Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 8518. Wien, Samstag, den 12. Mai 1888 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 8518. Wien, Samstag, den 12. Mai 1888 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 12.05.1888
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Maria Theresia und die Musik. II. (Schlußartikel.)

Ed. H. Wir lassen nunmehr aus den Briefen Maria Theresia’s eine Reihe von Aussprüchen über Opern und Ballette, Musik und Musiker folgen. Zum besseren Ver ständniß der darin berührten Sachen und Personen dürfte es nicht überflüssig sein, eine kurze Skizze über den Bestand der Hofcapelle, sowie der Oper unter der Regierung der Kaiserin vorauszuschicken.

Die Hofmusik hatte unter dem Vater Maria Theresia’s, Kaiser Karl VI., ihre höchste Blüthe erreicht. Nach dieser Glanzperiode ging es rasch abwärts. Nach Karl’s VI. Tode (1740) und dem bald darauf erfolgten Hinscheiden seines letzten Hof-Capellmeisters J. J. Fux ließ Maria Theresia diese Stelle durch mehrere Jahre unbesetzt; erst am 2. Sep tember 1746 wurde der bisherige Vice-Capellmeister Pre dieri zum ersten und der Hof-Compositor Georg Reutter zum zweiten Capellmeister ernannt. Der erste Capellmeister hatte die Opern, Serenaden und öffentlichen Tafelmusiken zu dirigiren; der zweite alle Kirchenmusiken; dabei war jeder unabhängig von dem andern. So blieb es bis zum Jahre 1752, wo die Administration beider Theater nächst der Burg und dem Kärntnerthor von der Kaiserin der Stadt Wien übertragen wurde. Damit hatte die Betheiligung der Hof musik an der Oper aufgehört. Als der (nunmehr geadelte) Georg vonReutter erster Capellmeister wurde, sank die Hofcapelle von Jahr zu Jahr immer tiefer, man traf fast lauter altersschwache Musiker aus früherer Zeit, und ihre Zahl, die unter Karl VI. auf 134 gestiegen war, fiel auf zwanzig, größtentheils Invaliden herab. Erst Florian Gaß mann (1772 zum Hof-Capellmeister ernannt) brachte es dahin, den Stand der Hofcapelle auf 40 Mitglieder zu er höhen. Ihm dankt man auch die Gründung der segens

reichen Tonkünstler-Societät für Pensionirung ihrer Witwen und Waisen, die unter dem Namen „Haydn“ noch heute blüht. Die aufstrebende Oper hatte das überwiegende Interesse des Hofes an sich gezogen, und die Kirchenmusik, auf welche die Hofcapelle jetzt fast ausschließlich angewiesen war, wurde zurückgestellt. Nur den dringenden Vorstellungen Gaßmann’s bei der Kaiserin gelang es, die ernstlich geplante gänzliche Auflösung der Hofcapelle zu verhindern. Die Leitung derselben war zu allen Zeiten einem Capellmeister, mit einem Vice- Capellmeister an der Seite, anvertraut. Unter Maria The resia’s Regierung waren Hof-Capellmeister: Predieri und Georg v. Reutter, im letzten Jahrzehnt Gaßmann und Bonno. Ein anderes Musik-Amt war das der Hof- Compositoren. Sie kamen unter Kaiser Leopold I. auf, welcher Carlo Badia und J. J. Fux dazu berief. Ihre Hauptbestimmung war, Compositionen zu Opern und Balletten zu liefern, nebenbei auch für die Kirche. Mehrere von ihnen schwangen sich zu Hof-Capellmeistern empor; einige blieben in ihrer Anstellung, darunter auch Wagenseil, der Lehrer Maria Theresia’s und ihrer Kinder. Nach Karl’s VI. Tode hatte mit dem Aufhören der Hofoper auch die Hauptbestim mung der Compositoren aufgehört; sie starben allmälig aus, und wenn auch Männer wie Gluck und Mozart noch in den Reihen der Hof-Compositoren glänzten, so war dies nur eine vom Monarchen dem Talente dargebrachte Huldi gung, ohne Verpflichtung zu wirklichen Leistungen. Hof- Compositoren waren unter Maria Theresia: Georg Reutter, Porsile, Palotta, Wagenseil, Bonno, Gluck und Salieri. Letzterer, der Lehrer Beethoven’s und Schubert’s, diente noch unter den drei folgenden österreichischen Mon archen und starb erst 1825.

