Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9279. Wien, Dienstag, den 24. Juni 1890 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9279. Wien, Dienstag, den 24. Juni 1890 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 24.06.1890
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Die Musik in Amerika. (Erste Anfänge.)

Ed. H. Amerika, heute das gelobte Land, wenn nicht der Tonkunst, doch der Tonkünstler, beginnt auch in musikalischer Beziehung ein ernsteres Interesse zu erwecken. Alljährlich wächst die Anzahl der Opernsänger und Virtuosen, die nach Amerika hinübersegeln, nicht um dort die letzte Ausbildung ihres Talents oder die höchste Weihe ihres Ruhms zu suchen, sondern um Lorbeern in Dollars umzusetzen. Aber ein Volk, das dergleichen Genüsse so hoch bezahlt, muß doch musikalische Empfänglichkeit, musikalisches Bedürfniß, wol auch Talent besitzen. Wie ist es damit bestellt? Und wie sieht es, neben der Oper, mit den Orchester-Concerten, mit den Chorvereinen, mit der Kammermusik, mit dem Musik-Unterricht aus? Seit wann kann überhaupt von Musikpflege in Amerika ge sprochen werden und welchen Gang verfolgt sie in ihren verschiedenen Zweigen? Diese Fragen beantwortet uns zum erstenmale zusammenhängend ein Buch von Dr. Frederick Louis Ritter, das soeben in zweiter vermehrter Auflage erschienen ist. Music in America“, by Dr. Fr. L. Ritter. New edition, with additions. (Newyork, Charles Scribners sons, 1890.) Der Verfasser, ein wissenschaftlich ge bildeter Musiker und Pädagoge, ist Director der Musik schule am Vassar-College und hat, wie wir aus einer Stelle seines Buches (pag. 299) beiläufig entnehmen, als Diri gent der „Harmonic Society“ in Newyork im Jahre 1867 große Oratorien, wie die Schöpfung, Elias, Messias, zur Auf führung gebracht. Noch immer mitthätig im Centrum des amerikanischen Musiklebens, hat er seit Jahren unermüdlich Material für eine Geschichte der Musik in Amerika gesam melt. Sein Buch ist ganz in dem englisch-amerikanischen Geist nüchterner Beobachtung und praktischen Urtheiles ge schrieben; es will keineswegs Reclame für Amerika machen, sondern ebenso wahrheitstreu hervorheben, was in künstleri schem Geist geleistet oder doch versucht worden ist, wie alles dasjenige rügen, was als kindisch, hohl und betrügerisch sich dem musikalischen Fortschritt entgegenstellt. Trotz der mit jedem Jahre zunehmenden Musik-Cultur in Amerika gibt es

noch manche Städte dort, welche nur eine fette Weide für musikalische Ignoranten und Abenteurer sind. Der Eine zeigt an, daß er die musikalische Composition in zehn Lectionen lehre, der Andere (irgend ein Clavierstimmer oder -Händler) verspricht, seine Schüler in vier Wochen zu guten Pianisten auszubilden. In einer Stadt nicht weit von Newyork tritt der Dirigent eines Chorvereins zugleich als Buffo auf und schildert singend mit gräßlichen Körperverrenkungen einen Seesturm und das Scheitern des Schiffes. Eine Unzahl ähnlicher Geschichten, „wie sie nur in Amerika vorkommen können“, stehe dem Verfasser, wie er sagt, zu Gebote; er hat jedoch Recht, sie für unpassend zu halten in einem ernsten historischen Werk.

Die Anfänge musikalischer Entwicklung in Amerika da tiren von der ersten Ansiedlung englischer Puritaner in Neu- England. Aus ihrem Psalmengesang, aus der rohen Form einer barbarisch gesungenen einfachen Psalmodie erwuchs die musikalische Cultur in den Vereinigten Staaten. Bekanntlich haben zur Zeit der großen Revolution in England die Puri taner Orgeln und Musikbücher zerstört. Der Psalmengesang in der schönen Bearbeitung der besten englischen Contra punktisten wurde als frivol verpönt, nur die einstimmige Melodie durfte von der Gemeinde gesungen werden. Die Erfindung neuer Weisen war verboten, das Volk schreckte vor solchem „Teufelswerk“ zurück und verlor allmälig jeg lichen Sinn für die künstlerische Bedeutung der Musik. Die Puritaner, welche 1620 in Plymouth-Rock landeten, brachten ihr eintöniges Psalmodiren und ihren Haß gegen weltliche Musik mit. Während der ersten Epoche der Colonien stand die musikalische Cultur daselbst so niedrig, wie bei den Gal liern oder Alemannen im siebenten Jahrhundert. Die ersten amerikanischen Musiklehrer waren puritanische Geistliche. Durch kirchliche Engherzigkeit verblieb die Musik in so arger Vernachlässigung, daß der Chorgesang der allereinfachsten Psalmodie zu einer Folterqual wurde für jedes gebildete Ohr. Bach und Händel wirkten mächtig in Deutschland, wäh rend in Amerika darüber gestritten wurde, ob Psalmen gesang in der Kirche mit den Worten der Bibel vereinbar sei. Beethoven war im selben Jahre geboren, als William Billings in Boston seine erste rohe Sammlung: „The New-England Psalmsingerherausgab. Dieser Billings (geboren 1764 in Boston, ge storben 1800) war seines Zeichens ein Lohgärber, der eine

