Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9169. Wien, Dienstag, den 4. März 1890 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9169. Wien, Dienstag, den 4. März 1890 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 04.03.1890
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Concerte.

Ed. H. Ein wahres Buß- und Fastenprogramm das des letzten Gesellschaftsconcertes! Zu Anfang heißt uns Mendelssohn den Gott der Juden anflehen um Segen für das Haus Israel und das Haus Aaron, dann zer schmettern uns in BrahmsParzenlied“ die grausamen Götter der Heiden, zuletzt wird uns in Bach’s Motette Komm’ Jesu, komm’“ das protestantische Lieblingsthema, das Vergnügen am Sterben, eingeprägt und die Sehnsucht, aus dieser Sündenwelt so bald als möglich fortzukommen. Nach diesen drei unmittelbar auf einander folgenden Chor werken waren die Gemüther der Zuhörer so erweicht und zerschlagen, daß Einige auf der Stelle beichten gehen wollten, Andere wieder nach irgend einem Begräbniß ausspähten, dem sie als Leidtragende auf den Kirchhof folgen könnten. Jedes dieser drei Meisterwerke für sich würde man andächtig und dankbar aufgenommen haben, ihre ununterbrochene Reihenfolge brachte aber eine solche Summe niederdrückender Empfindungen zuwege, daß uns gar fromm und elend zu Muth wurde. Für den Concertsaal heißt es nicht blos: die rechten Werke finden, sondern auch ihnen den rechten Platz bereiten. Mendelssohn’s115. Psalm war seltsamerweise in Wien nie zuvor aufgeführt. Zwischen einem kräftigen, lebhaft figurirten Eingangschor und einem mächtigen Schlußchor, welcher das erste Thema in veränderter Tactart wieder aufnimmt, hören wir ein Duett und ein Arioso für Bariton — wohlklingende, doch etwas weichliche Gesänge. An musikalischer Kunst steht dieser Psalm hinter den übrigen des Meisters kaum zurück, wol aber an Originalität und Frische der Farben. Die so oft gehörten Mendelssohn’schen Melodien- und Harmoniefolgen klingen heute den Hörern schon allzu bekannt, auch erweckt der Text nicht so lebhafte Theilnahme, wie die übrigen von Mendelssohn componirten Psalmen. So ließ denn das Stück im Ganzen kühl, und nur das von Herrn Grienauer mit klangvoller Stimme vor getragene Es-dur-Arioso fand stärkeren Anklang. Brahms Gesang der Parzen“ bewundern wir als ein Kunstwerk von großartiger Conception und einschneidender Gewalt des Aus

drucks. Vollkommen verständlich wird es einem größeren Publicum selten, geschweige denn sympathisch. Das Gedicht will in Musik nicht rein aufgehen und blickt uns, aus dem Goethe’schen Drama herausgerissen, mit den räthselhaft drohenden Augen einer Sphinx an. Bach’s zweichörige Motette „Komm’ Jesu, komm’“ (mit dem Choral am Ende) bietet dem Musiker ein unerschöpfliches Studium und den von keiner Begleitung unterstützten Sängern eine dreifache Feuerprobe für die reine Intonation, den präcisen Einsatz und die Kehlenfertigkeit. Ganz anders als im Concertsaale müßte die Motette in der Kirche wirken, wo eine zerknirschte Gemeinde in dem wonnevollen Gedanken an ein baldiges Ableben über einstimmt. Als Gegensatz zu dem vielgetadelten „Leben und Lebenlassen“ unserer katholischen Componisten könnte man über Bach’s Kirchenmusiken das Motto setzen: Sterben und Sterbenlassen. Die Motette „Komm’ Jesu“ gehört zu den bewundernswürdigsten Meisterstücken harmonischer und contra punktischer Kunst. Eine glücklichere Wahl wäre jedoch Bach’s Kirchencantate „Du wahrer Gott und David’s Sohn“ gewesen, jene herrliche, jedes Gemüth ergreifende Tondichtung, welche wir in Wien nur in der sehr unge nügenden Production eines andern Vereins kennen gelernt haben. Beethoven’sRuinen von Athen“ beschlossen das Concert. Dieses Gelegenheits-Festspiel enthält bekanntlich zwei herrliche Nummern: den Derwisch-Chor und den Fest marsch; wir hören sie lieber allein, als in minderwerthiger Nachbarschaft und als Bestandtheile eines Ganzen, das uns ja stofflich kaum mehr interessiren kann.

