Musik.
(
Hölzel’s Jubiläum. — Komische Oper. —
Italienische Oper.)
Ed. H. In unserer raschlebigen Zeit, welche die fünf
undzwanzigjährigen Jubelfeste erfunden hat, gehört ein aus
gewachsenes fünfzigjähriges Jubiläum zu den Seltenheiten.
Zumal in der Oper! Ein halbes Jahrhundert Comödie zu
spielen, zu singen und dann noch frischweg in einer Haupt
rolle vom Publicum Abschied nehmen, wie unser Gustav
Hölzel — das ist nur Wenigen vergönnt. Mit zehn
Jahren figurirte er schon auf dem Pester Theaterzettel
zwischen Herrn und Madame Hölzel, seinen Eltern. Mit
fünfzehn Jahren wurde er selbstständig und avancirte zum
„Musje“ oder „Mosje“, wie — komisch genug — die halb
wüchsigen Burschen genannt waren, selbst auf den Wiener
Hoftheaterzetteln vor 1848. Schon Anfangs der Dreißiger-
Jahre finden wir Hölzel als Mitglied des Hofoperntheaters,
meistens in ernsten Rollen beschäftigt — sein komisches Talent
wurde verhältnißmäßig spät entdeckt, entfaltete sich dann aber
um so kräftiger und bewußter. Wie oft und herzlich haben
wir über Hölzel gelacht! Ihn selbst aber sah man niemals
lachen auf der Bühne; die komischesten Dinge brachte er mit
dem ernsthaftesten Gesicht, mit unerschütterlicher Gelassenheit
vor. Der trockene Humor war Hölzel’s Specialität und ver
fehlte nie seine komische Wirkung. Unter den vielen Charakter
figuren, die er schuf, ist uns sein köstlicher Bürgermeister in
„Czar und Zimmermann“ die liebste Erinnerung. Neben
Hölzel als van Bett sang Beck den Czar, Erl den
Ivanoff, Ander den Marquis Chateauneuf — „das war
eine köstliche Zeit!“
Fast wären einundfünfzig Jahre aus den fünfzig ge
worden, so oft und lange ward die Hölzel’sche Festvorstel
lung in der Komischen Oper verschoben und wieder ver
schoben. Endlich kam sie doch zu Stande. Lortzing’s „Wild
schütz“ war am Schottenring noch gar nicht, im Hofopern
theater seit dem Januar 1860 nicht gegeben worden. Da
mals, vor siebzehn Jahren, galt Hölzel’s Schulmeister Ba
culus als die beste Leistung im „Wildschütz“, und in der
Aufführung vom letzten Samstag — was war das Beste
vom ganzen Abend? Herr Hölzel als Baculus. Wir wollen
dem alten Herrn nicht schmeicheln, aber es war so — leider.
An Talent, guter Schulung und charakteristischer Erscheinung
konnte keines von den jungen Mitgliedern sich mit ihm
messen. Hölzel wirkt heute noch durch seine musterhaft deut
liche Aussprache, seine klare, behagliche Auseinandersetzung der
Phrase, endlich durch eine gesunde Laune, die jederzeit auf dem
Wege ein glückliches Extempore pflückt. Die richtige und würdige
Stätte für eine Abschiedsfeier Hölzel’s war freilich nicht sowol
die Komische Oper, als das Hofoperntheater, an dem er so
viele Jahre, noch heute unersetzt, gewirkt hat. Man weiß,
wie und weßhalb Hölzel eines Tages von dort fortgeschickt
worden: weil er sich als Waldbruder Tuck in Marschner’s
„Templer und Jüdin“ geweigert hatte, statt der vorge
schriebenen und in ganz Deutschland anstandslos gesun
genen Worte „Ora pro nobis“ zu singen „Ergo bibamus“!
