Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 8841. Wien, Freitag, den 5. April 1889 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 8841. Wien, Freitag, den 5. April 1889 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 05.04.1889
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Concerte.

Ed. H. Die „Gesellschaft der Musikfreunde“ machte am Abend des 28. März abermals die Erfahrung, daß das Publicum ihren Außerordentlichen Concerten aus dem Wege geht, wenn Außerordentliches darin nicht geboten wird. Diesem Concert haben nur wenige Hörer gelauscht und noch weniger Zahler. Oft genug wurde darauf hingewiesen, daß die zwei „Außerordentlichen Concerte“, diese beiden ein zigen Abendproductionen der Gesellschaft der Musikfreunde, nur bedeutenden größeren Tonwerken gehören sollten. Für ein Oratorium, dem zur Mittagszeit die Aus dauer des Publicums selten bis zu Ende Stich hält, findet sich Abends stets die rechte Andacht und Theilnahme. Wie ganz anders hätte Händel’s „Theodora“ an diesem Abend gewirkt, als in jener Mittagsaufführung der gegenwärtigen Saison! Man darf nicht vergessen, daß große Abendconcerte — in ganz Deutsch land die Regel — bei uns seltenste Ausnahmen sind und schon deßhalb nicht mit Kleinigkeiten verzettelt werden sollten. Wie drängt man sich alljährlich zu den Abendaufführungen der Bachschen Passionsmusiken oder Festmesse! Aehnlichen Erfolg vermöchte die Direction auch ihrem andern Abendconcert zu bereiten durch ähnliche Tonwerke. Diesmal kam noch dazu, daß das ursprüngliche Programm Tags vorher mehrerer an ziehender Nummern beraubt wurde: Ellen’s Gesang von Schubert, für Frauenchor und Orchester bearbeitet von Brahms; Schumann’s Chor „Talismane“, Liedervorträge des Sängers Reichmann. In erstmaliger Aufführung er schien blos ein motettenartig ausgeführter Choral von Bach: O Jesu Christ, meines Lebens Licht“, für Chor und Blas instrumente. Das kurze Stück ist für eine Begräbnißfeier componirt, höchst wahrscheinlich zur Aufführung auf dem Friedhof selbst. Man kann sich dabei ausgezeichnet begraben lassen. Einem lebendigen Concert-Publicum macht es weniger Vergnügen. Unter Bach’s zahlreichen Cantatensätzen ist dieser allerdings, wie Spitta hervorhebt, „eine Merk würdigkeit“ durch die eigenartige Zusammenstellung der Blas instrumente; im Verhältniß zu Bach’s Gesammtschöpfung

scheint er mir doch kaum in Betracht zu kommen. Aus früheren Aufführungen bekannt ist der „23. Psalm“ von Brahms, eine bei streng kirchlicher Haltung warme und innige Com position von großer Einfachheit. Was sollten uns aber in diesem „Außerordentlichen Concert“ die Productionen einer sehr jugendlichen Pianistin? Fräulein Melanie Wienzkowska, so heißt die junge Dame, spielte mit großer Sicherheit und Bravour Stücke von Bach, Scarlatti und eine variirte kleine „Giga“ (beinahe Gigerl) von Raff. Ihr sehr gefeilter Vortrag gehört zu jener französisch-polnischen Schule, welche hauptsächlich auf „Esprit“ hinarbeitet und mit kühler Ueber legenheit die einzelnen Noten herauspickt. Für junge Fräu lein, die ohnehin zu übertriebenem Detailliren neigen, eine bedenkliche Richtung. Sehr gefällig wirkten einige Nummern aus R. Heuberger’sLiederreigen“ für Soli, Chor und Clavier — poetische Stücke, die wir bereits vor mehreren Jahren besprochen haben und welche auch diesmal in der sorgfältigen Ausführung durch Frau Neuda-Bernstein, Fräulein Standhartner und Herrn Schrödter leb haften Beifall fanden.

