Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9280. Wien, Mittwoch, den 25. Juni 1890 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9280. Wien, Mittwoch, den 25. Juni 1890 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 25.06.1890
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Die Musik in Amerika. II. (Die Oper.)

Ed. H. Als erste Schwalben, die einen künftigen Opern frühling in Amerika anzeigten, erschienen kleine Liederspiele aus England. Die unbegrenzte Popularität, welche das erste englische Singspiel „Die Bettler-Oper“ seit seinem Erscheinen in London genoß, veranlaßte 1750 dessen erste Aufführung in Newyork. Seitdem ist durch ein volles Jahrhundert kein einziger Theater-Director oder Balladensänger nach Newyork gekommen, ohne dieses Stück aufzuführen. So hat denn die englische Oper in der eigenthümlichen Form als Lieder spiel (ballad-opera) und mit der Musik der populärsten eng lischen Componisten 75 Jahre früher als die italienische Oper in Amerika Eingang gefunden. Die beliebtesten englischen Liederspiele von der Art der „Bettler-Oper“ erschienen nun mehr auf der Newyorker Bühne. Nach Beginn dieses Jahr hunderts wurden auch einige der beliebtesten französischen Spielopern, später noch Rossini’s „Barbier“ und Weber’s Freischütz“ (1825) in englischer Sprache gegeben, unvoll ständig und mit ganz willkürlich arrangirter Musik. Im Jahre 1832 erschien zum erstenmal „Die Zauberflöte“, gleichfalls englisch und „arrangirt“ von dem unermüdlichen Mr. Horn. Ein deutscher Bericht aus dem Jahre 1828 führt aus, daß eine richtige Opernaufführung in Newyork schon wegen der geradezu unbeschreiblichen Schlechtigkeit und Unvollständigkeit der Orchester unmöglich sei. Das wichtigste Instrument in diesen Orchestern sei überall die Posaune, welche stets die Violoncell-Partie mitbläst, manchmal auch, falls der Bläser geschickt ist, eine Violin-Passage. Immerhin haben diese eng lischen Sänger zuerst den Geschmack für Gesang in Amerika erweckt, und ihre Singspiele, halb gesungen, halb gesprochen, haben für die italienische Oper, in welcher nur der Gesang herrscht, den Weg gebahnt. Im Jahre 1825 erschien Gar cia mit einer guten Truppe in Newyork und gab den Amerikanern zuerst eine Probe italienischer Opernmusik. Ita lienische Musiker und Literaten hatten bereits zu Anfang

des Jahrhunderts, in Folge politischer und finanzieller Mißgeschicke, Zuflucht in Newyork gesucht. Unter ihnen finden wir zwei bekannte und angesehene Namen: Filippo Trajetta und Lorenzo da Ponte. Beide Männer waren durch höchst romanhafte Wechselfälle nach Amerika verschlagen worden. Filippo Trajetta, geboren 1776 in Venedig, war der Sohn des berühmten Operncomponisten Tomaso Trajetta (oder Traëtta). Er hatte eine gute Er ziehung genossen und zuletzt unter Picinni studirt. Zur Zeit der französischen Revolution trat er in die patriotische ita lienische Armee, wurde von den Royalisten gefangen, verlebte acht Monate in einem schrecklichen Kerkerthurm und entkam endlich an Bord eines amerikanischen Schiffes. Er ließ sich zuerst als Gesanglehrer in Boston nieder, kam später nach Newyork, wurde Theater-Director in den südlichen Staaten und starb endlich im Jahre 1854 in Philadelphia. Trajetta, thätig und einflußreich als Componist wie als Gesanglehrer, sollte auch auf da Ponte’s Einladung für die Operntruppe Garcia’s in Newyork arbeiten; als er daselbst eintraf, war aber Garcia’s Gesellschaft schon aufgelöst. Den noch viel bewegteren Lebenslauf da Ponte’s, des Librettisten von Mozart’s „Don Juan“ und „Figaro“, haben wir gelegentlich des Don Juan-Jubiläums ausführlich in diesen Blättern erzählt. Da Ponte, der im Jahre 1838 hochbetagt in Newyork ge storben ist, hat mit L. Trajetta und Garcia zuerst für die italienische Oper in Amerika den Boden bereitet. Den ersten Versuch machte, wie gesagt, Manuel Garcia im Jahre 1825. Rossini’s „Barbier von Sevilla“, als Eröffnungs oper, war fast gänzlich von der Familie Garcia dargestellt. Vater Garcia sang den Almaviva, sein Sohn Manuel (der später berühmte Gesanglehrer) den Figaro, seine Tochter Maria (Malibran) die Rosina, Mama Garcia die Bertha. Das Publicum war entzückt, die Kritik nicht minder. Die nächsten Abende brachten „Don Giovanni“, „Otello“, Semiramide“, „Il Turco in Italia“ und zwei Opern von Garcia’s Composition — im Ganzen 79 Vorstellungen. Trotz des anfangs so günstigen Erfolges konnte Garcia seine Gesellschaft nicht länger zusammenhalten und schloß im September 1826 seine Vorstellungen. Er ging nach Mexico, Maria, welche Herrn Malibran heiratete, blieb in Newyork,

