Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9480. Wien, Freitag, den 16. Januar 1891 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9480. Wien, Freitag, den 16. Januar 1891 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 16.01.1891
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Concerte.

Ed. H. Werthvoll und anziehend war jedes der vier Musikstücke des letzten Gesellschaftsconcertes; zusammen gaben sie aber doch kein zweckmäßiges Programm. Keine dieser vier Nummern — Bach, Mozart, Brahms, Händel — fand einen natürlichen Uebergang, eine innere Beziehung zur nächstfolgenden, und so mochte es kommen, daß die Zu hörer nur an der ersten sich wirklich erwärmten. Dieses Er öffnungs- und Hauptstück war Bach’s Kirchen-Cantate „Ich hatte viel Bekümmerniß“, eine der kostbarsten Perlen aus dem uns nur unvollständig erhaltenen und trotzdem fast un übersehbaren Schatz von Kirchen-Cantaten, welche der arbeits frohe und gottesfürchtige Meister im Laufe der Jahre auf gethürmt hat. Die Anfangsworte: „Ich hatte viel Bekümmer niß in meinem Herzen, aber deine Tröstungen erquickten meine Seele“, pressen den ganzen Inhalt des Werkes wie in eine Thesis zusammen, welche dann in jeder ihrer beiden Hälften, der betrübten und der getrösteten, mit dem mächtig sten Herzensantheil ausgeführt wird. Die Cantate besteht aus einer Orchester-Einleitung (Sinfonia) und acht Vocalsätzen. Von den Sologesängen gebührt wol die Palme der von einer Oboë umrankten Sopran-Arie in C-moll. Sie hat (wie auch die zweite Tenor-Arie in F-dur) eine Süße und Jugendlichkeit der Melodie, wie wir sie bei Bach selten an treffen; wir möchten, so unerheblich sonst die Jahresringe gerade bei Bach sind, der frühen Entstehungszeit (1714) etwas von diesem Reize zuschreiben. Die Tenor-Arie in F-moll, „Bäche von gesalzenen Zähren“, mit ihrem so er greifenden begleiteten Recitativ ist ein merkwürdiges Bild rastlos wühlenden Schmerzes. Ungleich schwächeren, fast be fremdenden Eindruck macht das breit ausgesponnene Duett zwischen Sopran und Baß. Die „gläubige Seele“, eine stereotype Erscheinung in der älteren protestantischen Kirchen musik, tritt hier in unmittelbaren Wechselgesang mit dem Heiland. Die pietistische Süßlichkeit dieses Stückes verstimmt uns und die unersättlich wiederholten Gegenreden: „Komm’ mein Jesu und erquicke — Ja, ich komme und erquicke “ — „Nein, ach nein, du hassest mich — Ja, ach ja, ich liebe dich!“ versetzen uns aus der Kirche in die Oper.

