Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9162. Wien, Dienstag, den 25. Februar 1890 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9162. Wien, Dienstag, den 25. Februar 1890 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 25.02.1890
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Matinée im Hofoperntheater. („Der Dorfbarbier“ von Schenk. „Das Pensionat“ von Suppé.)

Ed. H. Der Dorfbarbier im Hofoperntheater! Seit etwa sechzig Jahren hat er sich an dieser vornehmen Stätte nicht mehr blicken lassen und sein Rasirzeug nur in den Vorstädten gehandhabt. Aber seine Wiege war doch das Hof theater nächst dem Kärntnerthor, das kann ihm Niemand nehmen. Die Handlung freilich ist gar nicht aristokratischer Herkunft; noch viel älter als das Schenk’sche Singspiel, hat sie durch mehr als ein Jahrhundert alle möglichen Wand lungen durchgemacht. Der „Dorfbarbier“ blühte schon zu Zeiten der extemporirten Comödie; jeder neue Lux oder Adam brachte auch neue Einfälle und Variationen hinein, bis eines Tages — das „regelmäßige Schauspiel“ befohlen wurde. Da sammelte Paul Weidmann (ein Bruder des trefflichen Schauspielers) aus dem Gedächtnisse alles Vorhandene zu einem Lustspiel, und „Der Dorfbarbier“ wurde im Burg theater ein Tummelplatz fröhlichen Muthwillens. Die besten Schauspieler verschmähten es nicht, darin aufzutreten; einmal ließ sich sogar der berühmte Tragöde Brockmann als einer der „Geschworenen“ im Dorfbarbier zum Jubel des Publicums von Lux einseifen. In dieser Gestalt, als Lustspiel, erschien der Dorfbarbier zum letztenmal im Jahre 1795. Und wie ist er Oper geworden? Joseph Weidmann fand als neu er nannter Regisseur der Deutschen Oper im Repertoire sehr wenig kleine Singspiele vor und faßte die glückliche Idee, den Stoff des „Dorfbarbier“ zu benützen. Die beiden Brüder Weidmann bearbeiteten das Libretto, ihr gemeinsamer Freund Schenk schrieb die Musik. Wie Friedrich Treitschke erzählt, lag das Singspiel schon seit Monaten fertig, blieb aber wegen „verbreiteter übler Nachrede“ beiseite geschoben, bis eines Tags die gleichzeitige Erkrankung mehrerer Sänger zur Auf führung des „Dorfbarbier“ nöthigte. Bei der ersten Auf führung im Kärntnerthor-Theater (30. October 1796)

spielten alle Mitwirkenden so schüchtern, daß das Ganze keine Wirkung machte. Der bescheidene Componist hatte nicht einmal gewagt, sich auf dem Theaterzettel zu nennen. Der Theaterzettel brachte folgende empfehlende Bemerkung: „Das Lustspiel dieses Namens ist bekannt und immer mit Beifall auf genommen worden. Die komischen Auftritte darin gaben Anlaß, daß man es zur Oper umschuf. Der Tonsetzer hat die interessantesten Situa tionen genützt und in Musik gesetzt.“ In den folgenden Wiederholungen trat man allmälig kühner auf, und auch der Componist warf sein Incognito ab. Der stetig wachsende Beifall steigerte von Tag zu Tag die gute Laune und den Muthwillen der Darsteller. Im Fasching 1804 fand man eines Abends die Lebhaftigkeit der Komiker zu groß, und die folgende Vorstellung sollte die letzte sein. Adam rettete das zum Tode verurtheilte Singspiel durch ein heroisches Mittel. Er erschien in Trauerkleidern, mit lan gem Flor um den Hut, und als Lux mit ihm zu zanken begann, sprach er weinerlich in feierlichem Hochdeutsch: „Herr Lux, heute zum letztenmale werden Sie mir Alles in Güte sagen!“ Die Zuschauer erfuhren schnell die Bedeutung dieser Improvisation und erreichten durch stürmische Demonstration die Zurücknahme des Verbotes. Sogar in aristokratische Kreise drang der „Dorfbarbier“. Er erschien in italienischer Uebersetzung auf dem Schloßtheater des Fürsten Karl Auersperg, für welches Schenk schon mehrere Operetten geschrieben hatte. Der treffliche Baßbuffo Brocchi gab den Lux und der be rühmte Operncomponist Ferdinand Paër den Adam. Auch getanzt wurde der „Dorfbarbier“ als Ballet. Mit den Jahren nahm das Hoftheater vornehmere Sitten an; man fand die derben Spässe hier nicht mehr am rechten Platz. Als zu Anfang 1807 die beiden Hoftheater eine neue Direction erhielten, begann diese ihr Amt mit einer Sich tung des Repertoires und strich bei dieser Gelegenheit auch den „Dorfbarbier“. Dieser bewies aber neuerdings sein zähes Leben. Am selben Abende meldeten sich fast alle ersten Sänger und Tänzer krank; es konnte am nächsten Abende nichts Anderes gegeben werden, als ein kleines Ballet- Divertissement und — der „Dorfbarbier“. Man begnadigte