sang Sonntags in der Kirche und gelegentlich in englischen Operetten. Im September 1827 nahm sie Abschied von Amerika und reiste nach Paris, das ihren Weltruhm be gründet und verbreitet hat.

Während die oben erwähnten ersten englischen Operetten- Vorstellungen in Newyork stattfanden, versuchten fran zösische Schauspieler die französische Oper in der Haupt stadt von Louisiana (Neworleans) einzuführen, welche ur sprünglich von französischen Colonisten gegründet war. Ob wol seit 1803 zu den Vereinigten Staaten geschlagen, blieb doch die Mehrzahl der Bevölkerung französisch und führte fran zösische Sitten und Theater ein. Schon 1791 erschien die erste regelmäßige französische Truppe in Neworleans. Die Mitglieder waren zugleich Schauspieler und Sänger. Paë siello’sBarbier von Sevilla“, Zingarelli’s Romeo und Julie“ wurden schon 1810 von ihnen gegeben. Wöchentlich drei Opernabende in französischer Sprache bil deten das Hauptvergnügen der rasch anwachsenden Bevölke rung. Tüchtige Unternehmer wie Davis und Boudausquier brachten zu Anfang jeder Saison treffliche Sänger und Schauspieler aus Paris, welche bald die Meisterwerke von Mozart, Méhul, Rossini und Spontini tadellos ausführten. Neworleans hat den Ruhm, zuerst in den Vereinigten Staaten regelmäßige Opernsaisons eingeführt und festgehalten zu haben; ein Zeichen sehr vorgeschrittener Civilisation und Musik liebe. Im December 1859 wurde ein neues glänzendes Theater für die französische Oper errichtet und mit Rossini’s „Telleröffnet. Aber die Tage der früheren übermüthig lustigen creolischen Gesellschaft waren gezählt. Nach dem Secessions kriege schimmerte die Oper noch manchmal in flüchtigem Glanze, endete aber fast immer mit dem Ruin der Unter nehmer. Zwei Brüder, Charles und MarcelinAlhaiza, reisten nach Paris, um für die Saison 1866/67 eine voll ständige französische Opern- und Schauspieltruppe nach New orleans zu bringen. Ein schreckliches Schicksal zerstörte das Unternehmen. Am Vorabend der Abreise starb der eine Bru der, Marcelin. Charles brachte die ganze Gesellschaft nach Newyork und schiffte sich mit ihr auf dem Dampfer „Eve ning Star“ nach Neworleans ein. Am 3. October 1866 ging das Schiff bei einem furchtbaren Sturme unter, und

mehr als 300 Personen ertranken, darunter die französischen Schauspieler und ihr Director Charles Alhaiza. Seither ist die Laufbahn der Oper in Neworleans ganz ähnlich der in Newyork. Sie hat eine feste Basis nicht wieder erlangen können.

