Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4742. Wien, Mittwoch, den 7. November 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4742. Wien, Mittwoch, den 7. November 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 07.11.1877
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Oper und Operette. („Der Wasserträger.“ — „Der häusliche Krieg.“ — „Tivolini“, von Lecocq)

Ed. H. Französische Kritiker haben es Herrn Jauner als eine besondere Courtoisie ausgelegt, daß er die „Sylviavon Delibes durch eine classische französische Oper, Cherubini’sWasserträger“, einleiten ließ. Wirklich machte es sich recht nett, wie die anderthalbjährige „Sylviavon dem siebenundsiebzigjährigen „Wasserträger“, die neueste von der ältesten französischen Oper unseres gegenwärtigen Reper toires, gleichsam an der Hand hereingeführt wurde. Für die Sylvia ist das eine große Ehre; aber ich glaube, der Vor theil war auf Seiten des „Wasserträgers“. Seine Anzie hungskraft allein vermöchte kaum mehr, das neue Opern haus zwei- bis dreimal zu füllen. Und doch hat dieses Werk die Wiederaufnahme in unser Repertoire aus doppeltem Grunde verdient: zuerst ob seiner musikalischen Vorzüge, dann wegen der meisterhaften Leistung Beck’s in der Titel rolle. Seltsam genug, daß Cherubini’s populärste Oper weder in ihrem Vaterland, Frankreich, noch in jenem ihres Schöpfers, Italien, gegenwärtig mehr gegeben wird. In Paris spricht man jetzt von der Absicht des Directors Carvalho, den Wasserträger“ wieder für die Opéra Comique zu sceniren, und zwar textlich etwas renovirt von J. Barbier und berei chert durch drei neue Musikstücke aus Cherubini’s Nachlaß. Bis dahin müssen Franzosen und Italiener nach Deutschland reisen, wenn sie das Meisterwerk ihres gemeinsamen Compatrioten hören wollen. Ein Zeichen, daß die Oper in vielen Stücken gealtert und dem heutigen Publicum fremdartig geworden ist. Die beispiellose Wirkung von Cherubini’s „Wasserträger“ bei seinem Erscheinen (1800) im Théâtre Feydeau ging zum großen Theil von dem Stoff dieser Oper aus. Noch waren damals die Schreckensscenen der Verfolgung aus den Revolutionsjahren bis 1794 Allen in lebendigster Erinnerung. Der Textdichter hatte die Handlung in eine frühere Epoche

(unter Cardinal Mazarin), versetzt, aber fast in jedem Hauses von Paris waren noch kurz vor der Aufführung des „Wasser träger“, ähnliche Scenen vorgegangen, wie die Aufsuchung und Rettung Armand’s. Rellstab erzählt uns, wie ihm in Paris noch Augenzeugen jener ersten Aufführung (dar unter der Musikforscher Botté de Toulemont) dieselbe schil derten: „Hunderte sahen ihre eigene Lage aus nächster Vergangenheit vor sich. Bei der Durchsuchungsscene sah man die Zuschauer erbleichen und zittern. Frauen bekamen Nerven anfälle. Benachbart Sitzende ergriffen sich bei den Händen und hielten einander krampfhaft fest. Die Macht der Erinnerungen war so erschütternd, daß man lautes Schluchzen hörte." Diese Gewalt der Actualität hat die Handlung des Wasserträger“ seither verloren, aber keineswegs die Wirkung ihrer rührenden und spannenden Scenen auf jedes Gemüth. Die Fehler dieses sogar von Goethe hoch gepriesenen Librettos springen trotzdem in die Augen: das Uebergewicht des gesprochenen Dialogs, die Einführung vieler singender Nebenpersonen, die sofort wieder vom Schauplatze verschwinden, endlich das Kindische der Gefahren im dritten Acte sammt der urplötzlich vom Himmel fallen den Rettung. Cherubini’s Musik besitzt hohe und echte Vor züge. Sie imponirt durch Ernst und Größe in den Ensemble nummern, durch schlichte Einfachheit in den Strophenliedern, durch ihre dramatische Treue überall. Allerdings erregt sie mehr Respect als Entzücken. Nur selten packt sie uns mit unwiderstehlicher Gewalt; ein kühler Zug von Vornehmheit und akademischer Gemessenheit, oft sogar von Trockenheit wehrt unsere volle, unbedingte Hingebung. Wo die ganze Zuhörerschaft so recht warm wurde, war es fast immer das Verdienst des Herrn Beck, dessen Micheli mit den Jahren noch immer zu wachsen scheint an Treuherzigkeit, Kraft und gemüthvollem Humor. Das ist nicht blos eine gut gesungene Rolle, sondern ein vollendetes Charakterbild, welches sich unvergeßlich einprägt. Die übrigen Leistungen standen nicht auf gleicher Höhe, Graf Armand, der sich das ganze Stück hindurch muß herumstoßen, schieben und verstecken lassen,