Die Oper (die italienische große Opera) war unter den Kaisern Leopold I., Joseph I. und Karl VI. ausschließend eine Angelegenheit des Hofes. Nur geladene Gäste hatten Zutritt. Der Schauplatz war im Sommer die alte Favorita (im Augarten) und die neue Favorita (das heutige There sianum), damals zwei kaiserliche Lustschlösser. Im Winter wurden die Opern in der Hofburg gegeben, und zwar in dem vom Kaiser Joseph I. erbauten prachtvollen

Opernhause, dass sich zwischen der Hofbibliothek und der kaiserlichen Reitschule befand. Es bestand aus zwei Sälen, von denen der kleinere während des Carnevals zu den italienischen Schauspielen, der große aber für die Opera seria bestimmt war. Sie wurden in die jetzigen k. k. Re doutensäle umgewandelt. Maria Theresia ließ 1741 ein neues Theater auf dem Michaelerplatze erbauen, welches der Grund zu dem jetzigen Burgtheater wurde. Man spielte darin abwechselnd deutsche und französische Schauspiele und italie nische Singspiele. Da Maria Theresia und ihr Gemal an diesen abwechselnden Schauspielen Geschmack fanden, so ließen sie die ehemaligen großen und kostspieligen italienischen Opern ganz eingehen. Die letzte dieser großen Opern wurde noch 1744 zur Feier der Vermälung der Schwester Maria Theresia’s, Erzherzogin Marianne, mit dem Prinzen Karl von Loth ringen (in dem jetzigen großen Redoutensaale) gegeben: Ipermenestra“ von Metastasio mit Musik von Hasse. An jedem Theaterabend (im Hofburgtheater) waren dem französischen Schau- und Singspiele, sowie der italienischen Oper auch Balletvorstellungen eingefügt. Unter dem Hof- Balletmeister Franz Hilverding wurde das Ballet zuerst selbständiger und geschmackvoller geregelt. Sein Nachfolger war Angiolini aus Toscana, 1762 als Balletmeister berufen, der unter Anderm das Ballet zu Gluck’s „Orfeoschuf. Er wurde weit übertroffen von dem 1769 angestellen weltberühmten Noverre, der das serieuse Ballet auf die höchste Stufe der Vollkommenheit brachte und von Maria Theresia hochgeschätzt war.

Im Gegensatz zu dem Hoftheater nächst der Burg war das Schauspielhaus nächst dem Kärntnerthor ein Stadttheater, und war das erste stehende deutsche Theater Wiens. Es wurde 1709 eröffnet, erhielt aber das wirkliche Privilegium erst unter Karl VI. Im Jahre 1748 bekam Joseph Sellier, welcher auch das Burgtheater leitete, die Erlaubniß, das Comödienhaus nächst dem Kärntnerthor „K. k. privil. Stadt-Wienerisches Theatro“ nennen zu dürfen. Die gemeinschaftliche Leitung beider Theater wurde nun beibehalten. Maria Theresia übertrug die Auf sicht über die Theaterleitung dem Stadtmagistrat, der

die Grafen Franz Eszterhazy und Durazzo zu Com missären ernannte. Im Jahre 1753 wurde Graf Durazzo zum alleinigen General-Spectakel-Director ernannt und be hielt diesen Posten, bis er 1764 als Gesandter nach Vene dig ging.

Nach diesen sehr trockenen Vorbemerkungen können wir uns wieder dem Vergnügen hingeben, in den Briefen der großen Kaiserin zu blättern. In dem Briefwechsel mit Kaiser Joseph läßt die Kaiserin Theater- und Musik- Angelegenheiten völlig beiseite. Hingegen spricht Joseph in zwei Briefen vom Jahre 1761 über den Hof- und Kammer musik- und General-Spectakel-Director Grafen Durazzo. Dieser sage, daß er das Amt niederlegen, aber in Wien bleiben wolle in einer andern Stellung. „Madame Durazzo frohlockt bereits, in der Hoffnung, sie würden in Wien mit ihrem Gehalt und comme Musikgraf bleiben. Aber sie machen die Rechnung ohne den Wirth und ich glaube, Ew. Majestät thäte gut, Durazzo und seine Frau zu entfer nen, zwei immerhin gefährliche Personen, welche genug Con fusionen angerichtet haben.“ Briefe Maria Theresia’s an Joseph II.“ Herausgegeben von A. v. Arneth. (Wien1867.)