Dr. Ritter’s Ansicht über das Opernwesen in Amerika, „dieses schwer zu lösende Problem“, ist sehr bemerkenswerth. Sie lautet folgendermaßen: Die Existenz der italienischen Oper in Amerika war stets eine unsichere, wechselvolle. Ein Unternehmer nach dem andern hat damit sein Glück ver sucht, fast jeder aber seinen Ruin gefunden. Die italienische Oper, unter Verhältnissen entstanden und gewachsen, welche der Natur und den Gewohnheiten des amerikanischen Volkes gänzlich fremd sind, hat in diesem niemals Wurzel fassen können. Der scenische Glanz, die Bravour der Sänger er regten anfangs ein neugieriges Erstaunen. Aber das Wesen dieser exotischen Kunst blieb der Natur des Amerikaners durchaus fremd. Sein heller Verstand vermochte kei nerlei Nützlichkeit daran zu entdecken. Es hieß, daß es „fashionable“ sei, in die italienische Oper zu gehen. So ging er denn hin, denn der richtige Amerikaner würde sich lieber erdrosseln lassen, als für unfashionable gelten. Es ist erheiternd, in älteren Jahrgängen der New yorker Journale die zahlreichen Anfragen und Belehrungen nachzulesen, wie man sich in der Oper nach europäischer Mode zu kleiden und zu benehmen habe. Nach dem ersten Strohfeuer der Neugierde wurde das Publicum gleichgiltig gegen den Zauber der Marie Garcia und der Rossini’schen Opern. Der Amerikaner fand in der italienischen Oper sehr wenig für seinen Verstand, ja er fand sie lächerlich. Obgleich der amerikanische Musikfreund allmälig den Gesang der Ita liener bewundern lernte, er wollte doch zugleich wissen, „um was es sich handelt“, und daran hinderte ihn seine Un kenntniß der italienischen Sprache. Ein noch größeres Hinderniß war durch lange Zeit die kirchliche Gesinnung des amerikanischen Volkes, dessen große Mehrzahl „church- people“ ist, d. h. puritanisch, streng festhaltend an den Vor schriften der Secten, somit in Opposition gegen alle ästheti schen Tendenzen, die sich nicht unbedingt der kirchlichen Macht unterwerfen. Die Geistlichkeit warnte ihre Gemeinden vor

