Oper und Operette.
(„
Der Wasserträger.“ — „
Der häusliche Krieg.“ — „
Tivolini“, von
Lecocq)
Ed. H. Französische Kritiker haben es Herrn Jauner
als eine besondere Courtoisie ausgelegt, daß er die „Sylvia“
von Delibes durch eine classische französische Oper,
Cherubini’s „Wasserträger“, einleiten ließ. Wirklich
machte es sich recht nett, wie die anderthalbjährige „Sylvia“
von dem siebenundsiebzigjährigen „Wasserträger“, die neueste von
der ältesten französischen Oper unseres gegenwärtigen Reper
toires, gleichsam an der Hand hereingeführt wurde. Für die
Sylvia ist das eine große Ehre; aber ich glaube, der Vor
theil war auf Seiten des „Wasserträgers“. Seine Anzie
hungskraft allein vermöchte kaum mehr, das neue Opern
haus zwei- bis dreimal zu füllen. Und doch hat dieses Werk
die Wiederaufnahme in unser Repertoire aus doppeltem
Grunde verdient: zuerst ob seiner musikalischen Vorzüge,
dann wegen der meisterhaften Leistung Beck’s in der Titel
rolle. Seltsam genug, daß Cherubini’s populärste Oper weder
in ihrem Vaterland, Frankreich, noch in jenem ihres Schöpfers,
Italien, gegenwärtig mehr gegeben wird. In Paris spricht
man jetzt von der Absicht des Directors Carvalho, den
„Wasserträger“ wieder für die Opéra Comique zu sceniren,
und zwar textlich etwas renovirt von J. Barbier und berei
chert durch drei neue Musikstücke aus Cherubini’s Nachlaß. Bis
dahin müssen Franzosen und Italiener nach Deutschland reisen,
wenn sie das Meisterwerk ihres gemeinsamen Compatrioten
hören wollen. Ein Zeichen, daß die Oper in vielen Stücken
gealtert und dem heutigen Publicum fremdartig geworden ist.
Die beispiellose Wirkung von Cherubini’s „Wasserträger“ bei
seinem Erscheinen (1800) im Théâtre Feydeau ging zum
großen Theil von dem Stoff dieser Oper aus. Noch
waren damals die Schreckensscenen der Verfolgung aus den
Revolutionsjahren bis 1794 Allen in lebendigster Erinnerung.
Der Textdichter hatte die Handlung in eine frühere Epoche
(unter Cardinal Mazarin), versetzt, aber fast in jedem Hauses
von Paris waren noch kurz vor der Aufführung des „Wasser
träger“, ähnliche Scenen vorgegangen, wie die Aufsuchung
und Rettung Armand’s. Rellstab erzählt uns, wie ihm
in Paris noch Augenzeugen jener ersten Aufführung (dar
unter der Musikforscher Botté de Toulemont) dieselbe schil
derten: „Hunderte sahen ihre eigene Lage aus nächster
Vergangenheit vor sich. Bei der Durchsuchungsscene sah man
die Zuschauer erbleichen und zittern. Frauen bekamen Nerven
anfälle. Benachbart Sitzende ergriffen sich bei den Händen
und hielten einander krampfhaft fest. Die Macht der
Erinnerungen war so erschütternd, daß man lautes Schluchzen
hörte." Diese Gewalt der Actualität hat die Handlung des
„Wasserträger“ seither verloren, aber keineswegs die Wirkung
ihrer rührenden und spannenden Scenen auf jedes
Gemüth. Die Fehler dieses sogar von Goethe hoch
gepriesenen Librettos springen trotzdem in die Augen: das
Uebergewicht des gesprochenen Dialogs, die Einführung
vieler singender Nebenpersonen, die sofort wieder vom
Schauplatze verschwinden, endlich das Kindische der Gefahren
im dritten Acte sammt der urplötzlich vom Himmel fallen
den Rettung. Cherubini’s Musik besitzt hohe und echte Vor
züge. Sie imponirt durch Ernst und Größe in den Ensemble
nummern, durch schlichte Einfachheit in den Strophenliedern,
durch ihre dramatische Treue überall. Allerdings erregt sie
mehr Respect als Entzücken. Nur selten packt sie uns mit
unwiderstehlicher Gewalt; ein kühler Zug von Vornehmheit
und akademischer Gemessenheit, oft sogar von Trockenheit
wehrt unsere volle, unbedingte Hingebung. Wo die ganze
Zuhörerschaft so recht warm wurde, war es fast immer das
Verdienst des Herrn Beck, dessen Micheli mit den Jahren
noch immer zu wachsen scheint an Treuherzigkeit, Kraft und
gemüthvollem Humor. Das ist nicht blos eine gut gesungene
Rolle, sondern ein vollendetes Charakterbild, welches sich
unvergeßlich einprägt. Die übrigen Leistungen standen nicht
auf gleicher Höhe, Graf Armand, der sich das ganze Stück
hindurch muß herumstoßen, schieben und verstecken lassen,
ohne auch nun durch ein einiges dankbares Gesangstück ent
schädigt zu werden, ist in Tenoristenkreisen als eine der un
beliebtesten Partien verrufen. Wir können es begreifen, daß
Herr Walter nicht mit besonderer Lust daran ging. Die am
eigentlichsten brillante Partie der Oper ist die Gräfin Constanze.
