Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4680. Wien, Mittwoch, den 5. September 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4680. Wien, Mittwoch, den 5. September 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien
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Grillparzer und die Musik. I.

Ed. H. Wer sich je tiefer mit Grillparzer eingelassen hat, dem mußte das besonders innige Verhältniß des Dichters zur Musik auffallen. Dieses Verhältniß, das heißt die Musik als wichtiger Factor in Grillparzer’s Entwicklung und die Musik als ein Gebiet seiner geistigen Kraft, scheint mir den Versuch einer zusammenfassenden Darstellung zu verdienen. Es gibt keinen zweiten großen Dichter, der sich so liebevoll und ernstlich mit der Musik befaßt, so tiefe Blicke in ihr Wesen gethan hätte, wie Grillparzer. Nur für J. J. Rousseau, dessen fleißige Musik-Schriftstellerei übrigens abseits lag von seinem poetischen Talente, läßt sich mit ge wissem Vorbehalt eine Ausnahme machen. Ich weiß keinen Poeten, der eine solche Fülle tiefer und eigenthümlicher Ge danken über Musik und musikalische Kunstwerke aus seinem Innersten geschöpft und mit solcher Klarheit ausgesprochen hätte. Sowol in dem tiefen Goldglanz seiner Verse, wie in dem scharfen Tageslicht seiner Prosa weiß Grillparzer jede musikalische Erscheinung in ihrem letzten Grunde rein darzu stellen. Ernst, wie er Alles getrieben hat, trieb er auch die Musik, die er als tüchtiger Pianist und A vista-Leser, als aufmerksamer Concert- und Opernbesucher bis in sein hohes Alter pflegte, wo zunehmende Taubheit ihm nur mehr das Lesen von Compositionen gestattete. Zeitlebens blieb ihm die Musik eine treue, verständnißvolle Freundin; allen be deutenden Erscheinungen derselben folgte er mit Aufmerksam keit und gab sich Rechenschaft darüber in längeren Aufsätzen oder lakonischen Epigrammen. Das Besondere daran ist, daß er nicht blos in seinen allgemeinen Aussprüchen über Musik — wo ja auch der nichtmusikalische Poet als ein Seher von Gottes Gnaden so oft das Richtige trifft — son dern in seinen Urtheilen über einzelne bestimmte Tondichter oder Compositionen immer den guten Musiker verräth, den musikalisch Hörenden und Verstehenden, dessen Sinn auf das

concret Künstlerische und keineswegs auf poetische Allgemein heiten gerichtet ist.

Das unterscheidet Grillparzer’s musikalische Aussprüche und Schilderungen von jenen der meisten Dichter, insbeson dere von jenen Goethe’s. Es hat zwar hie und da einem biographischen Goethe-Virtuosen gefallen, den größten Dich ter auch als ein musikalisches Phänomen darzustellen; ich entsinne mich sogar einer eigenen Monographie, welche mit Bienenfleiß den musikalischen Honig aus Goethe’s sämmt lichen Werken, Briefen und Gesprächen zusammentrug, um dem ungläubigen Leser zu offenbaren, was Goethen die Musik und was er ihr gewesen. In Wahrheit liefert aber solche Anstrengung durch ihr ungemein spärliches Resultat nur den Beweis, welch verhältnißmäßig schwache Rolle die Musik in Goethe’s Leben gespielt und umgekehrt Goethe in der Musik. Eine so allumfassende Natur wie Goethe konnte natürlich nicht unberührt bleiben von der Musik. Es ist aber bezeich nend, daß Goethe’s Interesse an der Tonkunst erst in späterem Alter auftaucht und weit mehr in theoretischer und naturwissenschaftlicher Richtung hin, als in eigentlicher Musikliebe. Er correspondirt 1808 mit Zelter eifrig über den „Mollbegriff“ und die kleine Terz, die für ihn ein ähnliches Interesse hatte, wie der Zwischenknochen oder irgend ein Beweisstück für seine Farbenlehre. Biographisch bleibt es hochwichtig und bewunderungswerth, daß der Vierund siebzigjährige noch das Bedürfniß empfand, sich „theoretisch dem Harmonischen zu nähern“ und sich selbst ein tabellarisches Schema zur Tonlehre zu entwerfen. Außer diesem physi kalisch-theoretischen hatte Goethe auch ein geschichtliches Inter esse an der Tonkunst und benützte den sporadischen Verkehr mit Fachmusikern, wie Keyser, Zelter, zuletzt Mendelssohn, um sich über musikhistorische Entwicklung belehren zu lassen. Alles das ist aber weit verschieden von einem lebendigen Ge nießen und Betreiben der Musik als Kunst. Dem unmittel baren Eindruck der Musik stand Goethe allerdings offen bei günstiger Stimmung und Gelegenheit, zumal in höherem Alter, wo ihn weiche Rührung leicht übermannte. (Marienbad.) Aber es blieb doch meistens nur der allgemeine Stimmungs