ohne auch nun durch ein einiges dankbares Gesangstück ent schädigt zu werden, ist in Tenoristenkreisen als eine der un beliebtesten Partien verrufen. Wir können es begreifen, daß Herr Walter nicht mit besonderer Lust daran ging. Die am eigentlichsten brillante Partie der Oper ist die Gräfin Constanze. Frau Kupfer sang die Rolle mit lobenswerthem Eifer, aber mit ihrer Mühe ging das Gelingen nicht Hand in Hand. Seit einiger Zeit verfällt die schöne Frau in ein habituelles Tremoliren und Distoniren, das — vielleicht von Ueberanstrengung herrührend — uns ernstlich besorgt macht für ihre Stimme. Selbst den einfachsten Aufgaben, wie zum Beispiel Helene im „Häuslichen Krieg“, bleibt Frau Kupfer derzeit das nothwendigste Maß von correcter und schöner Tonbildung schuldig. Es würde uns freuen, von „baldiger Besserung“ berichten zu können.

Abwechselnd mit dem „Wasserträger“ wird Schubert’s Häuslicher Krieg“ als Beigabe zu dem Ballet Sylvia“ aufgeführt. Das Hofoperntheater spielt den „Häus lichen Krieg“ jetzt nach einer neuen französischen Bearbei tung oder Verarbeitung, welche, meines Erachtens, dem Werke zum entschiedenen Nachtheil gereicht. Während bei uns die Redseligkeit des gesprochenen Dialogs in älteren Opern meistens gekürzt wird, zum Vortheil der deutschen Sänger wie des Werkes selbst, unternimmt man plötzlich im Häuslichen Krieg“ das Gegentheil und schiebt nachträglich einen Haufen gesprochener Prosa hinein, vor dem die Hand lung erlahmt und der Zuhörer erschrickt. Der französische Bearbeiter hat nämlich eine dem Original ganz fremde, auf eine Vorhandlung sich beziehende Intrigue hinein gedichtet: Helene (eine der Rittersfrauen, die ihre heimkehrenden Gatten erwarten) steht, obwol mit Graf Hugo vermält, noch unter der Vormundschaft ihrer Tante Ludmilla. Es wird uns vorerzählt: „Als vor drei Jahren Gräfin Helene heiratete, die ein Jahr vorher ihre Eltern verloren hatte und vom Grafen Heribert an Kindesstatt angenommen worden war, wurde ausdrücklich be schlossen, daß diese Ehe nicht eher für giltig erklärt werden

