Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4542. Wien, Donnerstag, den 19. April 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4542. Wien, Donnerstag, den 19. April 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 19.04.1877
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Ein Jubiläum. (Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Frau Marchesi.)

Ed. H. Es war gegen Ende des Jahres 1854, daß in einer der so genußreichen Musiksoiréen des Hofrathes Vesque v. Püttlingen (J. Hoven) zwei neue Erscheinungen auf tauchten. Sie wurden uns als „Herr und Frau Mar chesi“ genannt, ein Sängerpaar, das, von Liszt, Meyerbeer und anderen Größen an Vesque empfohlen, in Wien zu concertiren gedenke. Noch ehe sie sangen, hatten die Beiden alle Sympathien erobert — man konnte in der That kein stattlicheres, anmuthigeres junges Ehepaar sehen. Ans Cla vier gebeten, sang Frau Marchesi mit geistvollem Vortrag deutsche, französische, italienische Lieder, dem Musik- und Sprachgeist jedweder Nation gleichmäßig gerecht. Ihr Gatte, Salvatore Marchesi, bewährte sich in einigen Arien von Mozart und Cimarosa gleichfalls als vorzüglicher Sänger, als „buffo cantante“ von echt italienischem Talent und Temperament. Mit den Vorträgen der beiden Gäste war keineswegs auch das Interesse für sie zu Ende. Frau Mar chesi erzählte am Theetisch von fremden Ländern und Musikmenschen mit so scharfer Beobachtungsgabe und feinem Verständniß, daß die ganze Gesellschaft ihr vergnügt zuhörte und die Nachbarn sich schließlich zuflüsterten: „Das wäre eine Acquisition für Wien!“ Und sie wurde es. Vesque v. Püttlingen, selbst ein vorzüglicher Sänger und Vorstand der Gesellschaft der Musikfreunde — also diesfalls die Einsicht und die Macht in Einer Person — vermittelte das Engage ment der Frau Marchesi als Gesanglehrerin am Wiener Conservatorium. Mit zwei Unterbrechungen (Paris und Köln) hat Frau Marchesi seither ihre ganze Thätigkeit in Wien entfaltet, und überblickt man die Namen ihrer zahl reichen Schülerinnen, welche auf allen ersten Opernbühnen, zum Theil als Celebritäten, glänzen, so muß man, ohne Vorliebe oder Abneigung, die Thatsache anerkennen, daß Frau Marchesi gegenwärtig für die erfolgreichste Gesang lehrerin in Europa gilt. Die beiden schönen Gedenktage, welche sich ihr in dem heutigen Datum vereinigen — ihre silberne Hochzeit und ihr 25jähriges Lehrer-Jubiläum — lassen Frau Marchesi auf ein reichbewegtes, arbeitsvolles

Leben zurückblicken. An Ausdauer und zielbewußter Energie kann sie jedem Kunstjünger zum Vorbild dienen. Wir glau ben deßhalb nicht fehlzugreifen, wenn wir am heutigen Tage einige Denkwürdigkeiten aus dem Leben der Jubilarin hier mittheilen. Es geschieht dies auf Grund einer ausführlichen Selbstbiographie, welche Frau Marchesi der Redaction der „Neuen Freien Presse“ zur Verfügung gestellt hat und die wir auszugsweise, mit möglichst getreuer Anlehnung an ihre eigenen Worte, hier benützen.

