Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4634. Wien, Samstag, den 21. Juli 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4634. Wien, Samstag, den 21. Juli 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Vom Salzburger Musikfest. III. Salzburg, 19. Juli.

Ed. H. Ungefähr Jahreswende ist’s seit dem Bayreuther „Bühnenfestspiel“. Gar Viele, Musiker und Musikfreunde, die im vorigen Sommer ihre Nibelungenwoche in Bayreuth abgesessen, finden sich heute in Salzburg zu traulichem Ver kehr wieder vereinigt, und da kann es an Vergleichungen zwischen hier und dort nicht fehlen. Von den demonstrativen Vergleichen Wagner’s mit unseren großen Meistern, worin der orthodoxe Classicismus seiner Erbitterung gerne Luft macht, schweige ich — Vergleiche, die, verzeihlich wie die Nothwehr, dennoch nutzlos und kindlich sind. Eine Kritik, die allen modernen Dramatikern das Dichten untersagen wollte, weil sie nicht Goethe noch Schiller sind, wäre kaum vernünftiger, als diese Methode, gegen Wagner immer als Atout Mozart und Beethoven auszuspielen, die freilich Alles „stechen“. Jede Periode will und muß schaffen, Neues pro duciren und neu Producirtes genießen; dieses Bedürfniß nach Neuem neben dem Alten können die großen Classiker nicht stillen noch zurückhalten. Mit Freuden begrüßen wir jedes nachgeborene echte Talent und machen ihm keinen Vorwurf daraus, daß es die Classiker nicht erreiche, wenn es sich nur selbst nicht brüstet, sie alle überholt und überflüssig gemacht zu haben. Und dieser „Wahn“ der Selbstvergötterung, welcher in Bayreuth sein Fest feierte, fällt Jedem, der hier in Salz burg „seinen Frieden fand“, durch den schlagenden Gegensatz unwillkürlich ein. Das Salzburger Musikfest bringt in vollem Kranze Tondichtungen aller großen Meister, neben den Verklärten die Lebenden und noch Strebenden nicht ver gessend. Das Programm bildet eine wahre Anthologie der deutschen Musik von Bach und Händel bis auf Brahms und Volkmann — es repräsentirt ein Nationales und dar

über hinaus Allgemeingiltiges, ohne mit solcher Bezeichnung zu prahlen. Im Gegensatze dazu war das als nationale Großthat und absolute allumfassende Kunst proclamirte Bayreuther Fest ein durchaus Persönliches, Individuelles, eine Specialität von und für Wagner. Wie ganz ver schiedene Stimmung waltete hier und dort! Hier der Friede und die Freude unbefangenen Genießens, aus den Mienen jedes Nachbars widerstrahlend — dort die dumpfe Schwüle einer von wüstem Enthusiasmus und auflauernder Gehässig keit geschwängerten Atmosphäre. Der friedliebendste Musik freund, wenn er nicht zu den notorischen Exalta dos gehörte, litt in Bayreuth unter dem vulcani schen kochenden Parteihaß und den wie blanke Pisto lenläufe zielenden Blicken der Wagner’schen Leibgarde. Das wohlthuendste Gegenbild dazu empfängt uns hier in Salzburg. Ein offenes brüderliches Wohlwollen zwischen Künstlern und Festgästen, die Alle gekommen sind, zu lieben und zu verehren, nicht zu hassen und zu verfolgen, gekom men, um sich an Musik zu erfreuen, nicht aber mit Musik zu quälen. Ein Fest ist’s, an dem persönliche Eitelkeit oder Götzendienst mit einem Einzelnen keinen Antheil hat. Selbst Mozart ist hier nur Einer unter Vielen. In diesem Sinne, unbeabsichtigt und ohne polemische Tendenz, bildet wirklich das Musikfest in Salzburg eine Art Protest gegen das Bayreuther Ereigniß. In ähnlichem Sinne ist auch schon das diesjährige niederrheinische Musikfest in Köln aufgefaßt worden, das durch die Einladung Verdi’s und die ihm und Hiller dort bereiteten Ovationen allerdings eine stark nichtwagner’sche Physiognomie annahm. Unser Salzburger Musikfest hat noch manchen Wunsch unerfüllt gelassen (wie den schon erwähnten nach Chorwerken und Novitäten), doch haben wir es hier mit einem Anfange zu thun, mit einem glücklichen und vielversprechenden Anfange, wäh rend allem Anscheine nach die Bayreuther Unternehmung nicht allzu ferne von ihrem Ende steht. Oder ist es nicht bedeutungsvoll, daß das auf alljährliche Wiederkehr berechnete Bühnenfestspiel schon nach dem ersten Jahre

