Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4633. Wien, Freitag, den 20. Juli 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4633. Wien, Freitag, den 20. Juli 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 20.07.1877
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Vom Salzburger Musikfest. II. Salzburg, 18. Juli.

Ed. H. „O Salzburg, wunderschöne Stadt, wenn’s ein mal ausgeregnet hat!“ So sagt ein altes Studentenlied mit einer wahrhaft tiefsinnigen Verschmelzung von Spott und Bewunderung. Diesmal hat’s aber nicht ausgeregnet, will noch lange nicht ausgeregnet haben, und von der „wunder schönen Stadt“ sehen wir so gut wie nichts vor lauter Regenschirmen. Unter Regenschirmen zogen vorgestern die Wiener Musiker vom Bahnhof in die Stadt, unter Regen schirmen wimmelte gestern Abends ganz Salzburg zum Con tersaale, und — was vielleicht das Betrübsamste ist — die für heute Früh vom Festcomité vorbereitete Massenwallfahrt auf den Capuzinerberg ist durch den emsig strömenden Regen arg verdüstert worden. Auf den Capuzinerberg hat man nämlich das kleine Gartenhäuschen verpflanzt, das bis vor wenigen Jahren im mittleren Hofe des Starhemberg’schen Freihauses in Wien stand und von Mozart als ein ruhiges Asyl beim Componiren der „Zauberflöte“ mit Vorliebe be nützt worden war. Für meine Person bin ich zwar kein Freund von dergleichen Loretto-Wundern, ebensowenig wie von der Ausgrabung und Uebertragung der Gebeine berühmter Verstorbener, indeß bescheide ich mich gern mit meinem viel leicht übertriebenen Zartgefühl für den Genius loci und störe Niemandem die Freude, sich Mozart hoch oben auf dem Capuzinerberge an der „Zauberflöte“ componirend zu denken. Aber schade ist’s um den köstlichen Spaziergang hinauf und um die kleine Festlichkeit, die unter Mitwirkung der Salz burger Liedertafel, mit Fahnen und Blumen und vielen fröh lichen Menschen so hübsch sich entfaltet hätte — bei heiterem Himmel.

Gestern Abends hatten wir das erste Festconcert. Der große, zum Vortheil der Akustik nicht sehr hohe „Collegien saal“ — die „Aula“ der ehemaligen Universität Salzburgwar für das Musikfest bequem hergerichtet und durch das

milde Licht unzähliger Wachskerzen zugleich geschmückt und erhellt. Den an zwölfhundert Menschen fassenden Saal fan den wir zwar nicht vollständig, aber doch von einer zahl reichen, distinguirten Versammlung besetzt. Die erste Sitz reihe nehmen die Erzherzoge Franz Karl und Ludwig Victor nebst der Aristokratie und den obersten Würdenträgern der Stadt ein. Otto Dessoff, der Dirigent des Musik festes, wird mit anhaltenden stürmischen Applaus begrüßt. Cherubini’s Ouvertüre zu „Anakreon“ macht den An fang, ein Stück von vornehmer Langweiligkeit, dessen feine Details mehr für das Stammpublicum eines Abonnements- Concertes, als für ein großes Musikfest passen. Wir hätten das Concert lieber durch die Ouvertüre zur „Zauberflöteeingeleitet gesehen. Ueberdies wäre ohne diese Eine Nummer das ganze Programm aller drei Tage ein rein deutsches ge blieben. Im Ganzen verdient die Zusammenstellung des Programms bezüglich der darin vertretenen Meister alles Lob; es enthält von Mozart, wie es sich hier gebührt, drei größere Stücke und je eines von Händel, Bach, Gluck, Haydn, Beethoven, Weber, Spohr, Mendelssohn, Schumann, Wagner, Brahms, Volkmann und Goldmark. Schubert wird am dritten Tage durch mehrere Lieder vertreten.

Von den Orchesterstücken des ersten Abends erhielten den lebhaftesten Beifall das Scherzo aus Mendelssohn’s Sommernachtstraum“ und die C-moll-Symphonie von Beet hoven. Man fühlte, daß der nunmehr großherzoglich badische Hofcapellmeister Dessoff diesem Orchester kein Fremder, son dern mit demselben Ein Herz und Eine Seele sei. Ohne das jahrelange glückliche Zusammenwirken Dessoff’s und des philharmonischen Orchesters in Wien wären so exacte, aus gefeilte Aufführungen nach einer einzigen Probe nicht denk bar gewesen. Ja, wie zwei langgetrennte Freunde sich dann doppelt freudig umarmen, so schienen Dessoff und das Wie ner Orchester sich heute noch frischer und schwungvoller der Musik hinzugeben. Von Mozart’s Concert für Violine und Viola hätte wol der schöne erste Satz, den wir in Wien so oft und so vortrefflich (von Hellmesberger mit Joachim und Laub) gehört, hingereicht; die beiden folgenden Sätze brin gen wenig Neues von Bedeutung hinzu. Die Herren Grün

