Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4682. Wien, Freitag, den 7. September 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
Georg-Coch-Platz 2 1010 Wien Österreich Wien
Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

Sie dürfen: Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten

Bearbeiten — das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.

Der Lizenzgeber kann diese Freiheiten nicht widerrufen solange Sie sich an die Lizenzbedingungen halten. Unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Keine weiteren Einschränkungen — Sie dürfen keine zusätzlichen Klauseln oder technische Verfahren einsetzen, die anderen rechtlich irgendetwas untersagen, was die Lizenz erlaubt.

Hinweise:

Sie müssen sich nicht an diese Lizenz halten hinsichtlich solcher Teile des Materials, die gemeinfrei sind, oder soweit Ihre Nutzungshandlungen durch Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts gedeckt sind.

Es werden keine Garantien gegeben und auch keine Gewähr geleistet. Die Lizenz verschafft Ihnen möglicherweise nicht alle Erlaubnisse, die Sie für die jeweilige Nutzung brauchen. Es können beispielsweise andere Rechte wie Persönlichkeits- undDatenschutzrechte zu beachten sein, die Ihre Nutzung des Materials entsprechend beschränken.

Nr. 4682. Wien, Freitag, den 7. September 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 07.09.1877
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Grillparzer und die Musik. II.

Ed. H. In Bezug auf sein musikalisches Leben läßt uns Grillparzer’s autobiographisches Fragment leider bald im Stiche. Aber wir brauchen nur seine Werke aufzuschlagen, da läuft uns der klingende Faden, der sich durch sein ganzes Leben spinnt, von selbst durch die Finger. Hat doch die Ton kunst dem jungen Dichter zuerst die Zunge gelöst: ein längeres Gedicht „An die Musik“ in reimlosen Versen ist das Erste, was von Grillparzer in die Oeffentlichkeit kam. (“Sei mir gegrüßt, o Königin! Mit der strahlenden Herr scherstirne, mit dem lieblich tönenden Munde!“) Diese Jugendarbeit, mit späteren stoffverwandten Gedichten Grill parzer’s nicht zu vergleichen, webt doch schon manch glän zenden, neuen Gedanken in den alten Stoff; wie die Musik den Menschen von der Wiege bis zum Grab begleitet in allen bedeutsamen Lebensmomenten. Noch ein zweites, kürzeres Gedicht richtet GrillparzerAn die Tonkunst“ und preist sie darin als „die freieste, einzig freie“ unter den Künsten. Das Wort lasse sich fangen, die Gestalt deuten — „Aber du spricht höhere Sprachen, die kein Häscherchor versteht — Ungreifbar durch ihre Wachen, gehst du wie ein Cherub geht“. In diesem schönen Gleichniß regt sich schon der Grund gedanke von Grillparzer’s musikalischer Aesthetik: die Selbst verständlichkeit und Selbstherrlichkeit aller echten Musik. Wir werden dieses Glaubensbekenntniß in den verschiedensten Wendungen, in Versen und in Prosa bei Grillparzer wieder kehren sehen.

Von Grillparzer’s Gedichten sind sehr wenige componirt worden, sie locken auch heute noch selten einen Tondichter. Grillparzer’s Poesie schreitet zu gedankenschwer, zu wenig spielend und klingend, um eigentlich musikalisch heißen zu können. Rein liedmäßige Lyrik im Sinne Goethe’s oder Heine’s aus welcher schon die Melodienknospe guckt, finden wir bei Grill parzer äußerst selten. Selbst in seinen Liebesliedern und Stim mungsgedichten nimmt die Empfindung im Weiterströmen