Frau Kupfer sang die Rolle mit lobenswerthem Eifer,
aber mit ihrer Mühe ging das Gelingen nicht Hand in
Hand. Seit einiger Zeit verfällt die schöne Frau in ein
habituelles Tremoliren und Distoniren, das — vielleicht
von Ueberanstrengung herrührend — uns ernstlich besorgt
macht für ihre Stimme. Selbst den einfachsten Aufgaben,
wie zum Beispiel Helene im „Häuslichen Krieg“, bleibt Frau
Kupfer derzeit das nothwendigste Maß von correcter und
schöner Tonbildung schuldig. Es würde uns freuen, von
„baldiger Besserung“ berichten zu können.
Abwechselnd mit dem „Wasserträger“ wird Schubert’s
„Häuslicher Krieg“ als Beigabe zu dem Ballet
„Sylvia“ aufgeführt. Das Hofoperntheater spielt den „Häus
lichen Krieg“ jetzt nach einer neuen französischen Bearbei
tung oder Verarbeitung, welche, meines Erachtens, dem
Werke zum entschiedenen Nachtheil gereicht. Während bei
uns die Redseligkeit des gesprochenen Dialogs in älteren
Opern meistens gekürzt wird, zum Vortheil der deutschen
Sänger wie des Werkes selbst, unternimmt man plötzlich im
„Häuslichen Krieg“ das Gegentheil und schiebt nachträglich
einen Haufen gesprochener Prosa hinein, vor dem die Hand
lung erlahmt und der Zuhörer erschrickt. Der französische
Bearbeiter hat nämlich eine dem Original ganz fremde,
auf eine Vorhandlung sich beziehende Intrigue hinein
gedichtet: Helene (eine der Rittersfrauen, die ihre
heimkehrenden Gatten erwarten) steht, obwol mit
Graf Hugo vermält, noch unter der Vormundschaft
ihrer Tante Ludmilla. Es wird uns vorerzählt: „Als vor
drei Jahren Gräfin Helene heiratete, die ein Jahr vorher
ihre Eltern verloren hatte und vom Grafen Heribert an
Kindesstatt angenommen worden war, wurde ausdrücklich be
schlossen, daß diese Ehe nicht eher für giltig erklärt werden
solle, als bis Helene ihr zwanzigstes Jahr erreicht haben
würde.“ Welcher Unsinn! In ähnlichem Bandwurmstyle
wird dann abgewickelt, daß der junge Ehemann Hugo um
jeden Preis diesem Zustande ein Ende machen wolle; sein
Knappe Udolin meint, der Vormund Graf Heribert sei da
mit einverstanden, die Zofe aber entgegnet, die Gräfin Lud
milla werden sich gewiß dagegen wehren — darüber halten
die beiden Domestiken ein langes, albernes Gespräch. Gräfin
Ludmilla erörtert dann mit Helenen dasselbe, höchst uninter
essante Verhältniß und schließt mit der Versicherung, sie
werde es sich nie verzeihen, ihre Einwilligung zu dieser Heirat
gegeben zu haben. (Warum? weiß kein Mensch.) Endlich
haben noch die beiden Damen ihr Gespräch mit Udolin. Die
Gräfin ist überzeugt, „daß Helenens Gemal nicht wagen
werde, hieher zu kommen!“ Udolin aber will Helenen auf
das Schloß ihres Gatten bringen, und um sie dafür zu
stimmen, bittet er sie um ein Rendezvous. Von allen diesen
abgeschmackten, langweiligen und unnützen Dialogen weiß das
Schubert’sche Original kein Wort. Ob man diese Zuthaten für eine
Verbesserung ansehen wolle, mag Geschmacksache sein; aber was
jetzt folgt, ist geradezu ein Attentat auf Schubert’s Werk.