eindruck, also das Elementarische der Musik, was ihn be wegte, nicht der künstlerische Charakter der bestimmten Com position, über den wir bei Goethe fast nie etwas erfahren. Urtheile über einzelne Tondichter oder Compositionen finden wir in dem ganzen großen Bereich von Goethe’s Werken höchst selten; nicht einmal eingehendere Bemerkungen über die unter seiner eigenen Leitung in Weimar aufgeführten Opern. Goethe’s lange Lebenszeit umschließt die ganze Thä tigkeit Mozart’s und Beethoven’s (!) und noch die Anfänge Felix Mendelssohn’s dazu — er hat aber keinem großen Tondichter so viel Interesse gewidmet, wie der kleinen Terz. Alle auf die musikalische Hochstellung Goethe’s gerich teten Versuche versagen eigentlich vor Goethe’s eigenem Ge ständniß an Zelter (1820): „Und so verwandle ich Ton- und Gehörloser, obgleich Guthörender, jenen großen Genuß in Begriff und Wort. Ich weiß recht gut, daß mir deßhalb ein Drittel des Lebens fehlt; aber man muß sich einzurichten wissen.“ Ein tiefgreifender Unterschied zwischen der Musik auffassung Goethe’s und Grillparzer’s verräth sich schon in diesem Satze. Goethe mußte der Musik überall Begriffe und Worte unterlegen, um diesen „großen Genuß“ sich wirklich anzueignen; Grillparzer hingegen genießt die Musik streng musikalisch und will ihr Gebiet rein gehalten wissen von poetischer Gleichniß- und Aus legekunst. Er spricht, wo er Musikalisches zu schildern oder zu beurtheilen hat, als vollkommener Musiker. Den Anspruch, als Musiker zu gelten, machte er nicht, aber er hatte ihn. Im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde befindet sich ein Heft mit Beispielen, die Grillparzer während des Unterrichtes bei dem Hoforganisten Sechter ausgear beitet: Uebungen im bezifferten Baß, in der Harmonie und Modulation, endlich eine Seite einfachen Contrapunkts; Alles von Grillparzer’s Hand, hie und da mit kleinen Bemer kungen, worunter häufig ein lakonisches „Miserabel“! Grill parzer’s würdige Freundin und Pflegerin, Fräulein Kathi Fröhlich, zeigte mir drei Stücke von Grillparzer’s Com position, von ihm mit feiner, deutlicher Notenschrift auf gesetzt. Das erste die Horaz’sche Ode „Integer vitae, scele

