Briefe von Richard
Wagner an
Uhlig,
Fischer
und
Heine. II.
(Schlußartikel.)
Ed. H. Eine nicht unwillkommene Abwechslung zwischen
den theoretischen Erörterungen und den rein geschäftlichen
Aufträgen bieten Wagner’s Mittheilungen über seine Wasser
cur. Uhlig, ein begeisterter Apostel dieser Curmethode, hatte
ihm das bekannte Buch von Rausse: „Wasser thut’s frei
lich“, geschickt, dessen überzeugender, oft geistreich humoristi
scher Ton auch Wagner sofort gewann und ihn veranlaßte,
sich in der Wasserheilanstalt Albisbrunn einzuquartieren. Er
verbleibt dort von Anfang September bis gegen Ende November
1851 und betreibt mit der ihm in allen Dingen eigenen
zähen Energie seine Cur. Daß diese keine geringen Ansprüche
machte, beweist uns nachstehende Tagesordnung Wagner’s:
1. Früh halb 6 Uhr nasse Einpackung bis 7 Uhr, dann
kalte Wanne und Promenade. 8 Uhr Frühstück: trockenes
Brot und Milch oder Wasser! 2. Nochmals kurze Prome
nade, dann eine kalte Compresse. 3. Gegen 12 Uhr nasse
Abreibung; kurze Promenade; neue Compresse. Dann Mittag
essen auf dem Zimmer. Eine Stunde faullenzen; starke
Promenade von zwei Stunden — allein. 4. Gegen 5 Uhr
wieder nasse Abreibung und kleine Promenade. 5. Sitzbad
von einer Viertelstunde um 6 Uhr mit folgender Erwär
mungs-Promenade. Neue Compresse. Um 7 Uhr Abendessen:
trocken Brot und Wasser! 6. Dann Whistpartie bis nach
9 Uhr, folgt noch eine neue Compresse, und gegen 10 Uhr
geht’s ins Bett. In den ersten Wochen kann Wagner die
günstige Wirkung nicht genug loben. „Vorigen Montag,“
schreibt er, „war meine Eidgenossenschaft bei mir: sie
soffen wie immer, und mein Ekel vor diesem Weingesaufe,
ohne daß diese unglücklichen Menschen keine Spur von
Laune zu bekommen vermögen, hat mich vollends davon
überzeugt, daß ich wirklich curirt bin. Ich begreife nicht
mehr, wie es zugehen sollte und welches Unglück mich
treffen müßte, daß ich je wieder zum Wein, Bier u.s.w.
meine Zuflucht nähme.“ Nun, bekanntlich ist Wagner
von diesem ascetischen Entschluß später gründlich abgefallen
und praktisch zu dem Grundsatz zurückgekehrt, den er in
einem früheren Brief also ausdrückt: „Glaub’ mir, durch
das Wasser werden wir gesund, aber nur dann erst sind
wir gesund, wenn wir auch Wein trinken, ohne uns dadurch
zu schaden.“ Ein Jahr später kommt er zu der Ueberzeu
gung, die strenge Wassercur habe ihm nur geschadet; er will
nichts mehr wissen von Wasserheilanstalten, wo doch nur
nach der Schablone gearbeitet werden kann. „Ich war jetzt
mit meinem Magen ganz hin, und dies kam hauptsächlich
von dem verfluchten Milchtrinken. Ich theile jetzt die
Ueberzeugung aller derjenigen, welche den Milchgenuß als
Unsinn bezeichnen. Milch ist die Nahrung der Säuglinge.
Kalte Milch trinkt gar kein Thier, und auch kein Natur
mensch.“ Am schwersten und nur ganz kurze Zeit ertrug
Wagner die Entbehrung des Schnupftabaks. „Denke dir,“
klagt er Ferdinand Heine, „daß ich das Tabakschnupfen auf
geben muß; seit sechs Tagen habe ich schon keine Prise mehr
genommen! Die Wirkung ist vorläufig, als ob ich verrückt
werden sollte.“ Wagner hat das Versäumte später reichlich
hereingebracht; er war einer der allerstärksten Schnupfer.
Etwas sehr Wahres, nur leider schwer Erreichbares meint
Wagner mit den Worten: „Bei Leiden unserer Art kann nur
ein Freund uns rathen und ein Arzt nur dann, wenn
er dies zugleich ist.“ So läßt er sich dann eine zeitlang von
— dem Dichter Georg Herwegh behandeln, der ihm „in
jeder Beziehung sympathetisch näher steht, als irgend ein Arzt“.
