Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4683. Wien, Samstag, den 8. September 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4683. Wien, Samstag, den 8. September 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 08.09.1877
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Grillparzer und die Musik. (Dritter und letzter Artikel.)

Ed. H. Wenden wir uns zu Grillparzer’s ästhetischer Anschauung vom Wesen und Inhalt der Musik im All gemeinen. Sie fußte, um es kurz zu fassen, auf dem Princip der eingeborenen, nur eigenem Gesetze folgenden Schönheit des musikalischen Gedankens und seiner Entwicklung. Solche Schönheit dürfe der geistigen Beseelung nicht ermangeln und schließe das Charakteristische nicht aus; doch müsse die Musik nicht einseitig auf Letzteres ausgehen und ihren Gehalt in poetischer Bedeutsamkeit suchen. Was Grillparzer in der modernen Richtung irrthümlich erschien und ihm antipathisch war, ist eben die Bettelei der Tonkunst bei den Schwester künsten, das Anrufen eines fremden, nichtmusikalischen, blos poetischen Interesses. „Die Stärke braucht, und nicht die Schwächen!“ ruft er den modernen Componisten zu, „sonst wird die Kunst ihr Höchstes nie. Geläng’s der Tonkunst je zu sprechen — wär’ sie verpfuschte Poesie.“ Grillparzer wollte die Grenzen der einzelnen Künste, Poesie, Malerei, Musik, rein gehalten wissen und erklärt den oft gebrauchten Satz: die Musik ist eine Poesie in Tönen, für ebenso un wahr, als es der entgegengesetzte sein würde: die Poesie ist eine Musik in Worten. „Der Unterschied dieser beiden Künste liegt nicht blos in ihren Mitteln, er liegt in den ersten Gründen ihres Wesens.“ In den eingangs erwähnten un gedruckten Tagebuchblättern Grillparzer’s findet sich ein längerer Artikel über Weber’sFreischütz“, worin Grillparzer ausführlicher als sonst seine Ideen über die Auf gabe der Musik und ihr Verhältniß zur Dichtung ausführt. Ich theile den merkwürdigen Aufsatz hier (mit einigen noth wendig gewordenen Kürzungen) zum erstenmale mit:

Der Freischütz.“ Oper von Maria Weber. Der Tonsetzer gehört offenbar ein wenig in die Classe der jenigen, die den Unterschied zwischen Poesie und Musik, zwischen Worten und Tönen verkennen. Die Musik hat keine Worte, das heißt willkürliche Zeichen, die eine Bedeu tung erst durch das erhalten, was man damit bezeichnet.

Der Ton ist, nebstdem daß er ein Zeichen sein kann, auch noch eine Sache. Eine Reihe von Tönen gefällt, sowie eine gewisse Form in den plastischen Künsten, ohne daß man noch eine bestimmte Vorstellung damit verbunden hätte; ein Miß ton mißfällt, wie das Häßliche in der Plastik, schon rein physisch, ohne weitere Verstandesbeziehung. Wenn die Wir kung der Worte auf den Verstand und erst durch diesen auf das Gefühl geschieht, indeß die Sinne dabei eine nur dienende Rolle spielen, so wirkt die bildende und die Tonkunst unmittelbar auf die Sinne, durch diese auf das Gefühl, und der Verstand nimmt erst in letzter Instanz an dem Gesammt Eindrucke theil. Diese Betrachtung hat auch in der bildenden Kunst die größten Kenner (worunter man blos Mengs, Lessing und Goethe zu nennen braucht) dahin geführt, die Schönheit der Form als unerläßliches, ja als höchstes Gesetz für sie aufzustellen. Was von der bildenden Kunst gilt, gilt in noch viel höherem Grade von der Musik. Ihre erste unmittelbare Wirkung ist Sinn- und Nervenreiz . . . Schreitet man in der Betrachtung der Töne und ihrer Ver bindungen weiter fort, so zeigt sich bald eine neue Seite, welche die zu einer schönen Kunst nothwendige Verbindung mit dem Verstande wirklich herstellt und eine Musik als Kunst möglich macht. Nebstdem nämlich, daß die Töne an sich gefallen oder mißfallen, lehrt uns auch das Bewußtsein, daß durch sie besondere Gemüthszustände erweckt werden, zu deren Bezeichnung sie denn auch gebraucht werden können. Freude und Wehmuth, Sehnsucht und Liebe haben ihre Töne . . . Doch darf man zweierlei nicht vergessen. Erstens: daß diese Bezeichnung keine genau bestimmte, wie durch Be griffe und Worte ist; zweitens: daß die ursprüng liche, rein sinnliche Natur der Töne durch keine später hinzukommende Erweiterung der Bedeutung ganz aufgehoben werden kann . . . daß daher bei der ziem lich vagen Bezeichnungsfähigkeit der Musik der nur entfernt wirkende Verstand nicht fähig ist, durch seine Billigung unan genehme Eindrücke auszugleichen, welche die Sinne mit über wiegender Gewalt empfangen haben. Was erstens die Be zeichnungsfähigkeit der Musik betrifft, so bin ich erbötig, bei jeder beliebigen Opern-Arie Mozart’s, des unstreitig größten aller Tonsetzer, die Worte durchhaus, ja sogar den Modus

