Musik.
(
Concerte. —
Caroline Ungher.)
Ed. H. Das gleichzeitige Zusammentreffen zweier Con
certe am selben Abend ist meistens ein Gegenstand heimlicher
Freude für das Herz des Kritikers. Eines davon darf er sich ja
schenken. Ausnahmsweise und desto lebhafter bedauerten wir
eine solche Concurrenz am letzten Samstag, nämlich des
Concerts von Sarasate und Door mit der Produc
tion der Sing-Akademie. Diese Gleichzeitigkeit hätte
unbedingt vermieden werden sollen, denn die Zahl passionirter
Concertbesucher ist zur Stunde nicht gar so groß, daß man
jedem Concert gleichsam einen Aderlaß appliciren, einen Ab
fluß verschaffen müßte durch ein zweites. Im Gegentheil, es
verlieren dann sicherlich beide Unternehmungen etwas von
ihrem Publicum. Das Programm der Sing-Akademie bot
eine Reihe von Novitäten, die Firma Door und Sarasate
garantirte virtuose Ausführung; hier lockte das Wie, dort
das Was. Diesmal half einigermaßen das Wo. Die beiden
Concerte rivalisirten nämlich im selben Gebäude, ja Thür an
Thür, so daß in ihrer Musikleidenschaft oder in ihrem Pflicht
gefühl bedrängte Gemüther nur aus dem kleinen Musikver
einssaale in den großen hinüberzugehen brauchten, um von
jeder der beiden Tafeln die besten Bissen zu erhaschen.
Wenn man von Sarasate’s Programm etwas
opfern muß, so verzichtet man noch am leichtesten auf seinen
Vortrag Beethoven’scher Tondichtungen; da thut es
mancher deutsche Musiker ihm zuvor, während im eigent
lichen Bravourspiel den Spanier sehr Wenige erreichen. Wir
siedelten uns also, während Sarasate mit dem Beethoven’
schen Violin-Concert begann, in der „Sing-Akademie“ an.
Diese eröffnete ihre Production mit Mendelssohn’s
Kirchenmusik in F-moll: „Aus tiefer Noth schrei’ ich zu dir“,
welche mit Clavierbegleitung und dem befremdenden Beisatz
„neu“ gegeben wurde. Das Stück, welches wir bereits im
Jahre 1860 in der Sing-Akademie gehört haben, übersteigt
einigermaßen die Leistungsfähigkeit des Vereins, sowol was
den Chor (namentlich in der Fuge) als das Tenor-Solo
betrifft. Desto besser kam Taubert’s „König von Thule“
heraus, ein Chorlied, das zwar Niemandem sonderlich warm
macht, aber immerhin durch den Klangreiz einfacher, wohl
gesetzter Harmonien wirkt. Eine interessante, auch wirklich
neue Novität brachte Herr Weinwurm in Gade’s
„Bildern des Jahres“. Es sind dies vier, im Charakter der
„Vier Jahreszeiten“ gehaltene Gedichte, halb lyrisch, halb be
schreibend, von Andersen, für Frauenchor mit Alt-,
Sopran- und Tenor-Solo gesetzt. Eine sinnige, fein empfun
dene Composition, welche durchwegs die erfahrene, zarte
Hand des Meisters verräth und überall befriedigt, wo nicht
die poetische Schilderung den vom Componisten gewählten
bescheidenen Mitteln allzu viel zumuthet. Sehr anziehend
durch hübsche charakteristische Züge ist die vierhändige
Clavierbegleitung, welche die Herren Landskron und
Pottje vortrefflich ausführten. Für den Vortrag der
Gesang-Soli wurden die Fräulein Kner, Beck
und Herr Dr. Trutter lebhaft applaudirt. Es folgten
zwei neue, gar nicht anspruchsvolle, aber desto ansprechendere
Chöre von Engelsberg: „Waldmädchen“ und „Weißt
du noch?“ Beide wirken durch die natürlichste Verschmelzung
von poetischer Textauffassung und selbstständigem musikali
schen Reiz. Wir freuen uns des unerschöpflichen Melodien
quells unseres bereits in ganz Deutschland populären Lands
mannes, dessen kleinster Composition man es anfühlt, daß
sie durch eine feine allgemeine Bildung hindurchgegangen ist.