Ein besonderes Interesse gewährt es, in den Briefen
an Uhlig und Fischer Schritt vor Schritt zu verfolgen,
wie in Wagner allmälig der Plan zum „Ring des Nibe
lungen“ entstand. Gleichzeitig damit zuerst der Traum,
dann das bewußte Streben, ein eigenes Theater für seine
Schöpfung zu errichten. Kaum hatte er in Zürich seine kunst
philosophischen Schriften vollendet, als er schon daran geht,
einen „Siegfried“ zu schreiben, und zwar „Siegfried’s Tod“,
das letzte, jetzt „Götterdämmerung“ betitelte Stück der Tri
logie. Schon im September 1850 (26 Jahre vor der Er
öffnung des Bayreuther Festspielhauses!) schreibt er aus
Zürich an Uhlig: „Ich beschäftige mich jetzt mit Wünschen
und Plänen, die auf den ersten Anblick sehr chimärisch aus
sehen, einzig mir aber doch Lust machen, an die Vollendung
des Siegfried überhaupt zu denken. Es handelt sich — zur
Realisirung des Besten, Entschiedensten und Bedeutungs
vollsten, was ich unter den bestehenden Umständen leisten
kann, somit zur Erreichung meiner bewußten Lebensaufgabe
— um eine Summe von vielleicht 10,000 Thalern. Könnte
ich je über solch eine Summe disponiren, so würde ich Fol
gendes veranstalten: Hier, wo ich nun gerade bin, und wo
Manches gar nicht so übel ist, würde ich auf einer schönen
Wiese bei der Stadt von Brett und Balken ein rohes
Theater nach meinem Plane herstellen und lediglich blos
mit der Ausstattung an Decorationen und Maschinerien ver
sehen lassen, die zur Aufführung des Siegfried nöthig sind.
Dann würde ich mir die geeignetsten Sänger, die irgendwo
vorhanden wären, auswählen und auf sechs Wochen nach
Zürich einladen; den Chor würde ich mir größtentheils
hier aus Freiwilligen zu bilden suchen. So würde ich mir
auch mein Orchester zusammenladen. Von Neujahr gingen
die Ausschreibungen und Einladungen an alle Freunde des
musikalischen Dramas durch alle Zeitungen Deutschlands mit
der Aufforderung zum Besuche des beabsichtigten dramatischen
Musikfestes; wer sich anmeldet und zu diesem Zwecke nach
Zürich reist, bekommt gesichertes Entrée, natürlich wie alles
Entrée: gratis! Ist Alles in gehöriger Ordnung, so lasse
ich dann drei Aufführungen des Siegfried in einer Woche
stattfinden; nach der dritten wird das Theater eingerissen
und meine Partitur verbrannt. Den Leuten, denen die Sache
gefallen hat, sage ich dann: Nun macht’s auch so! Wollen
sie auch von mir wieder etwas Neues hören, so sage ich aber:
Schießt ihr das Geld zusammen!“ Aus diesem noch ganz
phantastischen Plane hat Wagner’s nicht nachlassende Energie
in der Folge das Bayreuther Festspielhaus herausentwickelt.
Im nächsten Jahre verlegt er sein geträumtes Theater von
Zürich an den Rhein: „Mit dem Siegfried habe ich noch
große Rosinen im Kopfe: drei Dramen, mit einem drei
actigen Vorspiel. Wenn alle deutschen Theater zusammen
brechen, schlage ich ein neues am Rhein auf, rufe zusammen
und führe das Ganze im Laufe einer Woche auf.“ Noch
bestimmter schreibt er am 15. Februar 1854 an F. Heine,
es sollen die ganzen vier Nibelungen-Dramen zu Ostern
1856 fertig sein. „Dann geht es ans Unmögliche: mir mein
eigenes Theater zu schaffen, mit dem ich vor ganz Europa
mein Werk als großes dramatisches Musikfest aufführe.“ Als
Wagner dies schrieb, hatte er kein Geld und noch nicht die
geringste Aussicht, nach Deutschland zurückkehren zu dürfen.
Aber der Glaube an sich selbst und der eiserne Wille ver
ließen ihn nicht, und so ist ihm „das Unmögliche“ schließlich
gelungen. Anfangs hatte Wagner, wie wir gesehen, nur
„Siegfried’s Tod“ im Sinne. Dann packte ihn aber die
Idee, in einem vorangehenden Stücke den jungenSieg
fried darzustellen. „Habe ich dir nicht,“ schreibt er im Mai
1851, „früher schon einmal von einem heiteren Stoffe
geschrieben? Es war dies der Bursche, der auszieht, um das
Fürchten zu lernen, und so dumm ist, es nie lernen zu
wollen. Denke dir meinen Schreck, als ich plötzlich erkenne,
daß dieser Bursche niemand Anders ist, als — der junge
Siegfried, der den Hort gewinnt und Brünhilde erweckt!