der Empfindung zu ändern, ohne daß Jemand, der das Musikstück nun zum erstenmal hört, daran ein Arges haben und es weniger bewundern soll. Oder noch schlagender: Man nehme die charakteristischeste Symphonie Beethoven’s und lasse von zehn geistreichen, in der Poesie und Musik er fahrenen Männern einen passenden Text daruntersetzen und erstaune dann, was für Verschiedenheiten sich da zeigen wer den. Ja vielmehr ist eben dies das unterscheidende Kenn zeichen der Musik vor allen Künsten, daß in ihr Symphonien, Sonaten, Concerte möglich sind, Kunstwerke nämlich, die, ohne etwas Genau-Bestimmtes zu bezeichnen, rein durch ihre innere Construction und die sie begleitenden dunklen Gefühle gefallen. Gerade diese dunklen Gefühle sind das eigentliche Gebiet der Musik. Hierin muß ihr die Poesie nachstehen . . . Alles, was höher geht und tiefer als Worte gehen können, das gehört der Musik an, da ist sie unerreicht. In allem Andern steht sie ihren Schwesterkünsten nach . . . Es folgt daraus, daß die Musik vor Allem streben soll, das zu erreichen, was ihr erreichbar ist . . . . daß, so wie der Dichter ein Thor ist, der in seinen Versen den Musiker im Klang erreichen will, ebenso der Musiker ein Verrückter ist, der mit seinen Tönen dem Dichter an Bestimmtheit des Ausdruckes es gleichthun will; daß Mozart der größte Tonsetzer ist und Karl Maria Weber — nicht der größte.“

Der Aufsatz bricht hier unvollendet ab. Ohne Zweifel hätte Grillparzer in Fortsetzung desselben das glänzende Talent Weber’s und dessen auch im Reinmusikalischen so blühende reiche Erfindung anerkannt. Nur die herrschende einseitige Ueberschätzung des charakteristischen Elements im Freischütz“ mag in Grillparzer die Opposition und damit das Bedürfniß geweckt haben, sich über diese Erscheinung theoretisch klar zu werden. Ich halte es für unmöglich, daß ein Dichter wie Grillparzer, oder sagen wir ein Musiker wie Grillparzer, gleichviel, sich dem Zauber des „Freischützverschließen konnte. Weit begreiflicher ist, daß Weber’s Euryanthe“ ihm mißfiel und daß er in dieser Abneigung mit Beethoven zusammentraf. (X. 21.) In „Euryantheerblickte Grillparzer bereits jene Uebertreibung des charakte ristischen Ausdruckes, welche ihm als ein das gesunde Werk

