Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9193. Wien, Freitag, den 28. März 1890 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9193. Wien, Freitag, den 28. März 1890 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28.03.1890
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Concerte.

Ed. H. Karl Goldmark hat im Laufe von drei Monaten zwei große Erfolge errungen: zuerst mit seiner Frühlings-Ouvertüre“ und jetzt mit der „Ouvertüre zum Gefesselten Prometheus des Aeschylos“. Letztere wurde im Philharmonischen Concert unübertrefflich gespielt und mit lautem, einstimmigem Beifall aufgenommen. Die Ouvertüre, eine der besten, reifsten Compositionen Gold mark’s, reizt nicht blos durch die heiße Energie des Aus drucks, sie hat auch musikalischen Gehalt und über sichtliche Form. Es geht darin wirklich etwas vor, in musikalischem Sinn, nicht in dem mißverständlichen einer dramatischen Nachmalerei. Die Ouvertüre beginnt wie feierliche Meeresstille mit einem Adagio in C-moll; dasselbe drängt allmälig zu der heftigeren Bewegung, die in dem Allegro-Satz (gleichfalls C-moll) in vollen Fluß geräth. Auf das trotzige, scharf markirte Hauptthema folgt ein zweites in C-dur von auffallend sanftem, fast idyllischem Ausdruck; eine einzelne Oboë, dann eine Clarinette intonirt diese, von leisen Accorden getragene Melodie. Mancher soll Anstoß ge nommen haben an dem friedlichen Ton dieses Seiten motivs. Ob es die Erinnerung an früheres Glück oder die Hoffnung auf Erlösung andeute, überlasse ich den Auslegekünstlern. Mir aber scheint es geradezu Verdienst des Componisten, daß er die Folterqualen des angeschmiedeten Prometheus vorübergehend unterbricht und beschwichtigt, ihn und uns gleichsam Athem schöpfen läßt. Dieser Contrast war musikalisch nothwendig; in einem Orchesterstück verlangen wir zuerst Musik und dann erst Tra gödie, so weit sie in ersterer lösbar ist. Bald bricht die Energie des ersten Themas wieder hervor und steigert sich zu stürmischer Empörung. Man bemerke die von vier Posaunen durch eine Octave chromatisch heraufgeführten verminderten Septimen-Accorde. Ein von allen Streichinstrumenten in stärkstem Fortissimo ausgeführtes anhaltendes Tremolo — der Höhepunkt der tragischen Situation — schwächt sich all mälig ab; immer langsamer und leiser nähert sich das Ende: ein ruhiges Ausathmen auf einem langen, verhallenden C-dur-

