Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 4791. Wien, Freitag, den 28. December 1877 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Sanz-Lázaro, Fernando Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2026

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Nr. 4791. Wien, Freitag, den 28. December 1877 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28.12.1877
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Die sieben Todsünden.“ Von Hamerling und Goldschmidt. (Aufgeführt am 22. December 1877 im Hofoperntheater.)

Ed. H. Die christliche Theologie nennt „Todsünden“ (im Gegensatze zu „läßlichen“) diejenigen, welche den geistigen Tod, das heißt den Verlust des Gnadenstandes, nach sich ziehen, und verzeichnet deren bekanntlich sieben: Hochmuth, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit des Herzens. Die Darstellung dieser Todsünden hat der Dichter Robert Hamerling in Folge Aufforderung des Herrn Adalbert Goldschmidt in Wien zum Gegenstande eines Textbuches gemacht, das von dem Besteller in Oratorienform componirt und von dem Personal des Hofoperntheaters Samstag hier aufgeführt worden ist. Das Werk zerfällt in drei Abthei lungen. Die erste könnte man als „Prolog in der Hölle“ bezeichnen. Der Fürst der Finsterniß hält eine Art Minister rath, in welchem er von seinen „sieben ersten Dämonen“ sich Bericht erstatten läßt über ihre Thätigkeit auf der Erde. Es rühmen sich nun nacheinander die einzelnen Todsünden des Bösen, das sie unter den Menschen angerichtet haben. Jeder der geehrten Vorredner wird von den anderen sechs (oder, wie der Poet in merkwürdiger Zerstreutheit wiederholt an führt, von allen sieben Dämonen!) verhöhnt mit dem Refrain: „Was thust du groß? Brüste dich nicht, wir thun noch mehr!“ Die Siebenzahl schwingt sich schließlich zu neuem Wettkampfe im Bösen hinauf zur Erde. Die zweite Abthei lung schildert in einer Reihe lose aneinandergefädelter Scenen die Leistungen der sieben Todsünden. Zuerst verführt der Dämon der Trägheit eine Schaar müder Pilger, „sich hin zulagern ins Moos, die Füße, die wunden, behaglich gelagert“. Hier scheint der Dichter zu übersehen, daß die Kirche zwar die „Trägheit des Herzens“ als Todsünde bezeichnet, aber keineswegs die Grausamkeit so weit treibt, ein Ausruhen wegmüder Pilger mit ewigen Höllenstrafen zu belegen. Schlegel nennt einmal die Faulheit das einzige Gut, das uns aus dem Paradiese zurückgeblieben sei. Nach der Träg

heit operirt „das Pfauenrad der Hoffart und der Spiegel der Ichsucht“ an einem Jüngling, der zärtlich mit der Ge liebten lustwandelt. In den Wechselreden des Pärchens heißt es:

„Ich fröhnte dem stolzen ichsüchtigen Trieb, Entselbstet nun segn’ ich und preise die Liebe. Dich liebend erkor ich, mir selber ersterb’ ich.“

(Ihr Edlen mögt aus diesen Worten lesen, wie Hamer ling erkennt der Liebe reinstes Wesen!) Mit einer Schnellig keit ohnegleichen macht die „Hoffart“ den Jüngling seiner Braut abwendig; er verläßt sie schleunigst, denn „fern winkt das Glück“. Nach dem Jüngling nimmt die Hoffart noch einen „Helden“ in die Arbeit, macht ihn zum Kronenräuber und Tyrannen, was ihm eine Revolution zuzieht, aus der er zwar siegreich, aber vorgemerkt für die Höllenstrafen hervor geht. Es kommt an die Reihe „die Habsucht“, dieser modernste aller Todsündenböcke. Sie lehrt das Volk zuerst „neue Wege des mühelosen, raschen Erwerbs“ und eröffnet hierauf selbst ein Geschäft mit der Devise: „Geld für Alles“. Den vierten Dämon, den Neid, thut der Dichter sehr kurz ab und ohne ihn eigentlich von der „Habsucht“ recht zu unterscheiden. Der Neid treibt bei Hamerling das Volk sofort zur Plünderung der Reichen. Ohne weitere Vermittlung setzt die nächste Scene an: der Dämon der Völlerei über rumpelt eine Schaar von Festgenossen. Sie ergießen ihren bacchischen Wonnedrang“ in folgenden überaus lieblichen und geschmackvollen Versen:

„O Bauch, o Bauch! Vieledler Theil, Wir mögen gern dich pflegen! . . . Der Kopf ist Arbeit, schwere Noth, Du Bauch, du Bauch sei unser Gott!“ (Der echt wienerische Reim „Noth—Gott“ verleiht dem Verse ein ganz apart patriotisches Geschmäckchen.)