einem Vergnügen, das ihr unmoralisch und voll weltlicher Versuchungen erschien. Das waren aber nicht die einzigen und nicht die gefährlichsten Klippen. Unzulängliche Opern häuser und Bühnen, mangelhafte Orchester, ungeschulte Choristen, die Kostspieligkeit der Ueberfahrt einer ganzen Truppe aus Europa! Der Unternehmer mußte, um sich zu sichern, hohe Preise ansetzen. Sobald die erste Neugierde be friedigt war, murrte das Publicum über die theuren Preise, blieb allmälig aus und die Unternehmung machte Bankerott. Alles nur erdenkbar Mögliche ist von erfinderischen Unter nehmern versucht worden, um das amerikanische Publicum für die Oper zu gewinnen: hohe Preise und billige Preise, berühmte Sänger und Mittelgut, italienische, deutsche und französische Oper — nichts wollte auf die Dauer verfangen. Seit dem ersten ernsthaften Versuche Garcia’s bis auf den heutigen Tag zeigt die Geschichte der italienischen Oper in Amerika im Wesentlichen dieselbe Physiognomie; nur die Gesichter der Unternehmer und der Künstler haben gewechselt. Die Oper in Amerika lebt zuweilen üppig, zuweilen kümmer lich, niemals aber in organischem Wachsthum. Der Opern besuch ist heute noch nichts weiter als eine Modelaune (a fashionable whim). Irgend ein kleines aufregendes Ereig niß genügt, um die Leute ins Opernhaus zu treiben, und eine ebenso geringfügige Ursache, sie davon abzuhalten. Der amerikanische Opern-Unternehmer sitzt fortwährend auf einem Pulverfasse, das er, der Explosion gewärtig, unablässig beob achten und behüten muß. Der Verfasser führt nun sämmt liche aufeinanderfolgende Opern-Unternehmungen in Newyork auf, mit den Namen der Sänger, der Dirigenten, der Com ponisten, endlich mit einer ziffermäßigen Uebersicht der Ein nahmen und Unkosten. Ein Unternehmer nach dem andern verliert sein Vermögen. Oft auch stehen die Mitglieder (bis auf den „Stern“ der Truppe, der sich stets zu sichern weiß) hilflos da nach dem Bankerott ihres Chefs. Allein die Sänger und Virtuosen wendeten immer mehr ihre Blicke nach Amerika, wo ihnen angeblich in kürzester Zeit ein Vermögen winkte. Im Jahre 1843 baute Signor Palmo ein neues Theater für die italienische Oper in Newyork. Er war ein sehr be liebter Gastwirth; das Vermögen, das er mit seinem be rühmten „Café des mille colonnes“ erworben, verlor er in

der Opern-Unternehmung. Im Jahre 1847 wurde abermals ein neues, prächtiges Opernhaus gebaut, das nach fünf Jahren mit großem Verluste geschlossen und in die „Clinton- Bibliothek“ umgewandelt wurde. Man machte hierauf den Vorschlag, ein dreimal so großes Opernhaus zu errichten; der Bau begann im Mai 1853, und schon am 2. October 1854 fand die Eröffnungs-Vorstellung (mit Mario und der Grisi) statt. So schnell baut man in Amerika! Die Academy of music“, so hieß das neue Theater, ver sprach unter Anderm auch Preise auszusetzen für die beste musikalische Composition. Großer Jubel und kühne Hoff nungen der jungen amerikanischen Componisten! Ein ein zigesmal wurde wirklich ein solcher Preis von 1000 Dollars für die beste, von einem Amerikaner componirte Oper aus geschrieben, aber niemals ausbezahlt. Trotz des neuen, großen Hauses, der meist trefflichen Künstler und der niedrigen Preise scheiterte ein Unternehmen nach dem andern. Auch Ole Bull war leider darunter. Nun folgt ein wirres Durcheinander von Ullmann, Strakosch, Maretzek und anderen Impresarios, welche theils nach einander, theils gleichzeitig und gegen einander italienische Truppen ins Feld führten, eine wilde Jagd, daß einem deutschen Leser der Kopf schwirrt. Eine interessante kurze Episode war die deutsche Opernsaison des Karl Anschütz im alten Wallack-Theater (1862). Die Gesellschaft besaß keinen einzigen großen Sänger, der sich mit den italienischen Künst lern der Academy of music vergleichen konnte, aber das Ensemble war harmonisch gerundet, das Orchester vortreff lich, der Chor gut geschult. Und welches Repertoire von aus erlesenen deutschen Opern! Hier war mehr Intelligenz, mehr echte Begeisterung und musikalische Bildung, als in irgend einer anderen Opern-Unternehmung, die man in Newyork erlebt hat. Leider ward Anschütz durch die ungünstigen Zeit verhältnisse genöthigt, seine Oper bald aufzugeben. Nach Beendigung des Krieges, der auf allen Gemüthern schwer gelastet, drängte Alles nach seichter, sinnlicher Unterhaltung, und die Offenbach’schen Operetten im französischen Theater von Newyork hatten einen ungeheuren Zulauf. Offen bach wurde so populär, daß seine Bewunderer ihn in Person nach Amerika brachten. Er machte aber nicht den