gern bildliche und reflectirte Elemente auf, welche den Com ponisten leicht abschrecken oder doch abkühlen. Und doch war der Dichter selbst so musikalisch! Er stellte eben ganz andere, fast entgegengesetzte Forderungen an die Musik und an die Poesie: in dieser sollte der Gedanke, in jener die schöne Sinnlichkeit vorherrschen. Härten, wie er sie in manchen seiner Gedichte, dem Gedanken zulieb, stehen ließ, hätte Grillparzer in einem Musikstück schwerlich vertragen. Als Musikkundiger stand er indessen bei den Wiener Tonkünstlern in großem Respect und hat ihnen auch willig manche poetische Handreichung gewährt. Weigl, der Componist der Schweizerfamilie“, wünschte einen Operntext „Sappho“ von Grillparzer, und gab ihm damit die Anregung zu der Tra gödie gleichen Namens. Für Beethoven schrieb Grill parzer den Operntext „Melusina“, für Franz Schubert zwei Gedichte : „Ständchen“ („Zögernd, stille“) und Mirjam’s Siegesgesang, für Franz Lachner die Can tate „Weihgesang“. Diese Cantate, zur feierlichen Eröffnung des neuen Musik vereinssaales „unter den Tuchlauben“ bestimmt, wurde daselbst in einem Festconcerte am 4. November 1831 aufgeführt. Das Gedicht, dessen Anfangsstrophen in meiner „Geschichte des Wiener Concert wesens“ abgedruckt sind, findet sich nicht in der Gesammt-Ausgabe von Grillparzer’s Werken, eine Unterlassung, für welche die Heraus geber, meines Erachtens, keinen Tadel verdienen. Von neueren Componisten ist mir nur Engelsberg bekannt, der (zum Grillparzer- Jubiläum) ein Grillparzer’sches Gedicht: „Als ich noch jung war“, für Männerchor gesetzt hat. Grill- parzer dichtete nur selten für Musik, aber gerne von und über Musik. Mozart, Beethoven, Schubert feierte er in Gedichten, auf die wir noch zurückkommen. Aber nicht blos schaffende, auch reproducirende Tonkünstler von geistigem Adel wecken in ihm ein poetisches Echo. Obenan stehen in dieser Gruppe die Gedichte an Jenny Lind und Clara Wieck. Die mit Grauen gemischte Bewunderung, die Paganini’s Spiel ihm einflößt, entfesselt er in der pracht vollen Apostrophe an den bekanntlich von unheimlichen Ge rüchten umschwirrten Geiger: „Du wärst ein Mörder nicht? Selbstmörder du! — Was öffnest du des Busens stilles Haus — Und jagst sie aus, die unverhüllte Seele — Und

wirfst sie hin, den Gaffern eine Lust?“ Die späteren Erschei nungen einer ihm widerwärtigen überreizten Romantik entlocken ihm manchen satyrischen Vers. Köstlich ist sein „Chor der Wiener Musiker beim Berlioz-Fest 1846“, dessen Schneide sich weniger gegen den französischen Componisten, als gegen dessen ihm überall nachschleppende Bewunderungs-Clique kehrt. („Und fehlt uns etwa das Talent — Genie lacht der Ge meinheit — D’rum Nullen, schaart so viel ihr könnt — Euch um die fremde Einheit!“) Von den in der Gesammt-Aus gabe ohne Namensüberschrift erscheinenden boshaften Epi grammen war eines auf Dr. Alfred Becher Dein Quartett klang, als ob Einer, Der da hackt in dumpfen Schlägen, Mit drei Weibern, welche sägen, Eine Klafter Holz verkleiner’! , das andere auf Richard Wagner Man sagt, du verachtest die Melodie, Schon das Wort erfüll dich mit Schauer: So ging’s auch dem Fuchs, dem enthaltsamen Vieh, Der fand die Trauben sauer. gemünzt. Zu den sinnigsten und rührendsten Gedichten Grillparzer’s gehört das „Am Grabe Mozart’s des Sohnes“ (1844). Er ruft diesem ohne Erfolge früh verstorbenen Componisten nach: „Daß Keiner doch dein Wirken messe — Der nicht der Sehnsucht Stachel kennt — Du warst die trauernde Cypresse — An deines Vaters Monument.“ Ueberraschend, vielleicht gar befremdend wird Manchen Grillparzer’s Gedicht über das Stabat mater von Rossini erscheinen, worin er Partei nimmt für diese Composition gegen das kühle kritische Verhalten des Wiener Publicums. Es schmerzte ihn, daß die Wiener der blühenden Schönheit dieser Musik sich nicht unbefangen hingeben, sich nicht „einen Augenblick selbst vergessen wollten in des Ge nusses Glück“. Er sieht schon die scharfe Verstandesrichtung Norddeutschlands, „die kalte Nebelnacht“ auch über sein Oesterreich hereinbrechen und schließt mit der bitteren Klage:

Ein’s aber ging verloren, Ein’s Der Unschuld Glück, o Oestreich, dein’s!

