Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 8759. Wien, Samstag, den 12. Januar 1889 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Bertel, Hanna Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 8759. Wien, Samstag, den 12. Januar 1889 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 12.01.1889
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Briefe von Richard Wagner an Uhlig, Fischer und Heine. II. (Schlußartikel.)

Ed. H. Eine nicht unwillkommene Abwechslung zwischen den theoretischen Erörterungen und den rein geschäftlichen Aufträgen bieten Wagner’s Mittheilungen über seine Wasser cur. Uhlig, ein begeisterter Apostel dieser Curmethode, hatte ihm das bekannte Buch von Rausse: „Wasser thut’s frei lich“, geschickt, dessen überzeugender, oft geistreich humoristi scher Ton auch Wagner sofort gewann und ihn veranlaßte, sich in der Wasserheilanstalt Albisbrunn einzuquartieren. Er verbleibt dort von Anfang September bis gegen Ende November 1851 und betreibt mit der ihm in allen Dingen eigenen zähen Energie seine Cur. Daß diese keine geringen Ansprüche machte, beweist uns nachstehende Tagesordnung Wagner’s: 1. Früh halb 6 Uhr nasse Einpackung bis 7 Uhr, dann kalte Wanne und Promenade. 8 Uhr Frühstück: trockenes Brot und Milch oder Wasser! 2. Nochmals kurze Prome nade, dann eine kalte Compresse. 3. Gegen 12 Uhr nasse Abreibung; kurze Promenade; neue Compresse. Dann Mittag essen auf dem Zimmer. Eine Stunde faullenzen; starke Promenade von zwei Stunden — allein. 4. Gegen 5 Uhr wieder nasse Abreibung und kleine Promenade. 5. Sitzbad von einer Viertelstunde um 6 Uhr mit folgender Erwär mungs-Promenade. Neue Compresse. Um 7 Uhr Abendessen: trocken Brot und Wasser! 6. Dann Whistpartie bis nach 9 Uhr, folgt noch eine neue Compresse, und gegen 10 Uhr geht’s ins Bett. In den ersten Wochen kann Wagner die günstige Wirkung nicht genug loben. „Vorigen Montag,“ schreibt er, „war meine Eidgenossenschaft bei mir: sie soffen wie immer, und mein Ekel vor diesem Weingesaufe, ohne daß diese unglücklichen Menschen keine Spur von Laune zu bekommen vermögen, hat mich vollends davon überzeugt, daß ich wirklich curirt bin. Ich begreife nicht mehr, wie es zugehen sollte und welches Unglück mich treffen müßte, daß ich je wieder zum Wein, Bier u.s.w.

meine Zuflucht nähme.“ Nun, bekanntlich ist Wagner von diesem ascetischen Entschluß später gründlich abgefallen und praktisch zu dem Grundsatz zurückgekehrt, den er in einem früheren Brief also ausdrückt: „Glaub’ mir, durch das Wasser werden wir gesund, aber nur dann erst sind wir gesund, wenn wir auch Wein trinken, ohne uns dadurch zu schaden.“ Ein Jahr später kommt er zu der Ueberzeu gung, die strenge Wassercur habe ihm nur geschadet; er will nichts mehr wissen von Wasserheilanstalten, wo doch nur nach der Schablone gearbeitet werden kann. „Ich war jetzt mit meinem Magen ganz hin, und dies kam hauptsächlich von dem verfluchten Milchtrinken. Ich theile jetzt die Ueberzeugung aller derjenigen, welche den Milchgenuß als Unsinn bezeichnen. Milch ist die Nahrung der Säuglinge. Kalte Milch trinkt gar kein Thier, und auch kein Natur mensch.“ Am schwersten und nur ganz kurze Zeit ertrug Wagner die Entbehrung des Schnupftabaks. „Denke dir,“ klagt er Ferdinand Heine, „daß ich das Tabakschnupfen auf geben muß; seit sechs Tagen habe ich schon keine Prise mehr genommen! Die Wirkung ist vorläufig, als ob ich verrückt werden sollte.“ Wagner hat das Versäumte später reichlich hereingebracht; er war einer der allerstärksten Schnupfer. Etwas sehr Wahres, nur leider schwer Erreichbares meint Wagner mit den Worten: „Bei Leiden unserer Art kann nur ein Freund uns rathen und ein Arzt nur dann, wenn er dies zugleich ist.“ So läßt er sich dann eine zeitlang von — dem Dichter Georg Herwegh behandeln, der ihm „in jeder Beziehung sympathetisch näher steht, als irgend ein Arzt“.