Zwischen diesen Chorproductionen hörten wir Brahms’
dreisätzige Sonate für Clavier und Violoncell. Wenn wir
davon absehen, daß Brahms’sche Musik mehr als jede andere
eine männliche Energie des Geistes wie des Anschlages erfor
dert, so dürfen wir Fräulein Gabriele Joël für den tadel
los ausgeführten Clavierpart unumwunden loben. In der
Bewältigung der überaus schwierigen Violoncellstimme lieferte
Herr Hummer eine der vollgiltigsten Proben seines Talents.
Unter den Brahms’schen Compositionen gehört gerade die
Cello-Sonate nicht zu den Lieblingen des Publicums oder
doch nur durch ihr menuetartiges Allegretto, dessen klaren,
melodiösen Fluß man in den schwerer gebauten und schwerer
verständlichen äußeren Sätzen vermißt. Es ist erfreulich, daß
allmälig auch die minder bekannten Compositionen von Brahms
in unseren Concerten häufiger vorkommen. Wir möchten nicht
gerne hinter den Engländern zurückstehen, welche gegenwärtig
einen sehr ernsthaften Brahms-Cultus anheben und dessen
große C-moll-Symphonie bereits zweimal mit vollständigem
Erfolg aufgeführt haben.
Von der Brahms’schen Sonate gelangten wir noch gerade
rechtzeitig in den großen Musikvereinssaal, um Herrn Sara
sate die Raff’sche Suite für Violine und Orchester vor
tragen zu hören. Der Virtuose kann sich diesmal über den
Componisten nicht beklagen: die Suite liefert ihm Schwierig
keiten von lohnendster Halsbrecherei. Erstaunlich sind ins
besondere die Gleichheit und Reinheit, mit welcher Sarasate
in dem Final-Presto („Perpetuum mobile“) die denkbar
größte Anzahl von Noten in Einer Secunde staccato hervor
bringt. Wunderdinge aller Art producirte er hierauf in einer
selbstverfaßten Phantasie über Gounod’s „Faust“. Die Com
position, sehr unbedeutend, aber geschickt in der Ausbeutung
von Violin-Effecten, führt fast die halbe Oper in ihren Haupt
themen an uns vorüber. Zuerst schnurrt Gretchen’s Spinn
rad; dann ertönt, umwunden von Trillerketten, der Oster
gesang; an Gretchen’s Gebet im Dome schließt sich Me
phisto’s Lied: „Ja, das Gold“, das Sarasate mit den aben
teuerlichsten Hexereien ausstattet, wie sie seit Paganini’s
„Streghe“ und Ernst’s „Carneval“ nicht dagewesen, in
Sprüngen, chromatischen Octaven-Scalen, Pizzicati und mit
unter recht übelklingenden Ueberraschungen über und unter
dem Steg. Am schönsten gespielt, nicht gehext, sondern gesungen
war das Liebesduett aus dem dritten Act: Sarasate bringt
die Melodie Faust’s mit vibrirendem breiten Ton auf der
G-Saite, hierauf die Antwort Gretchen’s wie in Silberklän
gen dreistimmig in den höheren Chorden, dann beide Stimmen
in polyphonem Spiel vereint. Es weht ein Anflug von Poesie
in diesem Satz. Zum Schluß kommt der Walzer aus dem
zweiten Finale herangestürmt, in eine Wolke von Passagen
gehüllt. Der Applaus wollte kein Ende nehmen. Jedenfalls
ist Sarasate die hervorragendste Virtuosenkraft, die wir
nicht blos in dieser Saison, sondern wol überhaupt in den
letzten Jahren als neue Bekanntschaft in Wien begrüßt haben.
Herr Door spielte Liszt’s unsäglich schwierige „Ungarische
Phantasie für Clavier und Orchester“ mit erstaunlicher Kraft
und Ausdauer; sein Forte, für kleinere Localitäten zu gewalt
sam, wirkte siegreich im großen Musikvereinssaal. Daß letz
terer nur wenig leere Plätze aufwies, darf die beiden Concert
geber schon eitel machen. — Hellmesberger’s anhaltend
gutbesuchter Quartetten-Cyklus ist inzwischen bis zum fünften
Abend vorgerückt. Die versprochene Novität von Hermann
Grädener fiel zwar abermals aus, dafür wurde Schu
bert’sA-dur-Quintett Op. 114 von Fräulein G. Joël
und dem Hellmesberger’schen Quartett sehr hübsch gespielt.
