Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4631. Wien, Mittwoch, den 18. Juli 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4631. Wien, Mittwoch, den 18. Juli 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 18.07.1877
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Vom Salzburger Musikfest. I. Salzburg, 16. Juli.

Ed. H. Keinen Schritt konnte man durch volle sechs Wochen in Wien thun, ohne daß Einem „Salzburg!“ mit Riesenlettern in die Augen sprang. Alle Straßenecken luden zum Besuch des Salzburger Musikfestes mit einer Dring lichkeit, als fände es zwischen „Dommayer’s Casino“ und der „Neuen Welt“ statt. Hinter den Dächern der Ringstraße glaubte man den Watzmann und den Untersberg emporragen zu sehen, und durch die Abendstille tönte ein sanft bimmelndes Dissoniren wie vom Salzburger Glockenspiel. „Großes Musik fest in Salzburg!“ Manchem wollte diese Combination durchaus nicht eingehen; wir vertrösteten ihn auf den Anblick Salzburgs, der ihm das Räthsel lösen würde. Gerade in der frappanten Verbindung von „Salzburg“ und „Musik fest“ scheint mir der glücklichste Treffer dieses Unternehmens zu liegen. Ein eminent musikalisches Bedürfniß nach einem dreitägigen Musikfest zur heißesten Sommerszeit existirt gewiß nicht; in Wien wären an den drei Concert-Abenden die Bäder und Schwimmschulen ohne Frage zahlreicher belagert, als die Kasse des Concerts. Das Salzburger Programm enthält zwar die Namen der größten Tondichter, aber keine einzige Nummer, die uns durch den Reiz der Neuheit auch nur in den Musikvereinssaal, geschweige denn viele Meilen weit zu locken vermöchte. Ouvertüre zu „Euryanthe“, Ouvertüre zu „Anakreon“, Scherzo aus dem „Sommer nachtstraum“, C-moll-Symphonie von Beethoven u. s. w. — also im Grunde ein richtiges „Philharmonisches Con cert“, von unserm Hofopern-Orchester in Salzburg statt in Wien gegeben und mit einigen Solovor trägen von lauter guten alten Bekannten geziert. Indessen Luftveränderung wirkt verjüngend und auffrischend nicht blos auf alte Menschen, sondern merkwürdigerweise auch auf alte Concertprogramme. Wir hatten leicht prophezeien, daß hier die Naturschönheit, das Reisevergnügen, die Ferial

freiheit den musikalischen Appetit und Genuß erhöhen und ergänzen werden. Besitzen wir doch ein Vorbild an den Rheini schen Musikfesten, die alljährlich zu Pfingsten Natur- und Kunstgenuß so heiter verknüpfen, daß der für einige Tage losgebundene Mensch dort zugleich auf Flügeln des Gesangs und auf Fluthen des Maitranks zu seligen Höhen empor schwebt. Diese dreitägigen Musikfeste in Köln, Aachen und Düsseldorf scheinen den Veranstaltern unseres Salzburger Concerts vorgeschwebt zu haben. Gewiß eine glückliche und entwicklungsfähige Idee. Salzburg wird im Sommer von Tausenden besucht, die nie in der Lage waren, die Philhar monischen Concerte in Wien zu hören. Welcher musikalische Magnet neben und inmitten der landschaftlichen Reize Salz burgs! Von anderen Specialitäten, welche Salzburg zur sommerlichen Musikresidenz prädestiniren, nennen wir nur: Mozart’s Geburtshaus und die große Anzahl von Bierkellern und Regentagen. Es wäre ein schönes Resultat, wenn dieses hier neugeborene Institut Oesterreichischer Musik feste sich gleich den Rheinischen durch periodische Wieder kehr zu einem Festen, Bleibenden gestalten und dadurch allmälig zu künstlerischem Einfluß erheben würde! Wir denken uns diese Musikfeste alljährlich zur selben Zeit wiederholt (allenfalls der Reihe nach in Salzburg, Graz und Prag), abwechselnd von den namhaftesten österreichischen Dirigenten Herbeck, Richter etc. geleitet. Für interessante Novitäten und hervorragende Solisten müßte dann mehr gesorgt werden, insbesondere auch für die recht zeitige Vorbereitung größerer Tonwerke. Der Schwer punkt der Rheinischen Musikfeste liegt in der Ausführung eines großen Oratoriums und bedeutenderer Chorwerke, an welchen zahlreiche, aus allen rheinischen Städten und Städt chen zusammenströmende Gesangvereine sich betheiligen. Dies dürfte den schwierigsten Punkt bilden für unser Oesterreich, wo zwar die Vereine für Männergesang sehr zahlreich, jene für gemischten Chor (Frauen- und Männerstimmen) aber desto seltener sich vorfinden. Noch steht der Wiener „Singverein“ mit seiner bescheideneren Gefährtin, der „Sing- Akademie“, ziemlich vereinzelt in Oesterreich; doch würde ge rade die Einführung regelmäßiger Musikfeste wieder fördernd