Auch das Concert des „Akademischen Gesang vereins“ am 31. März läßt sich charakterisiren als die gelungene Ausführung eines nicht gelungenen Programms. Herr Grädener, der begabte und eifrige Chormeister dieses Vereins, hat die Stücke jedenfalls besser dirigirt, als ausgewählt. Auffallen mußte schon die überwiegend düstere Färbung des Programms für einen Verein von lebens frischen, kräftigen Jünglingen. Fast lauter schwermüthige oder doch gekünstelte, reflectirte Musik. Der kleinste Chor von Schubert wäre wie eine Sonne aufgegangen in dieser Umgebung. BrahmsBegräbnißgesang“ für gemischten Chor und Blasinstrumente (op. 13) weist zwar, wie jener Bach’sche, mehr nach der Kirche als nach dem Concertsaal; er klingt jedoch weit milder und uns näher verwandt durch seine an das alte geistliche Volkslied erinnernde schlichte Empfindung. Strenge Fortschreitung in den Harmonien, einfaches Mitklingen der Blasinstrumente erhöhen den ernsten, scheinbar so kunstlos erzeugten Charakter dieses edlen, viel zu wenig bekannten Gesanges. Die mit so einfachen Mitteln bewirkte Steigerung bei den Worten: „wenn Gottes Posaun’ wird angeh’n“ ist musikalisch und poetisch ebenso schön, wie

die Wendung, daß Frauenstimmen den ersten Vers: „die Seele lebt ohn’ alle Klag’“ intoniren und die tiefen Männer stimmen antworten: „Der Leib schläft bis zum letzten Tag“. Dieser Begräbnißchor aus Brahms’ erster Periode hat für uns noch die besondere Bedeutung einer vor bereitenden Studie zu seinem „Deutschen Requiem“. Bruch’sRömischer Triumphgesang“ für Männerchor und großes Orchester ist in Wien schon mehrmals laut geworden, ohne uns nach seiner Wiederholung begierig zu machen. Die Gewandtheit des effectkundigen Componisten versagt gegen diese musikalisch widerhaarige Dichtung; Bruch wußte ihr nur durch geräuschvollen Pomp beizukommen. Ein kurzes lyrisches Gedicht: „Die Meere“, mit der Pointe, daß die Stürme des Meeres, aber nicht die des Herzens sich beruhi gen, hat Hermann Grädener für fünfstimmigen Männer chor, Solo-Quintett und großes Orchester componirt. Weder dieses Aufgebot von Mitteln, noch die Breite der Ausfüh rung stehen im richtigen Verhältnisse zu dem Gedichtchen. Grädener zeigt sich hier wie anderwärts als ein Musiker von Geist und vornehmer Haltung, dem aber die Gefahr droht, sein Talent zu forciren und die Seele der Musik in drang vollen „Intentionen“ einzubüßen. Sowol der Chor, als auch das bekannte Orchester-Capriccio von Grädener wurden mit großem Beifalle aufgenommen. Zum Schlusse des Concerts kam eine musikalische Riesenschlange dahergewälzt: Willem de Haan’sComposition der Uhland’schen Ballade „Der Königs sohn“, für Soli, Männerchor und Orchester. Die Gemächlichkeit, mit welcher diese zähe Masse sich in langsamem Tempo, mono tonem Rhythmus und abgegriffenen Redensarten fortschleppt, ist nicht zu beschreiben. Die unersättliche Wiederholung von Sätzchen wie „Die Blitze zucken aus der Nacht“ oder „Ver schlungen ist der Königssohn“ stellten schon im Anfange die Geduld des Hörers auf eine harte Probe. Der Fehlgriff, den ein genialer Tondichter wie Robert Schumann mit dem dramatischen Durch- oder Auseinander-Componiren dieser oder anderer Uhland’scher Balladen gemacht, sollte füglich jeden Nachfolger abmahnen. Wer erzählende Gedichte derge stalt an einzelne dramatische Personen vertheilt, daß Epos und Drama sich fortwährend in den Haaren liegen, wird schwerlich etwas Anderes hervorbringen, als verkrüppelte Opern, denn das dramatische Leben und die sinnliche An

schaulichkeit fehlen. So unglücklich die Schumann’sche Composition des „Königssohnes“ uns auch erscheint: in Einem Punkt konnte sie Herrn W. v. Haan noch immer zum Muster dienen. Für die einleitenden vier Verse braucht Schumann nur zehn Tacte, für die Antwort des Königs sohnes: „Gib mir von allen Schätzen“ u. s. w. sieben Tacte. Bei Haan dauern sie eine Ewigkeit. Herr v. Haan, Capellmeister in Darmstadt, wird uns als ein vortrefflicher Dirigent und höchst liebenswürdiger junger Mann geschildert. Wenn diese Vorzüge hinreichen, um eine die Hörer einschläfernde, die Sänger aufreibende Composition zur Aufführung zu wählen, dann hat Herr Grädener Recht gehabt, diesen Königssohn gegen uns loszu lassen. Die Solosänger, Winkelmann, Weiglein und Schachner, lösten ihre Aufgabe vorzüglich: ebenso die aus lauter jungen frischen Stimmen bestehenden Chöre.