der Musik benagender Wurm erschien und dessen schließlichen Sieg über das musikalisch Schöne er fürchtend voraussah. „Unsinnig“ nennt es Grillparzer, „die Musik bei der Oper zur bloßen Sklavin der Poesie zu machen“, und fährt weiter fort: „Wäre die Musik in der Oper nur da, um das noch einmal auszudrücken, was der Dichter schon ausgedrückt hat, dann laßt mir die Töne weg . . . Wer deine Kraft kennt, Melodie! die du, ohne der Worterklärung eines Begriffes zu bedürfen, unmittelbar aus dem Himmel, durch die Brust wieder zum Himmel zurückziehst; wer deine Kraft kennt, wird die Musik nicht zur Nachtreterin der Poesie machen: er mag der letzteren den Vorrang geben (und ich glaube, sie verdient ihn auch, wie ihn das Mannesalter verdient vor der Kindheit), aber er wird auch der ersteren ihr eigenes, unabhängiges Reich zugestehen, beide wie Geschwister be trachten, und nicht wie Herrn und Knecht oder auch nur wie Vor mund und Mündel.“ Als Grundsatz will er festgehalten wissen: „Keine Oper soll vom Gesichtspunkte der Poesie betrachtet werden — von diesem aus ist jede dramatisch-musika lische Composition Unsinn — sondern vom Gesichtspunkte der Musik.“ Grillparzer macht keine Ausnahme für seine Melusina“; er ist weit entfernt von der Prätension, die ses Operntextbuch für ein dramatisches Gedicht von selbstständigem Werthe auszugeben, obwol es in sei ner Behandlung des Phantastischen wie in zahl reichen einzelnen Stellen den großen Dichter verräth. In Manchem lehnt sich freilich Grillparzer’s Libretto an ältere Opern-Traditionen. So in der ziemlich reichlichen Einführung gesprochener Prosa, dann in der typischen Figur des naseweisen Die ners Troll, den er als eine Art Leporello dem Ritter Raimund mit gibt. Merkwürdig ist die Aehnlichkeit einer Situation mit der ersten Venusberg-Scene in Wagner’s „Tannhäuser“. Raimund liegt zu Melusina’s Füßen in deren glänzendem Feenpalast, von singenden und tanzenden Nymphen umgeben. Er sehnt sich fort auf die Erde. Melusina begreift nicht diese Sehnsucht: „Ich habe dich mit Allem umgeben, was das Dasein reizend und selig macht. Freuden, die deine Erde nur in weiten Abständen aufkeimen läßt, liegen, ein un unterbrochener Kranz, schwellend zu deinen Füßen. Unendlich ist meine Liebe. Was kann dir fehlen?“ Raimund (nach einem kur zen Stillschweigen): „Und wenn ich Thätigkeit sagte?“ Noch in mehreren seiner ästhetischen Fragmente behandelt Grillparzer dasselbe Thema, stets in gleichem Sinne und in

derselben klaren, scharf abgrenzenden Sprache. Ich muß es mir versagen, noch mehr daraus anzuführen zur Charak teristik des Kunstphilosophen Grillparzer. Wir haben ihn schließlich noch als Musik-Kritiker kennen zu lernen. Für die Oeffentlichkeit hat er dieses Talent niemals aus geübt, aber seinen Reise-Tagebüchern vertraute Grillparzer Bemerkungen über Musik-Productionen und Opernvorstel lungen an, welche sein feines, scharfes, von Anderer Mei nung stets unabhängiges Urtheil glänzend darthun. In Italien gab es damals, wie jetzt, nichts Außerordent liches zu hören; Grillparzer’s Reise-Tagebuch beschränkt sich auf die unbarmherzige Kritik einer einzigen elenden Opern vorstellung in Rom: Pacini’sIsabella“. Desto beredter schildert er den tiefen Eindruck, den die Kirchenmusik in der Sixtina während der Charwoche auf ihn macht. Ergiebigeren Musikstoff bietet ihm Paris. In der Opéra Comique hört er Dalayrac’s einactige Oper „Die beiden Savoyarden“. Diese haben, nach Grillparzer, „zu gleicher Zeit mit den Haarzöpfen zu gefallen aufgehört. Zugleich die niederträch tigste Vorstellung. Die beiden Menschen spielten, als ob sie aus Wien von Düport’s kleiner Oper verschrieben wären, und sangen, wie die Dienstmägde bei der Wäsche. Die Männer muß man aus den Billeteuren und Feuerwächtern recrutirt haben. Von einem solchen Chor hat man keine Idee. Sie trafen nie auf den Tactstreich zusammen und thaten, als wenn in einer komischen Oper die Musik ein Spaß wäre“. Man sieht, Grillparzer wäre als Musik-Referent kaum sehr beliebt geworden bei Sän gern und Opern-Directoren. Günstiger spricht er schon über die komische Oper desselben Abends, „Sarah“, von Grisar. „Die Chöre gingen viel besser, jedoch die schwie rigeren Stellen ohne Genauigkeit. Das Orchester oft aus gezeichnet, immer gut. Vorzüglich Hörner und Violinen.“ Hier wie in allen musikalischen Berichten spricht Grillparzer mit dem Interesse und der Sicherheit des Fachmannes. Er geht stets auf musikalisches Detail ein und vergißt über den Solosängern nie die Leistungen des Chors und Orchesters. Eine zweite Eigenthümlichkeit, die Grillparzer’s Opern besprechungen auszeichnet, liegt darin, daß er, der Drama tiker, von dem Spieltalent der Sänger unbeirrt, stets ihren