Mathilde Marchesi ist am 26. März 1826 in Frankfurt a. M. geboren. Im Hause ihres Vaters, des an gesehenen Großhändlers Graumann, genoß sie eine glück liche Kindheit und sorgfältige Erziehung. Lust und Talent zum Gesange regten sich früh in dem aufgeweckten und uner müdlich fleißigen Mädchen. Plötzlich durchschnitt eine schrille Dissonanz die glückliche Jugendzeit: Vater Graumann verlor sein ganzes Vermögen; Mathilde mußte daran denken, sich eine Existenz zu gründen. Sie wollte sich der Kunst widmen; ihre Familie war dagegen und bestimmte sie gegen ihre Neigung zur Erzieherin. Mathilde fügte sich ohne Murren und wurde im April 1843 von einem Freunde der Familie zu ihren Tanten nach Wien gebracht. Diese Tanten (Schwestern von Mathildens Vater) empfingen sie sehr freundlich; die eine davon erscheint sogar als eine gute Vorbedeutung für die musikalische Zukunft der Kleinen. Es war dies die als ausgezeichnete Clavierspielerin und Freundin Beethoven’s be kannte Dorothea v. Ertmann, Witwe des k. k. Feld marschall-Lieutenants Ertmann. Sie hatte für ihre Nichte bereits eine Stelle als Erzieherin bei der gräflichen Familie N. gefunden, wo Mathilde die Obhut über ein kränkliches sechsjähriges Kind übernehmen sollte. Mathilde erklärte sich mit Allem zufrieden, wenn man ihr nur Zeit lassen wolle zu ihren Gesangsstudien. So wurde denn vereinbart, daß die junge Gouvernante einen Jahres gehalt von hundert Gulden und zweimal wöchentlich Gesangsunterricht bei dem besten Meister erhalten sollte. Da erbot sich Mathildens verheiratete Schwester, ein kleines Kapital zu opfern, um Mathilden aus den Banden eines ihr nicht zusagenden Berufes zu befreien und das Musik studium in Wien ihr zu ermöglichen. Mathilde jauchzte über diese Wendung und verblieb vorläufig bei den Tanten. Do rothea v. Ertmann erzählte ihr da einen charakteristischen

Zug von Beethoven. Es war ihr nämlich unbegreiflich gewesen, daß dieser, ihr alter treuer Freund, sie nach dem Tode ihres geliebten einzigen Kindes nicht besucht hatte. Da tritt nach mehreren Wochen Beethoven bei Frau v. Ertmann ein, setzt sich, ohne ein Wort zu sprechen, ans Clavier und phantasirt lange Zeit in Klängen, die der betrübten Mutter wie Engelschöre vom Himmel erschienen. Dann drückte er ihr stumm die Hand und ging wieder. Dorothea v. Ert mann (der bekanntlich die Sonate Op. 101 von Beethoven gewidmet ist) nahm auch auf das Clavierspiel Mathildens günstigen Einfluß. Es kam der Winter, und der ersehnte Gesangsunterricht sollte beginnen; Otto Nicolai, der Begründer der Philharmonischen Concerte in Wien und Ca pellmeister am Hofoperntheater, wurde Mathildens Lehrer. Sein Unterricht förderte unsere junge Sängerin nicht son derlich; Nicolai gestand ihr selbst, er verstehe sich besser auf das Einstudiren von Opernpartien, als auf die Stimmbildung. Mehr profitirte sie mittelbar durch den Besuch der trefflichen Concerte und der Oper, welche damals mit Staudigl, Jenny Lutzer, Hasselt etc. in schönster Blüthe stand. Joseph Dessauer studirte Mathilden viele seiner Lieder ein und accompagnirte sie in Gesellschaften. Als im Frühling mit der Italienischen Oper auch Madame Viardot-Garcia in Wien einzog, wagte es Mathilde, ihr etwas vorzusingen und um ihr Urtheil zu bitten. „Sie sind auf falschem Wege,“ hieß es, „Sie sollten zu meinem Bruder Garcia nach Paris gehen.“ Mathilde wünschte sich nichts Besseres, umsomehr, als Otto Nicolai sich um ihre Hand bewarb, dieser Verbindung aber die größten Schwierig keiten im Wege standen. Ihre künstlerische Laufbahn wollte Mathilde nicht aufgeben; sie eilte deßhalb vorläufig nach Frankfurt zurück, ihren Eltern das Pariser Project mitzu theilen. Niemand war damit einverstanden. Da faßte das energische Mädchen den Entschluß, Gesangsunterricht zu geben, um sich allmälig die Mittel zu ihrer eigenen Ausbildung selbst zu erwerben. Das Glück begünstigte sie; zahlreiche Schülerinnen wurden ihr anvertraut, insbesondere nachdem sie selbst zum erstenmal öffentlich gesungen hatte. Das geschah im August 1844 in einem Concert, das die jugendlichen Violin- Virtuosen Joseph und Georg Hellmesberger in Frank furt gaben. In demselben Jahre hatte sie das Glück, Men delssohn-Bartholdy kennen zu lernen und auf das