Weit ergiebiger zeigt sich für unsern Zweck die bereits erwähnte Correspondenz der Kaiserin mit ihrem Sohn, dem Erzherzog Ferdinand und dessen Gemalin. Rührend ist darin insbesondere die Sorgfalt und Anhänglichkeit der Kaiserin für ihren ehemaligen Musiklehrer, den berühmten italienischen Operncomponisten Johann Adolph Hasse (geb. 1699 bei Hamburg, † 1783 in Venedig). Maria Theresia übergibt ihm ein Schreiben an ihre Schwiegertochter, die Erzherzogin Maria Beatrix, in Mailand, und empfiehlt ihr den Ueber bringer mit dem Wunsche, er möge nicht auf der Reise die Gicht bekommen. „Er ist alt, er war mein Musiklehrer vor 38 Jahren. Immer habe ich seine Compositionen vor allen anderen geschätzt; er ist der Erste gewesen, der die Musik fließender und angenehmer gemacht hat. Er hat viel gearbeitet; möglich, daß er zur Stunde nicht mehr so gut reussirt, aber ich weiß es ihm Dank, daß er mit so viel

Frische an dieses Werk gegangen ist und sich damit selbst nach Mailand begibt.“ Und dem Erzherzog Ferdinand schreibt sie: „Sage mir, wie dir die Oper gefiel und was das Publi cum dazu gesagt hat? Man erzählt hier, die Musik habe nicht gefallen; es thäte mir leid um den alten Hasse.“ Die Oper, nach deren Erfolg sich die Kaiserin erkundigt, kann nur Ruggiero“ sein, Hasse’s letztes Werk, das er auf einen Text von Metastasio zu den Vermälungs-Feierlichkeiten des Erzherzogs Ferdinand componirt und in Mailand am 10. October 1771 zur Aufführung gebracht hat. Daß Arneth darunter die Oper „Ascanio“ vermuthet, ist offen bar nur ein Schreibfehler. „Ascanio in Alba“ war die thea tralische Serenade Mozart’s, welche am selben Abend mit Hasse’s „Ruggiero“, der eigentlichen Festoper, aufgeführt wurde. „Mir ist leid,“ schreibt Leopold Mozart, „die Sere nade des Wolfgang hat die Oper von Hasse so nieder geschlagen, daß ich es nicht beschreiben kann.“ Der greise Hasse aber war als Besiegter neidlos genug, um auszurufen: „Dieser Jüngling wird uns Alle vergessen machen!“ Wie man sieht, war die Besorgniß der Kaiserin, Hasse werde vielleicht nicht mehr reussiren, sehr begründet. Nach Hasse’s Rückkehr schreibt die Kaiserin an Maria Beatrix: „Ich bin entzückt über Alles, was Hasse (der schon die Gicht hat) und seine Tochter mir von dir erzählten, und danke vielmals für alle die Aufmerksamkeiten, welche du ihnen erwiesen hast.“

In einem Brief an den Erzherzog Ferdinand (März 1772) beklagt die Kaiserin den Tod des Hof-Capellmeisters Reutter. Johann Georg v. Reutter (Sohn des 1738 verstorbenen Hof-Organisten Georg Reutter) wurde 1731 Hof-Compositor, 1747 zweiter, 1769 erster Hof-Capellmeister. Als Kirchen-Componist war er seinerzeit tonangebend. Er war es, der den Knaben Haydn nach Wien gebracht und schlecht behandelt hat. In einem andern ersucht sie ihn, ihr die Musik und die Figuren zu zwei Contretänzen zu schicken. Durch mehrere Briefe der Kaiserin (Juli—September 1772) zieht sich die Verhandlung über eine vom Erzherzog Fer dinand gewünschte Musikcapelle: „Es freut mich, daß du mich um meine Zustimmung bittest, dir eine Musik zu ver

schaffen, wie die der Marie. Du kannst die Musiker von Paar haben, welche die besten unter Allen sind. Der Erz bischof von Colocza trägt sie dir an, sie sind in Preßburg. Wenn man schon eine Musik haben will, so ist’s besser eine gute als eine mittelmäßige zu nehmen; tausend Gulden mehr oder weniger, das fällt da nicht ins Gewicht.“ „Deine Musik,“ schreibt die Kaiserin einige Wochen später, „ist nach Mantua beordert; ich hoffe, du wirst mit ihr zufrieden sein. Den zwei ersten Spielern habe ich jedem 700 fl. bewilligt; für jeden der drei übrigen 500 fl. nebst der Wohnung und Kleidung, welche du ihnen außerdem gibt. Du kannst kaum glauben, welches Vergnügen es den guten Deutschen macht, daß du deutsche Musiker nach Italien kommen läßt; sie sind darüber freudestrahlend!“ Auf eine weitere Anfrage des Erz herzogs antwortet die Kaiserin: „Was die Musik betrifft, so hängt es ganz von deinem Belieben ab, wem sie unter stehen soll. Khevenhüller hat recht: wenn du sie be handelst comme une Kammermusik, so gehören sie zum Obersthofmeister. Da es aber nur fünf Personen sind, kannst du sie recht wohl dem Oberst-Stallmeister zuweisen, besonders wenn sie Uniform tragen.“