Sobald die Bauchsänger hinreichend begeistert sind, um „aus dem Stiefel zu saufen“, tritt die „böse Lust“ zu ihnen. Dieser Dämon hat sich bereits im Vorspiel folgenderweise selbst charakterisirt: „Ich mische das Gift, das sickernd die Säfte durchseucht mit Sünde. Ewig unselig, weil nimmer befriedigt, wälzt sich im Wüsten weichlich der Lichtsohn.“ O Wagner, der du nicht blos die Componisten, sondern bereits auch die Dichter verführst durch dein Beispiel! Daß

selbst eine poetische Kraft wie Hamerling sich in so schauder hafte Verse verirrt! Der „Lichtsohn“ unterliegt natürlich sofort der Menge „wonniger Weiber verlockender Leiber“; es kann jetzt nur noch der letzte Dämon folgen, Todsünde Nr. 7, der Zorn. Er hetzt die Völker zuerst gegen ihre Fürsten (worin ihm merkwürdigerweise der „Chor der Priester“ beisteht), sodann nationenweise gegen einander. Nun ist Alles der Erde gleich gemacht, und ein Verzweiflungs- Chor, in dem die Menschen ihren Schöpfer und sich selbst verfluchen, schließt diesen zweiten, mit Gräuelthaten sehr frei gebigen Theil des Oratoriums. Die dritte Abtheilung beginnt wieder höllenmäßig, mit einem Chor der Dämonen, endet jedoch, überraschend genug, mit seliger Versöhnung und Erlösung. Und wer rettet die an Leib und Seele ver sumpfte Menschheit, nachdem sie durch sieben Todsünden geschleift wurde, deren jede einzelne die ewige Verdammniß nach sich zieht? Ein Sänger mit einer Harfe! Die Theologen dürften mit dieser ebenso wohlfeilen als schmackhaften Medicin kaum einverstanden sein — uns Nichttheologen verwundert wenig stens die seltsame Logik dieses Ausgangs. Der Harfner singt von Wahrheit, Schönheit, Liebe, sein „verwünschter Klang schafft den Dämonen Weh“, den Menschen aber Wonne; schließlich erscheint persönlich „die Königin der Schaaren des Lichts“, um dem lyrischen Welterlöser „mit dem Kranz schmucke lohnend das Haupt zu krönen“.

Hamerling’s Gedicht ist trotz einiger farbenfrischer Bilder in der zweiten und mancher vornehmerer Gedanken in der dritten Abtheilung ein gar unerfreulicher, philo sophisch-allegorischer Zwitter ohne Blut und Leben. Zum Glück sitzt der Ruhmeskranz viel zu fest auf dem Haupte des Dichters von „Ahasver“, als daß diese „Todsünden“ ihn ernstlich lockern könnten. Unsere Bedenken gegen die Wahl dieses Stoffes richten sich überdies weit mehr gegen den Musiker, welcher ihn zu componiren unternahm, ja ihn eigens bestellte, als gegen den Dichter. Die Poesie beherrscht ein viel größeres Reich als die Musik und gebietet über un gleich reichere Mittel, wo es gilt, gerade die Nachtseiten der Menschheit, die Sünde, das Laster, überhaupt das Häßliche und Böse darzustellen. Es ist ein Mangel, ich glaube ein