Die Sache ist nun fertig. Der „junge Siegfried“ hat den
ungeheuren Vortheil, daß er den wichtigen Mythos dem
Publicum im Spiel, wie einem Kinde ein Märchen, bei
bringt.“ Im November 1851 theilt er Uhlig zum erstenmale
die Idee mit, dem „jungen Siegfried“ noch eine „Tragödie
von erschütterndster Wirkung“, nämlich die Walküre,
vorangehen zu lassen, und diese drei Dramen durch ein grö
ßeres Vorspiel („Das Rheingold“) einzuleiten. So knüpfte
sich ihm, in umgekehrter Ordnung, ein Glied an das andere
zu seiner großen Nibelungen-Trilogie. Ende Mai 1852 hat
Wagner den vollständigen Entwurf zur Dichtung der Wal
küre fertig. „Ich bin wieder mehr wie je ergriffen von der
umfassenden Großartigkeit und Schönheit meines Stoffes.
Nach diesem Werke werde ich wol nie wieder dichten! Es ist
das Höchste und Vollendetste, was meiner Kraft entquillen
konnte. Sind die Verse fertig, so werde ich von dann ab wieder
ganz Musiker, um dann dereinst nur noch — Aufführer zu sein!“
Auf andere Componisten kommt Wagner sehr selten zu
sprechen; wo er es thut, geschieht dies in sehr geringschätzigem
Tone. Von Marschner’s „Vampyr“ schreibt er: „Die
Musik hat mich im Ganzen diesmal auch degoutirt; dieses
Duett-, Terzett- und Quartett-Singen und nählen (?) ist
doch rasend dumm und geschmacklos. Es ist weiß Gott nur
gelehrt-impotent gemachte, deutsch versohlte und verlederte
italienische Musik; durchaus nichts Anderes.“ Ueber
Mendelssohn’s Ausführung Beethoven’scher Werke heißt
es, daß „Mendelssohn den dichterischen Gehalt derselben gar
nicht fassen konnte, sonst — hätte er ja selbst etwas ganz
Anderes zu Tage bringen müssen! Mendelssohn’s grobe
Unwissenheit von dem Inhalte der Tonstücke; Jeder wird
das verstehen, der z.B. sein Tempo zum ersten Satz der
Neunten Symphonie hörte... Hier erschien er mir plötzlich
als der allergemeinste Musikmacher, und genau erkannte ich
hieran den Grund davon, daß er selbst nichts Anderes
schaffen konnte, als er schuf.“ Dieser Ausfall hängt enge
zusammen mit einer fixen Idee Wagner’s, die er auch Uhlig
des Breitesten auseinandersetzt — nämlich, daß Er (Wagner)
der einzige Mensch auf der Welt sei, der eine Beethoven’sche
Symphonie aufzufassen und zu dirigiren verstehe. In seinem
Buche „Ueber das Dirigiren“ hat Wagner dieses Thema
später ausführlich behandelt. Er findet das Wesenhafte der
größeren Tonwerke Beethoven’s darin, daß sie „nur in
letzter Linie Musik, in erster Linie aber einen dichteri
schen Gegenstand enthalten“. „Am deutlichsten,“ schließt
er seine Auseinandersetzung, „dürfte es mir gelingen, den
dichterischen Gegenstand in der Coriolan-Ouvertüre zu
bezeichnen.“ (Das ist freilich nicht schwer!) „Ich darf mir
sagen, daß, wer meine Erklärung dieses Gegenstandes
genau kennt und ihre Richtigkeit von Stelle zu Stelle ver
folgt, sich eingestehen muß, ohne diese Erklärung dieses
über Alles plastische Tonstück gar nicht verstanden zu
haben.“ Wagner fordert Uhlig auf, diese Gedan
ken in einem „ordentlichen Artikel“ zu verarbeiten.
