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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.
Ed. H. Ein Fest, das der
minister
hatte eine ganz originelle, reizende Production zum Mittel
punkt: ein getanztes historisches Concert. Die Ausführung
dieses neuen Gedankens erforderte unter Anderm zwei rare
Leute: einen Gelehrten, der sich auf den Tanz versteht, und
eine Tänzerin, die ein Gelehrter ist. Den Ersteren fand der
Minister in dem musikkundigen Archivar de Lajarte, die
möglich; wir wissen nicht, wie damals die Tänze ausgesehen
und die Musik dazu geklungen hat. Hier ist der Phantasie
des Balletmeisters und des Componisten fast Alles anheim
gegeben. Für die Tanzweisen des späteren Mittelalters
und der Renaissance besitzen wir zwar ergiebigere
Quellen, allein ein reichliches Ausschöpfen dersel
ben müßte ein modernes Publicum kläglich ermüden.
Das langsame Tempo, die abgemessenen steifen Bewegungen,
die dünne, blutleere Musik dieser Tänze können wir auf die
Dauer nicht ohne Langweile aufnehmen. Wir verlangen heute
Feuer und Sinnlichkeit vom Tanz und vollends von der
Tanzmusik: das bietet aber nur die moderne. Damit ist
wiederum das Historische eines solchen Ballett-Abends beiseite
gedrängt. Aber das Schwierigste kommt noch von einer
andern Seite. Angenommen, die Vermittlung des historisch
Echten und des unmittelbar Ergötzenden sei in jeder einzelnen
Tanzscene wirklich geglückt — wie bringt man einen drama
tischen Zusammenhang in dieselben? Ein ganzes großes
Ballet braucht doch eine, wenn auch noch so lose zusammen
hängende Handlung, nicht blos eine Reihe chronologisch ge
ordneter Tanzproben. Diese Handlung sind uns die Autoren
des „
buntes Bilderbuch, reich an malerischen Gruppen, reizenden
Gewändern und blendenden Decorationen, ein Bilderbuch,
dessen einzelne Blätter auch der historischen Farbe nicht er
mangeln, denen aber die verbindende Handlung, der geistige
Mittelpunkt fehlt. Um wenigstens den Schein eines solchen
herzustellen, erfanden die Herren
Vorspiel auf dem
Textbuch nach liberalem
Es gibt ein sehr anmuthiges Bild, wie der Flöten
spieler Pagliero), nachdem er sich aus
die meisten Scenen ohne die Informationen des Textbuches
völlig unverständlich; die eben geschilderte hat die Specia
lität, daß auch mit dem Textbuch sie kein Mensch versteht.
Auf dieses „Vorspiel“ folgen zunächst die religiösen Tänze
des Alterthums. Zuerst ein heidnisches Opferfest der alten
Germanen im Eichenhain. Ein Gefangener wird herein
geführt, auf den flammenden Opferherd gelegt und von dem
Druiden säuberlich abgestochen. Eine peinliche und ganz
unnöthig häßliche Scene; ein Schaf hätte denselben Dienst
gethan. Auch in dem zweiten Bild, an den Ufern des
geht es recht betrübend zu: der heilige Stier
gestanden und wird in feierlicher Procession herumgetragen.
Unter wildem Jammer und Wehklagen, das uns nur mäßig
rührt, tanzt die verwaiste Bevölkerung einen Trauerreigen.
Vom
eigentlich studirt er nur, fortwährend in großer Aufregung,
ob und was er tanzen solle. Wir kommen aus der Religion
oder aus den Religionen nicht heraus; ganz nach dem Aus
spruche
Beten mit den Beinen. Den getanzten Islam, der im
Programm noch durch drehende Derwische vertreten ist, hat
man weislich gestrichen. Bei dem „Fest des
peji
freilich ein Räthsel. Zwei langbärtige Kerle, die sich aus dem
jüdischen Bild nach
einen sonderbar gesticulirenden alten Herrn auf die Bühne,
der sich so lange über Alles verwundert, bis er
endlich von seinen ungeduldigen Wärtern abgeführt wird.