Von den großen Wiener Tondichtern haben Beethoven und Schubert persönlich mit Grillparzer verkehrt. Die In dividualität Schubert’s hat der Dichter in einem kurzen

Gedicht zu zeichnen versucht, das zwar die Bedeutung Schu bert’s nicht entfernt erschöpft, aber doch zwei charakteristische Züge: die gesunde Originalität seines Talents und seine um Lob und Tadel unbekümmerte Behaglichkeit, geistvoll auffängt. („Schubert heiß’ ich, Schubert bin ich — Und als solchen geb’ ich mich“ etc.) Außer diesen Versen besitzen wir keinen einzigen Ausspruch Grillparzer’s über Franz Schubert. Weder in der Selbstbiographie noch in den Tagebuchblättern Grill parzer’s ist der Name Schubert genannt. Ebensowenig weiß uns Kreißle’s fleißig zusammengestellte Schubert-Biographie etwas über das persönliche Verhältniß beider Männer zu sagen. Hoffen wir, daß die von Joseph Weilen zu erwar tende BiographieGrillparzer’s diese und andere Lücken unserer Kenntniß ausfüllen werde. Ich selbst habe leider nie das Glück gehabt, mit Grillparzer zu sprechen — eine un überwindliche schüchterne Ehrfurcht vor dem kränklichen, menschenscheuen Dichter hielt mich zu meinem Schaden von jedem Versuche zurück, seine Einsamkeit zu stören.

Am wichtigsten ist uns jedenfalls Grillparzer’s Verhält niß zu Beethoven, persönlich wie künstlerisch. In ersterer Hinsicht hat Grillparzer selbst in einem eigenen Aufsatz das Wichtigste zusammengefaßt. Schon in seinen Knabenjahren hatte er Beethoven (zugleich mit Cherubini und Abbé Vogler) in einer Abendgesellschaft bei seinem Onkel Sonnleithner ge sehen; in Heiligenstadt wohnte die Familie Grillparzer mit Beethoven in demselben Hause. Hier wiederholte Beethoven den in seiner Biographie etwas häufig vorkommenden Auf tritt: er schlug wüthend das Clavier zu, als er eines Tages bemerkte, daß Frau Grillparzer auf dem gemeinsamen Gange (nicht etwa an seiner Thür) seinem Spiele zuhörte, und be rührte das Instrument den ganzen Sommer hindurch nie wieder. Persönlich bekannt mit Beethoven wurde Grillparzer erst, nachdem er mit seinen vier ersten Tragödien erfolgreich die Oeffentlichkeit betreten hatte. Da äußerte Beethoven den Wunsch, Grillparzer möchte für ihn einen Operntext dichten, und ließ durch den Grafen Moriz Dietrichstein deßhalb bei dem Dichter anfragen. „Diese Anfrage,“ erzählt Grillparzer, „setzte mich in nicht geringe Verlegenheit. Einmal lag mir der Gedanke, je ein Opernbuch zu schreiben, an sich schon fern genug, dann zweifelte ich, ob Beethoven, der unterdessen