solle, als bis Helene ihr zwanzigstes Jahr erreicht haben würde.“ Welcher Unsinn! In ähnlichem Bandwurmstyle wird dann abgewickelt, daß der junge Ehemann Hugo um jeden Preis diesem Zustande ein Ende machen wolle; sein Knappe Udolin meint, der Vormund Graf Heribert sei da mit einverstanden, die Zofe aber entgegnet, die Gräfin Lud milla werden sich gewiß dagegen wehren — darüber halten die beiden Domestiken ein langes, albernes Gespräch. Gräfin Ludmilla erörtert dann mit Helenen dasselbe, höchst uninter essante Verhältniß und schließt mit der Versicherung, sie werde es sich nie verzeihen, ihre Einwilligung zu dieser Heirat gegeben zu haben. (Warum? weiß kein Mensch.) Endlich haben noch die beiden Damen ihr Gespräch mit Udolin. Die Gräfin ist überzeugt, „daß Helenens Gemal nicht wagen werde, hieher zu kommen!“ Udolin aber will Helenen auf das Schloß ihres Gatten bringen, und um sie dafür zu stimmen, bittet er sie um ein Rendezvous. Von allen diesen abgeschmackten, langweiligen und unnützen Dialogen weiß das Schubert’sche Original kein Wort. Ob man diese Zuthaten für eine Verbesserung ansehen wolle, mag Geschmacksache sein; aber was jetzt folgt, ist geradezu ein Attentat auf Schubert’s Werk. In diesem ist die Exposition ganz einfach und für alle Paare völlig gleich; die heimkehrenden Ritter sehnen sich nach ihren Frauen, zwingen sich aber zu kalter Zurückhaltung gegen die selben, weil die Frauen das gleiche Manöver auszuführen gelobt haben. Das ältere Ehepaar, Ludmilla und Heribert, weiß sich in seinem Zwiegespräch zu beherrschen — ein in den feinsten humoristischen Lichtern spielendes Duett. Als wirk sames Gegenstück dazu bringt nun Schubert das Zusammen treffen des jungen Ehepaares, Helene und Hugo; zuerst spricht jedes allein die Sehnsucht nach dem Andern aus, als sie aber dann in dem dunklen Saale aufeinanderstoßen, durch bricht die Empfindung unaufhaltsam die Schranken des er zwungenen Eides, und Beide liegen sich in den Armen. Wer hätte nicht am Schlusse dieses Duetts den so köstlich auf jubelnden Naturlaut, eine Art idealen „Juchezers“, bewun dert, welchen die beiden Glücklichen in Terzen anstimmen!

Was hat nun der französische Bearbeiter und, ihm nach, unsere Hofopern-Direction daraus gemacht? Statt des Grafen Hugo erscheint und seufzt der Knappe Udolin, Helene aber singt das Liebesduett, diesen Jubel glücklichen Wieder findens, statt mit ihrem Gatten mit — dessen Reitknecht! Man sollte eine solche Barbarei kaum für möglich halten, und doch wird sie hier, ohne Noth, verübt, und das Publicum, wahrscheinlich in vollständiger Unklarheit über den confusen neuen Text, läßt sich’s gefallen. Würde der deutsche Textdichter selbst die Scene so geschrie ben haben, ich glaube, Schubert hätte sie gewiß geändert, denn sein künstlerischer Instinct mußte ihm sagen, daß hier nur ein Duett zwischen den beiden jungen Ehegatten möglich sei; er componirte ein Duett der Liebe, nicht der Intrigue. Und nun sehen wir in Schubert’s Vaterstadt die erste deutsche Opernbühne, nachdem sie den „Häuslichen Krieg“ jahrelang wortgetreu aufgeführt, nachträglich eine französische Bearbei tung dafür ausgeben, welche in ihrer Willkür und Geschmack losigkeit dicht an die Parodie streift. Statt Schubert’s Intentionen die eines Pariser Theater-Secretärs adoptiren, heißt, wie Gräfin Helene, den Bedienten für den Herrn neh men. Der französische Bearbeiter hatte für seine ästhetische Missethat nur den einzigen praktischen Grund, daß er mit einem Tenoristen für zwei Tenorpartien auslangen wollte und deßhalb die Rollen Hugo’s und Udolin’s eigenmächtig zusammenschmolz. Für ein lyrisches Theater dritten Ranges mag das eine Entschuldigung sein, für das Hofoperntheater, welches bis 1877 beide Tenorpartien gut zu besetzen wußte, gewiß nicht. Vielleicht fällt es einmal dem Director eines tenorarmen Theaters ein, das große Duett in „Fidelio“ so zu arrangiren, daß Leonore es statt mit Florestan mit Jacquino singt, der sie mit der Nachricht überrascht, ihr Gatte sei amnestirt.