Höchst interessant und charakteristisch für die musikalische Geschmacksrichtung Maria Theresia’s ist eine Stelle aus ihrem Briefe an die Erzherzogin Maria Beatrix vom 12. No vember 1772: „Was du mir über das Requiem von Reutter sagst, hat mich gerührt. Das ist auch mein Lieb lingsstück unter allen seinen Compositionen. Für die Kirche hat er mehrere recht gute Sachen geschrieben. Man muß sich nur an seine Stelle versetzen; es mußte Alles sehr kurz sein und von Schülern, von Kindern ausgeführt werden. Er mußte also das Fehlende durch Instrumente und Bässe suppliren. Was das Theater betrifft, so gestehe ich, daß ich den geringsten Italiener allen unseren Componisten vor ziehe, auch dem Gaßmann, dem Salieri, dem Gluck und Anderen. Sie vermögen manchmal zwei oder drei gute Stücke zu machen, aber was das Ganze betrifft, ziehe ich immer die Italiener vor. Für die Instrumente ist jetzt ein gewisser Haydn, welcher originelle Ideen (idées

particulièrs) hat, aber das ist erst im Beginn.“ In ihrer innersten Neigung für die italienische Musik, bei welcher sie erzogen war, trifft die Kaiserin ohne Frage zusammen mit dem Geschmack ihres Sohnes Joseph. Seine klare Einsicht, sein national deutscher Sinn bewogen Joseph den Zweiten, der deutschen Musik, insbesondere der deutschen Oper, jede Förderung zuzuwenden; er wußte auch den hohen Flug eines Gluck und Mozart zu schätzen: aber sympathischer blieb ihm stets italienischer Gesang, italienische Melodie. Wie wir ge sehen, hat auch Maria Theresia für die deutschen Hof-Capell meister und Componisten Reutter, Gaßmann, Gluck und Salieri (den sie trotz seiner italienischen Heimat ob seines Styls und seiner Wiener Ansässigkeit zu den Deut schen zählte), endlich für Haydn und Mozart es keines wegs an Anerkennung und Auszeichnung fehlen lassen; aber sie verhehlt nicht, daß in der Opernmusik der geringste Ita liener ihr lieber sei, als alle Deutschen.

In ihren Briefen erwähnt Maria Theresia auch häufig den Ballermeister Noverre, den man als Reformator seines Kunstfaches ungefähr den Gluck des Balletes nennen könnte. So schreibt sie im Jahre 1774 an ihren Sohn Ferdinand in Mailand: „Angiolino hat uns hier mit zwei sehr elenden Balletten regalirt; man hat sie ausgezischt. Ich billige diese Impertinenz nicht; vielleicht wird man dann dem Noverre in Mailand ein Gleiches anthun.“ Einige Wochen später: „Ich bin sehr froh, daß Noverre in Mailand Erfolg gehabt hat. Man sagt, daß Angiolino dort ebenso schwer vermißt werde, wie Noverre hier. Ersterer gibt hier abscheuliche Ballette, und Madame (Angiolino), brüstet sich aufs äußerste. Ich sage nicht, daß Noverre im Uebrigen ebenso vollkommen sei; er ist unhaltbar, besonders wenn er etwas Wein im Kopfe hat, was ihm oft geschieht; aber ich finde ihn ganz einzig in seiner Kunst und in der Geschick lichkeit, selbst die geringsten Mitglieder vortheilhaft zu ver wenden.“ Im Januar 1776 meldet die Kaiserin: „Die Angelegenheiten Noverre’s sind hier in einer großen Krise; ich zweifle, daß er von der Direction (l’entreprise) en gagirt wird.“ Im nächsten Monat widerruft die Kaiserin