Gesang in erster, ihren dramatischen Ausdruck erst in zweiter Linie schätzt und beurtheilt. Der Musiker in ihm ist unbe stechlich, freilich oft auch unbarmherzig. In der Großen Oper sind ihm namentlich die Männer „unangenehm“. Sie sind ihm, „was man dramatische Sänger nennt, das heißt schlechte. Sie verstehen sich ziemlich vortrefflich darauf, die Winkel poesie eines erbärmlichen Opernbuches geltend zu machen, sind aber nicht im Stande, die musikalischen Intentionen einer guten Composition ins Leben zu bringen. Aus einem Chor herauszuschreien oder die Lichter auf finstere Violon- Hintergründe aufzusetzen, dazu sind sie ganz die Leute; die Cantilene mag aber besorgen, wer Lust hat“. Sogar der be rühmte Tenor Nourrit behagt ihm nicht; seine kurze Charakteristik lautet: „Hohe Halsstimme, ohne eigentlichen Klang, nur wirksam, wo er schreit.“ In den „Hugenotten„wirkt der Bassist Sardou allein musikalisch, alle Anderen sind singende Comödianten“. Den Levasseur (Marcell) lobt Grillparzer als vorzüglichen Darsteller. „Aber es klingt bei Allen, als ob man ein Violinstück auf einer Bratsche spielte — rauh, unangenehm, klanglos. Ich glaube, wenn Einer falsch sänge, man würde es nicht sehr merken. Es sind so Communtöne. Freundlicher urtheilt er über die Sängerinnen, insbesondere die Falcon (Valentine), die er, mit Ausnahme der Pasta, dem Besten an die Seite stellt. „Ihr Gesang thut dem Spiel, ihr Spiel dem Gesang nirgends Eintrag.“ Entzückt und erstaunt ist Grillparzer eigentlich nur über das Ausstattungswesen in der Großen Oper, Halévy’s Jüdin“ ist ihm als Composition „ohne Interesse“. „Aber,“ ruft er aus, „welche äußere Ausstattung! Die Decorationen Wirklichkeiten, aber nein: Bilder. Bilder, von deren Wir kung man bei uns keine Vorstellung hat. Hier zum ersten male in meinem Leben habe ich ein theatralisches Arrange ment gesehen.“ Einen weit günstigeren Eindruck empfängt er von Meyerbeer’s „Hugenotten“. Die Musik beginnt für ihn eigentlich erst mit dem Duett im dritten Act (Valentine und Marcell), von da an „werden die Situationen von der Musik auf’s hinreißendste unterstützt“. In London entzückt ihn die Malibran. Grillparzer hört sie in einer Oper von Balfe, die er mit den zwei Worten „langweilig und bunt“ charak terisirt. Aber „die Malibran vortrefflicher als jemals,