freundschaftlichste in seinen Familienkreis aufgenommen zu sein. Mendelssohn verweilte gern und häufig in Frankfurt, der Vaterstadt seiner Frau, und da gab es dann Landpar tien, wobei im Freien Mendelssohn’s Quartette gesungen wurden und der Meister selbst auf der Orgel irgend einer Dorfkirche phantasirte. Auf Mendelssohn’s Empfehlung sang Mathilde auf dem Düsseldorfer Musikfeste die Altpartien in Händel’s „Josua“ und in der „Walpurgisnacht“. Der ent schiedene Erfolg dieses Auftretens, dazu ein bereits erspartes hübsches Sümmchen rückten sie ihrem ersehnten Ziele, Paris, bedeutend näher. Mendelssohn freilich war dagegen; er behauptete, in Paris sei mehr Affectation als wahre Kunst und echtes Gefühl vorherrschend. Aber die Ungeduld Ma thildens war nicht länger zu bändigen, und so reiste sie denn im Herbst 1845 mit dem Claviercomponisten Jaques Ro senhain und dessen Frau nach Paris.

Ihr erster Weg war zu Manuel Garcia. Der be rühmte Singlehrer lobte ihre Stimme, erklärte aber, daß sie einer vollständigen Ausbildung, nicht blos einer „letzten“, bedürfe und daß mehrere Jahre dazu erforderlich sein wür den. Mathilde fühlte sich wie vom Blitz getroffen — ihre Ersparnisse waren nur für sechs Monate berechnet. Doch auch diesmal fand sich Hilfe in der Noth, Hilfe durch Frank furter Freunde, welche Mathilden eine monatliche Rente zu sagten bis zur Vollendung ihrer Studien. Auch ein Unfall ihres Meisters kam ihr eigenthümlich zu statten. Garcia hatte im Frühjahr 1847, vom Pferde stürzend, den Arm gebrochen und übergab für längere Zeit seine Privatschüle rinnen dem Unterricht Mathildens. So lernte diese, lehrend und von den Rathschlägen des Meisters geleitet, ihr Bestes. Nach zwei Jahren ununterbrochenen Studiums in Paris wendete sich Mathilde auf den Rath ihrer Freunde nach Mailand, um dort ein Engagement zu suchen. Sie traf dort zur ungünstigsten Zeit ein, die meisten Theater waren ge schlossen, die Revolution im Anzuge. Ihr früherer Gesang lehrer Ronconi, damals in Mailand, wollte ihr eben einige Abschiedsworte ins Stammbuch schreiben, als die Sturm glocke ertönte. (Das Stammbuchblatt lautet: „Milano, 18 Marzo 1848 a ore 12 di mattino, momento dell’ insur rezione. Addio! Felice Ronconi.“) Unter solchen Umständen war an eine Abreise nicht zu denken. Mehrere qualvolle Tage und Nächte verbrachte Mathilde mit einigen Damen

versteckt in einem Gartensalon des Raimondi’schen Palais. Endlich wendete sich das Glück auf Seite der Italiener, und die gefangenen Damen verließen betend und hungernd ihr Versteck. Hören wir, wie Frau Marchesi selbst diese interessante Episode schildert:

„Es war an einem sonnigen Märzmorgen, als wir den großen Hof betraten. Die Pflastersteine waren aufgewühlt, vor dem Palais standen zwei riesige Barricaden, welchen man die feinsten Möbel, Claviere etc. geopfert hatte. Aus weiter Ferne hörte man noch Kanonendonner. Mitten im Hofe stand Signor Ronconi, seinen Degen schwingend und mit den Worten: „So breche ich meinen Eid mit Oester reich!“ mitten entzweibrechend. Selbigen Tags lud der Marchese Raimondi uns ein, bei ihm zu speisen. Ich war bei dieser Gelegenheit kein willkommener Gast. Man hielt mich für eine Oesterreicherin, denn der Portier hatte aus gesagt, daß ich viele Briefe aus Wien erhalte. Kaum hatten wir uns zu Tisch gesetzt, als ein italienischer Officier sich meldete, um Rapport zu erstatten. Er übergab dem Marchese mehrere Gegenstände, welche gefallenen österreichischen Offi cieren abgenommen waren. Unter denselben befand sich auch ein Brief. „Der Brief ist deutsch,“ sagte der Marchese. „Den wird uns das Fräulein am besten übersetzen können.“ Kaum hatte ich zu lesen angefangen, als Thränen meinen Blick verdunkelten und die Stimme mir versagte. Der Brief war gar so rührend. Ein junger Officier schrieb in den zärt lichsten Ausdrücken an seine Mutter, daß er zu avanciren hoffe und dadurch in den Stand käme, ihre Lage zu ver bessern. Dieses treue Herz hatte aufgehört zu schlagen! Ich rang noch nach Fassung, als der Marchese wüthend mit der Hand auf den Tisch schlug und mich mit den Worten: „Via, vile Austriaca!“ (Weg, feige Oesterreicherin!) aus dem Zimmer jagte. Niemand hatte gewagt, ein Wort zu meiner Vertheidigung zu sprechen. Ich war im Innersten empört, doch kalt und gefaßt, flog die Treppe hinauf, schloß mich in mein Zimmer ein, packte von neuem meinen Koffer und legte mich halbtodt vor Aufregung und — ich schäme mich nicht, es zu sagen, auch vor Hunger ins Bett. Den andern Morgen um 4 Uhr stand ich auf und verließ das Palais, dessen Thore bereits weit geöffnet waren.“

Es gelang Mathilden, von Mailand wieder nach Paris zurückzukommen, wo sie durch ein volles Jahr den Unter

richt bei Garcia fortsetzte. In den Jahren 1849 und 1850 finden wir Mathilde als eine der gesuchtesten Concertsängerinnen in London. Nach Beendigung der Saison wendete sie sich nach Deutschland, wo sie bei Liszt in Weimar, bei Mo scheles und David in Leipzig die freundlichste Aufnahme fand und in letzterer Stadt mehrere Concerte gab. Es folgte abermals ein Aufenthalt in London, der sich um so genuß reicher gestaltete, als Mathilde in dem Hause des preußischen Gesandten v. Bunsen und anderen liebenswürdigen Familien heimisch geworden war. Sie veranstaltete 1851 eine Privat-Soirée, in welcher Mendelssohn’s Lieder spiel: „Die Heimkehr aus der Fremde“ mit englischem Text zum erstenmal in England aufgeführt wurde. Manuel Garcia hatte selbst eine Rolle übernommen, desgleichen einer seiner Schüler, der junge Sicilianer Salvatore Mar chesi de Castrone, der bald in dem Leben unserer Sängerin eine noch wichtigere Rolle spielen sollte. Salvatore Marchesi und Mathilde Graumann wurden am 19. April 1852 in Frankfurt vermält. Das junge Paar folgte gleich nach der Hochzeit einer Einladung Meyerbeer’s nach Berlin, verlebte dann wieder eine Saison in London und langte im Sep tember 1854 in Wien an, um daselbst Concerte zu geben. Ohne im entferntesten an einen bleibenden Aufenthalt in Wien zu denken, fanden sich die Marchesi doch bald hier ge fesselt. Frau Marchesi nahm die ihr angetragene Gesangs professur am Wiener Conservatorium an, das, damals noch in dem winkeligen alten Musikverein, auf bescheidenstem Fuße eingerichtet war. Ihre Thätigkeit erwies sich gleich in dieser ersten Zeit erfolgreich, aus welcher die berühmt gewordenen Schülerinnen der Marchesi: Antonia Fricci, Gabriele Krauß, Ilma v. Murska stammen. Von ihrem Lehrer beruf ganz in Anspruch genommen, trat Frau Marchesi nach der Concert-Saison 1854/55 nicht mehr öffentlich auf. Mit einer einzigen Ausnahme, die kaum bekannt geworden und doch seltsam genug gewesen ist. Das große Mozart-Jubiläums- Concert sollte am 27. Januar 1856 unter Liszt’s Leitung im großen Redoutensaal vor sich gehen. Frau Marchesi lag fieberkrank zu Bett und trostlos, dem Concert nicht bei wohnen zu können, als anderthalb Stunden vor dessen Beginn ein Abgesandter Liszt’s bei ihr eintrat, sie beschwörend, den Part der Elvira in dem „Don Juan“-Finale statt der plötzlich verhinderten Frau Csillag zu übernehmen. Die Haupt