diese Nachricht: „Das Engagement soll doch stattfinden, aber sie könne für die Gewißheit nicht einstehen; cela change à tout moment.“ Der Erzherzogin Maria Beatrix schreibt die Kaiserin im selben Jahre: „Noverre wird sehr erstaunt sein, wenn er erfährt, daß Alles, was er als volkommen abgemacht glaubte, wieder gänzlich vernichtet ist. Seine Gläubiger wollen nicht doppelte Auslagen machen und haben sich an die Gerichte gewendet gegen Keglevich und die Anderen. Der Proceß muß erst beendigt sein. Ich bin froh, mich ganz und gar nicht eingemischt zu haben; ich wollte nicht einmal davon reden hören. Es ist ein großes Durcheinander (un grand Galimatias).“ Ueber die Theater schreibt die Kaiserin gleichfalls an Maria Beatrix im Januar 1776: „Jetzt hören die Vorstellungen der komischen Oper im deutschen Theater auf, und ich weiß nicht, ob Noverre im Stande sein wird, für diesen Verlust vollständig zu ent schädigen“. Und im Juni desselben Jahres: „Wir haben gegenwärtig neundeutsche Theater, eine Opera buffa, drei Feuerwerke, und die ganze Welt schreit, daß man sich lang weile; nicht ohne Grund. Mir thut es leid, aber ich habe versprochen, mich nicht hineinzumischen.“ Wir wissen heute nicht, worüber wir uns mehr wundern sollen, ob über diesen Reichthum an Unterhaltungen in der Sommersaison oder über die Ungenügsamkeit der alten Wiener, die dabei über Langweile schrieen!

Zu den schönsten, rührendsten Briefen, die wir kennen, gehören die der Kaiserin an ihre Tochter Marie Antoi nette, die Dauphine und nachmalige unglückliche Königin von Frankreich. Briefe der Kaiserin Maria Theresia an Marie Antoinette.“ Herausgegeben von Alfred v. Arneth. 2 Bände. (Zweite vermehrte Auflage. 1866.) Mit 15 Jahren ward die liebreizende Prinzessin in ein fremdes Land vermält, auf einen gefähr lichen hohen Posten gestellt. Die Kaiserin fühlte, daß ihre so junge, unerfahrene Tochter noch immer der mütterlichen Ueberwachung und Leitung bedürfe, und wurde nicht müde, ihr ausführliche, in alle Details eingehende Briefe nach Paris zu schreiben. Wenn uns die Briefe Maria Theresia’s

an Joseph II. die unermüdliche, starke und weise Regentin enthüllen, so gibt uns ihre Correspondenz mit Marie Antoi nette ein unvergleichlich treues Bild der sorgenden und lie benden Mutter. Ihre Briefe an die junge Königin von Frankreich überströmen von Zärtlichkeit, aber nicht von jener weichlichen Zärtlichkeit, welche, den Liebling umschmeichelnd, jeden Fehler desselben übersieht und beschönigt. Im Gegen theile wiederholt sie in der liebevollsten Weise unermüdlich die Belehrungen und Ermahnungen, welche sie für ihr Kind nothwendig erachtet. Sie warnt Antoinette vor Luxus und Vergnügungssucht, vor Jagd- und Spielpartien, gibt ihr Weisungen für ihr Benehmen, ihre Kleidung und Coiffüre, am häufigsten aber den dringenden Rath, ernste Lectüre und Musik nicht zu vernachlässigen. Namentlich in den Jahren 1776 und 1777 kommt sie immer wieder darauf zurück. „Ich war so froh,“ schreibt die Kaiserin, „dich für Musik eingenommen zu sehen; habe dich auch oft um Bericht über deine Lectüre gequält. Seit einem Jahre höre ich nichts mehr, weder von Lectüre, noch von Musik.“ Marie Antoi nette antwortet sogleich darauf: „Mein Geschmack für Musik hat nicht aufgehört, ich beschäftige mich damit ebenso oft und mit gleichen Vergnügen. Ich hatte jede Woche ein Con cert zu Hause und habe dabei mit mehreren Personen ge sungen.“ Der nächste Brief der Kaiserin nimmt dies gleich belebend zur Kenntniß: „Je suis bien aise, que vous continuez la musique et la lecture, ressources né cessaires, mais surtout pour vous!“ Diese Bemerkung kehrt, wenig verändert, noch in mehreren Briefen der Kaiserin wieder. Im October 1777 meldet Marie Antoinette aus Fontainebleau. „Ich lese, ich arbeite, ich habe zwei Musiklehrer, einen für Gesang, den andern für die Harfe.“ Einmal schickt ihr die Kaiserin Musikstücke für die Harfe und verlangt zu wissen, ob Antoinette „dieselben zu spielen vermochte oder nicht“. So sorgt Maria Theresia, nachdem wichtigere Angelegenheiten und schwerere Sorgen bei ihr die Musik zurückgedrängt hatten, doch noch immer wach samen Auges dafür, daß ihre fern von ihr lebenden Kinder der Tonkunst nicht untreu werden.