Als ich vor etwa dreißig Jahren dieses Bedenken gegen das Duett aussprach, wurde ich von einem der Generalpächter des Bach-Cultus gehörig abgekanzelt. Es erreicht mich jetzt die besondere Genugthuung, daß der gelehrteste und unbe dingteste Bach-Verehrer, Philipp Spitta, in seiner classi schen Biographie das Duett „einen geradezu wunden Punkt“ der Cantate nennt, „ein Stück, das überall den Eindruck eines reizenden Liebesduettes machen muß“. „Alle Kirchen musik,“ sagt Spitta, „hört auf, sobald zwei Persönlichkeiten dermaßen sich in Aufforderung und Gewährung, in Wider spruch und Zustimmung mit einander zu thun machen, wie es hier geschieht. Das Duett ist, was Kirchenmusik niemals sein darf, dramatisch. Bach hat, es muß leider gesagt wer den, nicht nur nichts gethan, um das Verfehlte der Dichtung zu mildern, sondern es durch seine Behandlung noch gestei gert.“ Solche Unbefangenheit des Urtheils ist Spitta hoch anzurechnen; sie hat ihn gewiß einige Ueberwindung ge kostet. Wer mit der ganzen Energie seiner Liebe und Be wunderung an Einem Tondichter hängt, in aufopfernder, jahre langer Arbeit dessen Leben erforscht und darstellt, dem ge schieht es unversehens, daß der Held seines Buches ihm schlechtweg als das Ideal erscheint, ihm das Maß aller Dinge wird. Ich glaube, unsere beiden berühmten Musik forscher Spitta und Chrysander würden aufrichtige Liebe für Bach und Händel noch viel mehr gefördert und gefestigt haben, wenn sie hin und wieder, wie in vorliegen dem Fall, wirklich gesagt hätten, „was leider gesagt werden muß“. Unter Anderm auch über die schrecklichen pietistischen Poesien von Salomon Franck und ähnlicher Dichter, die Bach mit Vorliebe „und nicht blos auf höheren Wunsch“ in Musik setzte. Die allzu milde Beurtheilung dieser „singen den evangelischen Schwanen“ macht uns verdrießlich, wie diese Poesien selbst. Von den Chören der Cantate wird man bald diesen, bald jenen als den schönsten bewundern, je nachdem man abwechselnd sich darein vertieft. Auf dem Boden, den der erste Chor schlicht und kräftig vorbereitet, erhebt sich der Chor: „Was betrübst du dich, meine Seele“ zu riesiger Höhe, starrend im Reichthum polyphoner Kunst, unerschöpflich in immer neuen Wendungen. Mendelssohn’s Composition derselben Psalmworte steht in ihrer modernen Sanftmuth wie ein Kind daneben. Im zweiten Theil ist der Chor: „Sei nur wieder zufrieden“ (Choral mit Fuge) von überwältigender Kraft und Erhabenheit; die Polyphonie wirkt

hier in ihrem eigensten Element, mit einer nur Bach er reichbaren Freiheit der Bewegung. Es war eine vortreffliche Idee Gericke’s, die Choral-Melodie („Wer nur den lieben Gott läßt walten“) von zehn oben auf der Orgelgalerie postirten Knaben singen zu lassen, wodurch dieser stimmen umflochtene Cantus firmus gleichsam für Aug’ und Ohr plastisch hervortrat. Mit einer bei Bach seltenen, desto mehr an Händel mahnenden Sonnenklarheit intonirt der Schluß chor unter Trompeten-Geschmetter ein auf den Intervallen des C-dur-Dreiklanges machtvoll aufsteigendes Thema, das im Verlauf den Schmuck reichster Figuration siegreich durch dringt. Die Cantate, welche hier zum erstenmale 1863 von der „Wiener Sing-Akademie“, unter Brahms Leitung auf geführt, aber sehr selten wiederholt worden ist, war für einen großen Theil des Publicums neu. Hoffentlich läßt man sie nicht wieder so lange ruhen; das ist in Wahrheit eine Ton dichtung „per ogni tempore“, wie Bach auf den Titel schrieb — eine Musik für alle Zeiten!

Neben der Bach’schen Cantate nahm sich das liebliche A-dur- Andante aus Mozart’sHaffner-Serenade“ ungefähr aus wie ein kleines Lusthäuschen neben einem gothischen Dom. In Salzburg kann ich nie die „Sigmund Haffner-Gassepassiren, ohne an diese Mozartisch liebenswürdige Hochzeits- Serenade zu denken, welche da 1776 vor dem Hause des Bürgermeisters Haffner, des Vaters der Braut, gespielt worden ist. Für einen großen Concertsaal war sie niemals bestimmt. Auch das romantische Dämmerlicht der beiden Brahms’schen Frauenchöre mit Harfe und Hörnern (Nr. 1 und 4 aus op. 17) leuchtete fremdartig in diese Umgebung und wirkte schwächer als sonst. War man ein mal mit Siebenmeilenstiefeln von Bach zu Mozart und zu Brahms vorgeschritten, so hätte es sich empfoh len, uns für den Schluß des Concertes im neun zehnten Jahrhundert zu belassen. Statt dessen wurden wir wieder mit einem starken Ruck um anderthalb Jahr hunderte zurückgeschnellt und mußten unser Ohr neuerdings für eine Hochzeits-Cantate von Händel umstimmen. Es war eigentlich eine Combination aus den beiden „Wedding- Anthems“, die sich im 36. Band der großen Händel-Aus gabe befinden. Wer die wichtigsten Sachen von Händel kennt, der wird in diesen beiden Hochzeits-Cantaten nicht viel Neues erlebt haben. Freilich, wenn Händel einen jubelnden Chor in D-dur mit Trompeten und Pauken entfesselt, dann