„Neu“, wie das Programm behauptet, war das Quintett
keineswegs; Herr Epstein hat es schon 1860 öffentlich vorge
tragen, und außerdem noch ein anderesmal das variirte Andante
daraus über das Lied: „Die Forelle“. Mit dem lockenden Beisatz
„neu“ und „erste Aufführung“ wird in Wien etwas leicht
sinnig gewirthschaftet; Chöre, die wir bereits aus dem Sing
verein oder dem Männergesang-Verein kennen, figuriren
als „Novitäten“ in der Sing-Akademie oder dem Akademi
schen Gesangverein, Orchesterstücke aus dem Repertoire der
Philharmoniker werden wieder „neu“ auf den Programmen
der Gesellschafts-Concerte u. s. w. „Neu für mich,“ denkt
offenbar der betreffende Concert-Dirigent in solchen Fällen.
Auf diese Weise entsteht aber doch eine gar zu große Anzahl
von „Novitäten“, ja es brauchte nur eine dritte Orchester-
Gesellschaft sich in Wien zu organisiren, damit vielleicht auch
die Pastoral-Symphonie oder die „Melusina“-Ouvertüre
„neu“ würden. Etwas mehr Genauigkeit hierin wäre drin
gend zu wünschen, nicht blos um künftigen Musik-Historikern
grenzenlose Confusion zu ersparen, sondern auch aus Rück
sicht für unsern Ruf im Auslande, wo es doch seltsam be
fremden muß, wenn heutzutage in Wien altbekannte größere
Compositionen von Mendelssohn, Schubert und An
deren als neu aufgeführt werden.
Die letzten Tage brachten uns die Nachricht von dem
Tode einer der berühmtesten Opernsängerinnen, der in
Wien geborenen Caroline Ungher-Sabatier. Seit
35 Jahren von der Bühne zurückgetreten, war die Ungher
als Künstlerin lange verschollen; als hochgebildete und wohl
wollende Frau hingegen ist sie bis an ihr Ende Allen, die
sie kannten, eine werthvolle Erscheinung geblieben, deren
Hingang insbesondere in Wien schmerzlich empfunden wird.
Sie pflegte alljährlich zum Curgebrauche nach Karlsbad
zu reisen. Dorthin begab sich eines Tages Desirée
Artôt, eigens um einige ihrer Partien der Unger vorzu
singen. Mit Begeisterung erzählte mir die Artôt, wie aus
drucksvoll die alte Frau mit dem behäbigen Embonpoint und
der schwarzen Hornbrille auf der Nase ihr die Recitative der
Norma vorgesungen. Da habe man die Runzeln, die Beleibt
heit und die Hornbrille vergessen und die leibhaftige Norma
vor sich gesehen. Mir wurde die persönliche Bekanntschaft der
berühmten Künstlerin erst vor wenigen Jahren zu Theil, als
sie, von Karlsbad rückkehrend, in Wien verweilte, haupt
sächlich um ihrer geliebten Ziehtochter Anna Regan als
Concertsängerin hier den Boden zu ebnen. Man konnte die
Ungher nicht von liebenswertherer Seite kennen lernen, als
in ihrer zärtlichen Fürsorge für die junge Sängerin, in
welcher sie echte Empfindung und edle Einfachheit des Vor
trages hochschätzte und unermüdlich förderte. Charakteristisch
für ihre künstlerische Anschauung sind einige Worte, die sie
mir (nach dem Concert der Regan) aus Florenz schrieb:
„Sie haben durch Ihr Urtheil mein liebes Kind in
die Reihe ernster Künstler gestellt, und dies ist nach
meinem Ermessen der ehrenvollste Platz.“ Man hätte es
damals der rüstigen, lebhaften Frau nicht angemerkt,
daß sie im Jahre 1808 geboren war. Von ihren ehe
maligen Erfolgen sprach sie sehr selten, doch erinnerte sie
sich gerne, daß ihre erste Partie in Wien (1819) der Page
in Mozart’s „Figaro“ war und daß es ihr vergönnt ge
wesen, in dem denkwürdigen Concert vom 7. Mai 1824 im
Kärntnerthor-Theater mitzuwirken, das Beethoven gleich
sam als Abschied von der Oeffentlichkeit gab. Caroline
Ungher und Henriette Sontag sangen dabei
die Soli in der zum erstenmale aufgeführten Neunten Sym
phonie, und die Ungher war es, die am Schlusse den tauben
Meister bei der Hand nahm und gegen das Publicum drehte,
damit er — der den Applaus nicht mehr hörte — wenig
stens das Händeklatschen und Tücherschwenken sehen könne.