Ein besonderes Interesse gewährt es, in den Briefen an Uhlig und Fischer Schritt vor Schritt zu verfolgen, wie in Wagner allmälig der Plan zum „Ring des Nibe lungen“ entstand. Gleichzeitig damit zuerst der Traum, dann das bewußte Streben, ein eigenes Theater für seine Schöpfung zu errichten. Kaum hatte er in Zürich seine kunst philosophischen Schriften vollendet, als er schon daran geht, einen „Siegfried“ zu schreiben, und zwar „Siegfried’s Tod“, das letzte, jetzt „Götterdämmerung“ betitelte Stück der Tri logie. Schon im September 1850 (26 Jahre vor der Er öffnung des Bayreuther Festspielhauses!) schreibt er aus Zürich an Uhlig: „Ich beschäftige mich jetzt mit Wünschen

und Plänen, die auf den ersten Anblick sehr chimärisch aus sehen, einzig mir aber doch Lust machen, an die Vollendung des Siegfried überhaupt zu denken. Es handelt sich — zur Realisirung des Besten, Entschiedensten und Bedeutungs vollsten, was ich unter den bestehenden Umständen leisten kann, somit zur Erreichung meiner bewußten Lebensaufgabe — um eine Summe von vielleicht 10,000 Thalern. Könnte ich je über solch eine Summe disponiren, so würde ich Fol gendes veranstalten: Hier, wo ich nun gerade bin, und wo Manches gar nicht so übel ist, würde ich auf einer schönen Wiese bei der Stadt von Brett und Balken ein rohes Theater nach meinem Plane herstellen und lediglich blos mit der Ausstattung an Decorationen und Maschinerien ver sehen lassen, die zur Aufführung des Siegfried nöthig sind. Dann würde ich mir die geeignetsten Sänger, die irgendwo vorhanden wären, auswählen und auf sechs Wochen nach Zürich einladen; den Chor würde ich mir größtentheils hier aus Freiwilligen zu bilden suchen. So würde ich mir auch mein Orchester zusammenladen. Von Neujahr gingen die Ausschreibungen und Einladungen an alle Freunde des musikalischen Dramas durch alle Zeitungen Deutschlands mit der Aufforderung zum Besuche des beabsichtigten dramatischen Musikfestes; wer sich anmeldet und zu diesem Zwecke nach Zürich reist, bekommt gesichertes Entrée, natürlich wie alles Entrée: gratis! Ist Alles in gehöriger Ordnung, so lasse ich dann drei Aufführungen des Siegfried in einer Woche stattfinden; nach der dritten wird das Theater eingerissen und meine Partitur verbrannt. Den Leuten, denen die Sache gefallen hat, sage ich dann: Nun macht’s auch so! Wollen sie auch von mir wieder etwas Neues hören, so sage ich aber: Schießt ihr das Geld zusammen!“ Aus diesem noch ganz phantastischen Plane hat Wagner’s nicht nachlassende Energie in der Folge das Bayreuther Festspielhaus herausentwickelt. Im nächsten Jahre verlegt er sein geträumtes Theater von Zürich an den Rhein: „Mit dem Siegfried habe ich noch große Rosinen im Kopfe: drei Dramen, mit einem drei actigen Vorspiel. Wenn alle deutschen Theater zusammen brechen, schlage ich ein neues am Rhein auf, rufe zusammen und führe das Ganze im Laufe einer Woche auf.“ Noch bestimmter schreibt er am 15. Februar 1854 an F. Heine,