risque purus“, für eine tiefere Stimme mit Clavierbeglei tung in D-dur, recht einfach und würdig durchcomponirt. Am Schlusse steht: „F. Grillparzer fecit.“ Er sang es oft für sich in der Dämmerung am Clavier. Das zweite Lied ist Heine’s „Du schönes Schiffermädchen“ (G-dur, seltsamer weise im Vierviertel-Tact, für Bariton), durchcomponirt ohne Vor- und Nachspiel, von anspruchsloser Melodie und streng symmetrischem Periodenbau, an Haydn-Mozart’sche Weise mahnend. Heinrich Heine, componirt von Grillparzer — gewiß ein seltenes Curiosum! Endlich ein Gesangstück für Baß und Clavierbegleitung, ohne Titel („Kampf ist das Leben, immerwährender Streit“), ein leidenschaftlich bewegtes Allegro in As-moll, das bei den Schlußworten: „Nimmer wird Frieden, bis die Seele entwich“, sich im As-dur-Accord besänftigt. Auch dieses kurze Gesangstück hat weder Vor- noch Nachspiel. Wir wollen diesen Compositionen nur biogra phischen Werth vindiciren, nicht einen von der Person des Autors unabhängigen. Mancher Einfaltspinsel componirt gewiß Origi nelleres. Aber für Grillparzer’s musikalische Bildung und edles musikalisches Bedürfniß sprechen diese Compositionen. Ihre schlichte Correctheit beweist, daß der große Dichter die Musik nicht blos begeistert anzusingen, sondern sie selbst künstlerisch zu handhaben wußte. Seine Aussprüche über Musik gewinnen uns dadurch an Bedeutung. Was Grillparzer über Tonkunst und Tonkünstler gedacht, das findet sich zerstreut, mitunter recht versteckt in den zehn Bänden der Cotta’schen Gesammt- Ausgabe. Wie diese nach Grillparzer’s Tod erschienene Ge sammt-Ausgabe uns überhaupt erst in den Stand gesetzt hat, den ganzen Dichter, noch mehr aber den ganzen Menschen kennen zu lernen, so öffnet sie uns auch zuerst den Einblick in sein musikalisches Denken und Empfinden. Die köstlichen Goldkörner, die ich aus Grillparzer’s Schacht zu Tage för derte, möchte ich gern mit anderen Freunden der Musik theilen. Ich habe kein weiteres Verdienst dabei, als die leichte Mühe des Suchens und Ordens; dafür darf ich mich aber eines kleinen Glücksfalles rühmen: einige in der Gesammt-Ausgabe nicht vorkommende kleinere Aufsätze über Musik, eine Art Tagebuchblätter von Grillparzer’s Hand, wurden mir von der Eigenthümerin, Fräulein K. Fröhlich,

zur Durchsicht und theilweisen Benützung mitgetheilt. Sie ergänzen und beleuchten das Bild Grillparzer’s, des Musikers. Man wird aus den folgenden Blättern ersehen, daß, was immer Grillparzer in Versen oder Prosa über Musik äußerte, nicht isolirt abspringende Geistesfunken sind (wie wir sie brillant genug sogar bei dem nichtmusikalischen Heine finden), sondern Strahlen einer einheitlichen unver rückbaren Kunstanschauung.

Grillparzer war musikalisch von Haus aus. Zwar hatte er, der Mann der Einsamkeit und des strengen Ernstes, vom Mütterchen keine „Frohnatur“ geerbt, wol aber die Luft am Musiciren. „Meine Mutter,“ erzählt er, „war eine herzensgute Frau und lebte und webte in der Musik, die sie mit Leidenschaft liebte und trieb.“ Sie ertheilte Grillparzer den ersten Clavier-Unterricht gewiß mit bestem Willen, aber ohne Einsicht und mit ungeduldiger Heftigkeit. Ehe er noch „den vollkommenen Gebrauch seiner Gliedmaßen hatte“, mußte der kleine Franz an’s Clavier, und da ihm die Mutter bei jedem verfehlten Ton die Hand von den Tasten riß, so duldete er Höllenqualen. Es ist dies einer von den unzähli gen Fällen, wo durch verfrühten und überstrengen Clavier- Unterricht selbst musikalisch begabten Kindern ein wahrer Haß gegen das Instrument, oft für Jahre, eingeimpft wird. Auf den mütterlichen Unterricht während der Sommerfrische folgte in der Stadt ein eigener Claviermeister für Franz: der Böhme Johann Mederitsch, genannt Gallus, eines der vielen schattenhaft durch die Musikgeschichte huschenden „Genies“, deren Namen Jedermann und deren Compositionen Niemand kennt. Grill parzer nennt ihn „einen ausgezeichneten Contrapunktisten, der aber durch Leichtsinn und Faulheit gehindert worden, seine Kunst zur Geltung zu bringen“. Clavierstunden gab er widerwillig, um nicht geradezu zu verhungern, und sein Unterricht mit Grillparzer war eine Reihe von Kinderpossen. „Wir krochen,“ erzählt dieser, „mehr unter dem Clavier herum, als daß wir darauf gespielt hätten.“ In der zweiten Hälfte der Stunde und darüber hinaus phantasirte Mederitsch auf dem Clavier, um die Mutter seines Schülers zu begüti gen. Kein Zweifel, daß dieses freie Improvisiren und Fugiren des hier in seinem Elemente schwimmenden Phan