Eine mehr als furchtsame Theater-Censur hatte diese
mit der betreffenden Musik gar nicht zu vereinende Parodie
erdacht und dem Sänger vorgeschrieben. Hölzel brachte den
Unsinn nicht über die Lippen und — erhielt am nächsten
Morgen seine Entlassung. Der Vermessene hatte es gewagt,
sich einem Zustande zu widersetzen, gegen welchen Götter
selbst vergebens kämpfen! In der Komischen Oper wurde der
Jubilar bei seiner Abschiedsvorstellung nach Gebühr gefeiert
und ausgezeichnet. Im Uebrigen blieb der „Wildschütz“ trotz
redlicher Bemühung aller Betheiligten eine ganz ungenügende
Vorstellung. Jeder der Hauptdarsteller stellte einen Kapital
mangel an Stimme oder an Talent oder an Persönlichkeit
dar, oder an allen dreien: dabei kann das Publicum un
möglich warm werden. Gern übergingen wir heute diesen
Uebelstand mit Stillschweigen, da ja allem Anscheine nach
der Abschied Hölzel’s zugleich den Abschied der Komischen Oper
selbst bedeuten dürfte. Allein gerade deßhalb, angesichts eines
nahen Besitzwechsels der Komischen Oper, müssen wir unsere
an die Wüste gewohnte Stimme noch einmal erheben. Aufs
dringendste gewarnt sei jeder Theater-Director, der etwa
diesen vielgeprüften Musentempel in dem Wahne erstehen und
weiterführen wollte, es könne in Wien eine zweite Oper ge
deihen mit abgespieltem Repertoire und durchaus mittel
mäßigem Personal. Es versteht sich von selbst, daß wir aus
letzterem Frau Charles-Hirsch ausnehmen, eine vorzügliche
Sängerin, die übrigens in letzter Zeit gar nicht mehr mitthat. Die
Kritik mochte gegen die einzelnen Darsteller so nachsichtsvoll
wie immer vorgehen, schließlich mußte sie doch immer das
unbarmherzige Facit ziehen: So geht es nicht. Eine Opern-
Unternehmung, wie sie seit Monaten am Schottenring plan
los vegetirt, bald mit unreifen Anfängern, bald mit unmög
lich gewordenen Sängergreisen experimentirend, ist in Wien
unhaltbar. Auch die Herabsetzung der Preise hilft nicht
mehr, sobald das Publicum sich selber herabgesetzt fühlt.
Kurz: ein Theater-Director, welcher nicht mit einem viel
besseren Personal und reicherem Repertoire einziehen kann,
der schlage sich jeden Gedanken an Opernvorstellungen am
Schottenring aus dem Kopf. Sollte überhaupt der liebliche
Traum von einer eigenen „Opéra comique“ in Wien ausge
träumt sein? Wir wollen das Spiel noch nicht verloren
geben. Vielleicht kommt die Zeit, wo wir doch noch einmal
an frühere Vorschläge erinnern können. Der „Wildschütz“
selbst, das alte Lortzing’sche Lustspiel, sprach uns freundlich
an, gleichsam schmeichelnd bittend für sich und seine große
Familie. Die auffallenden Schwächen dieser und anderer
Lortzing’scher Opern verkennen wir nicht, noch wollen wir
ihre Vorzüge ins Großartige ausmalen. Aber Eines steht
doch fest, daß diese Vorzüge noch Keiner übertroffen oder
auch nur erreicht hat in Deutschland. Lortzing’s komische
Opern — das ist sehr bemerkenswerth — sind nicht von
einem Stärkeren verdrängt worden im Kampf ums Dasein;
es gibt im Fach des musikalischen Lustspiels in Deutschland
nichts, das sich — mit Recht oder Unrecht — später an
Lortzing’s Stelle gesetzt hätte. Nur die Herrschaft der großen
Oper und ihre ausschließliche Pflege in Hoftheatern wie das
Wiener haben bei uns die komische Oper beseitigt, vor
Allem die Werke ihres deutschesten Vertreters: Lortzing, dessen
kleinbürgerliche Stoffe allerdings in Großstädten nicht die
günstigste Atmosphäre vorfinden. Man sollte das Publicum
nicht gänzlich davon entwöhnen; eine erfolgreiche Wieder
aufnahme Lortzing’scher Opern ist wünschenswerth und mög
lich, aber nur möglich durch gute Aufführungen.