Accord. Die Prometheus-Ouvertüre bedeutet eine weitere be wußte Klärung von Goldmark’s starkem, aber turbulentem Talent; erfreuliche Anzeichen waren schon in der „Frühlings- Ouvertüre“, sowie in den neuesten Liedern wahrzunehmen, welche von dem declamatorischen Princip der modernen Liederkunft sehr merklich wieder zum Melodischen einlenken. Man weiß, daß Goldmark vorzugsweise tragische Stoffe, leidenschaftliches, unversöhntes Ringen liebt und daß er im Ausdruck dieser Liebe nicht schüchtern ist. Ich konnte mich deßhalb einiger Besorgniß nicht erwehren, als Goldmark sich gerade den „gefesselten Prometheus“ aus suchte. Wird der scheußliche Geier, der an PrometheusLeber hackt, sich nicht zugleich in unsere Ohren verbeißen? Wird nicht statt des Helden unversehens sein Bruder Epi metheus auftauchen und aus der berüchtigten Büchse der Pandora Alles auffliegen machen, was die Musik an bösen Stechfliegen besitzt? Nichts von alledem ist geschehen. Trotz der einschneidenden, im Feuer des stärksten Orchesters heiß geglühten Tragik dieser Composition habe ich geradezu Ab stoßendes, Häßliches nicht darin bemerkt. Mit reinen Drei klängen läßt sich freilich ein Prometheus ebensowenig machen, wie eine Revolution mit Rosenwasser. Aber Goldmark’s Verdienst ist es, daß er sich nicht in kleinlich ausmalendes Detail verloren, sondern stets das große Ganze im Auge behalten und aus seinem gefährlichen Stoffe ein musikalisches Kunstwerk geschaffen hat. Um vollkommen zu verstehen, was mit diesen Worten gemeint ist, brauchte man im Philharmo nischen Concert nur noch ein Weilchen nach Goldmark’s Ouvertüre sitzen zu bleiben und sich die „Dante-Symphonievon Liszt anzuhören. Wo die Nothwendigkeit steckte, diese Großthat einer ausartenden Impotenz neuerdings vorzuführen, obendrein wenige Tage nach dem „Fegefeuer“ des Berlioz’schen Requiems, ist schwer zu enträthseln. Um meinen ganz indi viduellen Eindruck zu schildern: es ist mir diese Liszt’sche Hölle“ wieder genau so komisch vorgekommen, wie vor zehn Jahren. Kann wirklich Jemand ernsthaft bleiben, wenn gleich anfangs nach je acht Tacten sich die satanischen Schläge von Becken und Tantam entladen, oder wenn die Fagotte mit der auf ihren allertiefsten Tönen trillernden Clarinette die Stelle zu meckern beginnen, welche die Partitur (S. 89) für „lästerndes Hohngelächter“ erklärt? Liszt’s „Hölle“, in welcher der Programmverfasser Richard Pohl mit unbewuß

ter Satire „chimärenartige Accente einer wüthenden Ohnmacht“ erblickt, läßt man sich übrigens noch immer lieber gefallen, als sein „Fegefeuer“. Es ist wenigstens Leben darin und einiger Spaß. Die Schrecken dieser Hölle ver schwinden gegen die trübselige Langweile des Liszt’schen Fegefeuers. Es dauert unendlich lange, bis uns Liszt end lich doch in das „Paradies“ hineinsehen und die gereinigten Seelen auf symbolischer Leiter, nämlich (nach Pohl) „in mächtiger, palestrinischer, sozusagen dogmatischer Scalazum Himmel aufsteigen läßt. Wenn es im Himmel wirklich so langweilig sein sollte, dann wird der frömmste Christ gern auf der „dogmatischen“ oder irgend einer anderen Leiter wieder herabzusteigen versuchen.

Vor der Liszt’schen Symphonie spielte Frau Hopekirk mit den Herren Rosé und Kukula ein Concert für Cla vier, Violine und Flöte von S. Bach. Trotz der guten Ausführung vermochte das Stück nicht sehr anzusprechen. Schon das erste Allegro — ein erweitertes Präludium, in welchem sich ohne Pause und ohne contrastirende Gegen sätze unablässig dieselben Figuren abrollen — ermüdete durch seine lange Ausdehnung. Weder hier noch in dem fugirten Finale vermag die äußerste contrapunktische und harmonische Kunst viel auszurichten gegen den Druck der Monotonie. Das von den drei Solo-Instrumenten ohne Orchester aus geführte Adagio klingt sehr leer, weil dem Clavierpart zwi schen der hochliegenden Melodie und dem durchaus ein stimmig fortschreitenden Baß die harmonisch füllende Mitte fehlt. In der Ausgabe der Bach-Gesellschaft fehlt allerdings jede Bezifferung über dem Baß, trotzdem ist es schwer zu glauben, daß hier das Clavier nicht zugleich die Aufgabe des Generalbaß-Instruments zu übernehmen hätte. Für die herrlich ausgeführte Manfred-Ouvertüre von Schu mann verdient Hofcapellmeister Richter einen besonderen Dank. Sie war die Krone des ganzen Concerts.