Unter den Virtuosen ragten wiederum Sarasate, Grünfeld und die Essipoff empor. Was ließe sich Neues über diese seit Jahren wohlbekannten und hochgeschätzten Künstler sagen? Sie sind in Eleganz und allerfeinster Technik nicht hinter ihren früheren Leistungen zurückgeblieben. Auch der Beifall ist nicht zurückgeblieben, wenngleich ein wenig das materielle Erträgniß der Concerte. Wien befindet sich nach den traurigen Ereignissen der jüngsten Zeit noch immer in ge drückter Stimmung, wol auch in momentaner Abstumpfung gegen Concerte. Joachim und — als neue Erscheinungen — die Barbi und Stavenhagen haben noch ein enthusiastisches Interesse erregt, aber für die Späterkommen den nicht mehr viel übrig gelassen. Das merkte man ins besondere an dem zweiten Concerte des sonst so ver hätschelten Sarasate. Es war schwach besucht, und die Künstler ließen mit dem Anfange ihrer Vorträge so lange warten, daß es aussah, als überlegten sie noch, ob sie dem kleinen Publicum überhaupt etwas vorspielen sollten. Das Weber’sche „Duo concertant“, op. 48, das den Anfang machte, ist für Clarinette und Clavier geschrieben und auf den Zusammenklang dieser Instrumente durchaus berechnet. Fällt dieser weg, dann wird das Stück, auch wenn Sara sate seine Geige dazu in die Hand nimmt, mager und dürftig. Die zwei Instrumente gehen neben einander statt

mit einander, und es hat im besten Falle der Clavierspieler Gelegenheit, hie und da zu glänzen. Das war auch in Sarasate’s Concert der Fall, wo Frau Bertha Marx nicht nur dieses eine, sondern alle Stücke ganz vortrefflich spielte. Rund und voll ist ihr Ton, gesund und sicher ihre Rhythmik. Sie besitzt eine vollendete Technik und mißhandelt ihr Instrument niemals. Die „Grande Sonate“ von Raff, op. 78, welche Frau Marx mit Sarasate vor trug, ist mehr eine lange und schwere, als eine große Sonate, und die Wirkung, die sie hervor brachte, war nicht ihre eigene, sondern die ihrer ausgezeichneten Interpreten. Sehr lebendig wirkten vier Nummern aus den „Neuen slavischen Tänzen“ von Dvořak, obgleich das Arrangement für Violine und Clavier nicht ent fernt das Orchester ersetzt, das gerade in diesen Stücken in den prächtigsten Farben schimmert. Ein Fremder, ein Spa nier mußte also kommen, um Wien mit einer im Ausland längst bekannten und beliebten Composition eines Oester reichers bekannt zu machen. Alle deutschen Hauptstädte, Berlin und Dresden voran, haben in diesem Winter Orchester- und Kammer-Compositionen von Dvořak aufgeführt, noch häufiger London, am häufigsten Boston und Newyork. In Wien ist während dieser ganzen Saison nicht Eine Note von Dvořak öffentlich gespielt worden. Von unseren Orchester-Gesellschaften gar nicht zu reden, deren Novitätenscheu noch immer zuzu nehmen scheint, es haben unsere ständigen Quartettvereine — vier an der Zahl! — nicht das kleinste Stück von Dvořak ge spielt. Die eben angekündigten Kammermusik-Abende von Door, welche gastlichen Raum haben für Novitäten von Gernsheim, Schütt und Kaufmann, hätten wol auch auf das neue (vor Jahr und Tag erschienene) Clavier-Quintett in G-dur von Dvořak verfallen können. Daß die Werke dieses Componisten mit all ihren Mängeln zu dem Originellsten und Anziehendsten gehören, was heute überhaupt producirt wird, ist anerkannt. Unsere Wiener Musiker wissen das so gut wie wir und klagen noch lauter als wir über den Mangel an interessanten Novitäten. Was kann also der Grund sein für diese Zurückweisung eines österreichischen Componisten, der sonst überall gern aufgeführt wird? Viel leicht der nationale Antagonismus gegen die Czechen. Eine

