Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 8728. Wien, Dienstag, den 11. December 1888 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2025

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 8728. Wien, Dienstag, den 11. December 1888 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 11.12.1888
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Neue Gesänge von Brahms. (Drei Liederhefte. — Chöre. — Zigeunerlieder.)

Ed. H. Die neuesten Lieder von Brahms sind über raschend schnell und tief in unsere musikalischen Kreise ein gedrungen. Von Herrn Walter, Herrn Forstén, Frau Papier öffentlich vorgetragen, haben sie in jeder Klang farbe das Ohr und Herz der Zuhörer gewonnen. Es sind die drei Liederhefte op. 105, 106 und 107, von denen wir sprechen. Das erstgenannte ist für eine tiefere Stimme ge schrieben, die beiden anderen für Sopran oder Tenor (Simrock in Berlin hat jedes dieser Hefte in zwei Aus gaben, für tiefere und für höhere Stimme, herausgegeben, leider aber bei op. 106 und 107 beizufügen unterlassen, welches die Original-Gestalt sei.) Seit Jahren gewöhnt und verwöhnt, zu Weihnachten ein musikalisches Angebinde von Brahms zu erwarten, begrüßen wir seine neuen Lieder als eines der werth vollsten Christgeschenke. Eine merkwürdige Weihnachtsanzeige in der Leipziger Musik- und Kunstzeitung empfiehlt eine christliche Kinderlehre, betitelt „Der liebe Heiland“, von Hans v. Wolzogen, und zwar ganz vor zugsweise den „Wagnerianischen Eltern“. Also ein eigenes Christenthum, ein Extra-Heiland für Kinder „Wagnerianischer Eltern“! Es ist zu hübsch. Verschieden von früheren gewaltigeren Gesängen, welche (wie die Magellone-Romanzen) ein geübte res Verständniß und bedeutendere Kunstfertigkeit voraus setzten, zeigen diese neuesten Lieder eine hellere, freundlichere Physiognomie, eine fließendere Melodik und leichter spielbare Clavierbegleitung. Ueberwiegend sind die Lieder von sinniger leicht elegischer, auch volksthümlich, ja humoristisch ange hauchter Färbung; nur wenige schlagen einen tief tragischen oder erschütternd leidenschaftlichen Ton an. Als die schönsten jener ersten Gattung möchten wir hervorheben: „Wie Melo dien zieht es“, „Ständchen“ und „Das Mädchen spricht(Schwalbenlied). Die „Melodie“ zu dem Gedicht von Klaus Groth steigt in schönem, weitem Bogen aufwärts und beugt sich am Schluß jeder Strophe zu einem neuen charakteristi schen Abschluß; immer bleibt sie ruhig schwebend über der sonst bewegten Begleitung. Ein feiner Zug des Componisten

ist’s, daß er die mittlere Strophe mit ihrer verstandes mäßigen Erwägung („Da kommt das Wort und faßt es“) nicht scharf contrastirend heraushebt, sondern sie einheitlich verbindet mit dem Anfang, aus dem sie hervorgeht, und dem Ende, in dem sie versöhnt sich auflöst. Bezaubernd in seiner galanten Zärtlichkeit ist das „Ständchen“, ein romantisches Genrebildchen, das in Eichendorff’s „Leben eines Taugenichtsstehen könnte; selten wird man in engstem Rahmen so flotte Zeichnung und so übrig frische Farben bewundern. Ein anderes kleines Lied: „Schwalbe, sag’ mir an“, gehört zu dem Liebenswürdigsten und Geistreichsten; das köstliche Geflatter und Gezwitscher der Schwalben in der Begleitung macht sich nicht selbstständig breit, sondern trägt und ergänzt nur die Melodie. Ein anmuthig hinfließendes Lied, ein Lied nach welchem die Sänger greifen werden, heißt „Auf dem See“. Die Melodie, nicht eben neu oder hervorragend, ist eminent sing bar, nachsingbar, und wiegt sich auf Harmonien, die bei aller Einfachheit die vornehmste Kunst verrathen. Eine sinnige Auffassung dünkt es uns, daß Brahms in der Schlußstrophe, also gegen das Ende der vergnügten Kahnfahrt, die Beglei tung immer mehr beschwichtigt, zurückhält; die Sechzehntel werden zu Achtelnoten, der glückliche Schiffer will noch nicht landen, er geizt mit jeder Minute, rudert immer langsamer. Dieser Zug ist im Texte nicht angedeutet, der Componist hat ihn hineingedichtet. Drei kleinere Lieder — „Sala mander“, „Maienkätzchen“, „Klage“ — lehnen glücklich an die Volksweise. Mit Gedichtlein wie „Salamander“ und Maienkätzchen“ läßt sich nicht viel anfangen; Brahms zeigt sich als Künstler, indem er es zu versuchen unterließ. Tiefer wirkt das dritte, „Klage“, in seiner volkstümlich schlichten Herzlichkeit. Es bildet den Uebergang zu den ernsteren Liedern in welchen ein bedrücktes Gemüth Tragisches gleichsam ahnend vorausfühlt oder es in stiller Resignation über wunden hat. Die Perle derselben ist das „Mädchenliedvon Paul Heyse. Die Freundinnen sitzen am Spinn rad, lachend, singend, und spinnen jede an ihrem Brautkleid. „Kein Mensch, der mir gut ist — wofür soll ich spinnen? Ich weiß es nicht.“ Ein rührendes, kurzes Lied, das sich in unserer Phantasie zum lebendigen Bilde verkörpert. „An die Stolze“ nennt sich ein Gedicht von dem alten Paul Flemming. Der verschmähte Liebhaber klagt in etwas altmodischer Weitschweifigkeit die Stolze an: „Du weißt, du hörst, du siehst die Schmerzen und nimmst