Unter den Concertgebern der letzten Woche haben sich die Pianistin Fräulein Marie Prentner und der Violin- Virtuose Fritz Kreisler besonders hervorgethan. Fräulein Prentner, die wir bei ihrem ersten Auftreten als ein bedeu tendes, vielversprechendes Talent begrüßt haben, ist nach einer längeren, zu erfolgreichem Studium verwendeten Pause wieder vor das Publicum getreten. In dem Vortrag Liszt’scher und Rubinstein’scher Stücke entfaltete Fräulein

Prentner eine weit vorgeschrittene Technik. Darauf legen wir jedoch weniger Gewicht, als auf die selteneren Vorzüge einer eminent musikalischen Auffassung und Empfindung. Und diese Eigenschaften der hochgebildeten jungen Dame adeln jede ihrer Leistungen. Mit Schubert’sB-dur-Trio (in welchem die Herren Winkler und Fimpel trefflich mitwirkten), dann mit einigen weniger bekannten Stücken von Weber und Schumann hatte Fräulein Prentner eine gute Wahl und zugleich den Geschmack ihres kunstsinnigen, dankbaren Publi cums getroffen. — Herr Kreisler, ein junger Mann und noch vor Kurzem Zögling des Wiener Conservatoriums, darf heute schon ein Meister seines Instrumentes heißen. Sein reiner, süßer, freilich nicht machtvoller Ton, seine be deutende Technik und geschmackvolle Vortragsweise machten sich in dem Bruch’schen Violin-Concert, der Polonaise von Laub und in Wieniawski’sAirs russes“ auf das erfreulichste gel tend. — Bei dichtgefülltem Saal und unter stürmischem Beifall gaben die Herren Rosé, Loh, Bachrich und Hummer einen außerordentlichen „Beethoven-Abend“. Das Rosé’sche Quartett nimmt unter den Wiener Quartettvereinen un streitig den ersten Rang ein; es hat denselben in seinen diesjährigen Productionen fester als je behauptet und ein außerordentlich zahlreiches Publicum nicht blos angelockt, sondern ständig erhalten. An dem Erfolg des Beethoven- Abends hatte auch die Pianistin Fräulein Olga Segel reichlichen Antheil. Das Publicum im Großen und Ganzen hat die pikante, zarte Russin stets geliebt, nun ist dies auch einem Einzelnen, und zwar so nachdrücklich widerfahren, daß Olga Segel als Fräulein zum letztenmal gespielt hat. Ob für immer zum letztenmal? Das ist kaum zu besorgen; sangen doch die meisten Virtuosinnen erst recht zu concertiren an, wenn sie verheiratet sind.

Einen interessanten, nur etwas zu langen Concert-Abend bereitete uns das Preisgericht der Wiener Beethoven- Stiftung. Diese aus dem Jubiläumsjahr 1870 stammende und von der Gesellschaft der Musikfreunde verwaltete Stiftung ertheilt jedes Jahr einen Preis von 500 fl. für die beste eingesendete Composition eines am Wiener Conservatorium ausgebildeten Musikers. Bisher haben den Beethoven-Preis erhalten: Hugo Reinhold für seine Suite op. 7, Robert Fuchs für sein Clavierconcert und ein zweitesmal für die C-dur-Symphonie, endlich Victor Herzfeld für