In diesem ist die Exposition ganz einfach und für alle Paare
völlig gleich; die heimkehrenden Ritter sehnen sich nach ihren
Frauen, zwingen sich aber zu kalter Zurückhaltung gegen die
selben, weil die Frauen das gleiche Manöver auszuführen
gelobt haben. Das ältere Ehepaar, Ludmilla und Heribert,
weiß sich in seinem Zwiegespräch zu beherrschen — ein in den
feinsten humoristischen Lichtern spielendes Duett. Als wirk
sames Gegenstück dazu bringt nun Schubert das Zusammen
treffen des jungen Ehepaares, Helene und Hugo; zuerst spricht
jedes allein die Sehnsucht nach dem Andern aus, als sie
aber dann in dem dunklen Saale aufeinanderstoßen, durch
bricht die Empfindung unaufhaltsam die Schranken des er
zwungenen Eides, und Beide liegen sich in den Armen. Wer
hätte nicht am Schlusse dieses Duetts den so köstlich auf
jubelnden Naturlaut, eine Art idealen „Juchezers“, bewun
dert, welchen die beiden Glücklichen in Terzen anstimmen!
Was hat nun der französische Bearbeiter und, ihm nach,
unsere Hofopern-Direction daraus gemacht? Statt des Grafen
Hugo erscheint und seufzt der Knappe Udolin, Helene
aber singt das Liebesduett, diesen Jubel glücklichen Wieder
findens, statt mit ihrem Gatten mit — dessen Reitknecht!
Man sollte eine solche Barbarei kaum für möglich
halten, und doch wird sie hier, ohne Noth, verübt,
und das Publicum, wahrscheinlich in vollständiger Unklarheit
über den confusen neuen Text, läßt sich’s gefallen.
Würde der deutsche Textdichter selbst die Scene so geschrie
ben haben, ich glaube, Schubert hätte sie gewiß geändert,
denn sein künstlerischer Instinct mußte ihm sagen, daß hier
nur ein Duett zwischen den beiden jungen Ehegatten möglich
sei; er componirte ein Duett der Liebe, nicht der Intrigue.
Und nun sehen wir in Schubert’s Vaterstadt die erste deutsche
Opernbühne, nachdem sie den „Häuslichen Krieg“ jahrelang
wortgetreu aufgeführt, nachträglich eine französische Bearbei
tung dafür ausgeben, welche in ihrer Willkür und Geschmack
losigkeit dicht an die Parodie streift. Statt Schubert’s
Intentionen die eines Pariser Theater-Secretärs adoptiren,
heißt, wie Gräfin Helene, den Bedienten für den Herrn neh
men. Der französische Bearbeiter hatte für seine ästhetische
Missethat nur den einzigen praktischen Grund, daß er mit
einem Tenoristen für zwei Tenorpartien auslangen wollte
und deßhalb die Rollen Hugo’s und Udolin’s eigenmächtig
zusammenschmolz. Für ein lyrisches Theater dritten Ranges
mag das eine Entschuldigung sein, für das Hofoperntheater,
welches bis 1877 beide Tenorpartien gut zu besetzen wußte,
gewiß nicht. Vielleicht fällt es einmal dem Director eines
tenorarmen Theaters ein, das große Duett in „Fidelio“ so
zu arrangiren, daß Leonore es statt mit Florestan mit Jacquino
singt, der sie mit der Nachricht überrascht, ihr Gatte sei
amnestirt.