sistirt wird, was doch bei einiger Aussicht auf hinrei chende Theilnahme gewiß nicht geschehen wäre? Dieses Sinken der Theilnahme an dem Bayreuther Nibelungen hause wäre aber noch immer nicht so schlimm, wie die künst lichen Mittel, mit welchen jetzt das erlöschende Interesse an gefacht werden soll. Man traut seinen Augen nicht, wenn man das Rundschreiben liest, welches die Geburt eines neuen „Allgemeinen Patronat-Vereins zur Pflege und Erhaltung der Bühnenfest spiele zu Bayreuth“ verkündigt. Dieses Versor gungshaus für invalide Nibelungen schlägt zweierlei Mittel vor zu dem genannten Zwecke: Erstens finanzielle: jedes Mitglied hat jährlich einen Beitrag von 20 Mark zu leisten, wofür es „ein Los erwirbt, welches ihm die Anwartschaft auf den Gewinn einer Einlaßkarte zu einer Serie der Fest spiele eröffnet“. Gewiß eine beglückende „Anwartschaft“ — wie aber, wenn das Festspiel nicht stattfindet? Als geistige Mittel sollen zweitens „Wagner-Vereine mit lehrhafter Wirksamkeit“ organisirt werden, welche, wie das Rundschreiben sagt, „die Kenntnißnahme von Wagner’s Schöpfungen und die Liebe zu denselben zu ver breiten“, ferner „für die Festspiele in Bayreuth wohlvor bereitete Hörer heranzubilden haben“. Nach §. 11 der Sta tuten hat dieser neue Allgemeine Patronat-Verein „aller orten auf Gründung und Förderung localer Wagner-Ver eine mit künstlerischer Lehrthätigkeit hinzuwirken.“ Ich gestehe, daß ich Wagner, dem es doch an Selbst gefühl nicht fehlt, mehr Künstlerstolz zugemuthet hätte. Ein Mann von der Berühmtheit und den Erfolgen Wagner’s hätte wol ein gutes Recht, ja eine Pflicht, sich dergleichen ästhetische Bevormundung zu verbitten. Gibt es etwas den Künstler Compromittirenderes, als solche in Paragraphe ge faßte bureaukratische Maßregeln, um allenthalben die Liebe für seine Werke einzuimpfen? Der hiezu vorgeschriebene Impfstoff besteht in „Vorlesung der Wagner’schen Dich tungen durch einen geübten Leser oder mit vertheilten Rollen“, „Vorlesung und Besprechung der kunstphilosophi

schen Schriften Wagner’s“, „Vorträge über Wagner“ nach dem Muster mehrerer im Leipziger Wagner-Verein bereits abgehaltenen, „über den Charakter des Wotan im Nibelungen ring“, „über den Charakter der Brunhilde bei Wagner“, Wagner’s Sprache in philologischer und laut-symboli scher Beziehung“, „Wagner’s Verhältniß zur Schopenhauerschen Philosophie“, „Wagner als Dichter überhaupt“ u. s. w. Kurz, nichts als Wagner, Wagner, Wagner bis zum Kopf schmerz. Und das Alles statutenmäßig als alleiniger Zweck eigens dafür gegründeter Vereine!