die Musik zu „Traum ein Leben“. Nachdem im Jahre 1887 keine völlig entsprechende Composition vorlag, sind jetzt zwei Preise ertheilt worden, und zwar an Julius Zellner und Emanuel Tjuka. Als diesen zunächst stehend und „preiswürdig“ wurde ein Sextett von Ludwig Thuille (in München) proclamirt. Eine sehr lobenswerthe und meines Wissens neue Einführung ist es, daß unseren Siegern im musikalischen Wettkampf nicht blos ihr Geld ausbezahlt, sondern auch ihre Compositionen aufgeführt wer den. Herrn Julius Zellner brauchen wir unseren Lesern nicht erst vorzustellen; er ist ihnen seit Jahren als ein tüchtiger, seine Kunst ernst und gründlich betreibender Componist bekannt. Als solcher hat er sich in seinem neuen Clavier-Quintett (D-dur) bewährt, das mit aufrichtigem Wohlgefallen, wenngleich ohne besondere Aufregung ange hört wurde. Neu war uns Herr Thuille, dem wir es zum Verdienst anrechnen, das ehedem so beliebte, jetzt beinahe verschollene Zusammenwirken von Blasinstrumenten wieder benützt zu haben. Die Instrumente seines B-dur- Sextetts (op. 6) sind: Flöte, Oboë, Clarinette, Horn, Fagott und Clavier. Die beiden ersten Sätze, die daraus ge spielt wurden, haben zwar nicht durch Originalität über rascht, wol aber durch ihre anmuthige Klarheit sehr freundlich angesprochen. Die „Gavotte“ mußte wiederholt werden. Im Gegensatz zu diesen beiden Preisconcurrenten hat Herr Tjuka (Doctor der Rechte und Notariats-Candidat in Wien) sich in seiner sechssätzigen „Suite für Streichorchestermehr dem älteren Styl genähert. Das Präludium wie das fugirte Finale verrathen den Einfluß Seb. Bach’s, Andante und Menuett jenen Haydn’s. Die Suite ist ein durchaus respectables Werk, ja eine Art Merkwürdigkeit in unserer Zeit, wo die jüngsten Conservatoristen schon wagnerischer als Wagner componiren. Wenn Herr Tjuka künftig darauf be dacht sein wollte, nicht blos durch strenge contrapunktische Verarbeitung, sondern auch durch den Reiz der Themen selbst zu wirken, ferner das allzu lange, monotone Fortspinnen der selben Figur zu vermeiden, dann dürfen wir uns auf seine nächsten Arbeiten freuen. Etwas Schales, Leichtfertiges wird er schwerlich bringen.

Zwei unserer vornehmsten Chorvereine, der „Wiener Männergesang-Verein“ und der „Schubertbund“, haben nach einander ihr getreues Stammpublicum im großen

Musikvereinssaal versammelt. Das Programm des erstge nannten Vereins bot nicht viel Hervorragendes. Anerkennens werth ist die Pietät, mit welcher der Männergesang-Verein — leider nur dieser — das Andenken des kürzlich ver storbenen Franz Lachner feierte, der trotz seiner vieljährigen Wiener Thätigkeit und seiner Freundschaft mit Schubert hier gänzlich vergessen scheint. Der Lachner’sche Chor selbst („Kriegsgesang“) erhebt sich freilich nicht hoch über die Mehr zahl jener gesungenen Herausforderungen, deren „Blutdurst“ sich im Stoff geirrt zu haben scheint. Ein Männerchor von Adolph Kirchl: „Es muß ein Wunderbares sein“, hat durch seinen schönen, vollen Klang die Zuhörer gewonnen. Sonderbar wirkt es immerhin, wenn über hundert bärtige Männer mit aller Kraft ihrer Lungen unaufhörlich wiederholen: Es muß ein Wunderbares sein, es muß ein Wunderbares sein — um’s Lieben zweier Seelen! Das bekannte kleine Lied von Liszt — sein bestes, weil sein einfachstes — macht uns einen unvergleichlich tieferen Eindruck, als dieser Landsturm von sich wundernden Männerstimmen. Die ganze zweite Abtheilung des Concertes füllten die „Frithjof-Scenen“ von Max Bruch. Die Composition, theils vollständig, theils bruchstückweise hier wiederholt aufgeführt, hätten wir gern gegen eine interessante Novität eingetauscht. Max Bruch selber hat ja seither so viel Neues geschrieben. Seine Ge schicklichkeit in effectvollem Chorsatz kann uns doch nicht schad los halten für die marklose, schleppende Erfindung. Herr L. v. Bignio, bei der ersten Wiener Aufführung (1865) ein ausgezeichneter Frithjof, war leider diesmal heiser gewor den und hat nur aus besonderer Gefälligkeit die anstrengende Partie ausgeführt. Es versteht sich, daß das Publicum die Opferwilligkeit des geschätzten Künstlers dankend anerkannte. Fräulein Claus, eine talentvolle Schülerin des Conser vatoriums, wirkte als Ingeborg sehr erfreulich durch ihre umfangreiche, klangvolle Sopranstimme, welcher nur der letzte Schliff noch fehlt. Herr Chormeister Reim, welcher den Frithjof“ dirigirte, hat eine sehr unangenehme, übertrieben geschäftige Art, zu tactiren, welche trotzdem nicht immer die beabsichtigte Wirkung erzielt. Wir begreifen noch immer nicht recht, weßhalb man Herrn Kremser, dem langjähri gen bewährten Chormeister des Vereins, diesen zweiten Consul an die Seite gesetzt hat. Zwischen den beiden Abtheilungen spielte Herr Emil Baré das Adagio, und Finale des