Singschule besucht hatte und einiges Musiktalent in sich ver spürte. Er begann die Form der ihm am meisten zusagenden Psalm-Melodien umzumodeln und, so gut er konnte, zu har monisiren, wozu er die Innenseite seines Leders oder seiner Baumrinde als Notenpapier benützte. Billings galt für einen guten Kirchensänger, so weit damals überhaupt vom Singen die Rede sein konnte. Der Erfolg seines Gesangbuches war bedeutend und ermuthigte ihn, bald ähnliche Sammlungen folgen zu lassen, sogar eine Art primitiver Gesangschule und Compositionslehre. Bei alledem blieb er stets ein ungeschickter Harmoniker und noch ärgerer Contrapunktist. Verkrüppelt, auf einem Auge blind und auf einem Fuße hinkend, fort während aus einer großen ledernen Rocktasche Tabak schnupfend — so hat sich sein Bild seinen Zeitgenossen ein geprägt. Ein Original und so recht der Typus des „Yankee Psalmtune-teachers“ vom Ende des vorigen Jahrhunderts. Ein großes politisches Ereigniß, die amerikanische Revolution machte ihn zum patriotischen Psalmcomponisten. Billings unterlegte beliebten Kirchenmelodien politische Gelegenheitstexte, und diese patriotischen Hymnen wurden von jedem Chorverein, in jeder Familie, sowie von den Soldaten im Feldlager gesungen. Und so geschah es, daß manche seiner Gesänge, die mit dem Zeitpunkte großer politischer Aufregung zusammentrafen, wirkliche Volkslieder wurden, z. B. Chester, Columbia, Independance, Lamentation over Boston u. A. Er hat das Verdienst, nicht blos fremde Melodien „angepaßt“, sondern auch eigene erfunden zu haben, und darf als der erste amerikanische Componist bezeichnet werden: ein armseliger, aber ehrlicher Musiker. Unser Verfasser zählt eine ansehn liche Reihe strebsamer Zeitgenossen und Nachfolger Billingsauf, die für uns nur geringes Interesse haben. Jedenfalls begannen mit diesem Palmcomponisten vom Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts die ersten eigen artigen Regungen amerikanischer Musik; eine Epoche der Kindheit, aber lebenskräftig und hoffnungsvoll. Wie alle Autodidakten, so legten Billings und seine Zeitgenossen großen Werth auf dasjenige, was sie so mühsam hervorgebracht hatten, obgleich das höchst mittelmäßig war im Vergleich mit den Leistungen irgend eines wirklichen Tonsetzer. Ohne die geringste Kenntniß von dem, was Andere bereits vor ihnen und viel besser geleistet hatten, hielten sie sich in naiver Un erfahrenheit für Original-Genies und ihre Producte für un vergleichliche Meisterstücke. Von ihren Anhängern wurden

sie die Napoleons, die Washingtons, die Wellingtons der Musik geheißen. So lächerlich die Ueberschätzung dieser Autodidakten ist, sie bezeichnen doch eine Epoche in der Entwicklung der amerikanischen Musik. Sie verbreiteten im Volk die Liebe zur Musik, insbesondere das Verlangen nach neuen Melodien. Zahlreiche Singschulen und Chöre, in allen Theilen Neu-Englands emporschießend, er öffneten einen breiten Markt für Gesangbücher und Psalmen singlehrer. Der Lohgärber, der Fleischer, der Zimmermann, der Pächter, der brotlose Advocat, wenn er nur eine erträg liche Stimme und einige Uebung im Notenlesen besaß, wurde jetzt Psalmencomponist und Lehrer und hausirte von Stadt zu Stadt mit „neuen, nie zuvor gedruckten Psalmmelodien“. Wol mußten diese pfiffigen Yankees, daß ihre Zöglinge sich nach etwas leichterer Waare sehnten. Aber weltliche Musik war so gut wie unbekannt im Lande; höchstens daß einige englische Balladen, Marsch- oder Tanzweisen sich in die Salons reicher Familien eingeschlichen hatten. Billings und Consorten wußten sich zu helfen: sie zwängten diese welt lichen Melodien unter Kirchentexte, das galt dann für geist liche Musik. Eine Reaction gegen die Verweltlichung des Kirchengesanges erhob sich von Seite einiger ernsthafter Geist licher, welche auf einen würdigeren Styl drangen. Insbeson dere Professor Hubbard, ein eifriger gebildeter Musik freund, erhob sich gegen die Profanation der Kirche durch Balladen- und Tanzmelodien und verkündete in einem Essay (1807) seinen Landsleuten zum erstenmale ästhetische An sichten über Musik. Bald behauptete ein reinerer Kirchen gesang das Feld, und die Zeit der „Billingsschule“ war vorüber.