Im Carl-Theater gibt man gegenwärtig mit bestem Erfolge eine neue dreiactige Operette von Charles Lecocq, Tivolini, der Bandit von Palermo“, im Original „Le Pompon“ („Der Federbusch“) geheißen. Der immense Erfolg

von „Madame Angot“ hat den von allen Theater-Director bestürmten Componisten verleitet, seiner Arbeitskraft mehr abzuringen oder doch in kürzeren Zeiträumen, als sein mu sikalisches Vermögen gestattet. Kein späteres Werk von Lecocq vermochte die Frische der „Angot“ wieder zu erreichen, frei lich war auch kein zweites von einem so glücklich erfundenen und geschickt geführten Libretto unterstützt. An Fleiß und Sorgfalt der Ausarbeitung hat es Lecocq in seinen späteren Operetten nicht fehlen lassen; auch „Tivolini“ empfiehlt sich durch anständige Haltung und graziöse Ausführung. Lecocq’s lobenswerthes Streben nach Verfeinerung der Operette und Erhebung derselben auf ein höheres künstlerisches Niveau führt ihn nahe, vielleicht zu nahe an die eigentliche Opera comique. Die kleine possenhafte Handlung des „Tivoliniüberfüllt er mit Musik. Das Inhaltsverzeichniß dieser Operette enthält neunzehn musikalische Scenen, von denen manche drei bis vier Musikstücke umfaßt, im Ganzen also [???] dreißig Nummern. Das ist viel zu viel für eine komische Operette, in welcher wir der Musik ein so großes Vorrecht vor der Handlung und dem amüsanten Dialog nicht gern eingeräumt sehen. Unter diesen vielen Musikstücken ist kaum eines von entschiedener Originalität, von durchschlagender Wir kung, aber manches Gefällige, Heitere und Graziöse. Wir heben die ersten Couplets Piccolo’s in G-dur, den Chor: „Il a le pompon, le pompon“ im ersten Finale, Fioretta’s Ro manze im zweiten Act: „Une voix“, endlich die hauptsäch lich durch die Darstellung wirkende) Gerichtsscene hervor. Die drolligste und am meisten applaudirte Nummer, das Buffo-Terzett: „Durchgebrannt“, ist von der Composition des Capellmeisters Brandl. Die neue Operette erfreut sich im Carl-Theater einer vortrefflichen Aufführung. Knaack und Blasel sorgen auf’s beste für die Lachlustigen, Fräu lein Meyerhoff und Herr Rüdinger für die Freunde graziösen Gesanges. Der Tenorist Herr Rüdinger hat uns durch seinen geschmackvollen Vortrag, namentlich im ersten Act, auf das angenehmste überrascht; im Verlaufe des Abends mußte er leider seine angenehme kleine Stimme [???]

ciren. Jedenfalls bedeutet er für die feineren Gesangsauf gaben des Carl-Theaters einen werthvollen Gewinn.