Mendelssohn’schen Violin-Concertes mit reinem Ton und großer Fertigkeit, nur etwas farblos im Ausdruck.

Der „Schubertbund“ schmückte sein Programm mit sehr beifällig aufgenommenen Liedervorträgen der Frau Bertha Gutmann und zwei Violinpiecen des jungen Bachrich. Außerdem brachte er mehrere Chornovitäten, die freilich mehr gezählt als gewogen sein wollen. Ein Herr Edner hat Uhland’s Refrain „Jetzt muß sich Alles wenden“ zu einem Gedicht von vier langen Strophen ausgeweitet, welche Herr Wilhelm Sturm mit großer Emsigkeit durchcomponirte. Ein schwach concipirtes und fehlerhaft declamirtes Stück, worin die Musik den einzelnen Worten nachläuft und dar über die Stimmung des Ganzen aus den Augen verliert. Als neu war ferner angezeigt: „Meeresstille, Männer chor mit Harfenbegleitung von Franz Schubert“. Wir waren nicht wenig neugierig, eine bisher völlig unbekannte Composition Schubert’s zu hören. Das Räthsel löste sich sehr einfach. Die Dirigenten des „Schubertbund“ ließen das altbekannte Lied „Meeresstille“ vom ganzen Chor unisono singen und die Clavierbegleitung dazu von zwei Harfen arpeggiren. Gewiß eine originelle, aber kaum nach ahmenswerthe Methode, sich neuen Schubert zu verschaffen. Wohlklingend und anspruchslos ist Stoiber’sStille Nacht“. Wir sind schon so weit gebracht, daß wir uns mit diesen beiden Eigenschaften eines neuen Männerchors zufrieden geben. Keine Frage, daß die ganze Compositions-Gattung immer mehr verdorrt und im selben Maß das öffentliche Interesse daran. Für die harmlose Gemüthlichkeit von Schubert’s „Dörfchen“ fehlt uns der Enthusiasmus unserer Großeltern, und Etwas das innerhalb der Schranken unbe gleiteten Männerchors doch zugleich originell und geistig an regend wäre, wird nicht mehr geschaffen. Zu dem Besten aus neuerer Zeit gehören noch immer die Chöre von Engels berg, dessen „Wunderbrücke“ auch diesmal herzlichen Beifall fand. Zu früh ist uns dieser hochbegabte, liebenswürdige Mensch genommen worden. Er lebt fort in den Gesang vereinen und im Herzen seiner Freunde. Von allen Novi täten des „Schubertbund“ war „Mein Liedel“ von Ernst Schmid die beste. Dieser Chor hat eine hübsche, bewegte Stimmführung und ist durchaus piano gehalten — also ein weißer Rabe unter seinen Brüdern, welche in der Regel das kleinste Liedel mit großem Geschrei erledigen.