Nun fragen wir, fragen den gesunden Menschenverstand ohne Unterschied der musikalischen Confession: Wie muß es mit der gerühmten, Alles bezaubernden Schönheit und All gewalt der Wagner’schen „Nibelungen“ bestellt sein, wenn durch solche armselige Maßregeln „die Liebe“ dafür fabri cirt werden muß? Durch eigene Vereine sorgt man, daß die Hörer „liebend“ und „wohlvorbereitet“ die Nibelungen“ hören. Es klingt gerade, als wenn es sich um eine Confirmation handelte, nicht um eine Opernvorstellung. Hier ist wirklich ein Rückblick auf die großen Künstler aller Zeiten und aller Nationen erlaubt, und damit die Frage: Wo und wann hat es je Musik eines wirklichen Genius ge geben, Theatermusik obendrein, welche nöthig gehabt hätte, durch ein Netz von Vereinen in dieser Art „verstanden“ und „geliebt“ zu werden? Gluck’s „Alceste“, Mozart’s „Don Juan“, Beethoven’s „Fidelio“ erstanden doch gewiß in ihrer Zeit als etwas ganz Neues, Eigenartiges, Befremdendes und Alles Ueberragendes — hätten trotzdem die Meister es nicht für eine Schmach gehalten, diesen Werken durch andere als durch eigene Kraft Erfolge zu verschaffen und mit ihren Namen eigene Vereine zu patronisiren, von denen sie selbst wieder patronisirt sein wollten? Die Erfindung solcher „Patronat-Vereine“, welche, halb Lehramt, halb Gottesdienst, Einem einzigen Künstler dienen, war erst unserer Zeit vor behalten und leider unserer Nation. Schwerlich würde in Frankreich, England, Italien ein solches Spinnennetz von Vereinen sich ausbreiten können, welche auf ästhetischen Ter

rorismus hinarbeiten und die, je stärker sie anwachsen, doch nur desto lauter die innere Schwäche ihrer Sache verrathen. Natürlich darf der vereinsmäßig betriebene Wagner-Götzen dienst nicht ganz ohne Reclame für die Priester bleiben: es werden in unserem Manifeste die vorzulesenden Vereinswerke — gleichsam symbolische Bücher, auf die geschworen wird — namhaft gemacht: die Wagner-Broschüren von Nohl, Porges, Hanns v. Wolzogen, Nitzsche u. dgl.

Wie solche Vereinsmitglieder ihre Abende ausfüllen mö gen, ist ihre Sache, so lange sie nur harmlos bleibt. Allein in neuester Zeit sind diese Vereinshäuptlinge furchtbar erbost über die von Spitzer in der „Neuen Freien Presse“ ver öffentlichten Putzmacherbriefe, in welchen der „Märtyrer und Wiedererwecker der deutschen Nation“ sein Selbstporträt in weißen Atlashöschen und rosaseidenem Schlafrock mit so hol dem Detail zeichnet. Ich begreife vollkommen den Aerger der Herren über diese Enthüllungen von hinrichterlicher Lächer lichkeit — unbegreiflich bleibt aber die Frechheit, dafür einen gänzlich Unbetheiligten, nämlich mich, zur Rede zu stellen. Ein Berliner Clavierlehrer, Herr Tappert, behauptet in dem Hauptorgan der Wagner’schen Inquisition, es habe ohne meine Zustimmung Herr Spitzer diese Feuilletons gar nicht schreiben dürfen. Die Redaction dieses Blattes wird gern bestätigen, Geschieht hiemit. Die Red. daß ich von der Existenz dieser Briefe an die „liebe Fräulein Bertha“ vor deren Abdruck keine Ahnung hatte und sie — fern von Wien — in der „Neuen Freien Presse“ mit derselben Ueberraschung las, wie irgend ein anderer Leser. Mit dieser leichtsinnigen Erfindung begnügt sich aber Herr Tappert nicht. Wahrscheinlich vermuthend, daß der „Meister“ es wohlgefälliger empfinden werde, wenn ich auf dem Zukunftsaltar geopfert werde, als Herr Spitzer, entfesselt er nun seinen ganzen, durch die liebe Bertha erreg ten Zorn gegen mich. Er erzählt, meine Opposition gegen die Zukunftsmusik entspringe blos persönlichem Groll, da Wagner mich im Mai 1861 (!) nur „kurz wie einen gänzlich Un bekannten gegrüßt“. An die Wiederaufnahme des zurückgeleg