der’ keinen doch zu Herzen!“ Die bürgerlichen Worte stellen sich leidenschaftlicher Musik in den Weg. Wirklich nimmt die Melodie trotz der Aufschrift „sehr lebhaft und ausdrucksvoll“ einen mehr trübselig schlendernden Gang. Man kann an diesem Liede — ein seltener Zufall bei Brahms — wieder einmal eine Probe auf die Vieldeutigkeit der Musik machen. Die Musik schmiegt sich durchwegs dem schmerzlichen Gedichte Flemming’s an, aber auch die Worte eines hoffnungsvoll Liebenden dürften sich dieser klaren A-dur-Melodie unter legen lassen. Wenden wir uns schließlich zu den wenigen Liedern, die einen stärkeren tragischen Ton anschlagen. Wenn sie nicht alle gleichwerthig sind, so liegt dies zum Theile an den Gedichten. Da ist z. B. das Lied: „Auf dem Kirchhof“, dessen Eingang so düster stimmungsvoll erbraust. Der Dichter mag die Antithese, daß ihm als „Genesene“ gelten, die auf dem Grabstein als „Gewesene“ beklagt wer den, in acht kurze Zeilen zusammenfassen — die Musik bedarf dafür breiterer Entfaltung, will sie nicht zum Epigramm ein schrumpfen. Ueberdies gehört das Gedicht (von Detlef v. Lilienkron) zu den affectirten Heiniaden, so mit ihren lackirten Schmerzen auf Eroberungen ausgehen. Wenn ein Dichter, nachdem er schon zweimal das Wort „sturmbewegt“ wieder holt hat, auch noch versichert, daß „sturmestodt die Särge schlummern“, dann glauben wir ihm gar nichts mehr. Auch die Mordgeschichte „Verrath“ wird durch ihren gekün stelten Volkston („Ein Mann harrt auf der Haide, ja Haide — zu einer Falschen Leide, in Leid“) nicht schauriger, im Gegentheil. Brahms hat dafür den richtigen Balladenton getroffen, schlicht und derb. Dem Poeten von „Meine Liederschweben „Schatten von Cypressen“ vor, und darum, meint er, „dunkel klingen meine Lieder“; auch diesem eitlen Schmerzenssohn hat Brahms den warmen Athem der Em pfindung einzuhauchen gewußt. Minder glücklich gelang es ihm mit einem dritten zerrissenen Herzen, mit dem „Wan derer“, welcher singt: „Reiche Erde, arme Erde — wo ich einst begraben werde, an der Stelle lieb’ ich dich.“ Die Me lodie bewegt sich in gezwungen hoher Lage, schlägt auch wiederholt das hohe As auf Sylben an, denen so scharfe Accentuirung nicht zukommt. Den erschütterndsten Eindruck empfangen wir von dem Liede „Immer leiser wird mein Schlummer.“ Es ist die sanfte, stille Klage einer hoffnungs los Kranken, einer langsam Sterbenden. Das Gedicht (von Theodor Storm) athmet eine so tiefe Traurigkeit, daß wir

nie geglaubt, irgend eine Musik vermöchte seine herzdurch bohrende Wirkung noch zu erhöhen. Brahms hat es dennoch vermocht. Seine Composition des Storm’schen Gedichtes ist die Krone, die Dornenkrone der neuen Sammlung.