ist die Wirkung jedesmal sicher und stark, mag sie auch noch so sehr an Aehnliches von diesem Meister erinnern. In den drei Arien („Selig ist der Mann, der fand ein treues Weib“, „Ein gut’ Weib ist eine gute Gabe“ und „Kraft und Ehre sind ihre Schützer“) herrscht ein biederer Gratulationston und etwas nüchterne Feststimmung. Wie viel hat doch Händel angenommen vom englischen Volkscharakter! In diesen Hochzeitsmusiken duften die „Wedding-cakes“ und schallen die englischen Toaste-Reden, etwa von der Beredt samkeit der Tenor-Arie, in welcher die Worte „sie wird sich freu’n, sich freu’n“ achtunddreißigmal wiederholt werden. In den beiden Cantaten von Bach und Händel wirkten zwei namhafte auswärtige Künstler: Fräulein Pia v. Sicherer und Herr Staudigl. Erstere ist den Lesern von Musik zeitungen seit Jahren bekannt; es gibt wenig Oratorien- Aufführungen und Musikfeste in Deutschland, in welchen nicht Fräulein v. Sicherer mit gewohntem Erfolge den ersten Sopranpart singt. Ihre, wie es scheint, etwas aus gesungene Stimme hat nichts Bestechendes; sie entbehrt der Fülle und des Glanzes. Nur in hoher Lage vermochte sie den großen Musikvereinssaal zu beherrschen. Ungetheiltes Lob gebührt hingegen dem verständigen, unaffectirten Vortrage und der vortrefflichen Gesangstechnik dieser Künstlerin, welche die schwierigen Aufgaben der Bach’schen und Händel’schen Arien mühelos überwand. Herrn Staudigl kennen wir bereits als musterhaften Oratorien-Sänger; er hat sich als solcher neuerdings vollständig bewährt. Den größten Erfolg hatte Herr Gustav Walter. Wir hatten es kaum für möglich gehalten, daß heutzutage ein Tenorist mit der absonderlich schwierigen F-moll-Arie von den „gesal zenen Zähren“ eine vollkommene Wirkung erzielen, mehr als seinen guten Willen zeigen könne. Walter hat nicht blos mit einer meisterhaften Oekonomie des Athems diese krausen Figurationen mühelos und schön bewältigt, er erfüllte sie auch durchaus mit edler, warmer Empfindung. Nach jeder von Walter’s Arien, ja selbst nach einem wundervoll vor getragenen kleinen Recitativ erhob sich ein Sturm von Bei fall. Wenn solche Kunst sich doch auf Andere übertragen ließe! Walter will es wenigstens versuchen und das Seinige dazu thun. Verläßlicher Mittheilung zufolge ist er geneigt, die Ausbildung junger Sänger und Sängerinnen zu leiten, deren Stimme und Talent hinreichende Garantie bieten, daß

aus ihnen etwas wird. Die musikalische Jugend kann Herrn Walter für diesen schönen Entschluß nur dankbar sein. Er wähnen wir noch, daß Frau Gisela Körner im Vortrag der kleineren Alt-Soli sich hervorgethan hat und daß die Chöre unter Gericke’s Leitung ihr Bestes leisteten, so können wir von dem „Gesellschaftsconcert“ zu einigen Virtuosen- Productionen übergehen.