ten „Tristan“ habe man sich in Wien nicht gewagt, „weil sich Hofrath R. (Raymond?) und der kaiserliche Obersthof meister vor mir fürchteten“. Nachdem aber Wagner in einer Soirée wieder freundlicherer Laune gegen mich gewesen, sei ich ihm unter Thränen und Schluchzen mit dem schmerzlichen Bekenntniß entgegengekommen, von ihm verkannt zu sein. (Wie an meinen Wagner-Kritiken etwas zu verkennen oder mitzuverstehen sei, ist freilich unerklärlich.) Hierauf habe mir Wagner „eine rückhaltlose Theilnahme an meinem fer neren Wirken versprochen“, und — der Befehl zum Wieder einstudiren von „Tristan und Isolde“ am Hofoperntheater sei sofort erfolgt! Solch jämmerliches Altweibergeschwätz, das auf jedem Wort den Stempel des Unwahren oder des Un möglichen trägt, tischt der (mir überdies ganz unbekannte) Herr Tappert seinen Wagner-Vereinen auf, um sich — an Herrn Spitzer und der „Neuen Freien Presse“ zu rächen. Doch fort mit diesem schmutzigen Geifer, den die schwarzen Gesellen des rosaseidenen Meisters bis herüber in diese fried lichen Berge spritzen. Baden wir uns ab in dem reinigenden Quell ewiger Schönheit und krystallklarer Musik, wie sie uns Mozart gibt!

Mit seiner uneigentlich „Jupiter“ geheißenen C-dur-Sym phonie (denn Beethoven ist der Jupiter neben jenem Apoll) begann das zweite große Concert des Musikfestes. Die Sym phonie wurde unter Dessoff’s Leitung mit Liebe ausgeführt, mit Jubel aufgenommen. Es folgten: Weber’s„Euryanthe“- Ouvertüre, BrahmsOrchester-Variationen über ein Haydn’ sches Thema, Wagner’s„Faust“-Ouvertüre und Schu mann’sClavier-Concert, letzteres von Herrn Brüll mit feinem Verständnisse vorgetragen. Mit stürmischem Applaus begrüßt, sang Frau Dustmann die Arie der „Iphigenie in Tauris“ (mit obligater Oboe) und mit Herrn Stau digl das Duett Susanna’s mit dem Grafen aus Mozart’s Figaro“. Das Concert war noch besser besucht und wirkte noch weit unmittelbarer als das erste. Heute schloß das Musikfest mit einer Matinée, in welcher die Damen Bettelheim, Dustmann und Gräfin Gatterburg

Lieder von Mozart, Schubert, Schumann und Brahms vor trugen, zwischen Kammermusik-Stücken von Haydn, Volk mann und Goldmark. Der Beifall war ein überaus lebhafter und durchwegs wohlverdienter.

Wie der Concertsaal selbst, so erinnerte noch vieles Andere in dem ganzen Arrangement des Musikfestes an das Mozart fest von 1856. Man wird es mir nicht verdenken, wenn ich meinen Bericht mit der Erinnerung an zwei österreichische Männer schließe, welche damals, viel umworben und hoch geehrt, die Ehrenplätze in der Salzburger Aula einnahmen und die heute nicht mehr unter den Lebenden wandeln: Karl Mozart, der Sohn des großen Tondichters, und Ludwig v. Köchel, der Verfasser des thematischen Mozart- Katalogs.