Instrumentalmusik wurde fast gar nicht gepflegt. Die Puritaner untersagten sie als unchristlich, sowol in der Kirche als in der Familie. Dieses fromme Vorurtheil schwand zuerst in Betreff der Orgel, und manche reiche amerikanische Gemeinde ließ sich ein solches Instrument aus England kommen, als die beste Unterstützung des Psalmen gesanges. In Privathäusern waren damals musikalische In strumente die größte Seltenheit. Ganz Boston, mit einer Bevölkerung von 6000 Familien, besaß zu Ende des vorigen Jahrhunderts nicht fünfzig Claviere. Die Musik hatte, selbst in den Augen der liberalsten Singlehrer, nur Werth im

Zusammenhange mit dem Gottesdienste. Trotzdem gedieh die Musikpflege, hervorgewachsen aus dem Psalmsingen, allmälig zu lebendigerer Kraft im Volke. Schon in Billings’ Chor verein hatte man mit einzelnen Chören aus Händel’s Messias und Haydn’s Schöpfung den Versuch gemacht. Nachdem die Kirche keine Gelegenheit bot zum Studium solcher Werke, wagten einzelne Gesangvereine die gelegentliche Aufführung populärer Stücke aus diesen Oratorien. Unter den Musik vereinen, die sich zu Anfang des Jahrhunderts bildeten, war einer der ersten die „Händel-Society“ des Dart mouth-College bei Boston. Von den Lehrern und Studirenden dieses einflußreichen Collegiums ausgeübt und gefördert, mußte die Musik bald in Schichten des amerikanischen Volkes eindringen, die sich lange dagegen gesträubt hatten. Die Studenten, welche das Collegium ab solvirten, brachten überallhin in ihre Heimat oder ihren neuen Berufsort die Liebe zur Musik mit und halfen dort Singvereine oder bessere Kirchenchöre organisiren. Bedeuten der noch und einflußreicher war die in Boston gegründete „Händel- and Haydn-Society“. Sie gab zu Weih nachten 1815 ihr erstes öffentliches „Oratorio“, welches aus dem ersten Theile der „Schöpfung“ und verschiedenen Chö ren und Arien von Händel bestand. (Unter „Oratorio“ ver stand man in Amerika bis zur Mitte unseres Jahrhunderts ein aus verschiedenen, meistens geistlichen Stücken zusammen gesetztes Concert.)

In Europa lag ehedem die Pflege der Musik überwie gend in den Händen der Reichen und Vornehmen, aus deren exclusiven Kreisen sie allmälig ins Volk drang und Sache des „Publicums“ wurde. In dem demokratischen Amerika, wo Alle die gleichen politischen und socialen Rechte genießen und nur der gefülltere Geldbeutel einen Unterschied macht, ist die Musik vom Volke ausgegangen und gehört dem Volke. Den ersten musikalischen Impuls gaben die Kirchen chöre und Singvereine, welche sich aus allen Classen des Volkes recrutirten, vor Allem in der reichen Hauptstadt Neu-Englands, Boston, welche in ihrer „Händel- and Haydn-Society“ zuerst eine ansehnliche Pflanz- und Pflege stätte musikalischer Bildung schuf. Deutscher Einfluß wirkte dabei wesentlich mit. Bis zum Anfange unseres Jahrhunderts bezog die amerikanische Cultur ihre musikalische Nahrung fast