Frau Therese Carreño, die schöne Mexicanerin, die nicht einmal zu spielen braucht, um zu gefallen, hat unter großen Beifallsstürmen ein eigenes Concert gegeben. Ihre erstaunliche Kraft und Bravour haben wir bereits im Phil harmonischen Concert kennen gelernt. Dieselben Vorzüge einer brillanten Technik und eines feurigen Temperamentes bewährte die talentvolle Frau auch im Solospiel. Dagegen gebrach es ihr manchmal an gesundem musikalischem Gefühl und geläutertem Geschmack. Bald gerieth sie in ein Ueber hetzen des Tempos, wie im Finale der „Sonata appassio nata“, bald in unschöne Ueberkraft und Gewaltsamkeit, wie in Chopin’s As-dur-Polonaise. Frau Carreño bestritt das ganze Programm, das sie durch viele Zugaben noch er heblich ausdehnte, ganz allein. Ehemals galt es für selbst verständlich, daß die Musicirenden musikalisch waren. Heute muß man es lobend hervorheben, wenn es vorkommt. Dies ist der Fall bei Fräulein Marie v. Timoni, einer jungen Pianistin, die mit gediegener Technik einen natürlichen, anmuthig beseelten Vortrag verbindet. Ihr Concert hatte den besten Erfolg, und wir wünschen ihr Glück dazu. Die Pianistin Frau Susanne Rée brauchen wir den Lesern nicht erst vorzustellen; sie hat sich als „Fräulein Pilz“ längst einen geachteten Namen erspielt. Jetzt verleiht sie ihren Con certen einen neuen Schmuck, indem sie mit ihrem Gatten, dem Componisten Louis Rée, Stücke auf zwei Clavieren vorträgt. Beide spielen sehr musikalisch, warm und unge zwungen, mit Freude an der Sache. Die Frau ist mehr die Clavierspielerin, der Mann mehr der Musiker. Seine Compo sitionen sind nicht von hervorragender Originalität, aber von ernster musikalischer Tüchtigkeit; sie flunkern nicht mit hohlem Aufputz. Rée’s Variationen für zwei Claviere enthalten einzelne sehr feine, interessante Züge. Das treffliche Zusammenwirken beider Ehegatten fand den verdienten allgemeinen Beifall. Leider befand sich unter ihren Productionen auf zwei Clavieren auch eine der „Bearbeitungen“, welche E. Grieg

vier Mozart’schen Sonaten angethan hat. Er fügt zu dem unveränderten Original eine „frei hinzucomponirte Beglei tung“ eines zweiten Claviers. Eine künstlerische Verirrung, denn eine Mozart’sche Sonate bedarf keines zweiten Stock werkes von fremder Hand, noch verträgt sie eines. Die Sache liegt nicht so plan, wie bei dem C-dur-Präludium von Bach, über welches Gounod eine getragene Melodie wölben konnte, denn gerade dieses Präludium kann ohne Frage aus dem Gesichtspunkte einer Begleitungsfigur betrachtet werden. Wie derb und mozartwidrig aber Grieg verfährt, beweist gleich der Anfang der bekannten herrlichen C-moll-Phantasie, zu deren ersten fünf Tacten unser Norweger einen Orgelpunkt auf C fortwirbeln läßt! Wo so crasse Verdrehungen von Mozart’s Willen nicht angehen, muß sich Grieg mit über flüssigen Verdopplungen, eingestreuten Imitationen und ähn lichem wohlfeilen Behelf begnügen. Grieg’s eigene Composi tionen könnten durch einige Mozart’sche Harmonien häufig gewinnen, aber nicht umgekehrt... Das Concert der Pianistin Fräulein Gisela Gulyas im Saale Ehrbar soll großen Zuspruch und rühmlichsten Erfolg gehabt haben. Ich war leider nicht dabei, kenne aber die ausgezeichneten Leistungen der Gulyas seit lange und weiß, daß sie dazu nicht einmal der neuesten Mode, der „Janko-Claviatur“, bedarf. Mit ihrem Talent spielt man ebenso gut auf der „alten“ Claviatur, die nicht nur wir gewöhnlichen Leute, sondern vorläufig noch alle großen Componisten und Virtuosen benützen.