auf die Gründung und Ausbreitung solcher Sing-Akademien einwirken, welche für Aufführung großer Chor-Compositionen, also für das eigentliche Fundament eines Musikfestes, die erste Vorbedingung bilden.

Bis dahin wird man sich mit Instrumentalstücken und Sologesang begnügen müssen. Wie das Salzburger Pro gramm keine einzige Novität, so bringt es auch keine einzige Chornummer; das sind die beiden Mängel, die wir ihm auszustellen haben. Es hätte doch wol die hiesige Liedertafel ausgereicht, um das Fest in der Mozart-Stadt wenigstens mit dem Priesterchor aus der „Zauberflöte“ bedeutungsvoll zu eröffnen oder zu schließen.

Salzburg sah bereits vor zwanzig Jahren ein großes Musikfest in seinen Mauern: im September 1856, da man die hundertste Wiederkehr von Mozart’s Geburtstag feierte. Lebhaft gedachte ich jener Tage, als ich heute Mor gens vor Mozart’s Standbild eine kurze Andacht verrichtete. Man hatte damals einen Festzug mit Fackeln zu Mozart’s Monument arrangirt und dasselbe mit einer weitläufigen Gelegenheits-Cantate angesungen. Sie blieb ohne rechten Ein druck, obwol der Componist, Franz Lachner, sich die red lichste Mühe damit gegeben; bleibt es doch immer eine ver zweifelte Zumuthung, den größten Tondichter in Tönen zu feiern, in anderen als seinen eigenen Tönen. Das ist fast noch bedenklicher, als den Orpheus oder die heilige cilia zu componiren oder die Macht der Musik überhaupt, Stoffe, welche geradezu eine Herausforderung zu musikali schen Wunderthum enthalten. Was wir damals empfindlich vermißten in Salzburg, waren das rechte Verständniß und die warme Theilnahme für die Bedeutung des Festes. Dem heutigen Musikfeste fehlt jener besondere, begeisternde Anlaß eines Mozart-Jubiläums, dafür zeigt sich aber glücklicher weise eine viel geringere Kluft zwischen der Fest-Idee und dem großen Publicum. Ferner hatte — durch schlimme Zu fälligkeiten wie durch eigenes Verschulden — jenes Mozart- Fest eine für Oesterreich beschämende, ganz und gar unösterreichische Physiognomie angenommen, die wir gott lob in diesem Jahre vollständig vermissen. Das Mozart- Jubiläum von 1856 war eigentlich ein auf öster

reichischem Boden abgehaltenes bayrisches Musikfest. Es war durch bayrische Künstler ins Werk gesetzt und aus geführt, durch die Anwesenheit des bayrischen Hofes ausge zeichnet. Der Dirigent (Franz Lachner), die Sänger (Härtinger und Kindermann), die Sängerinnen (Hetzenecker, Dietz, Behrend-Brand), die Instrumental-Virtuosen (Lauterbach, Mittermayer, Bärmann) stammten sämmtlich aus der Münchener Oper und Hofcapelle. Hellmesberger war der einzige nam hafte Musiker aus Wien, welcher zu Ehren Mozart’s damals mitwirkte. Ganz im Gegensatz zu jener bedauerlichen Zurück haltung Wiens ist das heutige Salzburger Musikfest fast aus schließlich durch Wiener Künstler ausgeführt.