ihn nothgedrungen und ließ den großen Mann fortan un gestört seine wunderbaren Schinkencuren fortsetzen. Vorzüg lich blieb er ein Lieblingsstück bei Freitheatern. In einem solchen übermäßig vollgedrängten Freitheater kam Baumann als Adam vor den Vorhang mit einer riesigen Gluthpfanne und räucherte. Jubelnd bedankten sich die gemüthlichen Zuschauer. Dieser Baumann, ein geborener Komiker von sprudeln der Laune, gab den Adam in mehr als dreihundert Vorstel lungen. Sein Porträt in diesem Costüm hängt in der Schauspieler-Galerie des Burgtheaters. Mit seltener Aus nahme standen ihm immer Weinmüller als Lux und Vogel als Rund zur Seite; Beide Opernsänger ersten Ranges. Weinmüller war der Sarastro, der Figaro, der erste Rocco im Hofoperntheater. Vogel, der große Schubertsänger, galt zugleich für den besten Darsteller des Almaviva in „Figaro’s Hochzeit“, des Orestes in Gluck’s „Iphigenie“ und anderer classischer Partien. Man ersieht aus diesem Beispiel, daß früher zwischen dem ernsten und dem komischen Rollenfach keine so strenge Scheidung bestand; sodann daß selbst für kleine Singspiele am Hofoperntheater eine vollkommen musi kalische Ausführung verlangt wurde. Mit der zunehmenden Verfeinerung der Hofbühnen mußte der wiederholt gefährdete Dorfbarbier“ doch endlich das Feld räumen. Er flüchtete in die Vorstadttheater, wo er noch in unseren Tagen zeitweilig die alte Heiterkeit erweckt. Wir haben ihn zuletzt in dem kleinen „Strampfer-Theater“ unter den Tuchlauben, mit Schweighofer als Adam, gesehen.

Woher nun der außerordentliche Erfolg, die hundert jährige Lebensdauer dieses kleinen, anspruchslosen Werkes? Die populäre Wirkung komischer Singspiele geht immer zunächst von der Handlung, vom Texte aus. So wenig wir Schenk’s Musik unterschätzen, niemals hätte sie allein einen schwachen Text zum Sieg geführt, geschweige denn bis heute nachgewirkt. Aber welch volksthümlicher Stoff, dieses köstliche Erbstück der alten extemporirten Comödie! Es steckt etwas Unverwüstliches in diesen der Wirklichkeit abgelauschten Figuren: dem aufgeblasenen, albernen Quacksalber und seinem Gesellen, diesem Schlauch voll Mutterwitz und komischer

Spruchweisheit. Die schnellgetröstete Witwe des Schmiedes, der salbungsvolle Schullehrer Rund, die auf der Rasierbank zappelnden Geschworenen, endlich das muntere Liebespaar Joseph und Suschen — sie Alle sind individuell, charakteristisch, aus dem Leben gegriffen. Die Handlung, in welcher diese Personen mit und gegen einander arbeiten, entwickelt sich natürlich und in lauter drolligen Situationen. In diesem Textbuch findet der Componist die Wirkung fast fertig vor, er hat dieselbe gleichsam nur zu unterstreichen. Und das hat Schenk meisterlich getroffen. Seine Musik zum Dorf barbier ist zugleich naiv und charakteristisch, sie fließt leicht und fröhlich dahin, ohne beleidigende Trivialität. Wie ungesucht komisch klingen die Strophenlieder Adam’s und die F-dur-Arie des Lux’: „Eifersucht und Rache!“ Das Septett „Gott grüße Euch in Ehren!“ erinnert in seinem melodiösen Fluß und seiner dramatischen Lebendigkeit fast an Mozart, den Abgott unseres Schenk. Um einige ge fährliche Situationen, wo der Spaß etwas unheimlich zu werden droht, weiß der Componist recht geschickt herum zukommen. Im „Dorfbarbier“, wie in allen alten Volks stücken, worin die Doctoren gehechelt werden, spielt auch Gevatter Hain eine Rolle. Wenn gleich zu Anfang die Nach barin mit der Klage eintritt, ihr Mann sei an der Schinken cur gestorben, und wenn später der Schullehrer dem ver meintlich vergifteten Joseph ein Sterbelied singt, so spielen doch recht düstere Vorstellungen in den Scherz hinein. Unsere alten Possendichter faßten auch den Tod nicht senti mental. Für die Musik, die gewiß affectirt und aberwitzig wird, wo sie zwiespältigen Ausdruck erklügeln will, sind Situationen wie die genannten nicht leicht. Nur Naivetät schreitet, dem Nachtwandler gleich, heil an diesem Ab grund vorbei. Schenk besaß diese Naivetät: er trifft mühelos das Richtige, indem er Trauriges zwar andeutet, aber Traurigkeit nicht aufkommen läßt. Merkwürdig ist der Effect, den er in dem Todtenlied durch gedämpfte Trom peten hervorbringt. Die Sordine der Trompete (eine kleine hölzerne Röhre, die in die Stürze eingeschoben wird) ist seit dem vorigen Jahrhundert fast ganz außer Gebrauch ge