Das Quartett Rosé hat uns in seiner letzten Pro duction mit einer ganz merkwürdigen Novität überrascht: einer alten Composition von Brahms, die doch ganz und gar eine neue geworden. Ich meine das Claviertrio op. 8, das den Componisten nun an die dreißig Jahre lang wie ein boshafter Kobold verfolgte, ihm zuraunend: Lieber Papa, du hättest was Besseres aus mir machen können! Das Publi cum war niemals so schlecht darauf zu sprechen, wie Brahms selbst; es hat das Trio bei der ersten Aufführung durch Door (1870) außerordentlich warm aufgenommen. „Brahms,“ so schrieb ich nach jener Première, „hat seither sein Talent geklärt, seine Kunst verfeinert, vielleicht urtheilt er jetzt selbst strenge über dieses Product unausgereifter Künstlerschaft — es bleibt trotzdem ein lebensvolles, durch und durch poetisches

Tonwerk.“ Es steckte eben Jugend darin, und Jugend ist ein schönes Ding. Nun hat Brahms, den Inspirationen seiner Jünglingszeit liebevoll anhängend und doch gleichzeitig ge ärgert von deren technischen Mängeln, das Trio mit Bei behalt der Themen so vollständig umgearbeitet, daß es als ein einheitliches neues Werk dasteht. Auch das schärfste Auge wird keine Spur von Flickarbeit daran bemerken. Nach dem der erste Satz sein leuchtendes Hauptthema hinge stellt, bringt er ein ganz neues Seitenthema, breitet sich in großartiger Durchführung aus und nimmt erst in den allerletzten Tacten den Rückweg zum Original. Das Fugato, von dem ich damals sagte, es wirke wie ein lateinisches Schulcitat in einem Liebesgedicht, ist verschwun den, und manche leere Stelle dazu. Am wenigsten Ver änderung hat das Scherzo erfahren, dessen einheitlicher knapper Bau einer Nachhilfe nicht bedurfte. Doch auch hier über rascht uns ein neuer Schluß von glänzenderer Wirkung. Vom Adagio sind nur die ersten Tacte geblieben, nichts weiter. Das ursprüngliche zweite Thema, das an Schubert’s „Am Meere“ erinnerte, hat einem andern Motiv Platz gemacht; kein Allegro unterbricht mehr den edlen Fluß dieses Satzes, der nun ebenso weihevoll schließt, als er angefangen. Das Finale hat ein ganz neues, energisches Seitenthema in D-dur erhalten, von dessen Eintritt alles Folgende neu erfunden ist bis zum Schluß. Wie viel Feuer und Leidenschaft braust jetzt in diesem Finale! Von den kleinen Details, die Brahms geändert oder zugefügt hat, kann hier nicht erzählt werden; sie sind für den Musiker kaum minder interessant, als die Neubildungen im Großen. Junge Com ponisten mögen eine Vergleichung des Original-Trios op. 8 mit der neuen Redaction nicht versäumen. Man lernt daraus, wie ein Meister niemals aufhört, zu lernen. Das Trio hat außerordentlichen Beifall gefunden. Brahms, der den Clavierpart entzückend spielte, wurde bei seinem Erscheinen stürmisch begrüßt. Noch sei die treffliche Aufführung von Mendelssohn’sOctett erwähnt, worin der Rosé’sche Quartettverein mit dem Kreuzinger’schen zusammenwirkte. Wie haben wir uns wieder an diesem jugendfrischen, dabei so klaren und formvollendeten Werk er freut, dessen erster Satz mit seinem weitausgreifenden präch tigen Thema zu Mendelssohn’s genialsten Eingebungen ge hört. Und das hat ein Zwanzigjähriger gemacht! Das

Rosé’sche Quartett darf den Abend zu seinen erfolgreichsten zählen. Es folgt nur einem allgemein geäußerten Wunsche, indem es noch eine Extra-Production für den 20. März an kündigt, in welcher nur Beethoven’sche Compositionen, dar unter das unverwüstliche Septett, zur Aufführung kommen.