„Es ist hier wirklich ein für unser ganzes nach-Beethoven’
sches Musiktreiben vernichtendes Thema berührt: meines Er
achtens nichts Geringeres als der Beweis, daß Beethoven in
seiner eigentlichen Wesenheit, somit überhaupt gar nicht
verstanden worden ist. Ich wenigstens kann’s nicht anders
ansehen, da ich mir selbst jetzt ganz deutlich darüber gewor
den bin, daß auch ich Beethovennur von da ab ver
stehe, wo ich dem dichterischen Gegenstande seiner Ton
ausführungen auf die Spur gerieth und endlich auffand.“
Das ist ein sehr merkwürdiges Geständniß, und die ganze
musikalische Welt müßte eigentlich in Verzweiflung gerathen,
da sie weder vor Wagner noch neben oder nach Wagner eine
Beethoven’sche Symphonie je richtig gehört und verstanden
hat! Wie man aber aus Wagner’s Erklärung der Dritten
und der Neunten Symphonie weiß — nur diese zwei
hat er interpretirt — besteht seine Panacee für die
richtige Aufführung solcher Werke in einer bilderreichen
poetischen Ausdeutung oder Umdichtung derselben, welche
schwärmende Dilettanten entzücken mögen, aber einem Diri
genten von Geist und Talent nicht die geringste neue Ent
deckung oder fruchtbare Belehrung zuführen. Uhlig hat den
Auftrag seines Meisters so genau erfüllt, daß wir in seinem
Aufsatze „Ueber den dichterischen Gehalt Beethoven’scher Ton
werke“ es in Brendel’s Zeitschrift vom 24. September 1852
die betreffenden Briefstellen Wagner’s wortgetreu wieder
finden.
Das letzte Drittel des Buches füllen die Briefe an
Fischer und Heine. Wir finden darin, wie sich von selbst ver
steht, viele Wiederholungen aus den an Uhlig gerichteten
Briefen: Mittheilungen über Wagner’s Befinden und Pläne,
seine Häuslichkeit in Zürich, seine Reise nach London und
Paris, endlich zahlreiche geschäftliche Aufträge. Letztere mehren
sich für Fischer insbesondere nach dem Tode Uhlig’s, welcher
bishin der Haupt-Commissionär für Wagner gewesen. Wag
ner’s Briefe an Fischer und Heine beginnen nicht erst mit
dem Züricher Exil, sondern schon 1841 von Paris aus. Es
sind Zuschriften von hochachtungsvoller, fast unterwürfiger
Ergebenheit, worin der Chordirector und der Costumier des
Dresdener Hoftheaters um ihre „Protection und Geneigt
heit“ gebeten werden bezüglich der in Aussicht stehenden Auf
führung des Rienzi. Wagner betont wiederholt, daß er
diese Aussicht vor Allem seiner „hohen Gönnerin, der ange
beteten Schröder-Devrient“ verdanke; diese hat indessen auf
ein Dutzend seiner Briefe gar nicht geantwortet, ja die Auf
führung des Rienzi zu verschiedenenmalen geradezu verzögert.
Den wichtigsten Einfluß auf die Annahme des „Rienzi“ in
Dresden hat ohne Zweifel die Empfehlung Meyerbeer’s
gehabt, auf dessen Fürwort bekanntlich auch der „Flie
gende Holländer“ in Berlin angenommen worden ist.
Davon macht Wagner aber nicht die leiseste Er
wähnung, und wenn er behauptet, seine „größte
Wollust sei, dankbar zu sein“, so hat er Meyer
beer gegenüber stets das gerade Gegentheil bewiesen.
Meyerbeer’s Brief an den General-Intendanten
v. Lüttichau, ddo. Paris 18. März 1841, ist so wenig bekannt, daß
er hier (nach der Mittheilung W. Tappert’s) eine Stelle finden möge:
„Ihre Excellenz werden mir vergeben, wenn ich Sie mit diesen Zeilen
belästige: ich erinnere mich aber Ihrer steten Güte für mich zu leb
haft, um einem jungen interessanten Landsmanne es abschlagen zu
dürfen, wenn er, mit vielleicht zu schmeichelhaften Vertrauen auf
meine Einwirkung auf Eure Excellenz, mich bittet, sein Anliegen mit
diesen Zeilen zu unterstützen. Herr Richard Wagner aus Leipzig
ist ein junger Componist, der nicht allein eine tüchtige musikalische
Bildung, sondern auch viel Phantasie hat, außerdem auch eine allge
meine literarische Bildung besitzt und dessen Lage wol überhaupt die
Theilname in seinem Vaterlande in jeder Beziehung verdient. Sein
größter Wunsch ist, die Oper Rienzi, deren Text und Musik er
verfaßt hat, auf der neuen königlichen Bühne zu Dresden zur Auf
führung zu bringen. Einzelne Stücke, die er mir daraus vorgespielt,
fand ich phantasiereich und von vieler dramatischer Wirkung. Möge
der junge Künstler sich des Schutzes Eurer Excellenz zu erfreuen haben
und Gelegenheit finden, sein schönes Talent allgemeiner anerkannt zu
sehen. Ich nehme noch einmal die Nachsicht Eurer Excellenz in An
spruch und bitte Sie, mir Ihr geneigtes Wohlwollen zu erhalten.