schöner, segensvoller Mangel der Tonkunst, daß sie das nicht kann, oder doch nur andeutungsweise und vorübergehend. Wie die Musik und die Architektur unter allen Künsten am wenigsten be fähigt sind, komisch zu wirken, so sind sie ihrer ganzen Natur nach auch am beschränktesten in der Darstellung des Bösen und Häßlichen. Wie vermag die Musik den Neid, den Geiz, die Habsucht auszudrücken? Offenbar nur durch musikalisch Häßliches und Verzerrtes — inhaltlos, allgemein, ohne unter scheidende Charakteristik jeder einzelnen dieser „Todsünden“. Zorn und Wollust werden durch das Plus von leidenschaft licher Bewegung, das ihnen innewohnt, der Musik leichter zugänglich sein, jedoch immer nur als vereinzelte Schlag schatten, welche die lichten Partien des Gemäldes in doppelter Reinheit und Schönheit hervorheben. So und nur so haben alle großen Tondichter das moralisch Häßliche behandelt. Eine Oper, zusammengesetzt aus lauter Pizarros, lauter Bertrams, Mephistos und Ortruds, wäre eine die Parodie herausfordernde Verkehrtheit, genau so wie Goldschmidt’s Oratorium, das eine mit Teufeln garnirte Musterkarte menschlicher Laster und Verbrechen darzustellen unternimmt. Denn mit dem Schlusse der zweiten Abtheilung — darüber täuscht sich Niemand — ist dies musikalische Todsünden- Gemälde eigentlich fertig und erschöpft, wie dessen colo ristisches Vorbild von Makart. Der versöhnende Epilog mit dem gottgesandten Harfenisten erscheint als eine äußer liche Zuthat, Poesie der Verlegenheit, und könnte ohne weiteren Schaden wegbleiben. Hätte der Componist eine von den verderblichen Sünden zum treibenden Motiv einer Handlung gewählt, den Helden darein verstrickt und daraus errettet (etwa wie Wagner den Tannhäuser), so konnte er die Auf gabe noch künstlerisch lösen. Selbst wenn er alle sieben Todsünden nacheinander gegen Einen interessanten und bedeutenden Hel den zum Sturme commandirte, sei es in Folge einer Wette, wie die Mephisto’s mit dem Herrn, sei es durch einen egoistischen Verführer, wie Bertram, oder durch das Wirrsal geselliger Verhältnisse — es ließe sich auch noch hören. Aber die sieben Todsünden als solche, philosophisch-abstract, um ihrer selbst willen zum Gegenstande einer großen Ton dichtung zu machen, das ist selbst eine Todsünde gegen den heiligen Geist der Musik. Ein Componist, der sich ein solches

Textbuch bestellt, wird uns von vornherein verdächtig als eine unmusikalische Natur, als ein Speculant mit falschen Effecten. Im Mittelalter hießen schon diejenigen Mysterien, in denen vier Teufel spielten, „grande diablerie“; welcher Componist dürfte aber heutzutage mit sieben ernsthaften Teufeln anbinden? Wenn’s noch ein Beethoven wäre, dessen Genie selbst in die tiefsten Abgründe sich hinabsenken konnte, ohne daß die Leuchte der Schönheit ihm erlosch! Was Michel Angelo in seinem furchtbaren „Jüngsten Ge richt“ wagen durfte, das darf der nächstbeste gewandte Di lettant nicht unternehmen wollen, und wenn wir eine Com position der „Sieben Todsünden“ als eine titanische Laune Beethoven’s uns gefallen ließen, so acceptiren wir sie darum noch nicht von Herrn Adalbert Goldschmidt.

Ueber die Musik des neuen Oratoriums wollen und dürfen wir uns kurz fassen: sie erschien uns durchweg als eine unselbstständige, unschöne und übertriebene Nachahmung Richard Wagner’s. Originalität der Erfindung und gestaltende Kraft vermißten wir durchgehends, ja sogar natür liche Empfindung und den allereinfachsten Schönheitssinn. Hingegen offenbart die Partitur ein erstaunliches Vertraut sein, ja Verranntsein in alle Wagner’schen Ausdrucksweisen und Effectmittel. Schiller’s oft citirtes „Wie er sich räuspert etc.“ trifft hier aufs Haar zu. „Aus Tannhäuser!“ „Aus den Meistersingern!“ „Aus der Walküre!“ konnte man rechts und links flüstern hören. Aber auch wo keine directen Reminiscenzen auftauchen, hören wir überall Wagner’s Stimme. Solch handgreifliche Nachahmung eines Meisters wirkt immer verstimmend, im vorliegenden Falle ist sie geradezu peinlich. Wagner hat sich seinen Styl ge schaffen, der — gut oder übel — sein Eigenthum ist, das Eigenthum einer geistvollen, originellen Individualität, aus deren Empfinden er mit subjectiver Nothwendigkeit hervor quillt. Wer diesen Styl mechanisch nachahmt, ohne Wagner’s Geist und Wagner’s Kunst zu besitzen, wer ihn obendrein in seinen grellsten Effecten nachahmt, gleichsam nur den Schaum abschöpfend, der schafft eine Caricatur. Herr Goldschmidt plündert die ganze musikalische Garderobe seines Meisters, zieht dessen Prunkgewänder alle übereinander an, aber was in diesen Kleidern steckt, ist nimmermehr ein Wagner,