tasten auf den jungen Grillparzer anregend und befruchtend gewirkt hat, mehr als er selbst vermuthete. Es hat ohne Zweifel Grillparzer’s spätere Lust und Fertigkeit im Phan tasiren gezeitigt. Seine Abneigung gegen das Clavierspiel nahm, in Folge dieser verrückten Unterrichts-Methoden, von Jahr zu Jahr zu, ohne deßhalb eine Abneigung gegen die Musik zu sein. Denn als sein zweiter Bruder, um sich dem verhaßten Clavierspiel zu entziehen, Lust zur Violine vorgab, auch einen Geigenmeister erhielt, nahm Franz bei jeder Gelegenheit die Violine zur Hand, übte Scalen und Beispiele und spielte endlich mit dem Meister leichte Duetten, ohne je die geringste Anweisung erhalten zu haben. Der alte Violinlehrer erkannte in Franz ein großes Talent und beschwor die Eltern, ihn fortfahren zu lassen. Allein man nahm dem Knaben die Geige aus der Hand und entließ den Meister. Die verweigerte Violine machte dem jungen Grill parzer das Clavier noch verhaßter. Bei einer Soirée in Grillparzers Elternhause sollten die beiden Söhne vor den Gästen sich auf dem Clavier produciren. Grillparzer’s Bru der, Camillo, spielte mit allgemeinem Beifall, aber Franz selbst war nirgends zu finden. Er hatte sich in das Bett des Bedienten verkrochen und kam erst nach beendigter Soirée aus seinem Verstecke wieder hervor. Der Vater brach in heftigen Zorn aus und machte den Musik-Lectionen für immer ein rasches Ende. Grillparzer aber hat, entmuthigt, durch sieben oder acht Jahre mit keinem Finger das Clavier berührt.

Was trieb ihn, dem man die Musik so gründlich ver leidet hatte, dennoch wieder freiwillig in ihre Arme? Grill parzer erzählt, daß seine trübe Stimmung — durch die zu nehmende Krankheit seines Vaters, die erschütterten Ver mögensverhältnisse u. s. w. — ihn eine Ableitung in der Musik suchen ließ. „Das Clavier war geöffnet, aber ich hatte Alles vergessen, selbst die Noten waren mir fremd ge worden. Da kam mir zu statten, daß mein erster Clavier meister Gallus, als er mich in halb kindischer Tändelei be zifferten Baß spielen ließ, mir eine Kenntniß der Grund- Accorde beigebracht hatte. Ich ergötzte mich an dem Zu sammenklang der Töne, die Accorde lösten sich in Be

wegungen auf, und diese bildeten sich zu einfachen Melodien.“ Grillparzer spielte fortan ohne Noten aus dem Kopfe und erlangte darin eine solche Fertigkeit, daß er stundenlang phantasiren konnte. In jener Zeit (es war in Grillparzer’s siebzehntem oder achtzehntem Lebensjahr) setzte er auch Lieder; eines darunter, Goethe’s „König von Thule“, mußte er seinem Vater immer wieder spielen und vorsingen. — Grill parzer’s Unterricht im Contrapunkt fällt in eine viel spätere Zeit. „Die Entwicklungen und Fortschreitungen (bemerkt er darüber) wurden nun richtiger, aber das Inspirirte ging mir verloren.“

