Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9544. Wien, Sonntag, den 22. März 1891 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9544. Wien, Sonntag, den 22. März 1891 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 22.03.1891
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Hofoperntheater. („Sicilianische Bauernehre“ [„Cavalleria rusticana“] von Pietro Mascagni.)

Ed. H. In Italien kommen alljährlich 30 bis 40 neue Opern zur ersten Aufführung, im vorigen Jahre (1890) gab es deren sogar 54! Die meisten von ihnen rollen laut los in ein Eckloch der Theaterstatistik, um nie wieder ans Licht zu kommen. Aeußerst selten ereignet es sich, daß die Erstlingsoper eines unbekannten Componisten auch nur im eigenen Vaterlande seinen Ruhm begründet. Die bedeutendsten Tonsetzer haben sich durch mißlungene oder halbgelungene Opernversuche erst zu ihren Meisterwerken durchtasten müssen. „Die ersten Hunde und die ersten Opern wirft man ins Wasser,“ pflegte Karl Maria Weber zu sagen. Aber mehr als eine Seltenheit, ein geradezu unerhörtes Ereigniß ist es, daß der erste dramatische Versuch eines jungen Italieners nicht nur in ganz Italien als Meisterwerk gefeiert, sondern sofort auch auf den größten deutschen Bühnen in deutscher Sprache gegeben wird. Die „Cavalleria rusticana“ von Mascagni ist in der Musikgeschichte das erste Beispiel eines so raschen, fast augenblicklichen internationalen Erfolges. Wie lange mußten die berühmtesten italienischen Meister auf diese Ehre warten! Rossini hatte ein Dutzend Opern geschrieben, bevor sein „Tancred“ über die Alpen drang. Als Bellini durch seinen Piraten“, Donizetti durch „Anna Bolena“, Verdi durch den „Ernani“ in Deutschland bekannt wurde, standen sie längst in hohem Ansehen bei ihren Landsleuten. Obendrein waren ihre Opern durch die italienischen Stagiones in Wien immer auf deutschem Boden schon eingeführt und erprobt, ehe sie in deutscher Sprache förmliches Bürgerrecht bei uns er langten. Der „Cavalleria rusticana“ war allerdings der Um stand sehr förderlich, daß sie bei einer Preisvertheilung über siebzig Mitbewerber gesiegt hat. Dramatische Preisaus schreibungen treiben meistentheils nur Mittelgut an die Oberfläche; schon deßhalb, weil anerkannte Meister sich lieber fernhalten, während alle Stiefkinder des Glückes und des Talentes ihre sitzengebliebenen Partituren bei dieser Gelegen heit wieder offeriren. Es war eine neue originelle Idee des Mailänder Musikverlegers Sonzogno, nur solche Concur renten zuzulassen, welche noch niemals etwas für das Theater geschrieben haben. Pietro Mascagni, ein etwas leicht

sinniger Bursche von 25 Jahren, befand sich in diesem Fall. Ein großmüthiger Mäcen hatte den Bäckersohn aus Livorno ins Mailänder Conservatorium gebracht. Pietro langweilt das trockene Studium; er geht durch, wandert als Capellmeister einer fliegenden Operntruppe von Ort zu Ort und bleibt endlich in dem Städtchen Cerignola als Dirigent der dortigen Stadtcapelle hängen. Das ist wichtig für seine Beurtheilung. Ohne einen täglichen praktischen Verkehr mit der Bühne und dem Orchester wäre die sichere, effect kundige Technik, die sein Erstlingswerk aufweist, nicht erklärlich. Aus einem Zeitungsblatt erfährt Mascagni zufällig von der Preisausschreibung für die beste einactige Oper. In zwei Monaten hat er seine Partitur vollendet und eingeschickt. Sie erhält den ersten Preis und wird in Rom im Teatro Constanza unter unbeschreiblichem Jubel am 18. Mai 1890 aufgeführt. Am selben Morgen noch ein Namenloser, geht Pietro Mascagni als berühmter Mann zu Bett. Noch sind kaum zehn Monate seit jener ersten Auf führung verflossen, und schon ist die „Cavalleria rusticanaein fester Bestandtheil des europäischen Repertoires.