Gleichzeitig mit den drei Liederheften erschienen von Brahms Fünf Gesänge für gemischten Chor, a ca pella“ (op. 104). Sie sind durchaus ernsten Inhalts. Eine feierliche Ruhe herrscht in den beiden ersten Chören „Nachtwachen“ (1 und 2) von Rückert. Der sechstimmige Satz ist mit bewunderungswürdiger Freiheit, fließend und klang schön behandelt. Brahms, der tiefer als irgend ein lebender Tondichter in die Mysterien Sebastian Bach’s eingedrungen ist, überragt hier auch Alle in der sicheren Meisterschaft sei ner polyphonen Kunst. Die Wirkung der „Nachtwache“ geht von der Tiefe und Fülle der Harmonie aus; in den folgen den Chören tritt der melodöse Reiz in nahezu gleiche Rechte. Der (gleichfalls sechstimmige) Chor „Letztes Glück“ erhebt das sinnige Gedicht Kalbeck’s zu einem der vollkommensten, reinsten Gesänge, die wir von Brahms besitzen. „Verlorene Jugend“ (aus dem Böhmischen von Wenzig) beginnt in G-moll, stürmisch bewegt und streng canonisch in den zwei oberen Stimmen; auf den Ausruf: „Jugend, theure Jugend!“ schließen sich alle Stimmen in hellem G-dur accordisch zu sammen — sich herrlich wirkender und wohlmotivirter Con trast. Das letzte Stück, „Im Herbst“, von Klaus Groth (vierstimmig), taucht uns mild und wehmüthig in die richtige „Herbststimmung“, die nach kurzer kräftiger Erhebung schließ lich wieder sanft ausklingt. Hoffen wir, daß unser „Sing verein“ diese Chöre, welche ihm eine lang ersehnte Bereiche rung seines Repertoires zuführen, uns nicht allzulang verheimlichen werde.

So vortrefflich das Alles ist, wir würden es doch, wenn’s sein müßte, hergeben für die „Zigeunerlieder“. Zigeunerlieder für vier Singstimmen (Sopran, Alt, Tenor und Baß) mit Begleitung des Pianoforte von Johannes Brahms. Op. 103.“ Dieselben sind auch für Clavier allein, zweihändig und vierhändig arrangirt. Unbedenklich zählen wir sie zu dem Reizendsten, was wir im Bereich der modernen Vocalmusik überhaupt kennen. Wenige von Brahms’ Compositionen wirken so unmittelbar berückend, wie diese Zigeunerlieder, in welchen die künstlerische Meister schaft ohne Rest aufgeht in blühendster kräftiger Empfindung. Während in vielen anderen Werken unseres Tondichters eine gewisse kühle Zurückhaltung gleichsam den freien Athem der Musik hemmt, ihre Wirkung absichtlich trübt und bricht, die

Melodie entweder durch polyphones Gewebe verschleiert oder den emancipirten Gewalten der Begleitung preisgibt — in den Zigeunerliedern lebt nur volle, gesunde Schönheit. Sie wirken mit dem Duft und der Farbe von frischen Rosen. Der Form nach bilden die „Zigeunerlieder“ ein Seitenstück zu den „Liebeslieder-Walzern“ op. 52 und 65. So kunstvoll und reizend diese in allen Einzelheiten sind, in ihrer Wirkung als Ganzes bleiben sie hinter den Zigeunerliedern zurück. Die Liebeslieder bereiten jeder Production die Qual der Wahl: es sind ihrer zu viele (18 im ersten, 15 im zweiten Hefte), um sämmtlich nach einander gesungen zu werden. Die Zigeunerlieder haben als Cyklus einen engeren Zusammen hang und lassen uns nach dem letzten Stück nur das Be dauern, daß es schon aus ist. Der Walzertact ferner, welcher die Liebeslieder durchwegs regiert, konnte troß aller rhyth mischen Verwandlungskunst des Componisten doch nicht ohne einen kleinen Bodensatz von Monotonie bleiben. Hingegen lassen die Zigeunerlieder, Dank dem wohlberechneten Wechsel von Tempo und Tonart, keine Einförmigkeit aufkommen. Endlich athmen die Daumer’schen Gedichte zu den „Liebes liedern“ nicht jene Unmittelbarkeit und Natürlichkeit, nicht jenen unvergleichlichen Erdgeruch, der uns an der echten Volkspoesie der „Zigeunerlieder“ erquickt. Die Melodien sind in ungarischem Charakter von Brahms frei erfunden, sind sein Eigenthum, im Gegensatz zu den bekannten „Unga rischen Tänzen“, welche Brahms nach populären Czardas weisen blos „gesetzt“ hat — freilich mit einer harmonischen Feinheit und Unerschöpflichkeit, welche sofort den großen Ton künstler verräth. Den Naturalismus der eigentlichen Zigeuner musik hat sich Brahms weislich ferngehalten; in seinen Zigeunerliedern tobt weder der rasende Mückentanz von Zwei unddreißigstel-Passagen, noch das chaotische Gewinsel und Gewimmer, womit die Original-Zigeunerbanden uns in der ersten Viertelstunde verrückt machen. Und der Inhalt des Liederheftes? Er ist der einfachste und zugleich reichste, der leidvolleste und seligste: die Liebe. Man könnte wie über Brahms’ „Liebeslieder“ und Schubert’s „Müllerlieder“ das Motto von Rückert darüber setzen: „Liebe ist die ältest’ neu’ste, einz’ge Weltbegebenheit.“ Die „Zigeunerlieder“ sind ein kleiner Roman, dessen Begebenheiten uns nicht erzählt, dessen Personen uns nicht genannt werden und den wir den noch prächtig verstehen und nie wieder vergessen.