nummer des Festconcertes war verloren ohne den heroischen Entschluß der Marchesi, welche aufsprang, sich ankleidete und ohne Probe die Partie neben Ander, Staudigl und der Tietjens auf das lobenswertheste durchführte.

Allerlei Mißhelligkeiten mit der Direction des Conservato riums brachten Frau Marchesi zu dem Entschluß, im September 1861 ihre Stellung in Wien aufzugeben und — gefolgt von einer Anzahl getreuer Schülerinnen — nach Paris zu übersiedeln. Auch dort strömten ihr die Schülerinnen von allen Seiten zu. Rossini nahm die Dedication ihrer „Vocalisen“ an, deren Trefflichkeit er in einem liebenswürdigen Schreiben anerkannte. „Ich liebe die tiefen Stimmen,“ sagte er eines Tages zu Frau Marchesi, „will auch noch den Soprano giusto an hören, aber die Sängerinnen, die immer in den höchsten Regionen schweben und nicht einmal Voce di testa (Kopfstimme), son dern Voce di capelli (Haarstimme) anwenden, die beleidigen mein Ohr.“ Inmitten aller Annehmlichkeiten und Anerkennun gen fühlte doch Frau Marchesi, daß das aufreibende Leben in Paris ihre Gesundheit bedrohe. Die Aerzte drangen auf Luftwechsel und ruhigere Lebensweise. So verließ denn Frau Marchesi nach vierjährigem Aufenthalte Paris und willigte in den Antrag Ferdinand Hiller’s, eine Stelle am Kölner Con servatorium anzunehmen. Wer an das reichbewegte Leben in Großstädten gewöhnt ist, der fühlt nicht leicht Befriedigung in kleineren Kreisen, die ihm bald — gesellschaftlich wie künst lerisch — monoton zu werden drohen. Frau Marchesi fand kein Genügen in Köln, wo sie während eines dreijährigen Aufenthalts nur zwei Schülerinnen für die Bühne aus gebildet hatte. Sie folgte um so lieber wiederholter Berufung nach Wien, als diese zugleich von der Nachricht einer Reorganisirung des Conservatoriums und dessen Uebersied lung in den neuen geräumigen Musikvereinspalast begleitet war. Seither sind acht Jahre verflossen — acht Jahre an gestrengter, aber erfolgreicher und vollauf anerkannter Thätig keit Frau Marchesi’s in Wien.

Hier enden die uns vorliegenden Memoiren der ver dienstvollen, ausgezeichneten Künstlerin, welche sich ihres Doppel-Jubiläums in dem Bewußtsein redlich erfüllter Pflicht und aus eigener Kraft errungener Erfolge freuen darf. Wir haben ihren Aufzeichnungen nur den Wunsch beizufügen, es möge deren weitere Fortsetzung noch dreimal so lang und dreimal so glücklich ausfallen.