völlig gehörlos geworden war und dessen letzte Compositionen, unbeschadet ihres hohen Werthes, einen Charakter von Herbig keit angenommen hatten, der mir mit der Behandlung der Singstimmen in Widerspruch zu stehen schien — ich zweifelte, sage ich, ob Beethoven noch im Stande sei, eine Oper zu componiren. Der Gedanke aber, einem großen Manne vielleicht Gelegenheit zu einem, für jeden Fall höchst interessanten Werke zu geben, überwog alle Rück sichten, und ich willigte ein.“ Die Bereitwilligkeit, womit Grillparzer, trotz seiner sehr gegründeten Be denken, Beethoven’s Wunsch erfüllte und sogar bemüht war, in dem Opernbuch „Melusina“ „sich den Eigenthüm lichkeiten von Beethoven’s letzter Richtung möglichst anzu passen“ — sie beweist besser als alle Betheuerungen, wie sehr GrillparzerBeethoven verehrte. Seine Ahnung von der Fruchtlosigkeit dieser Arbeit ist trotzdem in Erfüllung gegan gen: Beethoven hat von Grillparzer’s „Melusina“ nicht Eine Note componirt, obgleich er dem Dichter wiederholt ver sicherte, er habe die Oper fertig (in seinem Kopf wahrschein lich). Es ist eine neue und wie mir scheint sehr scharf blickende Bemerkung Grillparzer’s, daß es doch Weber’s Erfolge gewesen sein dürften, die in Beethoven den Gedanken hervorriefen, selbst wieder eine Oper zu schreiben. „Er hatte sich aber,“ fügt Grillparzer hinzu, „so sehr an einen unge bundenen Flug der Phantasie gewöhnt, daß kein Opernbuch der Welt im Stande gewesen wäre, seine Ergüsse in gegebe nen Schranken festzuhalten.“ So verblieb denn in der That das Libretto unberührt auf Beethoven’s Tisch und hat erst nach dessen Tode einen Componisten in der Person Conradin Kreutzer’s gewonnen. Bestimmung und Schicksal der Grillparzer’schen „Melusina“ finden später eine seltsame Analogie in der von Emanuel Geibel für Mendels sohn gedichteten „Loreley“. Hier wie dort schreibt ein hoch gefeierter Poet ganz ausnahmsweise einen Operntext für den größten seiner musikalischen Zeitgenossen. Was erwartete man nicht Alles von dem Zusammenarbeiten Beethoven’s mit Grillparzer, Mendelssohn’s mit Emanuel Geibel! In beiden Fällen kam es zu keinem Resultat. An den ver waisten Webstuhl des musikalischen Genies setzte sich das weltläufige Talent — dort Conradin Kreutzer, hier

Max Bruch — die Welt hat aber wenig Notiz genommen von ihrem Gespinnst. Noch an eine dritte, fast ans Komische streifende Analogie könnte man hier erinnern: an den Opern text, den Rubinstein von Friedrich Hebbel bestellte, empfing — und als gänzlich unbrauchbar liegen lassen mußte.

Grillparzer erzählt uns weiter von einem Besuch bei Beethoven auf dem Lande, von dessen Hauswesen oder — -Unwesen in der Stadt. Endlich, wie er durch Schindler von Beethoven’s täglich zu erwartender Auflösung benachrichtigt und gebeten wird, eine Grabrede für die Leichenfeier zu ver fassen. Grillparzer war umsomehr erschüttert, als er kaum etwas von der Krankheit Beethoven’s wußte, suchte jedoch seine Gedanken zu ordnen und begann am nächsten Morgen die Rede niederzuschreiben. „Ich war,“ erzählt er, „in die zweite Hälfte gekommen, als Schindler wieder eintrat, um das Bestellte abzuholen, denn Beethoven sei eben gestorben. Da that es einen starken Fall in meinem Innern, die Thränen stürzten mir aus den Augen, und wie es mir auch bei sonstigen Arbeiten ging, wenn wirkliche Rührung mich übermannte, ich habe die Rede nicht in jener Prägnanz voll enden können, in der sie begonnen war.“ Man kennt die von der ganzen Größe des Moments gehobene, zugleich von persönlichen Antheil leise durchzitterte Grabrede, welche Anschütz auf dem Währinger Friedhofe sprach. Einen ab schließenden Nachtrag zu diesen „Erinnerungen“ beginnt Grill parzer mit den Worten: „Ich habe Beethoven eigentlich geliebt.“ Dieser schlichte Satz hat für meine Empfindung etwas unsäglich Rührendes. Wie charakteristisch ist dieses „eigentlich“ für Grillparzer! An der Stelle, wo es vielleicht jeden Andern zu starkem, feurigem Ausdruck hingerissen hätte, begnügt sich Grillparzer mit „eigentlich“. Wie immer will er die ganze Wahrheit sagen, aber auch nicht mehr als die Wahrheit. Daß er Beethoven liebte, hat er bewiesen; nicht Viele dürften zu jener Zeit behaupten, sie hätten Beethoven „eigentlich geliebt“. Bewundert und geehrt haben sie ihn, aber auch gefürchtet und gemieden. Er wäre sonst nicht so vereinsamt gestorben.