Die italienische Opernsaison geht ihrem
Ende entgegen. Haben wir über sie weniger als sonst ge
schrieben, so folgt keineswegs daraus, daß sie nicht sonderlich
der Rede werth gewesen. Im Gegentheil; diese Saison zählt
zu den besten und erfreut sich ganz besonderer Sympathie
des Publicums. Was ihr fehlt? Neue Componisten und
neue Opern. Daß Verdi ganz überwiegend vorherrscht,
begreift sich; seine Vorgänger verblassen mit jedem Jahre
mehr, kein genialer Nebenbuhler will in ganz Italien neben
und nach ihm erstehen. So hieß es denn auch diesmal wie
der: „Rigoletto“, „Trovatore“, „Traviata“ und zur Ab
wechslung „Traviata“, „Trovatore“, „Rigoletto“. Wenigstens
hätte Verdi’s „Aïda“ dazu gegeben werden sollen, die aus
drücklich im Programm versprochen war. Damit hätten wir
zwar keine neue Oper, aber doch Adelina Patti in einer
neuen Rolle gehört. Auch in diesem Jahre versäumte man
es, das Einerlei des italienischen Repertoires ein wenig zu be
leben durch Opern, welche die Patti in London und Peters
burg, aber noch nie in Wien gesungen hat, wie „Der Nord
stern“, „Die Krondiamanten“, „La gazza ladra“, „Die
Regimentstochter“, „Der Liebestrank“ etc. Um letztere Oper
haben wir schon bei früheren Patti-Gastspielen vergebens
petitionirt, sie scheint der Direction zu „klein“, als wenn
man Werth und Anziehungskraft einer Oper nach der Elle
messen dürfte. Wir müssen froh sein, daß die Impresa uns
wenigstens — ganz zuletzt einmal den „Don Pasquale“ zuge
standen hat, auch eine „kleine“ Oper, die aber unserem Publicum
lieber und an sich hundertmal besser ist, als desselben Com
ponisten sentimentale „Linda di Chamounix“. Alle Bewun
derung für die Gesangs-Virtuosität der Patti vermochte
die bohrende Langweile dieser Oper nicht zu verscheuchen. Es
mußte überdies noch unglücklicherweise Zucchini an dem
Abend stockheiser werden, so daß der alte Marchese, die
einzige erheiternde Figur, welche aus diesem Meer von Thränen
auftaucht, uns entging. Unter dem chloroformirenden Ein
drucke der „Linda“ hat wahrscheinlich die Direction ihr Vor
haben aufgegeben, Bellini’s „Puritaner“ aufzuführen,
eine der fürchterlichsten Opern, mit denen heutzutage arglose
Theater-Besucher überrascht werden können. Von Rossini
hatten wir die beiden Gegenstücke: „Semiramide“ und „Der
Barbier von Sevilla“ — letzterer unverwüstlich frisch und
ergötzlich, erstere unsäglich langweilig in ihrem veralteten
Aufputz und ihrer lächerlichen Feierlichkeit. Beide Opern bil
den die größten Gegensätze in ihrer Wirkung auf das heu
tige Publicum; in ihrem musikalischen Styl sind sie aber
merkwürdigerweise mehr verwandt als contrastirend, und ge
rade die falsche Anwendung des colorirten Buffostyls auf die
Tragödie macht uns die „Semiramide“ so widerwärtig. Es
gilt überall als ein Kennzeichen uncivilisirter Völker, wenn die
Männer sich mit Schmuck behängen. In Rossini’s „Semi
ramide“ starren die Melodien des Tenors, des Baritons, des
Bassisten von Passagen, Trillern und Coloraturen. Das gibt
dieser und ähnlichen Opern trotz ihrer beabsichtigten Eleganz
etwas eigenthümlich Rohes. Weiber müssen darin Männer
vorstellen, und die Männer singen wie Weiber.
Verdi’s Opern (insbesondere „Traviata“ und „Rigo
letto“) waren in dieser Saison ohne Zweifel die ruhm
reichsten für Adelina Patti. Sie scheint sie auch am liebsten
zu singen, und das ist am Ende entscheidend bei einer Sän
gerin, die Alles, das Schwerste wie das Leichteste, gleich
vollkommen in ihrer Macht hat. Heitere Partien, wie Ro
sina und Norina, singt die Patti seit längerer Zeit schon
ohne besondere Lust, so sehr die Art ihres Talents sie dar
auf hinweist. In neuester Zeit scheint sie noch ernsthafter
geworden, wie ihr Spiel im „Barbier“ und in der ersten
Scene der „Traviata“ verrieth. Verdi’s Opern gestatten der
Künstlerin einestheils die glänzendste Entfaltung der Ge
sangs-Virtuosität, zugleich aber auch die leidenschaftlichsten
dramatischen Accente. Nach beiden Richtungen bewährt die
Patti eine unschätzbare Eigenthümlichkeit: ihre Kunst, selbst
das Triviale zu adeln. Sie ist eine so eminent musikalische
Natur, von so unfehlbar feiner Empfindung, daß der Vor
trag der trivialen Allegrosätze ihr unmöglich wird, ohne daß
sie die ärgsten Spitzen abschliffe, die giftigsten Rhythmen mil
dere. Ohne das eigenthümliche Gepräge einer solchen Arie
zu verwischen, nimmt sie ihr doch das Verletzende und haucht
einen Atemzug von Schönheit darüber. Man denke nur an
die frechen Allegrosätze der beiden Arien Leonorens („Tro
vatore“), an das Liebesduett Gilda’s („Rigoletto“) u. dgl.