politisch begründete und geforderte Opposition auch in das Gebiet der Kunst hinüberzuschleppen, dünkt uns ein bedauer licher, ja kaum begreiflicher Einfall. Was hat die Musik, was hat insbesondere die reine Instrumentalmusik mit der Partei-Politik zu schaffen? Wir müssen constatiren, daß die Czechen, so feindselig und eigensinnig sie gegen alles Deutsche vorgehen, doch auf künstlerischem Felde sich vorurtheilsfreier zeigen, als die Wiener Musiker. Nicht nur finden in den Prager Concertsälen viele deutsche Novitäten Zutritt, auch das czechische National-Theater hat außer den Wagner’schen Opern auch neuere deutsche, z. B. Goldmark’sKönigin von Saba“, auf dem Repertoire und kündigt soeben dessen Merlin“ an. Also nicht einmal mit Repressalien, so thöricht auch diese wären, können wir uns rechtfertigen. Wien hat sich sonst in der Musik stets frei von nationalen und poli tischen Vorurtheilen erhalten. Zur Zeit der napoleonischen Kriege und noch während des Wiener Congresses beherrschten hier die französischen Opern von Méhul, Cherubini, Dalayrac, Isouard, Boyeldieu das Repertoire. Und ganz mit Recht, denn abgesehen von „Fidelio“, und allenfalls der populären Schweizerfamilie“ gab es damals unter den deutschen Opern-Novitäten nichts, was sich künstlerisch mit jenen franzö sischen Werken messen konnte.

Das Programm des nächsten „Philharmonischen Concertes“ überrascht uns mit einer Merkwürdigkeit: der aller ersten Aufführung eines bisher unbekannt gebliebenen Clavier concertes (erster Satz) von Beethoven. Der Hörer dürfte diesem Werk wahrscheinlich mit größerem Interesse entgegen kommen, wenn er weiß, wie es damit zugegangen; man ge statte uns deßhalb einige vorbereitende Worte. Die Auf findung des Beethoven’schen Concertsatzes ist das Verdienst des Professors an der Prager deutschen Universität, Dr. Guido Adler, der auch im letzten Heft der von ihm mitredigirten „Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft“ aus führlich darüber berichtet hat. Professor Adler entdeckte im Besitze eines Studirenden, Herrn Emil Bezecny in Prag, ein Convolut geschriebener Orchesterstimmen mit der Aufschrift: Concerto in D-dur für Pianoforte mit Orchester von L. v. Beethoven. Die Clavierstimme dazu fand sich bei dem Stiefbruder des Genannten, Freiherrn Joseph v. Bezecny

in Wien, nach dessen Aussage Orchester- wie Clavierstimmen von der Hand seines Vaters, eines eifrigen und ver ständigen Musikers, herrühren, welcher seinem Sohne Clavier unterricht ertheilt und mit ihm wiederholt auch das Clavierconcert, vielmehr den einen Satz, gespielt hatte. Es ist nämlich nur ein Satz „Allegro“ erhalten, der erste Satz eines Clavierconcerts. Wo die anderen Sätze sich be finden, falls solche, wie zu vermuthen ist, überhaupt existirt haben, konnte trotz emsigster Nachforschung nicht ermittelt werden. Daß das Werk wirklich von Beethoven, und zwar zwischen den Jahren 1788 und 1793 (also um sein zwanzigstes Lebensjahr herum) componirt ist, hat Professor Adler überzeugend dargethan. Wir haben also ein Jugend werk des Meisters vor uns, und gleich die ersten Tacte, das direct an eine Mozart’sche Sonate erinnernde Thema, die noch recht magere Durchführung und das altmodische Passagen werk sagen uns das deutlicher, als jede philologische Unter suchung. Wie es geschehen konnte, daß diese Composition fast ein Jahrhundert lang gänzlich verborgen blieb, ja keinem von allen Beethoven-Biographen auch nur als neckende Ver muthung vorschwebte? Sehr wahrscheinlich, weil Beethoven, dieser strengste Richter über seine eigenen Arbeiten, das Clavier concert später gar nicht mehr hervorsuchen, geschweige denn veröffentlichen wollte. Noch von zwei später componirten Clavier concerten — dem in C-dur, op. 15, und in B-dur, op. 19schreibt Beethoven selbst im Jahre 1801 an Breitkopf & Härtel: „Ich merke dabei blos an, daß bei Hofmeister eines von meinen ersten Concerten herauskommt und folglich nicht zu den besten von meinen Arbeiten gehört, bei Mollo eben falls ein zwar später verfertigtes Concert, aber ebenfalls noch nicht unter meine besten von der Art gehört: dies sei blos ein Wink für Ihre Musikalische Zeitung in Rücksicht der Beurtheilung dieser Werke, obschon, wenn man sie hören kann, nämlich gut, man sie am besten beurtheilen wird.“ Dieser „Wink“ Beethoven’s gilt auch dem verständ nißvollen Publicum der Philharmonischen Concerte. Herr Labor wird das Concert in D so schön spielen, als es gespielt werden kann, und ein Ereigniß bleibt das erste Auf tauchen eines verschollenen größeren Stückes von Beethoven auf alle Fälle.