und Krancevic spielten das Concert mit lobens werther, etwas schulmeisterischer Tüchtigkeit. Stürmischen Beifall ernteten die Gesangsvorträge von Frau Caroline Bettelheim-Gomperz, deren Stimme frischer und kräftiger klang, als im vorigen Winter, und des Herrn Joseph Staudigl. Herr Staudigl, jetzt badischer Hofopern sänger, den wir vor zwei Jahren in einer Production des Wiener Conservatoriums zuletzt gehört, hat uns mit dem Vortrag der Spohr’schen Arie: „Liebe ist die holde Blütheauf das angenehmste überrascht. Seine warme und kräftige Stimme, mehr dem Baß- als dem Bariton-Charakter zunei gend, klingt männlicher, reifer, sein Vortrag, namentlich die Coloratur, fließt viel gleichmäßiger und weicher dahin. Staudigl ist heute schon ein vortrefflicher Sänger von be neidenswerthen Mitteln und macht mit dem jungen Beck und dem jungen Erl das Kleeblatt österreichischer Sänger voll, auf welche — eine seltene Ausnahme — Stimme und Talent des Vaters sich vererbt haben.

Nächst den Künstlern gebührt der aufrichtigste Dank dem Veranstalter des Musikfestes, nämlich der „Inter nationalen Mozart-Stiftung“ in Salzburg. Wir sind so oft befragt worden über die Tendenz und die Lei stungen dieses Institutes, über das wir selbst genügende Aus kunft nicht geben konnten, daß wir eine hier soeben erschienene authentische Festschrift: „Das Salzburger Musikfest“, von R. v. Freisauff, sehr willkommen heißen. Wahrscheinlich ver stehen wir auch nach der Lectüre dieser Schrift die Sache noch nicht völlig, denn wir können die etwas schwankende Basis und die hoch in den Lüften hängenden Ziele der „Internationalen Mozart-Stiftung“ nicht recht mit der selbst zufriedenen Stimmung ihrer Festschrift zusammenreimen. Den Verein gründeten vor acht Jahren fünfzehn ehrenwerthe Männer Ihre Namen sind: Johann Engl, Franz Gessele, Math. Gschnitzer, Dr. Harrer, Dr. Hirschfeld, Johann Horner, C. Kautetzky, Ignaz Kholler, R. v. Mertens, Adolph Rosian, H. Schläger, Franz Schöberl, C. Spängler, Baron Sterneck, Hanns Wörnhardt. in Salzburg und bezeichneten als dessen Auf gaben: „1. Gründung einer Mozart-Stiftung zur Hilfe

spendung in jeder Richtung für Tondichter und Tonkünstler aller Zonen und Stämme in der Weise der bestehenden Schiller-Stiftung. 2. Die Gründung einer Hochschule für Musik in Salzburg und von Stipendien für Kunstjünger. 3. Erbauung eines Mozarthauses für Concert-Aufführungen und zur Unter bringung einer musikalischen Universal-Bibliothek etc.“ Gleich der erste Punkt setzt durch seine Großartigkeit in Er staunen: „Hilfespendung für Tonkünstler aller Zonen und aller Stämme!“ Das klingt ja, als wenn der Graf Monte- Christo spräche. Jedenfalls muß man annehmen, daß Je mand, der weit über sein Vaterland hinaus allen Bedräng ten aufzuhelfen beabsichtigt, im eigenen Hause wohlbestallt, das heißt, daß Musik und Musiker in Salzburg im blühendsten Zustande seien. Aber ganz im Gegentheil. In Salzburg besteht seit nahezu vierzig Jahren ein tüchtiger Musikverein sammt Musikschule unter dem Namen Mozar teum. Wie die Festschrift selbst constatirt, ist „das Mozar teum ausgiebiger Unterstützung bedürftig und sind seine pecu niären Verhältnisse leider unzureichend, um künstlerisch hoch gebildete Kräfte dauernd an das Institut zu fesseln“. Das Mozarteum ist außer Stande, seinen Mitgliedern „jenes Maß von materieller Anerkennung zuzugestehen, das den Lei stungen jedes Einzelnen auch nur an nähernd gleichkäme“. Wie stimmt nun dieser traurige Zustand der Musik im eigenen Lande zu den „internationalen“ Utopien der neuen Salzburger Mozart- Stiftung? Die Gründer der letzteren gingen ur sprünglich allerdings von der richtigen Absicht aus, die pecuniären Verhältnisse des Mozarteums zu ver bessern und eine Vereinigung mit diesem anzustreben. Sie ließen sich aber durch locale und persönliche Bedenken, insbesondere durch das Abhängigkeits-Verhältniß des Mo zarteums vom erzbischöflichen Consistorium wieder von jenem guten Vorsatz abbringen, so daß die „Internationale Mozart- Stiftung“ dem älteren heimischen Musik-Institut, dem Mozarteum, jetzt nicht blos indifferent, sondern feindlich gegenübersteht. Weder der Director noch die Lehrer und Musiker des Mozarteums wurden zu dem Musikfest beige zogen, ja die Wiener Musiker sahen sich zu ihrem Erstaunen