Das Textbuch gibt gar keine Auskunft über diesen merk
würdigen Jubelgreis, von dem wir nur die Hälfte der
Wahrheit auszusagen glauben, wenn wir ihn für einen
lebensvolle, charakteristische Tänze der Springer, der Gauk
ler, der Gladiatoren, zum Schlusse ein wahrer Farbenrausch
von einem Bacchanale. Inmitten dieser Festlichkeiten strahlt
goldgerüstet, lanzenschwingend die königliche Erscheinung
einer Amazone: Frau Abel. Sie allein vermittelt eigent
Plastik der Bewegungen und höchst ausdrucksvolle Mimik;
die übrigen Abtheilungen ziert und belebt sie wenigstens
durch ihre prächtige Erscheinung.
In den vier Bildern des ersten Actes haben wir an
prachtvollen Costümen, Decorationen und Festaufzügen so viel
Blendendes zu schauen bekommen, daß wir dem Folgenden
mit einigem Bangen entgegensehen. Aber unser „
chen
führt uns ins Mittelalter. In seinem Palast zu
faullenzt ein contemplativer Price) und läßt
tanzten sie im Mantel und Degen, bedeckten Hauptes. Die
„Courante“, von sechs Ballett-Tänzerinnen graziös ausgeführt,
ist die Mutter des Menuetts, ein „getretener“ Tanz, ein
Umgang mit der Dame, unter vielen Verbeugungen, Auf
treten auf die Fußspitzen und anderen künstlichen Pas. Die
„Sarabande“ bekommen wir als Scene aus einem mytho
logischen Ballet zu sehen. In diesen Balletten herrschten die
strengsten Costümvorschriften, die mit der merkwürdigen
Zähigkeit, welche die Franzosen in ästhetischen Dingen kenn
zeichnet, sich unglaublich lange unverändert erhalten haben.
Herr Frappart, welcher die Sarabande mit fünf Damen
Der dritte Act gehört unserem Jahrhundert. Wir er
blicken beim Aufziehen des Vorhangs eine Art Denkmal mit
den Porträt-Medaillons von Lanner und
einige ihrer guten Walzer bringen sollen. Die Scenen in
der Tanzschule und der Traum des (von
gespielten) alten
und von geringerem Interesse. Desto erfrischender wirken
darauf die in einem modernen Vergnügungs-Etablissement
producirten Nationaltänze. Fräulein Cerale glänzt in der
Nachdem wir uns dergestalt von den Druiden bis zum
Cancan glücklich durchgetanzt haben, glauben wir logischer
weise am Ende der Weltgeschichte angelangt zu sein. Weit
gefehlt! Unsere Ballet-Autoren springen hier plötzlich von
ihrem historischen Thema ab und überraschen uns noch mit
einem Tanz von Kobolden in der Gnomenhöhle, einem
Hexentanz in der Walpurgisnacht und einem Nixenreigen
bei Mondschein. Wir verstehen nicht recht, wie man diese
Legenden, die jedenfalls besser in der prähistorischen Zeit
figurirt hätten, an den Walzer und Cancan als unmittelbare
Fortsetzung knüpfen kann. Demungeachtet würde den mond
beglänzten Nixenteich mit seiner herrlichen Walddecoration
Niemand gerne missen. Das vierzehnte und letzte Bild nennt
sich „Das Reich des Frohsinns“, welches wir uns somit als
ein fliegendes Corps von jungen Tänzerinnen in rosa Kleidchen
und großen rosa Hüten vorzustellen haben, in deren Mitte
Fräulein
dreht. Nach dieser „Apotheose“, wie das Ding in der Ballet
sprache heißt, erheben wir uns erfüllt, geblendet, verwirrt
und gedemüthigt von all dem Zauber, den wir gesehen, und
wünschen nur, es wäre etwas weniger gewesen. Dieses
luxuriöse Wandelpanorama beschäftigt so unausgesetzt das
Auge, daß man der Musik besondere Aufmerksamkeit gar
nicht widmen kann. Sie wirkt hier in der That mehr deco
rativ als selbstständig. Herr Joseph Bayer, der seiner