gehofften Eindruck; die Neugierde, den Componisten der Schönen Helena“ gesehen zu haben, war bald gestillt und die von ihm dirigirten Sommernachts-Concerte verloren ihr Publicum. Wenn in Amerika ein Ding populär wird, so entfesselt es eine zeitlang eine wahre Raserei, fällt aber dann meistens ebenso schnell wieder in Vergessenheit. Das gleiche Schicksal hatten später die harmlosen Operetten von Gilbert und Sullivan; das Publicum war von ihnen ebenso schnell entzückt, als übersättigt. Was noch hie und da an Interesse dafür verblieb, dürfte bald verjagt sein durch den Schwarm neuer „komischer Opern“, an denen der Titel meistens das einzig Komische ist.

Einige glänzende italienische Saisons hatte Newyork in den Siebziger-Jahren: Max Strakosch brachte die Sängerinnen Nilsson, Tietjens, Kellogg, Marie Roze und den Tenor Campanini, „dieses Ideal eines Lohengrin“. Nach einigen Jahren verschlimmerten sich wie der die Aussichten der italienischen Oper und wuchsen die Verluste der Unternehmer. Bald waren die Maretzeks, die Graus, die Strakosch fertig und abgethan. Da tauchte der „Colonel“ Mapleson vom Londoner Majesty’s Theater auf und gab der italienischen Oper einen neuen Ruck. Er eröffnete die Saison 1878/79 mit Etelka Gerster, Minnie Hauck, Campanini u. A. Die höchste Ein nahme, wenn die Gerster sang, betrug 4800 Dollars; nicht viel weniger erzielte „Carmen“ mit Minni Hauck. Trotz der Vortrefflichkeit einzelner Künstler und des Capellmeisters Arditi waren die meisten Vorstellungen sehr unvollkommen. Das Star-System, das in der Theaterwelt jedes gesunde Ensemble zerstört und dem Unternehmer enorme Opfer für seinen „Star“ auf nöthigt, macht auch die Aufführung großer musikalischer Meisterwerke unmöglich. Immer müssen die alten, abge spielten Opern wiederholt werden, denn der „Star“ macht das Repertoire; bringt man doch einmal eine neue Oper, so wird sie überstürzt und schleuderisch aufgeführt. In der Regel trägt das Publicum die Schuld, wenn so ein „Stern“ allmächtig wird; der Stern ist die Schöpfung des Publi cums, kennt dessen Schwächen und nützt sie aus. Während Mapleson die italienische Oper in der „Academy of

music“ zu galvanisiren bemüht war, erwuchs dieser ein gefähr licher Rivale in dem neu erbauten großen „Metropolitan- Opera-House“. Es wurde von dem Unternehmer Henry Abbey im Jahre 1883 mit der Nilsson, Sembrich, Tre belli und den Sängern Campanini, Capoul, Stagno eröffnet. Diese Saison, eine der glänzendsten, die Newyork erlebt hat, ward doch verhängnißvoll für Mr. Abbey und ließ ihn ein so gefährliches Unternehmen unverzüglich aufgeben. Wie in Wien, Paris und anderen europäischen Hauptstädten, so be gann auch in Newyork die italienische Oper ihren Halt im Publicum zu verlieren. Damit stiegen einigermaßen wieder die Aussichten einer deutschen Oper, obwol diese niemals in Amerika „fashionable“ zu werden vermochte. Die Directoren des Metropolitan-Theaters beauftragten den tüch tigen Capellmeister und Violinspieler Leopold Damrosch (geboren 1832 in Posen), eine deutsche Gesellschaft zu enga giren. Im November 1884 gab diese ihre Eröffnungs-Vor stellung „Tannhäuser“, mit der Materna, Marianne Brandt, den Herren Schott und Robinson. Diese erste Saison hatte einen großen künstlerischen Erfolg und finanziell „einen ziemlich befriedigenden“, d. h. das Deficit betrug nur 40,000 Dollars. Dieses „unerwartet günstige“ Resultat bestimmte die Directoren, die Fortsetzung der deutschen Vorstellungen für die folgenden drei Jahre zu beschließen. Die Oper erhielt sich auf ihrer künstlerischen Höhe, aber die Auslagen überstiegen sehr bedeutend die Ein nahmen. Zahlreiche Stimmen ließen sich vernehmen gegen das zu starke Uebergewicht der von Damrosch bevorzugten Wagner’schen Opern im Repertoire. Dr. Ritter, der sich als thätiger Wagner-Apostel bekennt, gibt dieser Opposition natürlich Unrecht. Darüber haben das Newyorker Publicum und die stark in Mitleidenschaft gezogenen „Stockholders“ zu entscheiden.