Am liebsten hören wir von der Patti einfache Cantilenen.
Wie ist da jeder Ton wie aus Marmor gemeißelt und doch
das Ganze von warmen Leben erfüllt! Da lauschen wir
mit aufmerksamem Entzücken und möchten jeden Tact, jeden
Ton uns einprägen, wie sie ihn singt, um ihn im Ge
dächtniß festzuhalten für kommende Tage!
Eine sehr glückliche Acquisition der diesjährigen italieni
schen Oper war die Altistin Zelia Trebelli, deren schönes
Organ im Laufe einer nahezu zwanzigjährigen ruhmvollen
Thätigkeit zwar den jugendlichen Schmelz eingebüßt hat, nicht
aber die Kraft und Ausdauer, die schöne Fülle der tiefen
Töne. Für colorirten Gesang ist die Stimme etwas zu
schwerflüssig; neben der Patti wenigstens hatten die Passagen
der Trebelli (in „Semiramide“) einen schweren Stand.
In Spiel und Vortrag fanden wir diese Künstlerin, vor
Allem als Azucena, dann als Pierotto, von energischem Nach
druck, dabei ungezwungen und vornehm in der Haltung. Sie
wurde vom Publicum auf das lebhafteste ausgezeichnet.
Ein anderes neues, leider spät eingetroffenes Mitglied
ist der Tenorist Masini, dessen schnelle Berühmtheit von
Verdi’s Requiem datirt. Der Klang seiner Stimme,
süß und kräftig zugleich, jugendfrisch ohne einen Rest von
Unreife, entzückt augenblicklich. Wie einst Fraschini, dem
er freilich an Kraft nachsteht, so hat Masini mit
den ersten drei Tönen seine Hörer gefangen. Aber ein
dramatischer Sänger ist er noch weniger, als Fraschini
es war. Nicht nur seine Haltung und seine Gesichtsmuskeln
bleiben steif, unbeweglich und gleichgiltig, selbst sein Blick
weiß nichts von dem, was er uns vorsingt. Sein Auftreten
als Alfredo im ersten Act der „Traviata“ war das personi
ficirte Phlegma; er trank Champagner und sang Mandel
milch. Besser gefiel er uns im zweiten Acte und noch besser
als Herzog in „Rigoletto“, obgleich er auch da unter dem
Nullpunkt schauspielerischer Anforderungen stand. Masini
macht uns den Eindruck, als sei er während der Todten
messe von Verdi in einen Zauberschlaf versenkt worden
und spiele nun im Traume Opernpartien. Aber dem Zau
ber seiner Stimme entrinnt man nicht, umsomehr, als es
keineswegs die blos elementare Macht des Organs, sondern
gleichzeitig die gute Schulung desselben ist, Methode und Ge
schmack des Vortragenden, was sich Anerkennung erzwingt.
Nur einige affectirte Manieren — Gesangskoketterien, die
zum größeren Theile nicht einmal ihm, sondern dem italie
nischen Gesammt-Tenoristenthume angehören — stören uns
in Masini’s Vortrag: das plötzliche Ansetzen eines Pianis
simo an das Forte und Fortissimo (es verräth immer eine
kühle, nüchterne Seele); dann das unleidliche Dehnen des
Ritardandos und Aushalten der vorletzten Note, um mit
dem Pianissimo und der Länge des Athems zu prunken, und
was solch süßer Effectchen mehr sind, deren stereotype Wieder
kehr man in jeder Nummer genau vorhersagen kann. Immer
hin ist ein jugendlicher Tenor, der durch ruhige Schönheit
des Gesanges wirkt, ohne zu schreien und zu tremoliren, ein
Juwel in der gegenwärtigen Ausstattung der italienischen
Oper, ein Juwel, das uns am schönsten erscheint, wenn es
neben der Patti glänzt. Die Stimmen der Patti und
Masini’s verschmelzen so wunderschön im Duett, daß man
sich wie getragen fühlt von Wellen des Wohllautes. So
lange es solche Stimmen, solche Sänger gibt, so lange wird
es auch Componisten geben, die sich unterstehen, in ihren
Opern Duette und Terzette zu schreiben. Für längere Zeit
dürfte das freilich nur noch in Italien vorkommen, jenseits
des Hojotohoh.