es sollen die ganzen vier Nibelungen-Dramen zu Ostern 1856 fertig sein. „Dann geht es ans Unmögliche: mir mein eigenes Theater zu schaffen, mit dem ich vor ganz Europa mein Werk als großes dramatisches Musikfest aufführe.“ Als Wagner dies schrieb, hatte er kein Geld und noch nicht die geringste Aussicht, nach Deutschland zurückkehren zu dürfen. Aber der Glaube an sich selbst und der eiserne Wille ver ließen ihn nicht, und so ist ihm „das Unmögliche“ schließlich gelungen. Anfangs hatte Wagner, wie wir gesehen, nur Siegfried’s Tod“ im Sinne. Dann packte ihn aber die Idee, in einem vorangehenden Stücke den jungenSieg fried darzustellen. „Habe ich dir nicht,“ schreibt er im Mai 1851, „früher schon einmal von einem heiteren Stoffe geschrieben? Es war dies der Bursche, der auszieht, um das Fürchten zu lernen, und so dumm ist, es nie lernen zu wollen. Denke dir meinen Schreck, als ich plötzlich erkenne, daß dieser Bursche niemand Anders ist, als — der junge Siegfried, der den Hort gewinnt und Brünhilde erweckt! Die Sache ist nun fertig. Der „junge Siegfried“ hat den ungeheuren Vortheil, daß er den wichtigen Mythos dem Publicum im Spiel, wie einem Kinde ein Märchen, bei bringt.“ Im November 1851 theilt er Uhlig zum erstenmale die Idee mit, dem „jungen Siegfried“ noch eine „Tragödie von erschütterndster Wirkung“, nämlich die Walküre, vorangehen zu lassen, und diese drei Dramen durch ein grö ßeres Vorspiel („Das Rheingold“) einzuleiten. So knüpfte sich ihm, in umgekehrter Ordnung, ein Glied an das andere zu seiner großen Nibelungen-Trilogie. Ende Mai 1852 hat Wagner den vollständigen Entwurf zur Dichtung der Wal küre fertig. „Ich bin wieder mehr wie je ergriffen von der umfassenden Großartigkeit und Schönheit meines Stoffes. Nach diesem Werke werde ich wol nie wieder dichten! Es ist das Höchste und Vollendetste, was meiner Kraft entquillen konnte. Sind die Verse fertig, so werde ich von dann ab wieder ganz Musiker, um dann dereinst nur noch — Aufführer zu sein!“

Auf andere Componisten kommt Wagner sehr selten zu sprechen; wo er es thut, geschieht dies in sehr geringschätzigem Tone. Von Marschner’sVampyr“ schreibt er: „Die Musik hat mich im Ganzen diesmal auch degoutirt; dieses Duett-, Terzett- und Quartett-Singen und nählen (?) ist doch rasend dumm und geschmacklos. Es ist weiß Gott nur

gelehrt-impotent gemachte, deutsch versohlte und verlederte italienische Musik; durchaus nichts Anderes.“ Ueber Mendelssohn’s Ausführung Beethoven’scher Werke heißt es, daß „Mendelssohn den dichterischen Gehalt derselben gar nicht fassen konnte, sonst — hätte er ja selbst etwas ganz Anderes zu Tage bringen müssen! Mendelssohn’s grobe Unwissenheit von dem Inhalte der Tonstücke; Jeder wird das verstehen, der z.B. sein Tempo zum ersten Satz der Neunten Symphonie hörte... Hier erschien er mir plötzlich als der allergemeinste Musikmacher, und genau erkannte ich hieran den Grund davon, daß er selbst nichts Anderes schaffen konnte, als er schuf.“ Dieser Ausfall hängt enge zusammen mit einer fixen Idee Wagner’s, die er auch Uhlig des Breitesten auseinandersetzt — nämlich, daß Er (Wagner) der einzige Mensch auf der Welt sei, der eine Beethoven’sche Symphonie aufzufassen und zu dirigiren verstehe. In seinem Buche „Ueber das Dirigiren“ hat Wagner dieses Thema später ausführlich behandelt. Er findet das Wesenhafte der größeren Tonwerke Beethoven’s darin, daß sie „nur in letzter Linie Musik, in erster Linie aber einen dichteri schen Gegenstand enthalten“. „Am deutlichsten,“ schließt er seine Auseinandersetzung, „dürfte es mir gelingen, den dichterischen Gegenstand in der Coriolan-Ouvertüre zu bezeichnen.“ (Das ist freilich nicht schwer!) „Ich darf mir sagen, daß, wer meine Erklärung dieses Gegenstandes genau kennt und ihre Richtigkeit von Stelle zu Stelle ver folgt, sich eingestehen muß, ohne diese Erklärung dieses über Alles plastische Tonstück gar nicht verstanden zu haben.“ Wagner fordert Uhlig auf, diese Gedan ken in einem „ordentlichen Artikel“ zu verarbeiten. „Es ist hier wirklich ein für unser ganzes nach-Beethovensches Musiktreiben vernichtendes Thema berührt: meines Er achtens nichts Geringeres als der Beweis, daß Beethoven in seiner eigentlichen Wesenheit, somit überhaupt gar nicht verstanden worden ist. Ich wenigstens kann’s nicht anders ansehen, da ich mir selbst jetzt ganz deutlich darüber gewor den bin, daß auch ich Beethovennur von da ab ver stehe, wo ich dem dichterischen Gegenstande seiner Ton ausführungen auf die Spur gerieth und endlich auffand.“ Das ist ein sehr merkwürdiges Geständniß, und die ganze