Das Libretto der „Cavalleria rusticana“ gehört zu den Glücksfällen des jungen Componisten. Die dramatische Kraft und die außerordentliche Popularität des gleichnamigen Volks stücks von Giovanni Verga haben der Oper mächtig vor gearbeitet. Diese ist auch bezüglich des Textes ein Unicum. Von einem ländlichen Singspiel in einem Act erwartet Jeder mann eine heitere oder idyllische Handlung. Die „Cavalleria rusticana“ ist ein kleines Trauerspiel, eine richtige Dorf tragödie mit wilden Leidenschaften und blutigem Ausgang. In einem sicilianischen Dorfe hat der junge Gastwirth Turriddu, ehe er zu den Soldaten eingereiht wurde, ein kokettes schönes Mädchen, Lola, geliebt. Vom Heer zurück gekehrt, findet er sie als das Weib des Fuhrmanns Alfio und sucht Trost in den Armen der ihn leidenschaftlich liebenden Santuzza. Lola weiß jedoch den Turriddu wieder in ihre Netze zu locken. Er stößt Santuzza von sich, die nun, von Eifersucht getrieben, dem Alfio das sträfliche Verhältniß seines Weibes zu Turriddu verräth. Alfio rächt sich an dem Räuber seiner Ehre, indem er ihn im Messerkampf tödtet. Dies Alles ge schieht am Ostersonntag im Verlauf des Gottesdienstes, vor der Kirche. Die von Herrn Oskar Berggrün verfaßte deutsche Uebersetzung gehört zu der schleuderhaftesten Markt waare. Daß sie auch praktisch geradezu unbrauchbar ist, be weist der nothgedrungene Vorgang der Opern-Directionen

von Hamburg, Dresden und Wien, welche Berggrün’s Uebersetzung total umarbeiten mußten. Hier wird thatsächlich ein ganz anderer Text gesungen, als der des gedruckten Librettos. Herr Berggrün hat seine Unfähigkeit als Uebersetzer bereits an Samara’s Oper „Flora mirabilis“ bewiesen, welche eine Blüthenlese, eine wahre Flora miserabilis an Schnitzern darbietet. Herrn Berggrün’s Methode ist sehr einfach. Er macht eine rohe metrische Uebertragung und schreibt nun ruhig Silbe unter Note in die Partitur, unbekümmert, ob der musikalische Accent dazu stimmt oder nicht. Gleich in dem allerersten Worte des Einleitungschors, „Orangen“, legt er auf die erste Sylbe O den Nachdruck. Es macht sich reizend, wenn ein halbdutzendmal gesungen wird: „O—rangen duften, die Lerche singt; jetzt ist Zeit für Jedermann, fröh lich zu singen das süße Lied!“ Eine andere classische Berg grüniade ist der Refrain: „Niemand froher sein kannals ein wack’rer Fuhrmann!“ Schon seine Titel-Ueber setzung „Ländliche Ritterlichkeit“ mit dem häßlichen Gleich klang in der Mitte beider Wörter verräth den Mangel an musikalischem Gehör. Daß eine Opernübersetzung erstens gut deutsch und zweitens richtig musikalisch sein muß, scheint der Mann nie gehört zu haben. Zum Glück kann Herr Son zogno, welcher die Theater zwingt, das Berggrün’sche Deutsch“ an der Kasse zu verkaufen, nicht auch die Künstler verhalten, es zu singen.

Aus der Musik zur „Cavalleria“ spricht unverkennbar ein frisches, energisches und ehrliches Talent. In unserer musikalisch talentarmen Zeit konnte es nicht ausbleiben, daß der Jubel über diese neue Erscheinung alle Besinnung verlor und nicht selten in eine Art Messias-Anbetung aus schlug. Diese den Widerspruch herausfordernden Uebertrei bungen, von denen ein Beispiel später citirt werden soll, dürfen uns trotzdem nicht irremachen. Ein so allgemeiner und spontaner großer Erfolg ist niemals ohne zureichenden Grund. Die Eigenthümlichkeit Mascagni’s ließe sich vielleicht am kürzesten damit bezeichnen, daß er durchaus national italienisch und doch zugleich europäisch modern ist. Nirgends verleugnet er den Italiener. Der Charakter seiner Melodien, ihr Vor herrschen vor der Begleitung, die sinnenfällige Rhythmik, die Schlußphrasen der leidenschaftlicheren Gesänge — Alles italienisch. Hingegen herrschen in der „Cavalleria“ modernere Anschauungen bezüglich des Dramatischen. Die Musik ent wickelt sich streng scenisch, ohne die alte Arien-Schablone und die alten, lästigen Wortwiederholungen. Durchaus einheitlich,