Im Carl-Theater gibt man gegenwärtig mit bestem
Erfolge eine neue dreiactige Operette von Charles Lecocq,
„Tivolini, der Bandit von Palermo“, im Original „Le
Pompon“ („Der Federbusch“) geheißen. Der immense Erfolg
von „Madame Angot“ hat den von allen Theater-Director
bestürmten Componisten verleitet, seiner Arbeitskraft mehr
abzuringen oder doch in kürzeren Zeiträumen, als sein mu
sikalisches Vermögen gestattet. Kein späteres Werk von Lecocq
vermochte die Frische der „Angot“ wieder zu erreichen, frei
lich war auch kein zweites von einem so glücklich erfundenen
und geschickt geführten Libretto unterstützt. An Fleiß und
Sorgfalt der Ausarbeitung hat es Lecocq in seinen späteren
Operetten nicht fehlen lassen; auch „Tivolini“ empfiehlt sich
durch anständige Haltung und graziöse Ausführung. Lecocq’s
lobenswerthes Streben nach Verfeinerung der Operette und
Erhebung derselben auf ein höheres künstlerisches Niveau
führt ihn nahe, vielleicht zu nahe an die eigentliche Opera
comique. Die kleine possenhafte Handlung des „Tivolini“
überfüllt er mit Musik. Das Inhaltsverzeichniß dieser
Operette enthält neunzehn musikalische Scenen, von denen
manche drei bis vier Musikstücke umfaßt, im Ganzen also [???]
dreißig Nummern. Das ist viel zu viel für eine komische
Operette, in welcher wir der Musik ein so großes Vorrecht
vor der Handlung und dem amüsanten Dialog nicht gern
eingeräumt sehen. Unter diesen vielen Musikstücken ist kaum
eines von entschiedener Originalität, von durchschlagender Wir
kung, aber manches Gefällige, Heitere und Graziöse. Wir heben
die ersten Couplets Piccolo’s in G-dur, den Chor: „Il a
le pompon, le pompon“ im ersten Finale, Fioretta’s Ro
manze im zweiten Act: „Une voix“, endlich die hauptsäch
lich durch die Darstellung wirkende) Gerichtsscene hervor.
Die drolligste und am meisten applaudirte Nummer, das
Buffo-Terzett: „Durchgebrannt“, ist von der Composition
des Capellmeisters Brandl. Die neue Operette erfreut sich
im Carl-Theater einer vortrefflichen Aufführung. Knaack
und Blasel sorgen auf’s beste für die Lachlustigen, Fräu
lein Meyerhoff und Herr Rüdinger für die Freunde
graziösen Gesanges. Der Tenorist Herr Rüdinger hat uns
durch seinen geschmackvollen Vortrag, namentlich im ersten
Act, auf das angenehmste überrascht; im Verlaufe des
Abends mußte er leider seine angenehme kleine Stimme [???]
ciren. Jedenfalls bedeutet er für die feineren Gesangsauf
gaben des Carl-Theaters einen werthvollen Gewinn.
Mit der Anerkennung der anständigen Haltung und
einiger hübscher Nummern ist wol dem Verdienst von „Le
Pompon“ genug gethan; die Wichtigkeit und Erbauung, womit
einige Pariser Journale diese Novität besprochen haben, ver
dient sie nicht. In Frankreich rührt sich eine journalistische
Partei, die ihren Helden Lecocq auf Kosten Offenbach’s
zu den Wolken erheben möchte. An Ursprünglichkeit und
Frische des Talents, an melodiösem Reichthum und rhythmi
schem Esprit kann sich aber Lecocq mit Offenbach gar nicht
messen. Vollends Offenbach’s ungemeine Begabung für mu
sikalische Komik findet sich bei Lecocq nur in der hundertsten
Verdünnung. Offenbach hat sich stark wiederholt, sehr
abgeschwächt; aber selbst in seinen späteren unschein
baren Operetten, wie „Margot“ („La Boulangère“), „Ma
dame l’Archiduc“ etc. bringt er immer noch musika
lische Aperçus, welche Lecocq nie eingefallen wären,
komische Scenen, die Lecocq nimmermehr zuwege brächte.