Das sechste Philharmonische Concert brachte uns eine Wiederholung von BrahmsC-moll-Symphonie, dieser großartigen, von tragischer Leidenschaft erglühenden Tondichtung, deren mächtige Wirkung nur durch ihre Länge, insbesondere der Coda des letzten Satzes abgeschwächt wird. Außerdem erschien als Novität ein „Variirtes Originalthemavon Johann Hager. Das Originalthema ist so dürftig, daß die Variationen, um dafür zu entschädigen, ganz außer ordentlich interessant sein müßten. Sie sind es aber gar nicht. Große Wirkung machte hingegen eine zweite Novität, Sme tana’s symphonische Dichtung „Vltava“. So nennt sie der Anschlagzettel. Ich hatte geglaubt, daß wir in Wien noch Deutsch sprechen und hier Niemand verpflichtet sei, zu wissen, daß „Vltava“ die Moldau bedeutet. Wahrscheinlich war Hof capellmeister Richter gleich vielen seiner Zuhörer der Mei nung, „Vltava“ sei der Name irgend eines unbekannten großen Helden czechischer Nation. Die erste Schuld trifft den Musik verleger, der auf der Partitur zwar den Gesammttitel und sogar alle Vortragsbezeichnungen in deutscher Uebersetzung beifügt, nur die für das Verständniß entscheidende Aufschrift „Vltavanicht. Und doch wollen die Czechen Smetana’s Werke auch in ganz Deutschland verbreitet wissen. Warum also auf dem Titelblatte den Namen „Moldau“ verschweigen, den ebenso viele Millionen Menschen kennen, als etwa Hunderte das Wort „Vltava“. Mit solchen „patriotischen“ Kindereien haben czechische Verleger ihren Musik-Heroen schon mehr, als sie glauben, geschadet. Das von den Philharmonikern gespielte Stück ist die zweite von sechs Symphonischen Dichtungen, welche Smetana unter dem Ge sammttitel „Mein Vaterland“ veröffentlicht hat. Ihre Auf schriften lauten: 1. Wyschehrad. 2. Die Moldau. 3. Scharka (Name der Amazonen-Führerin und eines Thales bei Prag). 4. Aus Böhmens Flur und Hain. 5. Tabor 6. Blanik. Die Composition selbst ist das Werk eines echten und glänzenden Talentes. In erster Linie Natur

schilderung, gehört sie zu jenen Programm-Musiken, welche im Grunde keiner gedruckten Gebrauchsanweisung bedürfen und nirgends über die Grenzen des musikalisch Verständlichen oder Zulässigen hinausgehen. Von Liszt’s Symphonischen Dichtungen angeregt und beeinflußt, ist Smetana’s „Moldaudoch viel einheitlicher gedacht und natürlicher entwickelt. Ein Hauptgedanke, Eine Grundstimmung, beinahe Eine Be gleitungsfigur beherrscht das ganze Stück. Der Anfang ist reizend. Wir stehen am Ursprung der Moldau, die im Böhmerwald aus zwei Quellen entspringt. Eine einzelne Flöte meldet sich mit einer raschen, schüchternen Wellenfigur; versprengte Pizzicato-Töne der Geige und Harfe blitzen wie Sonnenstrahlen darein. Das Wässerchen schwillt an: zwei Flöten bringen das Wellenmotiv in Sexten, die Clarinetten in Terzen, endlich nimmt auch das Streichquartett es auf. Auf dieser gleichmäßig auf- und niederwogenden Begleitung erhebt sich in den Holzbläsern das eigentliche Thema, eine volksthümliche, ruhige Liedweise in E-moll. Da ertönen Waldhörner; eine Jagd zieht vorüber, während die Wellen begleitung unter glitzernden Triangelklängen ruhig weiter fluthet. Allmälig verhallen die Hörner, die Jagd ent fernt sich; ihr folgt, zwischen Marsch und Polka schwebend, eine ländliche Hochzeitsmusik. Nach dem Verschwinden der Bauernhochzeit taucht die wogende Begleitungsfigur wieder auf, diesmal blos in den Flöten und Clarinetten. Die Geigen, mit Sordinen, führen dazu eine sanfte, getragene Melodie, deren Abschnitte kurze Harfen-Arpeggien markiren. „Mondschein, Nymphenreigen“ heißt es in der Partitur — ein gleichmäßig die Malerei wie die Poesie strei fender Vorwurf, der hier mit echt musikalischen Mitteln rei zend ausgeführt ist. Allmälig beschleunigt sich der Wogentanz, immer lauter und wilder schäumen die Wässer: wir sind in die „St. Johannis-Stromschnellen“ gerathen. Das ganze Orchester mit Becken und großer Trommel geräth in Auf ruhr und vollführt ein patriotisch übertreibendes Getöse, das den Moldau-Wirbel für einen zweiten Niagarafall ausgeben möchte. Durch die Stromschnellen gelangen wir in die brei teste Strömung des Moldauflusses, der nun majestätisch am Fuße des Wyschehrad dahinfließt. Das erste Thema ertönt

nun in hellem E-dur, die Begleitungsfigur wird ruhiger, mächtiger, und das Ganze schließt in stolzer, vielleicht nur zu lärmender Pracht. Smetana’s „Moldau“ wurde von den Philharmonikern mit vollendeter Virtuosität gespielt und vom Publicum überaus günstig aufgenommen. Es ist ein schön gedachtes, einheitlich und doch ohne Monotonie durchgeführtes Stück, das ein originelles Talent und in der Instrumen tirung einen der eminentesten Schüler Liszt’s und Berliozverräth. Auf einen tiefen musikalischen Ideengehalt, auf polyphone und contrapunktische Kunst in Verarbeitung der Motive macht es keinen Anspruch; es wirkt durch liedmäßige (nicht „unendliche“) Melodie, durch klare, symmetrische Form und reizvollen Klang. Als Naturschilderung hat Smetana’s Moldau“ den Vorzug, der Phantasie nur ganz typische Bilder vorzuzaubern, die keines detaillirten Programms be dürfen und den Componisten nirgends zu geschmackloser Grenzüberschreitung nöthigen.