Das G-dur-Quartett (op. 27) von Ed. Grieg, das wir bei Rosé zu hören bekamen, hat sehr ungünstig von seiner im Philharmonischen Concert aufgeführten Orchester- Suite „Peer Gynt“ abgestochen. Bedeutend waren zwar auch die Ideen dieser Suite nicht; wol aber anmuthig, charakte ristisch und von bezaubernder Klangwirkung. Das G-dur- Quartett gefällt sich dagegen in gierigem Haschen nach melodisch und harmonisch Bizarrem, nach verrenkten Rhythmen und falschen Contrasten. Der Componist verräth ein wahr haft kindisches Vergnügen an Allem, was häßlich klingt, und hat er einmal einen recht saftigen Mißklang ausgeheckt, so läßt er ihn nicht so bald los. Was aber scheußlich klingt, das wird nicht besser, indem man es uns für „norwegischausgibt. Das gesunde menschliche Ohr ist wol auch in Skandinavien nicht anders organisirt; nur gibt es dort mehr als anderswo Dichter und Tonsetzer, deren Kunst im

Krankhaften nistet. Schade um ein Talent wie Grieg. Jeder Satz seines Quartetts ist voll Leben und Bewegung, die im lieblichsten Volkston gehaltene „Romanze“ sogar so reizend, daß wir selbst ihren unförmlich wilden Mittelsatz mit in den Kauf nehmen. Aber das Ganze (überdies ein Muster von unquartettmäßigem Satz) bleibt ein unerfreuliches Werk. Gespielt wurde es mit glänzender Virtuosität. Herr Rosé hatte starke Kürzungen darin vorgenommen, ein Verfahren, das grundsätzlich nicht zu billigen ist. Einen Componisten, der kein Anfänger mehr ist, muß man für das, was er schreibt, selber einstehen lassen, wenn man es überhaupt aufführt. Im vorliegenden Falle mögen freilich die Amputationen dem allgemeinen Eindruck nützlich gewesen sein. Es folgten drei Liedervorträge von Fräulein Pia v. Sicherer. Die Einmischung von Gesangs-Productionen ist eine nicht empfehlenswerthe Neuerung; sie stört den ein heitlichen Charakter der Quartett-Abende, zerstreut die Zu hörer und macht sie ungeduldig ob der längeren Dauer des Concerts. Die Stimme des Fräuleins v. Sicherer klang im Bösendorfer-Saal und bei Clavierbegleitung weit stärker, als jüngst im Gesellschaftsconcert; ja beinahe zu stark in den beiden sehr bewegten Liedern von Jensen („Murmelndes Lüftchen“) und von Brahms („Frühlingslied“). Die Sängerin spannte ihr Organ hier zu einer stürmischen Leiden schaftlichkeit an, die ihr nicht natürlich zu sein scheint und in eine Art monotonen Lamentirens überschlug. Ganz vor züglich gelang ihr dagegen Brahms’ tiefempfundene „Feld einsamkeit“, die ihr keinen Anlaß bot, Stimme und Aus druck zu forciren. Sie sang das Lied fast durchaus mezza voce, ruhig und schön und mußte es auf allgemeinen Wunsch wiederholen. Die sächsische Kammer-Virtuosin Frau Krebs- Brenning, welche den Clavierpart in Schumann’s Es-dur- Quartett ausführte, hat bereits vor 25 Jahren als Fräulein Mary Krebs erfolgreich in Wien concertirt. Das schlanke fünfzehnjährige Mädchen von damals tritt uns jetzt als eine gereifte blonde Schönheit entgegen, das personificirte Ideal Georg des Vierten: „fair, fat and forthy.“ Ihr Spiel ist heute noch ebenso geläufig, sicher und peinlich gewissenhaft wie vor 25 Jahren; seelenvoller und interessanter ist es nicht geworden. Mary Krebs ist noch immer die richtige Capellmeisters-Tochter. Ihre Vorzüge in Ehren, aber das talentvolle Ungestüm der Carreño mögen wir doch lieber.