sondern höchstens dessen Zerrbild. Wir haben niemals im Laufe eines Abends so viel gräuliche Dissonanzen, so viel widerhaarige, unsangbare Melodien, plumpe Rhythmen und geschmacklose Orchester-Effecte gehört, wie in diesen „Tod sünden“. Charakteristisch ist die fortwährende Anwendung der Harfe, der Posaunen, der melodieführenden Pistontrom peten; dazu das wilde Gesäusel der tremolirenden Violini divisi, die vielen Pizzicatos, die tiefsten Lagen der Holzbläser, gar nicht zu reden von der aufdringlichen Thätigkeit der Triangel, Becken, großen Trommel und gestimmten Glöck chen. Diesen an rechter Stelle so wirksamen Reizmitteln ist nirgends der rechte Platz bereitet und aufgespart, vor lauter Effect macht nichts Effect. Der charakteristische Ausdruck war im Großen und Ganzen nicht fehlzugreifen: Häßliches und Schauerliches wird immer auf irgend ein Laster passen. Mit hunderttausend Tonsünden stellt Herr Goldschmidt seine Sieben Todsünden“ her. Merkwürdig bleibt dabei sein Fehl greifen in manchen Einzelheiten. Die Dämonen, die sich schadenfroh ihres Sieges rühmen („Wir haben bekämpft das feindliche Licht etc.“) singen langsam und traurig wie nach einer Niederlage; der Fürst der Finsterniß zerfließt, wenn er den Dämon der Trägheit commandirt, in elegischer Weichheit, und dieser Dämon selbst, anstatt die Pilger ver führerisch zum Ausruhen zu locken, thut dies mit einem be ängstigenden Gewinsel. Einen nicht üblen melodiösen Ansatz bringt der „Chor der Festgenossen“, aber er ist in seiner Sentimentalität ganz unpassend für den „feurigen Hymnus“ fröhlicher Gäste. Der Chor der Zecher: „O Bauch, Bauch!“ klingt bei Herrn Goldschmidt wie Grabgesang. Die ganze Scene der „Völlerei“ sammt der sich anschließenden Schil derung der „bösen Lust“ gehört poetisch und mehr noch musikalisch zu dem Widerwärtigsten, was wir kennen. Der schwere Irrthum in der Wahl des Stoffes, einer Tragödie der „Sieben Todsünden“, rächt sich hier. Denn die Völlerei, als das Habituellwerden eines auf Genuß gerichteten Triebes, läßt sich in der Kunst nur komisch behandeln. Unfreiwillig komisch wird Herr Goldschmidt dafür an manchen Stellen, sowol durch musikalisches Gesichterschneiden, als durch falsche Text-Auffassung. Den Chor des empörten Volkes: „Rache, Rache!“ würde ohne Einblick ins Textbuch Jeder für ein

reuiges Gebet halten. Im Tone mitleidigster Trauer, anstatt mit jubelnder Schadenfreude, melden am Schluß der zweiten Abtheilung die Dämonen, daß nun „zur Stätte des Elends geworden der Erdkreis“ — genau so wie eine Weile darauf der „Chor der Menschen“ seine entgegengesetzte Empfindung über diesen Untergang ausdrückt. Doch wozu sich noch an Einzelheiten stoßen, wo das Ganze so absolut unerquicklich, so einheitlich verfehlt ist? Wir sind sogar in Verlegenheit, ob Herrn Goldschmidt überhaupt Talent zugesprochen wer den kann — nach seinen „Sieben Todsünden“ jedenfalls nur ein äußerliches Talent des Aneignens und Nachahmens.