Friedrich Smetana ist 1824 in Leitomischl geboren. Er leitete anfangs eine Musikschule in Prag, folgte dann einem Ruf nach Gothenburg in Schweden als Musikdirector, kehrte nach zehn Jahren in seine Heimat zurück und übernahm daselbst 1866 die Capellmeisterstelle am czechischen National- Theater. Er hatte das Unglück, die letzten zehn Jahre seines Lebens in vollständiger Taubheit zu verbringen und schließlich in Wahnsinn zu verfallen. Smetana ist 1884 im Prager Irrenhause gestorben. Näheres über seine Werke und die aller übrigen großen und kleinen Sterne des Prager Musik himmels erfahren wir aus einer bei Urbanek in Prag er schienenen Broschüre: „Ein Vierteljahrhundert böhmischer Musik.“ Verfasser derselben ist der geschätzte Prager Musik-Kritiker Emanuel Chvala. Nachdem derselbe mit liebenswürdiger Aufrichtigkeit selbst gesteht, daß „unter dem Eindruck der frischen Thaten ein oder das an dere Ergebniß überschätzt werden konnte“, so erscheint es rathsam, Chvala’s enthusiastische Urtheile wie den Part einer S-Clarinette, nämlich um einen ganzen Ton tiefer, zu lesen. Chvala datirt die böhmische Musik erst „von dem raschen Aufblühen des nationalen Geistes nach dem Erscheinen des October-Diploms“. Nach dieser, aber auch nur dieser

Zeitrechnung darf er allerdings Smetana den „erstenböh mischen Tonkünstler und Begründer der böhmischen Musik“ nennen. Ein Bewunderer von Smetana’s Symphonischen Dichtungen, stellt Chvala doch zuhöchst dessen Opern und bezeichnet überhaupt die dramatische Musik als dasjenige Gebiet, in welchem seine Landsleute „auf der Höhe der zeit genössischen Kunst“ stehen. Meinestheils finde ich die besten Erzeugnisse der czechischen Musik weit mehr in der Instru mental-Musik, als in der Oper. Allerdings verrathen zwei kleinere komische Opern aus Smetana’s früherer Zeit — Der Kuß“ und „Die verkaufte Braut“ — ein echtes, melo diöses und charakteristisches Talent, das sich glücklich mit dem Geist der Volksweisen befruchtet hat. In diesen Singspielen war Smetana noch naiv, melodiös und national. Sie entzücken heute noch die czechische Bevölkerung Prags. Auf fremden Bühnen dürften sie aber ebenso wenig heimisch werden, als Dvořak’s in ähnlichem Styl gehaltene komische Singspiele „Der Bauer als Schelm“ und „Dick schädel“. Später hat Smetana als Operncomponist Richard Wagner nachgestrebt. In seiner großen tragischen Oper Libussa“ (die ich in Prag gehört) vermißte ich die frühere Naivetät und Natürlichkeit Smetana’s und fand ihn, seiner besten Eigenart beraubt, als Adepten des spätwagnerischen Styls. Die gerühmten dramatischen und declamatorischen Feinheiten in der „Libussa“ vermag natürlich nur ein ge nauer Kenner des czechischen Idioms zu würdigen; rein musikalisch machte mir die Oper, wie alle Wagner-Nachbil dungen, den Eindruck des Ungesunden, Ergrübelten und peinlich Ermüdenden. Sie reicht, meines Erachtens, an Smetana’s „Moldau“, an sein Streichquartett und seine Lustspiel-Ouvertüre“ ebensowenig hinan, als Dvořak’s große Opern „Dmitri“ und „Jakobin“, an dessen Orchester- und Kammer-Compositionen. Aus Smetana und Dvořak können unsere Philharmoniker noch manches sehr wirksame und interessante Stück für ihr Repertoire gewinnen. In Bezug auf die Titel wünschen wir dann nicht schlechter behandelt zu sein, als die Ober-Landesgerichtsräthe in Prag, die nach dem neuesten Ausgleich auch nicht mehr alle Czechisch zu ver stehen brauchen.