Grillparzer hat nicht blos den Menschen Beethoven, er hat auch den Tondichter „eigentlich geliebt“. Wir wissen von seiner nächsten Umgebung, wie gern und viel er Beethoven

spielte, mit Ausschluß der letzten Werke. In vielen seiner Aussprüche über Beethoven deutet er allerdings nachdrücklich auf die Schatten dieses mächtigen Lichtkörpers, Schatten, die ihm und seinen Zeitgenossen dunkler erscheinen mußten, als uns Nachgeborenen. Der Uebereifer, mit welchem Beethoven nach seinem Tode auf Unkosten Mozart’s gepriesen wurde, noch mehr das spätere fanatische Emporheben der letzten Werke Beethoven’s über alle seine früheren Tondichtungen reizte Grillparzer zur Opposition. Wie Grillparzer von sich selbst bekennt (und Mancher von uns ja ganz gleich an sich erlebt), er fühlte sich sofort zu kritischer Schärfe gegen jeden vermeintlich überschätzten Künstler aufgestachelt und wieder umgekehrt zu vertheidigender Sympathie für irgend ein un billig verkleinertes oder angefeindetes Talent. So ruft er denn auch den „Beethovomanen“ zu:

Ich sähe, glaubt ihr, auf Beethoven schief? Als ob zu meinem Ohr nicht seine Zauber reichten? Mir graut nur vor dem Wörtlein: tief, Vor Allem aus dem Mund der Seichten.

Ein längeres Gedicht von Grillparzer, wahrscheinlich bald nach Beethoven’s Tod geschrieben, malt dessen Ankunft im Elysium. Nach einem grandiosen Eingange, der an den Sturm einer Beethoven’schen Introduction erinnert („Auf wärts! Aufwärts! — Kreis an Kreis — Welt an Welt vom Schwunge heiß!“), folgt die Schilderung des Elysiums, wie ein freundliches, vielleicht etwas altmodisches Rondo. Bach, Händel, Haydn begrüßen unseren verewigten Meister, sogar Cimarosa und Paisiello; „da theilt plötzlich sich die Menge, und der Glanz wird doppelt Glanz: Mozart kommt im Siegeskranz“. Und hier, mit dem Eintritte Mo zart’s, erhält auch Grillparzer’s Poesie wieder doppelten Glanz; sie läßt Mozart die prachtvollen Worte zu Beethoven sprechen:

Wer auch Richter über dir? Starke Könige der Seelen, Lassen wir vom Volk uns wählen, Doch, gewählt, gebieten wir.

Auch die großen Dichter nahen sich, Shakspeare, Klop stock, Dante, Tasso — denn „gleich den Besten“ sei Beethoven geehrt. Daß eine große Persönlichkeit wie Beethoven auch wagen dürfe, was Anderen nicht zusteht, hat Grillparzer

stets bekannt: „Es ist dein, was du genommen — Und dein Wagen ist dein Werth.“ Er fürchtete blos, mit richtiger Vorahnung, daß die nachfolgenden Componisten den meteor gleichen Flug Beethoven’s für eine ihnen jetzt eröffnete Bahn ansehen würden. In einem kürzeren Gedichte: Wanderscene“, schildert Grillparzer einen kühnen Mann, der einsam durch’s Dickicht dringt, einen Strom durchschwimmt, Abgründe überspringt — „als Sieger steht er schon am Ziel, nur hat er keinen Weg gebahnt — Der Mann mich an Beethoven mahnt“.