Mit wildem Ruf beginnt das erste Stück: „He, Zigeuner, greife in die Saiten ein, spiel’ das Lied vom un getreuen Mägdelein!“ Der Tenor singt vor, das Quartett

wiederholt die Strophe, gegen den Schluß immer heftiger aufflammend. In dem folgenden Quartette „Hochgethürmte Rimafluth“ klingt die leidenschaftliche Stimmung noch nach. Doch scheint der Zigeunerbursch bald ein anderes Liebchen gefunden zu haben: fröhliches D-dur folgt auf die Moll-Ton art, auf die zornige Klage leichblütiger Verliebtheit: „Wißt ihr, wann mein Kindchen am allerschönsten ist?“ Hierauf nimmt sie das Wort in ebenso heiterer Stimmung: „Lieber Gott, du weißt ja“ — worauf sich alle Stimmen in über müthiger Luft vereinigen: „Brauner Bursche führt zum Tanze sein blauäugig schönes Kind.“ Nun folgen zwei der allerschönsten Nummern, zwei Cabinetsstücke, das eine neckisch scherzhaft, das andere überquellend von ernster tiefer Empfindung. Gibt es etwas Zierlicheres, als das Lied vom „schönsten Städtchen Kecskemet“ — etwas Seelenvolleres, als das sich anschließende: „Täusch’ mich nicht, verlass’ mich nicht“? Ein Nachhall dieser Stimmung weht durch die melancholische Weise in G-moll: Horch, der Wind klagt“, die mit dem Segensspruch „Gott schütze dich!“ so treuherzig in die Dur-Tonart einlenkt. Auch das nächste Stück bringt den gleichen Wechsel zwischen G-moll und G-dur, aber wieder in ganz anderen Farben. Stürmisch wild beginnen alle Stimmen unisono: „Weit und breit schaut Niemand mich an“; aber die Stimmung, die so rasch umschlägt bei Naturkindern, springt mit einem Satz („Nur mein Schatz, der soll mich lieben“) in den hellsten Czardas jubel. Wieder gewinnt Sehnsucht und Herzeleid die Ober hand; ein inniges starkes Gefühl zittert durch das Lied: Mond verhüllt sein Angesicht“, dessen Begleitung wie von ferne an das stählerne Rauschen des Cymbals mahnt. Und nun stehen wir vor dem elften, dem letzten Stück der Samm lung: „Rothe Abendwolken ziehen.“ In süßem sehnsüchtigen Verlangen stürmt diese Melodie dahin, nach jedem Absatz von zwei starken trotzigen Accordschlägen gleichsam vorwärts gestoßen. Ein unvergleichlich poetischer Abschluß.

Der Wunsch, den Hörer vorläufig vertraut zu machen mit dem Zusammenhang der „Zigeunerlieder“ und ihren vorstechendsten Schönheiten, hat uns geschwätzig gemacht. Allein wer könnte von dieser Tondichtung zu reden aufhören, wenn er einmal angefangen! Seit lange brachte uns kein Musik stück ein so volles, ungetrübtes Genießen, wie diese „Zigeuner lieder“, die fast mit der Unmittelbarkeit eines reizvollen Naturgebildes auf uns wirken und die schöpferische Hand des Künstlers nur leise durchfühlen lassen. Sie sind, wenn man will, vom Himmel gefallen — in die rechten Hände.