besonders in dem Walzer, der das Ganze höchst unschicklich schließt, den sie aber mit einer Virtuosität sang, die Alles hinter sich läßt. Dieser leichte Wechsel von hohen und tiefen Tönen in dem schnellsten Zeitmaße, diese völlig ausgebildeten Prelltriller, dieser vollendete Geschmack im Uebergehen zu der wiederkehrenden Anfangsmelodie, dieses Aufjubeln, diese tiefe Empfindung!“ In dem Londoner Tagebuche finden sich noch Urtheile über die Grisi, Tamburini, Rubini, Ole Bull, Moscheles — treffende Bemerkungen, die ein Musik-Kritiker von Fach nicht ohne Brotneid lesen kann, die man aber in dem Buche selbst nachschlagen möge. Ich muß meinem er schreckend angewachsenen Aufsatze ein Ziel setzen, umsomehr, als ich schließlich noch das Interessanteste mitzutheilen habe: eine Wiener Opernkritik, die der Leser nirgends nachschlagen kann, weil sie nirgends gedruckt ist. Es enthalten nämlich jene mehrfach erwähnten musikalischen Tageblätter Grill parzer’s einen Aufsatz: „Aufführung der Oper „Robert der Teufel“ im Theater am Kärntnerthor.“ Darin wird diese Hoftheater-Vorstellung mit der früheren Aufführung derselben Oper im Josephstädter Theater verglichen. Mit Hinweglassung einiger für uns unwesentlicher Stellen lautet Grillparzer’s Kritik wie folgt: „Was nun vor Allem den Hebel des Ganzen, die Rolle des Bertram, betrifft, so hat mich Herr Staudigl doppelt überrascht. Einmal hinsicht lich des Spieles. Wenn ich mir Pöck’s classische Ruhe, feine edle Haltung vor die Augen brachte, wie er, ohne die Linie des Schönen zu verletzen, doch alle die schauerlichen Wir kungen seiner Rolle hervorbringt und sich dadurch zum leuch tenden Mittelpunkte des Ganzen machte, so mußte ich für jeden Nachahmer verzweifeln. Herr Staudigl hat aber nicht nachgeahmt. Die Art, wie er seine Rolle auffaßte, gehört zwar einer niedern Region an; es ist die Art, wie das böse Princip gewöhnlich dargestellt zu werden pflegt. Anfangs war er sichtlich befangen und unscheinbar, später hob er sich aber und gab der Beschwörungs-Arie ein Relief, das sie in Pöck’s Darstellung nicht hatte. Die zweite Ueberraschung oder vielmehr Täuschung war sein Gesang. Wenn Niemand in DeutschlandStaudigl’s Sarastro oder Orovist erreichen wird, so dürfte dafür in halb Europa kein Gegenbild zu Pöck’s metallreicher, einschmeichelnder Seelenstimme gefunden werden. Es gibt edle Naturen in der Kunstwelt wie in der

sittlichen. Man kann sie durch Bemühung theilweise über bieten, im Ganzen aber nie erreichen. Hier war Staudigl von vornherein im Nachtheile, farb- und klanglos. . . . Er schadete sich noch dadurch, daß er, um den Umfang seiner Stimme geltend zu machen, tiefe Töne hineinzog, an denen die Tiefe bemerklicher war, als der Ton. Das Duett im dritten Act (Binder und Staudigl) sank beinahe bis zur Un bedeutendheit. Die Sänger wurden zwar hervorgerufen, sie fanden aber wol in ihrer eigenen Brust minder günstige Richter. . . . Breiting (Robert) vereinigt manches Gute mit so viel Abenteuerlichem in Spiel und Gesang, daß man sich in Verlegenheit gesetzt findet. Seine Stimme ist die Stimme vier oder fünf verschiedener Menschen, von denen der Eine übel singt, der Andere gut. Wenn es ihm gelingt, mit zusammengefaßter Kehle diese gewaltigen Töne zu bändi gen, so geräth Manches recht vorzüglich . . . Der Chor scheint sich in neuester Zeit vorzüglich die Stärke zum Hauptaugenmerk gemacht zu haben, ohne zu bedenken, daß nicht alle Zuhörer mit den Ohren der Menge hören. Was das Nonnenballet betrifft, so sehen wir im Josephstädter Theater Tänzer, die Alles können, nur nicht tanzen. Die Idee des Ballets schien mir aber dort viel richtiger auf gefaßt. Alle Bewegungen haben dort eine Beziehung auf den Zweck, Robert zur Ergreifung des Zweiges anzulocken. Im Kärntnerthor-Theater aber erscheinen die Tänzerinnen, führen Nummer für Nummer vier oder fünf Erste auf, wobei sie die Beine von sich strecken und sich um den Gang der Hand lung nicht im mindesten bekümmern. Und all das so reizlos, so unverführerisch, daß man glaubt, Robert ergreife nur den Zweig, um ihrer los zu werden.“

Meine Aufgabe war, zu zeigen, was für ein herrlicher Musiker in Grillparzer steckte. Daß die Lösung dieser Auf gabe eine leichte und lohnende gewesen, indem sie meistens mit Grillparzer’s eigenen Worten geschehen mußte, wird mir Mancher vielleicht vorwerfen. Je kleiner mein Verdienst, desto größer war meine Freude bei dieser Arbeit, unter welche ich Grillparzer’s goldenen Spruch setzen darf:

Glücklich der Mensch, der fremde Größe fühlt Und sie durch Liebe macht zu seiner eigenen. Denn groß zu sein ist Wenigen vergönnt.