von einem Festcomité empfangen, das zwar die Liebenswür digkeit selbst, aber in keinerlei Berührung mit den Salzbur ger Fachmusikern, also den eigenen Kunstgenossen, war. Als Fremde können wir uns über rein locale Zerwürfnisse kein Urtheil anmaßen; aber die Ueberzeugung steht in uns uner schütterlich fest: diese Zerwürfnisse müssen aufhören, diese Hemmungen müssen überwunden werden, soll die „Inter nationale Mozart-Stiftung“ sich nicht um das Vertrauen der Kunstwelt bringen. Ein kosmopolitischer Welterlöser, der mit seinem nächsten Nachbar und Zunftkameraden in Hader lebt, macht uns leicht mißtrauisch. Ein Seitenstück zur Schiller-Stiftung will dieser Mozart-Verein sein? Ja, glauben denn die fünfzehn Salzburger Herren wirklich, daß unsere Schiller-Stiftung noch existirte, wenn sie nicht blos deutsche, sondern auch fran zösische, italienische, russische Dichter unterstützen wollte? Und hätte ganz Deutschland sein Geld geschickt zu dieser Schiller-Stiftung, wenn der Aufruf dazu statt von den ersten Dichtern und Schriftstellern Deutschlands von fünfzehn in der Literatur ganz unbekannten Männern — und wären es die ehrenwerthesten — ausgegangen wäre? Die uns vor liegende Festschrift beklagt sich darüber, daß von zwei tausend Gesangvereinen, die zur Förderung der „Inter nationalen Mozart-Stiftung“ eingeladen wurden, nur zwölf deren Mitglieder geworden sind. „Wenn alle Vereine der Monarchie der Stiftung nur mit einem Jahresbeitrag von zehn Gulden beigetreten wären, würde diese heute schon über ein Vermögen von Hunderttausenden verfügen können!“ Das kann sehr bedauerlich sein, aber begreiflich, meinen wir, ist es auch. Ganz anders hätte sich die Theilnahme wahrscheinlich gestaltet, wenn Heinrich Esser, der damals noch in Salz burg lebte, und Joachim, der als Besitzer einer Salzbur ger Villa seinen Sommer dort zubringt, ihre Unterschrift unter den Aufruf gesetzt hätten. Aber leider wollte die „Inter nationale Mozart-Stiftung“ gerade die Fachmusiker, also die jenigen Männer ausgeschlossen haben, deren Name und Bürg schaft in der Musikwelt den Ausschlag gibt. Jedes solide neue Kunstunternehmen muß zunächst an das Bestehende, Gegebene anknüpfen und die vorhandenen bewährten Anfänge weiterführen, nicht sie unterdrücken.

Gebt dem armen Collegen lieber einen Thaler, als „diesen Kuß der ganzen Welt“! Die „Internationale Mozart-Stiftung“ muß unseres Erachtens um jeden Preis ihre nächste Thätig keit auf die Hebung und Consolidirung der Musikzustände der Stadt Salzburg und des Landes Salzburg wenden, sie muß mit der Unterstützung ihrer Landsleute beginnen, bevor sie etwa einen herabgekommenen russischen Hornisten neu kleidet oder talentvolle Negerknaben auf der Ocarina unterrichten läßt. Und am Wohlthun im eigenen Lande wird sie kein Bischof und kein Erzbischof hindern. Ein Mißverstehen aller gegebenen Verhältnisse ist es ferner, wenn die Herren von der Mozart-Stiftung eine „musikalische Hochschulein Salzburg errichten wollen. Wenn sie Millionen zur Ver fügung hätten, sie könnten das nicht; denn nur in Residen zen wie Wien oder Berlin, nur wo eine große Oper, regel mäßige Orchester-Concerte, ein lebhafter Musikverlag, reiche musikalische und wissenschaftliche Bibliotheken bestehen, kann eine musikalische Hochschule blühen und wirken — in einer Provinzialstadt wie Salzburg niemals. Auch an den Bau eines neuen Concertsaals, Errichtung einer musikalischen „Uni versal-Bibliothek“ (!) u. dgl. braucht Salzburg noch lange nicht zu denken. Solche Phantasien sollte die „Internationale Mozart-Stiftung“, herzhaft aus ihrem Programme streichen, damit sie nicht in den Verdacht komme, sich für allmächtig zu halten. Scheint sie doch selbst von finanzieller Allmacht oder Macht noch entfernt zu sein, sonst hätte sie gewiß den beim Musikfest mitwirkenden fremden Künstlern ein Honorar zugestanden. Sie Alle aber, vom Dirigenten Dessoff an bis zum Paukenschläger, haben ohne einen Heller Entgelt das ganze Musikfest ausgeführt, dessen Anregung allerdings ein von uns gerne gewürdigtes Verdienst der Mozart-Stiftung bleibt. Die hier vorgebrachten Bedenken entspringen keiner Art von Tadelsucht, sondern lediglich dem ehrlichen Wunsche, es möge die Mozart-Stiftung, deren Protectoren so hoch stehend wie ihre Gründer hochgeachtet sind, nicht aus miß verstandenem Idealismus einem Größenwahne zusteuern, welcher zu den bedrängten Musikzuständen des eigenen Lan des übel stimmt und außer Land früher oder später seine Ohnmacht verrathen muß.