Das Programm bestand 1856 natürlich nur aus Com positionen Mozart’s; es war eben eine Mozart-Feier. Aber wird nicht jedes in Salzburg abgehaltene Musikfest unwill kürlich und nothwendig zur Mozart-Feier? Müssen hier unsere Gedanken nicht immer und immer wieder zu ihm zurückkehren? Mozart’s Vaterstadt! Er hat sie freilich nicht sonderlich geliebt, sich mehr als Einmal krampfhaft aus ihr zu befreien gesucht — daran war nicht die freundliche Stadt, sondern der sehr unfreundliche Erzbischof schuld, der den jun gen Mozart mit einer besonderen Passion unterdrückte und demüthigte. Beethoven hatte in Bonn von seinem geist lichen Kurfürsten ungleich mehr Wohlwollen, von der Gesell schaft ungleich mehr Förderung erfahren und hing trotzdem an seiner Vaterstadt so wenig wie Mozart. Beide sind erst „was Rechtes“ geworden, nachdem sie ihrer kleinbürgerlichen Heimat den Rücken gekehrt; für die Welt sind Beethoven wie Mozart in Wien auf die Welt gekommen. Aber Bonn und Salzburg wird allezeit eine künstlerische Bethlehem- Glorie umstrahlen, welche den Pilger mit einer Art wonniger Andacht festhält. So viele Sänger und Geiger sich jetzt zum Musikfest hier einfinden, es unterläßt schwerlich einer, nach dem Geburtshause Mozart’s zu fragen und zu seinem Denkmale zu wallfahrten. Ersteres ist ein hohes, schmales Haus in der Getreidegasse; drei Zimmer im drit ten Stockwerke bildeten durch viele Jahre die Wohnung Leo pold Mozart’s. Im mittleren, großen Zimmer ward Wolf

gang geboren, in dem kleinen Stübchen nebenan arbeitete er. Wie beim Mozart-Feste 1856, so überließ auch jetzt der In haber der Wohnung diese Zimmer für die drei Festtage der Verehrung so vieler Besucher. Die Reliquien, die damals dort aufgestellt waren: Mozart’s kleines zitherartig klingen des Spinett, seine Geige, mehrere Autographe, das große Familienbild von Croce etc. sind gegenwärtig, reichlich ver mehrt und schön geordnet, in dem Archiv des Mozarteums aufgestellt. Mozart’s Geburtshaus besitzt seit Jahren ein Kaufmann, und die Zeichen mercantiler Thätigkeit breiten sich in Flur und Hofraum so behaglich aus, daß man den respectvoll abgenommenen Hut unwillkürlich wieder aufsetzt und sich weit weg von Mozart’schen Melodien mitten in Freytag’s „Soll und Haben“ versetzt wähnt.

Die Mozart-Statue kehrt dem erzbischöflichen Dom capitel recht witzig den Rücken. Unähnlich in den Gesichts zügen, kleinlich in der Haltung, unmozartisch im Total eindruck, erhebt sie den Beschauer wol nur durch die Ge danken und Empfindungen, die er selbst mitbringt. Ein schöneres Denkmal ist das unsterbliche Gedicht, womit Grillparzer die Enthüllung dieser Statue gefeiert hat im Jahre 1842. In diesem Gedicht, das in seinen Blüthen kelchen die tiefsten Wahrheiten der musikalischen Aesthetik ein schließt, hat Grillparzer das Bild Mozart’s mit dem land schaftlichen Charakter Salzburgs überaus sinnig zusammen gestimmt, und hier an Ort und Stelle, angesichts der Berge, welche das Mozart-Monument in weitem Kranz einfassen, verstehen wir besser als je die Worte unseres Dichters: Von diesen Bergen zog der Gottesathem, Gewürzt mit Kräutern und mit Blumenduft, In seine jugendlich gehob’ne Brust. Darum ist er geworden auch, wie sie, Wie seine Berge, seiner Wiege Hüter. Wol gibt es höh’re, doch sie decket Eis, Gewaltig’re — allein das scheue Leben, Es findet für den Fußtritt keine Spur Und flieht mit Schaudern die erhab’ne Wüste. Er aber klomm so hoch, als Leben reicht, Und stieg so tief, als Leben blüht und durftet. Und so ward ihm der ewig frische Kranz, Den die Natur ihm wand und mit ihm theilet.