kommen. Erst Richard Wagner hat den dünnen, durch dringenden Ton der gedämpften Trompete, dem eine ganz eigene schauerliche Komik innewohnt, wieder charakteristisch verwendet: in der Scene, wo Mime bei dem Gedanken aufjauchzt, sich Siegfried’s zu entledigen, dann in den Meistersingern“, wenn Beckmesser von dem Geschrei und Hohngelächter der Menge verfolgt wird. Schenk’s melodiöses Talent entbehrte nicht des Fundamentes einer gründlichen musikalischen Bildung. Hat doch Beethoven, der ihm zeitlebens ein warmer Freund geblieben, bei Schenk ein Jahr lang Contrapunkt studirt. Nach seinen musikalischen Kenntnissen wäre Schenk wol befähigt gewesen, Größeres, Ernsteres als den „Dorfbarbier“ zu schaffen. Nach seinen Kenntnissen, nicht nach seinem Talent. Er hat sich in seinen letzten Lebensjahren damit abgequält, eine große Oper „nach Gluck’s Grundsätzen“ zu componiren, aber sein Geist erlag der aufgebürdeten Last; er verfiel, wie Seyfried erzählt, in Trübsinn und Schwermuth, endlich in ein lebensgefähr liches Nervenfieber. Als allmälig seine Kräfte zurückkehrten, war sein Selbstvertrauen geschwunden; er verzweifelte an seiner Fähigkeit und ließ die Arbeit unvollendet. Johann Schenk, geboren 1761 in Wiener-Neustadt, ist erst Ende December 1836 gestorben.

Es versteht sich, daß die Wirkung des „Dorfbarbiervor Allem von der komischen Kraft der Darsteller abhängt. Lux und Adam, die beiden Träger des Stückes, müssen eminente Komiker sein; nach Stimme und Gesangskunst fragen wir nur nebenbei. Darum pflegt auch der „Dorf barbier“ in kleinen Theatern ergötzlicher zu wirken, als auf großen Opernbühnen. Selbst die besseren Darsteller in unserer Spieloper sind doch keine eigentlichen Komiker; und fehlt ihnen nicht das Talent, so fehlt ihnen doch der Muth, so komisch zu sein, wie ihre Ahnherren es ungestraft sein konnten. Mit diesem Vorbehalte müssen wir die Aufführung des „Dorfbarbier“ im Hofoperntheater vortrefflich nennen. Die natürlichste und herzhafteste Komik entwickelte Herr Stoll. Sein Adam leistete in der That, was man nach Herrn Stoll’s dummem Peter in den „Beiden Schützen“ erwarten

durfte. Herr v. Reichenberg (Lux) ist einer der besten Schauspieler unter den Opernsängern; seiner Komik fehlt aber die Ursprünglichkeit und die Laune. Ein Komiker von Geblüt würde auch um keinen Preis den Dorfbarbier oder den van Bett mit einem Schnurrbart geben. Uebrigens war die Rolle gewandt gespielt und gut gesungen, was auch Herrn Schittenhelm’sJoseph nachzurühmen ist. Maß voll und doch sehr wirksam spielt Herr Mayerhofer den Schulmeister Rund. Fräulein Forster, ein liebenswürdiges Suschen, sang ihre erste Arie sehr hübsch und hatte den guten Geschmack, die zweite „alla Polacca“ wegzulassen. Die ganze Vorstellung war musikalisch vollkommen und erweckte von Anfang bis zu Ende die ungezwungenste Heiterkeit. Man hörte wieder einmal von Herzen lachen — ein Vergnügen, dessen unsere imposanten Operetten uns allmälig ent wöhnt haben.

Es fehlt uns der Raum, wol auch der Anlaß, mit gleicher Ausführlichkeit über das zweite Stück der Hofoper- Matinée vom 23. d. M. zu berichten. „Das Pensionat“, eine der beliebtesten und gelungensten Operetten von Suppé, ist der jetzigen Generation aus zahlreichen Wiederholungen bekannt. Neu war nur die Aufführung im Hofoperntheater. Wenn wir als die Darsteller der beiden Hauptrollen Fräu lein Renard und Herrn Schrödter nennen, so ist damit schon gesagt, daß jugendliche Frische, Geist und Anmuth die Vorstellung belebten. Gelungene komische Figuren schufen Frau Ida Baier und Herr Felix. Unter den Zöglingen machten die Damen Forster, Kaulich und Standt hartner sich vortheilhaft bemerkbar. Es wurde durchwegs lebhaft und natürlich gespielt. Das ganze Mädchen-Pensionat glich einer lebendigen Volière von jungen, zierlichen, über müthig zwitschernden Singvögeln. Wie flogen sie auseinander, als plötzlich der einzige Herr in der Comödie wie ein heim tückischer Marder unter sie eindrang! Aber bald haben sie in dem gefährlichen Marder Herrn Schrödter erkannt, und wer könnte Herrn Schrödter gram sein! Fünf Rendez vous hatte er in drei Minuten beisammen.