Hochachtungsvoll Eurer Excellenz ergebenster Diener Meyerbeer.“
Im Sommer 1842 kommt Wagner, nach fünfjähriger Ent
fernung von Deutschland, selbst nach Dresden, um die Auf
führung seiner Oper vorzubereiten. Fischer, der uns als eine
bescheidene, liebenswürdige Natur geschildert wird, empfängt
Wagner mit einer Herzlichkeit, welche dieser ihm nie vergessen
hat. Wagner war damals 29 Jahre alt, Fischer sehr viel
älter, und trotzdem entspann sich zwischen den beiden Künst
lern von so grundverschiedenem Wesen bald eine innige
Freundschaft. Fischer war im ersten Jünglingsalter zum
Theater gekommen, ward Schauspieler und als Baßbusso
ein Liebling des Leipziger Publicums. Aber das genügte ihm
nicht; es trieb ihn zum Ernst seiner Kunst; so pflegte er
seine musikalischen Kenntnisse, ward — neben seiner Stellung
als Schauspieler — Chordirector, studirte immer fort und
erlangte den Ruhm eines der vortrefflichsten Chordirigenten
in Deutschland. Oft traf ihn Wagner des Abends, wie
Fischer zur Erholung von den Tagesmühen allerhand seltene
Tonwerke alter Meister für sich allein zierlich abschrieb, um
daran zu lernen. Als Fischer im Jahre 1858 starb, widmete
ihm Wagner einen Nachruf, der wol das Wärmste und
Herzlichste ist, was aus seiner Feder geflossen. „Einst war
ich seine Freude, nun seine Sorge,“ so schreibt Wagner über
die Gesinnungen Fischer’s gegen ihn nach der Flucht von
Dresden. „Und wie sorgte er um mich! Als sich das ganz
Unerwartete wie ein Wunder zutrug und meine Opern, die
fast kaum den Bezirk Dresdens überschritten hatten, sich über
ganz Deutschland verbreiteten, da ging seine Sorge bald
in Besorgung über, und wo ich, der Jugendliche, erlag,
da trat der rüstige Alte ein, nahm mir alle Mühe ab, über
wachte die Copien und Einrichtungen meiner Partitur, corre
spondirte, trieb an, hielt ab — damit ich nur Ruhe hätte,
wieder arbeiten und meiner Kunst mich hingeben könne.
Wahrlich, es ist ein Trost, daß es Solche gibt! Es ist ein
unschätzbares Wohlgefühl, einem Solchen begegnet zu sein!“
Wagner’s Briefe an seinen gleichfalls viel älteren
Freund, den Costümier des Dresdener Hoftheaters, Ferdinand
Heine, haben im Inhalt und Ton viel Aehnliches mit
denen an Fischer. Die ersten sechs (aus Paris1842) be
handeln gleichfalls nur die Rienzi-Angelegenheit, in einem
Crescendo von Unruhe und Ungeduld. Die Züricher Mit
theilungen athmen dieselbe trauliche Herzlichkeit, wie die
Unterhaltungen mit Fischer. Wagner gibt dem Freunde
allerlei Scherz- und Kosenamen: Heinemann, Heinemännlein,
Nante, und bezeugt die innigste Theilnahme für dessen Familie.
An Zahl weit geringer als die Briefe an Uhlig und Fischer,
reichen die an Heine doch am weitesten; der letzte ist datirt
aus München am 28. März 1868, also 16 Jahre nach
Uhlig’s, 10 Jahre nach Fischer’s Tod.
So legen wir denn die umfangreiche neue Briefsammlung
mit der Empfindung aus Händen, daß wir ihr zwar nicht
viel thatsächlich Neues verdanken, dafür aber manchen tieferen,
erfreulichen Blick in das Gemüthsleben Wagner’s. Der herz
liche, kameradschaftlich traute Ton, den er gegen seine drei
Dresdener Freunde anschlägt und durchaus festhält, hat
etwas unmittelbar Wohlthuendes. Er unterscheidet sich wesent
lich von der unnatürlichen, aus Vergötterung und Ver
zweiflung gemischten Exaltation in den Briefen an Liszt,
welche uns manchmal einen leichten Nachgeschmack von Un
echtheit zurückläßt. In ihrer Gesammtheit schätzen wir die
neuen Briefe keineswegs als die bedeutendsten, gewiß aber
als die liebenswürdigsten und gemüthvollsten, die wir von
Wagner kennen.