Was die Aufnahme des Werkes betrifft, so war sie nach der ersten Abtheilung eine lautlos stille. In den beiden folgenden Abtheilungen wurden das Duett zwischen Frau Wilt und Herrn Walter, dann das Solo des Herrn Müller lebhaft applaudirt, was hoffentlich zumeist den trefflichen Leistungen dieser Künstler gelten sollte. Den Com ponisten selbst rief das ihm sehr wohlwollend gestimmte Publicum nach der zweiten und dritten Abtheilung wieder holt hervor. Demungeachtet schien schließlich Alles zu Tode erschöpft, die Hörer und noch mehr die Mitwirkenden. Die Sieben Todsünden“ erreichten trotz zahlreicher Kürzungen eine unerträgliche Länge und sind schwieriger auszuführen, als die complicirtesten Partituren von Liszt, Wagner oder Berlioz. Man hat hier von diesem Werk, das doch Niemand für lebensfähig halten konnte, zahlreichere und an strengendere Proben gehalten, als zur „Walküre“. Es ist kein Geheimniß, daß unser den höchsten Anforderungen gewach senes Hofopern-Orchester, den Dirigenten mit einbegriffen, Goldschmidt’s „Todsünden“ nur mit Widerwillen und mit äußerster Anstrengung einstudirte, ja, daß die Orchester mitglieder trotz ihres bescheidenen Einkommens sogar zu einer Geldentschädigung an den Pensionsfonds sich bereit erklärten, wenn letzterer durch Ablehnung der „Todsünden“ und Sub stituirung einer anderen Composition eine Einbuße erleiden sollte. Für kein Werk irgend eines großen Meisters haben Chor und Orchester des Hofoperntheaters jemals einer so aufreibenden Arbeit (obendrein ganz unentgeltlich) sich unter ziehen müssen. Warum und für wen diese Opfer dennoch gebracht werden mußten, ist und bleibt uns ein Räthsel.

Nachschrift. Nachdem obiger Aufsatz bereits der Druckerei überantwortet war, erhielten wir von Robert Hamerling in Graz einen Brief, welcher interessante Aufschlüsse über seine Dichtung und deren Verhältniß zu Herrn Goldschmidt’s Composition enthält. Wir beeilen uns, diejenigen Stellen, welche das Urtheil über die Dichtung vielleicht zu modificiren geeignet sind und die wir in der Kritik selbst nicht mehr berücksichtigen konnten, unseren Lesern hier mitzutheilen.

„Herr Goldschmidt,“ schreibt R. Hamerling, „hat von meiner Dichtung nur einen Auszug, man kann sagen heraus gerissen und in einen notdürftigen Zusammenhang gebrachte Verse componirt. Ich weiß sehr wohl, daß mein Gedicht den Maßstab einer höheren, insbesondere der dramatischen Gattung nicht verträgt. Als „Oratorium-Text“, als Allegorie, was sie durchaus ist, konnte diese Schilderei nicht auf lebendig individuelle Gestaltung ausgehen, sondern mußte sich be gnügen, poetische Anregungen für die Tongemälde zu liefern. Die sehr verschiedene Wesenheit der Todsünden gestattete, die mannichfaltigsten Töne anzuschlagen, und in einer Schilderung, die mit der „Trägheit“ beginnt und mit den großartigsten Bildern des „Zornes“ endet, kann es wol auch an der Steigerung nicht fehlen. Von der Grundidee und den allgemeinen Umrissen der Dichtung abgesehen, die dem Componisten angehören, hat dieser auch die Form insofern beeinflußt, als er dieselbe ausdrücklich der Wagnerschen Weise, als der bequemsten für den Musiker, angenähert wünschte. Gewisse debere, drastische Züge des Gedichtes sind ebenfalls auf eine ausgesprochene Mahnung des Componisten an den Dichter zurückzuführen, so „realistisch“ als möglich vorzugehen, was mich anfangs veranlaßte — wie ich nun glaube, mit Unrecht — einen musikalischen Höllenbreughel in Herrn Goldschmidt zu vermuthen. Meine Weisung an den Componisten, „Schopenhauer’scher Weltstimmungin Tönen Ausdruck zu geben, ist wunderlich mißverstanden worden: Stimmungen zu schildern, ist die Musik gar wohl berufen. „Schopenhauer’sche Stimmung“ sollte nichts weiter bedeuten, als den Inbegriff des Grämlichen, Polternd- Verdrießlichen, der verlorenen Freude am Dasein, des Pessi mismus — insoweit er eben „Stimmung“ ist.