Offenbach hat jedenfalls seinen originellen Styl, sein
„cachet“, man erkennt ihn sofort, in seinen eigenen Ope
retten wie in denen — Anderer. Lecocq verdankt sein von
ihm so erfolgreich gepflegtes Genre doch dem Vorgang
Offenbach’s, wie er ihm auch den Anfang seiner Carrière
verdankt. Als Gründer der „Bouffes parisiens“ hatte
nämlich Offenbach eine Concurrenz ausgeschrieben für die
beste Composition einer einactigen Operette „Doctor Mira
bolan“. Nicht weniger als 68 Componisten betheiligten sich
daran — ein erstaunliches Zeichen für die musikalische
Fruchtbarkeit in Frankreich! Den Preis erhielten gemein
sam Georges Bizet (der Componist von „Carmen“) und
Lecocq. Abwechselnd wurde „Mirabolan“ mit der Musik
von Bizet und am folgenden Abend mit jener von Lecocq
gegeben — keine jedoch mit sonderlichem Erfolg. Seither
(1857) ist Lecocq mit zahlreichen Operetten erschienen, von
denen aber nur „Fleur de thé“ (als „Theeblüthe“ im
Theater an der Wien gegeben) lebhafter ansprach. Ein großer
Erfolg wurde erst Lecocq’s „Hundert Jungfrauen“ zu Theil
(1872), und der allergrößte seiner unmittelbar darauf com
ponirten „Madame Angot“, welche in Paris über vier
hundert Vorstellungen nacheinander erlebt hat. Wenn Lecocq
an Originalität und Verve der Erfindung Offenbach ent
schieden nachsteht, so hat er doch wieder Eines vor ihm
voraus: die reicheren Hilfsmittel, die seine musikalische Bil
dung ihm gewährt. Lecocq ist ein gründlich geschulter
Musiker; hat er doch seinerzeit am Conservatorium den
ersten Preis in der Composition und einen zweiten im
Orgelspiel davongetragen. Eine so systematische Schulung
konnte Offenbach, der aus der Noth ums tägliche Brot un
mittelbar in die glänzendsten Erfolge und die aufreibendste
Thätigkeit geworfen wurde, nicht durchmachen. Eine Probe
von musikalischer Erudition, wie sie wenige Operetten-Com
ponisten aufweisen dürften, hat Lecocq soeben in seiner
Herausgabe von Rameau’s berühmter Oper „Castor und
Pollux“ geliefert. Rameau, dem man kürzlich ein Denkmal
in seiner Vaterstadt Dijon gesetzt hat, war der erste Fran
zose, der, das Werk des Italieners Lully weit fortführend,
epochemachend geworden ist für die Geschichte der französi
schen Großen Oper. Durch sein bahnbrechendes Harmonie
system, durch seine Opern, endlich durch seinen bedeutenden
Einfluß auf Gluck’s Styl, ist Rameau für jeden Musiker
von großer Bedeutung. Um so schwerer empfindet man die
Unzugänglichkeit seiner Partituren. Selbst von seiner be
rühmtesten und vollkommensten Oper „Castor und Pollux“
(1737) existirt eine einzige gestochene Partitur-Ausgabe, die
bereits zu den großen Seltenheiten gehört. Die geschriebenen
Partituren weichen vielfach von einander ab; Clavierauszüge
gibt es gar keine. Lecocq hat nun die Mußestunden meh
rerer Jahre darauf verwendet, einen getreuen, vollständigen
Clavierauszug mit Text von „Castor und Pollux“ zu bear
beiten, der soeben in schöner und bequemer Ausgabe bei
Legouix in Paris erschienen ist. Auch außerhalb Frankreichs
wird man diese gewissenhafte Arbeit freudig begrüßen, die
zwar schwerlich die Verbreitung der „Madame Angot“ er
leben dürfte, aber in ihrer Art Herrn Lecocq nicht geringere
Ehre macht.