Die Liebe zur Geige, zu der „verweigerten Geige“, der verhaßte Clavier-Unterricht, die eigenthümlich formlos- poetische Gestalt, in welcher die lange vernachlässigte Musik ihn wieder gewann, als Improvisation und Phantasie — das Alles höre ich deutlich nachklingen in Grillparzer’s un säglich rührender Erzählung: „Der arme Spielmann“. Wer nichts Anderes von Grillparzer kennte, als dieses Meisterstück in der Kunst anscheinend kunstlosen Erzählens, der weiß, daß er es mit einem großen Dichter zu thun hat. Aber nur ein großer Dichter, der zugleich in die Tiefen des musikalischen Geheimnißlebens eindrang und sich darin sicher wie zu Hause fühlt, konnte den alten Geiger verstehen und ihn so schildern, daß wir nicht blos seine rührende Ge stalt zu schauen, sondern sein Spiel zu hören glauben. Grillparzer sucht den alten Spielmann in seiner ärm lichen, entlegenen Wohnung auf. Ein langgezogener Violin ton schlägt an sein Ohr. „Ich stand stille. Ein leiser, aber bestimmt gegriffener Ton schwoll bis zur Heftigkeit, senkte sich, verklang, um gleich darauf wieder bis zum lau testen Gellen emporzusteigen, und zwar immer derselbe Ton mit einer Art genußreichem Daraufberuhen wiederholt. End lich kam ein Intervall. Es war die Quarte. Hatte der Spieler sich vorher an dem Klange des einzelnen Tones ge weidet, so war nun das gleichsam wollüstige Schmecken dieses harmonischen Verhältnisses noch ungleich fühlbarer. Sprung weise gegriffen, zugleich gestrichen, auch die dazwischen liegende Stufenreihe höchst holperig verbunden, die Terz markirt, wiederholt. Die Quinte darangefügt, einmal mit zitterndem

Klang, wie ein stilles Weinen, ausgehalten, verhallend, dann in wirbelnder Schnelligkeit ewig wiederholt, immer diese sel ben Verhältnisse, die nämlichen Töne. Und das nannte der alte Mann Phantasiren!“ Wie ist das Alles gehört, musi kalisch gehört und empfunden! Ebenso dünkt mich die fol gende Schilderung aus dem „armen Spielmann“ be wunderungswürdig, nicht blos als Leistung des Poeten sondern zugleich des Musikers. Grillparzer läßt den zu traulich gewordenen alten Geiger also klagen: „Sie spielen den Wolfgang Amadeus Mozart und den Sebastian Bach, aber den lieben Gott spielt Keiner. Die ewige Wohl that und Gnade des Tones und Klanges, seine wunderthä tige Uebereinstimmung mit dem durstigen, zerlechzenden Ohr, daß — fuhr er leiser und schamroth fort — der dritte Ton zusammenstimmt mit dem ersten und der fünfte desgleichen, und die Nota sensibilis hinaufsteigt wie eine erfüllte Hoff nung, die Dissonanz herabgebeugt wird als wissentliche Bos heit oder vermessener Stolz und die Wunder der Bindung und Umkehrung, wodurch auch die Secunde zur Gnade ge langt in den Schoß des Wohlklanges. Mir hat das Alles obwol viel später, ein Musiker erklärt. Und, wovon ich aber nichts verstehe, die fuga und das punctum contra punctum und der canon a duo, a tre und so fort, ein ganzes Him melsgebäude, eines ins andere greifend, ohne Mörtel ver bunden und gehalten von Gottes Hand. Davon will Nie mand etwas wissen bis auf Wenige. Vielmehr stören sie dieses Ein- und Ausathmen der Seelen durch Hinzufügung allenfalls auch zu sprechender Worte, wie die Kinder Gottes sich verbanden mit den Töchtern der Erde; daß es hübsch angreife und eingreife in ein schwieliges Gemüth. Herr,“ schloß er endlich, halb erschöpft, „die Rede ist dem Menschen nothwendig wie Speise, man sollte aber auch den Trank rein erhalten, der da kommt von Gott.“ Wir kennen diese, hier in die Sprache des armen Spielmannes herabgebeugte An schauung als Grillparzer’s eigene; oft hören wir ihn selbst in seinen Aphorismen und Tageblättern dieselbe Melodie singen, die er hier einem geringeren Instrumente in den Mund legt.