musikalische Welt müßte eigentlich in Verzweiflung gerathen, da sie weder vor Wagner noch neben oder nach Wagner eine Beethoven’sche Symphonie je richtig gehört und verstanden hat! Wie man aber aus Wagner’s Erklärung der Dritten und der Neunten Symphonie weiß — nur diese zwei hat er interpretirt — besteht seine Panacee für die richtige Aufführung solcher Werke in einer bilderreichen poetischen Ausdeutung oder Umdichtung derselben, welche schwärmende Dilettanten entzücken mögen, aber einem Diri genten von Geist und Talent nicht die geringste neue Ent deckung oder fruchtbare Belehrung zuführen. Uhlig hat den Auftrag seines Meisters so genau erfüllt, daß wir in seinem Aufsatze „Ueber den dichterischen Gehalt Beethoven’scher Ton werke“ es in Brendel’s Zeitschrift vom 24. September 1852 die betreffenden Briefstellen Wagner’s wortgetreu wieder finden.

Das letzte Drittel des Buches füllen die Briefe an Fischer und Heine. Wir finden darin, wie sich von selbst ver steht, viele Wiederholungen aus den an Uhlig gerichteten Briefen: Mittheilungen über Wagner’s Befinden und Pläne, seine Häuslichkeit in Zürich, seine Reise nach London und Paris, endlich zahlreiche geschäftliche Aufträge. Letztere mehren sich für Fischer insbesondere nach dem Tode Uhlig’s, welcher bishin der Haupt-Commissionär für Wagner gewesen. Wag ner’s Briefe an Fischer und Heine beginnen nicht erst mit dem Züricher Exil, sondern schon 1841 von Paris aus. Es sind Zuschriften von hochachtungsvoller, fast unterwürfiger Ergebenheit, worin der Chordirector und der Costumier des Dresdener Hoftheaters um ihre „Protection und Geneigt heit“ gebeten werden bezüglich der in Aussicht stehenden Auf führung des Rienzi. Wagner betont wiederholt, daß er diese Aussicht vor Allem seiner „hohen Gönnerin, der ange beteten Schröder-Devrient“ verdanke; diese hat indessen auf ein Dutzend seiner Briefe gar nicht geantwortet, ja die Auf führung des Rienzi zu verschiedenenmalen geradezu verzögert. Den wichtigsten Einfluß auf die Annahme des „Rienzi“ in Dresden hat ohne Zweifel die Empfehlung Meyerbeer’s gehabt, auf dessen Fürwort bekanntlich auch der „Flie gende Holländer“ in Berlin angenommen worden ist. Davon macht Wagner aber nicht die leiseste Er wähnung, und wenn er behauptet, seine „größte