In den eingangs erwähnten ungedruckten Tagebuch blättern Grillparzer’s findet sich ein kleiner Aufsatz, worin der Dichter sich klar zu werden sucht über „die nach theiligen Wirkungen Beethoven’s auf die Kunstwelt, ungeachtet seines hohen, nicht genug zu schätzenden Werthes“. Er bringt diese „Nachtheile“ unter vier (heute doch großentheils antiquirte) Gesichtspunkte, deren prägnantester lautet: „Durch Beethoven’s überlyrische Sprünge erweitert sich der Begriff von Ord nung und Zusammenhang eines musikalischen Stückes so sehr, daß er am Ende für alles Zusammenfassen zu lose sein wird.“

Schon aus Grillparzer’s Urtheilen über Beethoven leuchtet wie ein verdecktes Licht seine unbegrenzte Verehrung für Mozart. Von allen Tondichtern besaß und behielt MozartGrillparzer’s höchste Bewunderung und Liebe. Schon in seine Jugend spielten Mozart’s Opern mit dem Humor des Zufalls hinein. Eines der frühesten Bücher, die der Knabe las, war das Textbuch der „Zauberflöte“. Ein Stubenmädchen seiner Mutter besaß es und bewahrte es als heiligen Besitz. Sie hatte nämlich als Kind einen Affen in der „Zauberflöte“ gespielt und betrachtete jenes Ereigniß als den Glanzpunkt ihres Lebens. Außer ihrem Gebetbuche besaß sie kein anderes, als diesen Operntext. „Auf dem Schoße des Mädchens sitzend,“ erzählt Grillparzer, „las ich mit ihm abwechselnd die wunderlichen Dinge, von denen wir Beide nicht zweifelten, daß es das Höchste sei, zu dem sich der menschliche Geist aufschwingen könne.“ Seine erste Liebe — eine geheime Liebe aus der Ferne — hing mit der „Hoch zeit des Figaro“ zusammen. Es war die Sängerin des

Cherubin, welche „in der doppelten Verklärung der herrlichen Musik und ihrer eigenen jugendlichen Schönheit“ sich seiner ganzen Einbildungskraft bemächtigte. An sie ist eines der ersten und leidenschaftlich-schönsten Gedichte Grillparzer’s (1812) gerichtet. Daß „Don Juan“ ihm das Hohelied aller Opernmusik war, braucht kaum gesagt zu werden. Eine un gedruckte Bemerkung von Grillparzer’s Hand (aus jenen musikalischen Tagebuch-Notizen) würdigt mit gerechter Ein sicht auch das Verdienst des Libretto-Dichters mit folgenden Worten: „Wenn der Text zum „Don Juan“ von Mozart unmittelbar, wie wir nicht zweifeln, aus Molière’s „Festin de Pierre“ gegangen ist, so kann man der Kunst des Be arbeiters, seiner Kenntniß dessen, was zur Oper gehört, und tiefer Einsicht in das Wesen der Musik nicht genug Ge rechtigkeit widerfahren lassen. Die Bearbeitung ist ein Muster für alle ähnlichen.“

Mozart und kein Anderer mußte Grillparzer’s musi kalisches Ideal sein, nur Mozart’sche Musik stimmte voll kommen zu des Dichters reinem Schönheitssinn, zu seinem Cultus classischer Form und edler Anmuth, endlich zu seinen Ueberzeugungen von der aus sinnlicher Schönheit aufquellen den Kraft der Tonkunst. Einen vollkommeneren poetischen Ausdruck hat die Verehrung für Mozart weder früher noch später gefunden, als in Grillparzer’s Gedicht: „Zur Enthüllung des Mozart-Denkmals in Salzburg“ (1842). Darin ist jeder Vers eine Perle, und sollte das Ganze ein gerahmt, als musikalischer Haussegen, in dem Arbeitszimmer jedes Musikers hängen. „Nennt ihr ihn groß?“ — fragt Grillparzer

Nennt ihr ihn groß? Er war es durch die Grenze: Was er gethan und was er sich versagt, Wiegt gleich schwer in der Wage seines Ruhms; Weil er nie mehr gewollt, als Menschen sollen. Tönt auch ein Maß aus Allem, was er schuf. Und lieber schien er kleiner, als er war, Als sich zum Ungethümen anzuschwellen. Das Reich der Kunst ist eine zweite Welt, Doch wesenhaft und wirklich wie die erste, Und alles Wirkliche gehorcht dem Maß. Deß seid gedenk, und mahne dieser Tag Die Zeit, die Größ’res will und Klein’res nur vermag.