ausschließlich aus englischen Quellen. Nur vereinzelt tauchte hie und da der Name eines Deutschen, Franzosen oder Ita lieners auf, der sich als Musiker in der neuen Welt durch zubringen suchte. Ein Deutscher, Hanns Gram, wurde Organist in Boston und bewirkte schon einen großen Fort schritt über Billings, insbesondere durch seine im Styl des deutschen Chorals componirten Psalmen. Derjenige Deutsche aber, der zuerst einen ganz entscheidenden Einfluß auf die Musik in Boston geübt hat, war Gottlieb Graupner. Ursprünglich Hoboist in einem hannover’schen Regiment, war er später nach London gekommen und hatte dort in Salo mon’s Orchester-Concerten unter Haydn’s Leitung gespielt. In Boston ließ er sich 1798 nieder und bildete da den Kern eines kleinen Orchesters; meistens Liebhaber, die sich jeden Samstag als „Philharmonische Gesellschaft“ vereinigten, um in ihrer bescheidenen Weise, sechzehn Mann stark, Haydn’s Symphonien zu spielen. Ihr letztes Concert gaben sie im November 1824. Graupner kaufte auch einen kleinen Musik laden, druckte Musikalien und schrieb auch eine eigene Piano forte-Schule für seine Zöglinge. Seine ganze Familie war musikalisch, seine Frau jahrelang die einzige Sängerin in ganz Boston. Hauptsächlich durch Graupner’s Bemühungen wurden die Musikfreunde Bostons bekannt mit italienischem und deutschem Musikstyl. In London, woher ja Graupner ge kommen, mußte der Fachmusiker, um Erfolg zu haben, drei verschiedene Musikrichtungen verfolgen: die italienische für die Oper, die deutsche für die Instrumentalmusik und die englische für den Kirchengesang und die Balladen. Diese Mischung nationaler Musikstyle schickte ihre Repräsentanten nach Amerika und legte hier den Grund zu einer neuen Kunstentwicklung. Für die Amerikaner — Dilettanten wie Fachmusiker — war Alles, was außer den Psalmen gesungen oder gespielt wurde, schlechtweg „europäische Musik“, ohne nähere nationale Bezeichnung. Ein Kampf um die Ober herrschaft zwischen den deutschen, englischen und italienischen Tonkünstlern entstand erst nach der Gründung der „Newyork Philharmonic society“ (1842). Da wurden aus den drei musikalischen Gruppen drei Feldlager. Die englischen Musiker hielten aus alter ererbter Gewohnheit zu sammen mit den italienischen Gesanglehrern und Opernsängern gegen den mächtig wachsenden Einfluß

des deutschen Clavierlehrers und Orchester-Musikus. Auch einige bessere französische Musiker siedelten sich an, vornehmlich in Newyork und Neworleans, sie blieben jedoch im Ganzen neutral und nahmen das Gute, soweit sie es verstanden, ohne Unterschied der Nationalität. Später bildete sich noch eine neue Gruppe: die eingeborenen Musiker; diese hätten am liebsten alle Fremden gleich aus dem Lande gejagt, leisteten aber selber so gut wie nichts.

Die „Händel- und Haydn-Gesellschaft“ in Boston erstarkte so rasch in ihren Mitteln und in der Sym pathie der Bevölkerung, daß sie im Jahre 1818 den ganzen Messias“ und bald darauf auch Haydn’s „Schöpfunggeben konnte. Die Meisterwerke Händel’s und Haydn’s bil deten die starke Säule, um welche viele Jahre lang die ganze musikalische Cultur in Amerika sich bewegt hat. Der „Mes sias“ und die „Schöpfung“ wurden in allen möglichen Formen gesungen, nur nicht in der richtigen, vielmehr in den erdenklichsten Arrangements. Sie reichten lange aus für die Heranbildung des musikalischen jungen Amerika, und es war ein Glück für letzteres, daß Händel und Haydn als die idealen Oratorien-Componisten hingestellt und anerkannt waren, an denen die künftigen Generationen sich fortzubilden hatten. Die Gründung der „Händel- und Haydn-Gesellschaft“ in Boston war ein Ereigniß von der größten und nach haltigsten Wichtigkeit für die Musik in Amerika. Die Gesell schaft beschränkte sich nicht aufs Musiciren. Sie publicirte auch musikalische Werke, welche (wie die „Bridgewater Col lection“) bald von den ländlichen Vereinen angeschafft wurden und lange Zeit deren musikalisches Stammkapital ausmachten. Diese Musikwerke haben nicht blos ein dringendes Bedürfniß befriedigt, sie bildeten auch eine gute Subsistenzquelle für die Gesellschaft, welche seit 1820 ihre Auslagen größtentheils aus dem Ertrage jener Publicationen bestritten hat. Ihre Psalmenbücher allein sollen über zwanzigtausend Dollars getragen haben. Die Gesellschaft wuchs zusehends und war um das Jahr 1825 das anerkannt beste derartige Institut in Amerika. Ihre erste wichtige Entfaltung also hat die amerikanische Musikpflege in Boston gefunden. Schließlich aber wurde Newyork, wie im Handel und Wandel, so auch in der Musik die eigentliche Hauptstadt Amerikas.