Wollust sei, dankbar zu sein“, so hat er Meyer beer gegenüber stets das gerade Gegentheil bewiesen. Meyerbeer’s Brief an den General-Intendanten v. Lüttichau, ddo. Paris 18. März 1841, ist so wenig bekannt, daß er hier (nach der Mittheilung W. Tappert’s) eine Stelle finden möge: „Ihre Excellenz werden mir vergeben, wenn ich Sie mit diesen Zeilen belästige: ich erinnere mich aber Ihrer steten Güte für mich zu leb haft, um einem jungen interessanten Landsmanne es abschlagen zu dürfen, wenn er, mit vielleicht zu schmeichelhaften Vertrauen auf meine Einwirkung auf Eure Excellenz, mich bittet, sein Anliegen mit diesen Zeilen zu unterstützen. Herr Richard Wagner aus Leipzig ist ein junger Componist, der nicht allein eine tüchtige musikalische Bildung, sondern auch viel Phantasie hat, außerdem auch eine allge meine literarische Bildung besitzt und dessen Lage wol überhaupt die Theilname in seinem Vaterlande in jeder Beziehung verdient. Sein größter Wunsch ist, die Oper Rienzi, deren Text und Musik er verfaßt hat, auf der neuen königlichen Bühne zu Dresden zur Auf führung zu bringen. Einzelne Stücke, die er mir daraus vorgespielt, fand ich phantasiereich und von vieler dramatischer Wirkung. Möge der junge Künstler sich des Schutzes Eurer Excellenz zu erfreuen haben und Gelegenheit finden, sein schönes Talent allgemeiner anerkannt zu sehen. Ich nehme noch einmal die Nachsicht Eurer Excellenz in An spruch und bitte Sie, mir Ihr geneigtes Wohlwollen zu erhalten. Hochachtungsvoll Eurer Excellenz ergebenster Diener Meyerbeer.“ Im Sommer 1842 kommt Wagner, nach fünfjähriger Ent fernung von Deutschland, selbst nach Dresden, um die Auf führung seiner Oper vorzubereiten. Fischer, der uns als eine bescheidene, liebenswürdige Natur geschildert wird, empfängt Wagner mit einer Herzlichkeit, welche dieser ihm nie vergessen hat. Wagner war damals 29 Jahre alt, Fischer sehr viel älter, und trotzdem entspann sich zwischen den beiden Künst lern von so grundverschiedenem Wesen bald eine innige Freundschaft. Fischer war im ersten Jünglingsalter zum Theater gekommen, ward Schauspieler und als Baßbusso ein Liebling des Leipziger Publicums. Aber das genügte ihm nicht; es trieb ihn zum Ernst seiner Kunst; so pflegte er seine musikalischen Kenntnisse, ward — neben seiner Stellung als Schauspieler — Chordirector, studirte immer fort und erlangte den Ruhm eines der vortrefflichsten Chordirigenten in Deutschland. Oft traf ihn Wagner des Abends, wie Fischer zur Erholung von den Tagesmühen allerhand seltene Tonwerke alter Meister für sich allein zierlich abschrieb, um daran zu lernen. Als Fischer im Jahre 1858 starb, widmete ihm Wagner einen Nachruf, der wol das Wärmste und Herzlichste ist, was aus seiner Feder geflossen. „Einst war

ich seine Freude, nun seine Sorge,“ so schreibt Wagner über die Gesinnungen Fischer’s gegen ihn nach der Flucht von Dresden. „Und wie sorgte er um mich! Als sich das ganz Unerwartete wie ein Wunder zutrug und meine Opern, die fast kaum den Bezirk Dresdens überschritten hatten, sich über ganz Deutschland verbreiteten, da ging seine Sorge bald in Besorgung über, und wo ich, der Jugendliche, erlag, da trat der rüstige Alte ein, nahm mir alle Mühe ab, über wachte die Copien und Einrichtungen meiner Partitur, corre spondirte, trieb an, hielt ab — damit ich nur Ruhe hätte, wieder arbeiten und meiner Kunst mich hingeben könne. Wahrlich, es ist ein Trost, daß es Solche gibt! Es ist ein unschätzbares Wohlgefühl, einem Solchen begegnet zu sein!“ Wagner’s Briefe an seinen gleichfalls viel älteren Freund, den Costümier des Dresdener Hoftheaters, Ferdinand Heine, haben im Inhalt und Ton viel Aehnliches mit denen an Fischer. Die ersten sechs (aus Paris1842) be handeln gleichfalls nur die Rienzi-Angelegenheit, in einem Crescendo von Unruhe und Ungeduld. Die Züricher Mit theilungen athmen dieselbe trauliche Herzlichkeit, wie die Unterhaltungen mit Fischer. Wagner gibt dem Freunde allerlei Scherz- und Kosenamen: Heinemann, Heinemännlein, Nante, und bezeugt die innigste Theilnahme für dessen Familie. An Zahl weit geringer als die Briefe an Uhlig und Fischer, reichen die an Heine doch am weitesten; der letzte ist datirt aus München am 28. März 1868, also 16 Jahre nach Uhlig’s, 10 Jahre nach Fischer’s Tod.

So legen wir denn die umfangreiche neue Briefsammlung mit der Empfindung aus Händen, daß wir ihr zwar nicht viel thatsächlich Neues verdanken, dafür aber manchen tieferen, erfreulichen Blick in das Gemüthsleben Wagner’s. Der herz liche, kameradschaftlich traute Ton, den er gegen seine drei Dresdener Freunde anschlägt und durchaus festhält, hat etwas unmittelbar Wohlthuendes. Er unterscheidet sich wesent lich von der unnatürlichen, aus Vergötterung und Ver zweiflung gemischten Exaltation in den Briefen an Liszt, welche uns manchmal einen leichten Nachgeschmack von Un echtheit zurückläßt. In ihrer Gesammtheit schätzen wir die neuen Briefe keineswegs als die bedeutendsten, gewiß aber als die liebenswürdigsten und gemüthvollsten, die wir von Wagner kennen.