zu ihr und sagte ihr, daß sie die größte tragische Wirkung auf mich gemacht habe. Ich freue mich ihrer Freundschaft, denn sie ist, was ich ihr auch sagte, eine der höchsten Naturen, die wir auf Erden zu verehren haben. Im Umgange ist sie gewöhnlich leb haft und heiter, oft kindisch und tändelnd, wobei sichtbar ihre Seele ausruht von den großen Erschütterungen und die Natur wohlthätig wieder das Leben ins Gleichgewicht zu bringen sucht. Dann aber bricht zuweilen plötzlich die ernste Stimme ihrer Seele hervor, und was sie, wie zum Beispiel über das Tragische und ihre Auffassung desselben, gesagt,

zeigte mir auch ihre Gedanken auf einer seltenen Höhe. Sie ist in den einsamsten und wildesten Gegenden der Leidenschaft heimisch und kennt das Angesicht des Schmerzes in allen seinen Zügen. Ich wünsche, daß sie, wie sie sich vorgenom men, in einigen Jahren sich dem deutschen Schauspiele zu wendete; da wäre es eine Freude, ein Trauerspiel für sie zu schreiben.“

Aus diesem Ausbruch der Kunstbegeisterung sieht man schon deutlich die Flammen der Leidenschaft aufzucken. Lenau, damals siebenunddreißig Jahre alt, liebt Caro line und will sie heiraten. Er vertraut diesen Ent schluß zuerst seiner Freundin Sophie L., jener verheirateten Dame, mit der ihn ein langes inniges Verhältniß verband: „Sie haben mir mit Ihren paar Zeilen das Herz zer schmettert. Caroline liebt mich und will mein werden. Sie sieht’s als ihre Sendung an, mein Leben zu versöhnen und zu beglücken. Es ist an Ihnen, Menschlichkeit zu üben an meinem zerrissenen Herzen. Caroline liebt mich grenzenlos. Verstoße ich sie, so mache ich sie elend und mich zugleich. Entziehen Sie mir Ihr Herz, so geben Sie mir den Tod; sind Sie unglücklich, so will ich sterben. Der Knoten ist ge schürzt. Ich wollte, ich wäre schon todt.“

Die Antwort Sophiens scheint Lenau’s Entschluß, mit Caroline Ungher zu brechen, bestimmt zu haben. „Es liegt ein Gebirg von Kummer und Traurigkeit auf meiner Brust,“ antwortet er Sophien. „Der Ausweg, den Sie mir nannten, geht durch meine Todespforte. Ich habe Carolinen nicht verschwiegen, daß Sie meine höchste, entscheidende Rücksicht sind.“ Er setzt Carolinen die Gründe auseinander, welche ihrer Vereinigung entgegenstehen (darunter seine gänzlich un sichere materielle Stellung), und berichtet am 22. August 1839 der Freundin: „Meinen Willen durchaus ehrend, nahm Caroline meine Erklärung mit schöner weiblicher Füg samkeit entgegen.“ Lenau’s Schwager und Biograph A. Schurz gibt Carolinen — deren Ehe mit Lenau ihm gleichwol für beide Theile kein dauerhaftes Glück zu ver sprechen schien — das schöne Zeugniß, daß „ohne ihr edel verzichtendes Benehmen das Unheil von 1844, nämlich Lenau’s Geisteskrankheit, wol damals schon ausgebrochen wäre“.