In Amerika ist Richard Wagner zuerst in Boston bekannt geworden, wo 1853 zum erstenmale die Tannhäuser- Ouvertüre von dem „Germania-Orchester“ unter Karl Bergmann’s Leitung gespielt wurde. Den erfolgreichen Bemühungen der fortschrittlichen Deutschen in Boston folgte später das conservative Newyork, insbesondere die deutschen Liedertafeln daselbst. Die erste Aufführung des

Tannhäuser“ fand 1859 in Newyork statt, deutsch, unter Leitung von Karl Bergmann, einem begeisterten Anhänger der Liszt-Wagner’schen Richtung. Im Jahre 1870 erst folgte „Lohengrin“, und zwar in dem alten deutschen Stadttheater unter der Leitung von A. Neuen dorf. Bisher hatte nur die deutsche Bevölkerung sich um Wagner gekümmert. Die amerikanischen Musikfreunde blieben dieser Bewegung gänzlich fern. Erst als die italienische Operngesellschaft von Strakosch im Jahre 1873 den „Lohen grin“ aufführte, begann der Erfolg Wagner’s bei dem amerika nischen Publicum. Die von Thomas1884 unternommenen Wagner-Concerte mit der Materna, Winkelmann und Scaria förderten außerordentlich das Anwachsen des Wagner-Cultus in Amerika, und die bereits erwähnten deutschen Vorstellungen im Metropolitan-Opera-House thaten das Uebrige.

Indem der Verfasser seine Erfahrungen in einer Schluß betrachtung zusammenfaßt, gelangt er abermals zu demselben Refrain, daß die Oper (italienisch, deutsch oder französisch) in Amerika ein künstlich aufgezogenes Gewächs und nur für einen ganz kleinen Bruchtheil der Bevölkerung ein Bedürfniß ist. Eine stehende, regelmäßig spielende Oper, wie sie in Deutschland, Frankreich und Italien als ein Theil und eine Ehrensache der nationalen Cultur besteht, vermag in Amerika nicht zu existiren. Newyork besitzt mehr als dreißig Theater, die alle gute Geschäfte machen, aber keine stabile Oper. Wenn Newyork im selben Verhältniß eine musi kalische Stadt wäre, so würde Ein Opernhaus nicht genügen, um das Bedürfniß aller Opernfreunde zu be friedigen; es gäbe da hinlänglichen Raum für eine italienische, französische und deutsche Oper. „Aber“ — schließt Dr. Ritter — „wir sind noch kein eigentlich musikalisches Volk; wir haben die intellectuelle Fähigkeit, singen und spielen zu lernen, allein wir können ein unmusikalisches Volk nicht zwingen, uns zuzuhören, wenn es nicht die Neigung dazu hat, und die Erfahrung lehrt, daß die unermeßliche Mehr heit der Amerikaner diese Neigung nicht hat. Dem Ameri kaner ist die Oper noch immer ein Gegenstand vorüber gehender Neugierde; ein bleibendes Kunstinstitut kan in aber nicht auf vorübergehende Neugierde gegründet werden.“