Karl Mozart, damals der Gegenstand allgemeiner pietätvoller Neugierde, war bei Gelegenheit jenes Mozart- Jubiläums gleichsam neu entdeckt, zu aller Welt Ueber raschung aus völliger Vergessenheit ausgegraben worden. Von Mozart’s zwei Söhnen war der ältere, der Componist, vor Jahren in Karlsbad verstorben, das wußte Jedermann, aber wo der jüngere hingekommen sei, das hatte man längst zu fragen vergessen. Karl Mozart war sieben Jahre alt, als er seinen Vater verlor; mit fünfzehn Jahren kam er nach Italien in ein Handlungshaus, aus welchem er später in Staatsdienste überging. Als ich ihn beim Mozartfest in Salzburg kennen lernte, war er quiescirter k. k. Rechnungs beamter und lebte von einer schmalen Pension. Ich sehe ihn noch vor mir, den kleinen, schmächtigen alten Herrn, mit schwarzen Augen und wenig gebleichtem Haar, schlicht und bis zur Verlegenheit bescheiden in seinem Benehmen. Da er fast seine ganze Lebenszeit in Mailand verbracht hatte, be trachtete er sich beinahe als Italiener und sprach das Deutsche hin und wieder gebrochen, mit wälschem Accent. Er ver sicherte, sich seines Vaters recht genau zu erinnern, und hatte namentlich zwei Umstände lebhaft im Gedächtniß bewahrt: daß ihn Vater Mozart, wegen Kränklichkeit der Mutter, häufig hüten und spazieren führen mußte, sodann daß er vom Vater oft ins Theater mitgenommen worden — ein Vergnügen,

das er wunderlicherweise später nie wieder aufgesucht hat. Karl Mozart war niemals verheiratet, und da auch sein Bruder Amadeus keine Kinder hinterließ, so starb mit ihm der Name des großen Meisters aus. Wann? kann ich zu meiner Beschämung nicht einmal genau angeben, denn nach dem Salz burger Fest verschwand Karl Mozart wieder ebenso spurlos und geheimnißvoll, wie er gekommen. Er kehrte in seine dunkle Einsamkeit zurück, und man hat nie wieder von ihm gehört, als bis er starb.

Ludwig v. Köchel, der erst vor wenigen Wochen ver storbene Musikgelehrte, gehörte zur alten Garde des Mozart- Cultus und war mit Salzburg eng verwachsen, wenigstens so lange sein Freund, Präsident v. Scharschmid, mit seiner kunstsinnigen Familie dort hauste. Einen eifrigeren und werkthätigeren Mozart-Verehrer hat es kaum gegeben. Seine halbe Lebenszeit und sein halbes Vermögen hatte Köchel darauf verwendet, den enormen Apparat zu einem vollständigen „Catalogue raisonné“ der Mozart’schen Com positionen zusammenzubringen, zu sichten und zu jenem Riesenband zu verarbeiten, den der Musiker jetzt als unent behrliches Hilfsbuch schätzt. Nicht zufrieden mit dieser zu Ehren Mozart’s vollbrachten Herkulesarbeit, agitirte der rührige alte Herr in den letzten Jahren unermüdlich für die Herstellung einer Gesammt-Ausgabe von Mozart’s Compo sitionen. Die Idee, Mozart’s sämmtliche Werke kritisch revidirt im Stich zu veröffentlichen, als Seitenstück zu der neuen Beethoven-Ausgabe, war schon oft an geregt, insbesondere von Ferdinand Hiller, als das wür digste Denkmal Mozart’s mit beredten Worten den Deutschen ans Herz gelegt worden. Die unsägliche Mühsal einer solchen Redaction und die enormen Kosten des Verlages ließen jedoch immer wieder von der Ausführung zurückschrecken. Breitkopf und Härtel in Leipzig, diese oberste Cultusbehörde der deutschen Musik, hat nun die Arbeit in großartigem Sinne unternommen, und Köchel erlebte noch die Freude, die ersten Bände dieser Mozart-Ausgabe vor sich aufgeschlagen zu sehen, zu welcher er die Summe von zwanzigtausend Mark beigesteuert hatte.