Sie folgte im nächsten Jahre dem Impresario Barbaja
nach Italien, das (mit Ausnahme weniger Gastspiele in
Paris, Wien und Dresden) fortan der Boden ihrer künst
lerischen Laufbahn blieb. Von ihrer stattlichen Erscheinung
und großem schauspielerischen Talent unterstützt, begeisterte
sie durch fünfzehn Jahre das Publicum in den dramatischen
Partien Bellini’s, Mercadante’s, Donizetti’s. Aus eigenem
Erlebniß kann ich leider nichts von der Kunst der Ungher
erzählen, doch existirt dafür das merkwürdigste Zeugniß in
den Büchern eines großen Dichters, dessen leidenschaftliche
Hingebung den Namen Caroline Ungher mit poetischer Ver
klärung umgibt. Ich meine Lenau. Manche Leser, nament
lich die mit österreichischen Verhältnissen unbekannten, dürften
nicht wissen, daß die in Lenau’sBriefen (zwei Bände,
herausgegeben von Schurz) vorkommende „Caroline“ nie
mand Anderer als unsere Caroline Ungher ist. Der Ein
druck, den ihr Gesang auf Lenau machte, war ein nieder
zwingender, und die herrlichen Worte, womit er ihn schildert,
wollen wir der verewigten Künstlerin als schönsten Nachruf
hiehersetzen:
Am 25. Juni 1839 schreibt Lenau an eine Freundin
von seinem Zusammentreffen mit der Ungher beim Grafen
Ch. in Penzing: „Caroline sang vor Tische den „Wanderer“
und das „Gretchen“ von Schubert hinreißend schön. Es rollt
wirklich tragisches Blut in den Adern dieses Weibes. Sie
ließ in ihrem Gesange ein singendes Gewitter von Leiden
schaft auf mein Herz los. Sogleich erkannte ich, daß ich in
einen Sturm gerathen; ich kämpfte und rang gegen die Macht
ihrer Töne, weil ich vor Fremden nicht so gerührt erscheinen
mag; umsonst, ich war ganz erschüttert und konnte es nicht
verhalten. Da faßte mich, als sie ausgesungen, ein Zorn
gegen das sieghafte Weib, und ich trat ins Fenster zurück,
sie aber folgte mir nach und zeigte mir bescheiden ihre zit
ternde Hand, und wie sie selbst im Sturm gebebt. Das ver
söhnte mich, denn ich sah, was ich gleich hätte sehen sollen,
daß es ein Stärkerer war als ich und sie, der durch ihr
Herz gegangen und meines, und vor dem wir Beide gleich
gebeugt dastanden, als es wieder stiller war. Wir setzten uns
zu Tische. Caroline war sehr freundlich und gesprächig. „Ich
bitte mir meinen Lenau zum Nachbar aus,“ sagte sie, und
so ward ich denn ihr Nachbar. Doch das Singen hatte mir
den Appetit verdorben und mich in mich selbst gekehrt.“
Wenige Tage später schreibt Lenau: „Die letzte Woche
war für mich eine Zeit stürmischer Bewegung. Caroline ist
ein wunderbares Weib. Nur am Sarge meiner Mutter habe
ich so geschluchzt wie an jenem Abend, als ich die herrliche
Künstlerin in „Belisario“ gehört hatte. Da war es nicht
das bestimmte Stück, die bestimmte Rolle, deren Tragik mich
angegriffen hätte. Die Sängerin ging weit über jede Einzel
heit hinaus, und ich hörte in ihren leidenschaftlichen Klagen,
in ihrem Aufschrei der Verzweiflung das ganze tragische Ge
schick der Menschheit rufen, die ganze Welt des Glücks aus
einanderbrechen und das Herz der Menschheit zerreißen. Mich
ergriff ein namenloser, ungeheurer Schmerz, von dem ich
noch ein heimliches Zittern durch mein innerstes Leben spüre.