Mit der Anerkennung der anständigen Haltung und einiger hübscher Nummern ist wol dem Verdienst von „Le Pompon“ genug gethan; die Wichtigkeit und Erbauung, womit einige Pariser Journale diese Novität besprochen haben, ver dient sie nicht. In Frankreich rührt sich eine journalistische Partei, die ihren Helden Lecocq auf Kosten Offenbach’s zu den Wolken erheben möchte. An Ursprünglichkeit und Frische des Talents, an melodiösem Reichthum und rhythmi schem Esprit kann sich aber Lecocq mit Offenbach gar nicht messen. Vollends Offenbach’s ungemeine Begabung für mu sikalische Komik findet sich bei Lecocq nur in der hundertsten Verdünnung. Offenbach hat sich stark wiederholt, sehr abgeschwächt; aber selbst in seinen späteren unschein baren Operetten, wie „Margot“ („La Boulangère“), „Ma dame l’Archiduc“ etc. bringt er immer noch musika lische Aperçus, welche Lecocq nie eingefallen wären, komische Scenen, die Lecocq nimmermehr zuwege brächte. Offenbach hat jedenfalls seinen originellen Styl, sein „cachet“, man erkennt ihn sofort, in seinen eigenen Ope retten wie in denen — Anderer. Lecocq verdankt sein von ihm so erfolgreich gepflegtes Genre doch dem Vorgang Offenbach’s, wie er ihm auch den Anfang seiner Carrière verdankt. Als Gründer der „Bouffes parisiens“ hatte nämlich Offenbach eine Concurrenz ausgeschrieben für die beste Composition einer einactigen Operette „Doctor Mira bolan“. Nicht weniger als 68 Componisten betheiligten sich daran — ein erstaunliches Zeichen für die musikalische Fruchtbarkeit in Frankreich! Den Preis erhielten gemein sam Georges Bizet (der Componist von „Carmen“) und Lecocq. Abwechselnd wurde „Mirabolan“ mit der Musik von Bizet und am folgenden Abend mit jener von Lecocq gegeben — keine jedoch mit sonderlichem Erfolg. Seither (1857) ist Lecocq mit zahlreichen Operetten erschienen, von denen aber nur „Fleur de thé“ (als „Theeblüthe“ im Theater an der Wien gegeben) lebhafter ansprach. Ein großer Erfolg wurde erst Lecocq’s „Hundert Jungfrauen“ zu Theil

(1872), und der allergrößte seiner unmittelbar darauf com ponirten „Madame Angot“, welche in Paris über vier hundert Vorstellungen nacheinander erlebt hat. Wenn Lecocq an Originalität und Verve der Erfindung Offenbach ent schieden nachsteht, so hat er doch wieder Eines vor ihm voraus: die reicheren Hilfsmittel, die seine musikalische Bil dung ihm gewährt. Lecocq ist ein gründlich geschulter Musiker; hat er doch seinerzeit am Conservatorium den ersten Preis in der Composition und einen zweiten im Orgelspiel davongetragen. Eine so systematische Schulung konnte Offenbach, der aus der Noth ums tägliche Brot un mittelbar in die glänzendsten Erfolge und die aufreibendste Thätigkeit geworfen wurde, nicht durchmachen. Eine Probe von musikalischer Erudition, wie sie wenige Operetten-Com ponisten aufweisen dürften, hat Lecocq soeben in seiner Herausgabe von Rameau’s berühmter Oper „Castor und Pollux“ geliefert. Rameau, dem man kürzlich ein Denkmal in seiner Vaterstadt Dijon gesetzt hat, war der erste Fran zose, der, das Werk des Italieners Lully weit fortführend, epochemachend geworden ist für die Geschichte der französi schen Großen Oper. Durch sein bahnbrechendes Harmonie system, durch seine Opern, endlich durch seinen bedeutenden Einfluß auf Gluck’s Styl, ist Rameau für jeden Musiker von großer Bedeutung. Um so schwerer empfindet man die Unzugänglichkeit seiner Partituren. Selbst von seiner be rühmtesten und vollkommensten Oper „Castor und Pollux(1737) existirt eine einzige gestochene Partitur-Ausgabe, die bereits zu den großen Seltenheiten gehört. Die geschriebenen Partituren weichen vielfach von einander ab; Clavierauszüge gibt es gar keine. Lecocq hat nun die Mußestunden meh rerer Jahre darauf verwendet, einen getreuen, vollständigen Clavierauszug mit Text von „Castor und Pollux“ zu bear beiten, der soeben in schöner und bequemer Ausgabe bei Legouix in Paris erschienen ist. Auch außerhalb Frankreichs wird man diese gewissenhafte Arbeit freudig begrüßen, die zwar schwerlich die Verbreitung der „Madame Angot“ er leben dürfte, aber in ihrer Art Herrn Lecocq nicht geringere Ehre macht.