Da war es zu hören, daß es dem Schicksal Ernst ist mit
seinem Leide, daß dies nicht ein wohlgemeinter Rathschluß
unserer Herzenserziehung ist. Ich war viel mit Caroline zu
sammen; sie fühlte sich mir verwandt wie eine Wetterwolke
der andern. Nach der Vorstellung des „Belisario“ ging ich,
wie öfter, zu ihr und sagte ihr, daß sie die größte tragische
Wirkung auf mich gemacht habe. Ich freue mich ihrer
Freundschaft, denn sie ist, was ich ihr auch sagte, eine
der höchsten Naturen, die wir auf Erden zu
verehren haben. Im Umgange ist sie gewöhnlich leb
haft und heiter, oft kindisch und tändelnd, wobei sichtbar
ihre Seele ausruht von den großen Erschütterungen und die
Natur wohlthätig wieder das Leben ins Gleichgewicht zu
bringen sucht. Dann aber bricht zuweilen plötzlich die ernste
Stimme ihrer Seele hervor, und was sie, wie zum Beispiel
über das Tragische und ihre Auffassung desselben, gesagt,
zeigte mir auch ihre Gedanken auf einer seltenen Höhe. Sie
ist in den einsamsten und wildesten Gegenden der Leidenschaft
heimisch und kennt das Angesicht des Schmerzes in allen
seinen Zügen. Ich wünsche, daß sie, wie sie sich vorgenom
men, in einigen Jahren sich dem deutschen Schauspiele zu
wendete; da wäre es eine Freude, ein Trauerspiel für sie zu
schreiben.“
Aus diesem Ausbruch der Kunstbegeisterung sieht man
schon deutlich die Flammen der Leidenschaft aufzucken.
Lenau, damals siebenunddreißig Jahre alt, liebt Caro
line und will sie heiraten. Er vertraut diesen Ent
schluß zuerst seiner Freundin Sophie L., jener verheirateten
Dame, mit der ihn ein langes inniges Verhältniß verband:
„Sie haben mir mit Ihren paar Zeilen das Herz zer
schmettert. Caroline liebt mich und will mein werden. Sie
sieht’s als ihre Sendung an, mein Leben zu versöhnen und
zu beglücken. Es ist an Ihnen, Menschlichkeit zu üben an
meinem zerrissenen Herzen. Caroline liebt mich grenzenlos.
Verstoße ich sie, so mache ich sie elend und mich zugleich.
Entziehen Sie mir Ihr Herz, so geben Sie mir den Tod;
sind Sie unglücklich, so will ich sterben. Der Knoten ist ge
schürzt. Ich wollte, ich wäre schon todt.“
Die Antwort Sophiens scheint Lenau’s Entschluß, mit
Caroline Ungher zu brechen, bestimmt zu haben. „Es liegt
ein Gebirg von Kummer und Traurigkeit auf meiner Brust,“
antwortet er Sophien. „Der Ausweg, den Sie mir nannten,
geht durch meine Todespforte. Ich habe Carolinen nicht
verschwiegen, daß Sie meine höchste, entscheidende Rücksicht
sind.“ Er setzt Carolinen die Gründe auseinander, welche
ihrer Vereinigung entgegenstehen (darunter seine gänzlich un
sichere materielle Stellung), und berichtet am 22. August
1839 der Freundin: „Meinen Willen durchaus ehrend,
nahm Caroline meine Erklärung mit schöner weiblicher Füg
samkeit entgegen.“ Lenau’s Schwager und Biograph
A. Schurz gibt Carolinen — deren Ehe mit Lenau ihm
gleichwol für beide Theile kein dauerhaftes Glück zu ver
sprechen schien — das schöne Zeugniß, daß „ohne ihr edel
verzichtendes Benehmen das Unheil von 1844, nämlich
Lenau’s Geisteskrankheit, wol damals schon ausgebrochen wäre“.