aus Einem Gusse geformt, enthält sie keine bloßen Lücken büßer, keinen Passagen- und Trilleraufputz, keine wider sinnigen Effecte. Die Harmonie wie die Orchestrirung lassen deutschen und französischen Einfluß durchblicken, aber keine directe Nachahmung Wagner’s; den Hörer bedrückt weder die Tyrannei der Leitmotive noch der unendlichen Melodie. Die Sonne der Nibelungen hat auch jenseits der Alpen manchen wagnerisirenden Componisten ausgebrütet, der — wie Halm’s Ingomar nach dem Ausspruche von Robert Prutz — „lieber ein Lump auf Griechisch ist, als ein honetter Tektosage“. Mascagni gehört nicht zu diesen. Er ist eine ursprüngliche Natur, wenngleich, meines Dafürhaltens, kein bahnbrechendes Genie, das eine geschichtliche Furche zieht. Worin sein Talent sich am stärksten und augenfälligsten zeigt, das ist das unmittelbare, sichere Treffen der Stimmung in jeder Scene, wie des dramatischen Ausdrucks im Einzelnen. Eine starke Sinnlichkeit und leidenschaftliches Temperament durchglühen die ganze Oper, welche von Anfang bis zu Ende nicht blos interessirt, sondern packt. Wie düster, unheimlich drohend schleicht die Fis-moll-Einleitung zu der ersten Scene zwischen Santuzza und Lucia; wie schauerlich ergreifend pocht das tiefe Es der Bässe bei dem Ausrufe Lola’s: „O Gott, das Unglück naht!“; wie angstvoll aufgescheucht schwirren die Violinen, als Turriddu vor seinem Todesgange nach der Mutter ruft! Gar mancher treffliche Zug von feiner oder energischer Charakteristik wäre hier anzuführen. Ja, man könnte in dieser Oper vortrefflich Alles nennen, was im weiteren Sinne das Gebiet der musikalischen Conversation streift, mehr der aufgeregten Rede und Gegenrede angehört, als dem eigentlichen Gesange. Rein musikalisch hingegen ist mir die Erfindung Mascagni’s zwar ansprechend, frisch, aber keineswegs reich oder originell erschienen. Melodien von jener schönen, unverwischbaren Prägung, wie sie aus den besseren Opern von Bellini, Donizetti, Verdi hervorglänzen, wird man in der „Cavalleria“ schwerlich namhaft machen. Wenn man den dramatischen Heißsporn Mascagni speciell als „Melodien-Krösus“ feierte, ist man im ersten Rausche zu weit gegangen. Man sehe sich die Melodien an, die als solche in der Oper selbstständig auftreten und wirken: das (auch in der Ouvertüre vorkommende) Andante appassionato Santuzza’s: „Nein, Turriddu, o bleibe!“, die Serenade Turriddu’s, Alfio’s Rache-Allegro in F-moll, das Gebet „Preisen laßt uns den Herrn“ und Aehnliches — Neuheit,

Originalität wird man ihnen nicht nachrühmen können. Die reizendste, zugleich einfachste und natürlichste Melodie ist das Stornello der Lola, ein Volkslied, wie man ihrer hundert in Italien hören oder in italienischen Volksliedersammlungen finden kann. Nicht viel besser als mit diesen pathetischen und sentimentalen Gesängen steht es mit den lustigen — sie ent behren der Originalität, aber auch der Natürlichkeit, und suchen diesen Mangel (dessen sich der Componist wahrschein lich bewußt ist) durch eine erzwungene, scharfe Charakteristik zu verdecken. Das Fuhrmannslied mit seiner Molltonart und den heftig rückenden Modulationen straft Alfio’s Ver sicherung: „Ich bleibe doch stets froh“, Lügen; es ist nicht „froh“, sondern aufgeregt, wild, trotzig. Natürlichen, frisch quellenden Frohsinn vermisse ich auch in dem Trinklied Tur riddu’s, das erst im Refrain durch den hübschen Rhythmus von drei zu drei Tacten sich wirksam aufschwingt. Und der Eingangschor, athmet er wirklich die naive Sonntagslustigkeit der Dorfbewohner oder nicht vielmehr den glühenden Hauch einer aufgeregten Wahlversammlung?

Daß den Hörer manche Melodie entzückt, die an sich weder besonders neu noch vornehm ist, kommt großentheils auf Rechnung der wirksamen Instrumentation. Mascagni ist ein Meister der Orchestrirung; er übt diese Meisterschaft in der Regel als echter Künstler, mißbraucht sie aber auch häufig zu rein materiellen Effecten. Gleich die Ouvertüre gewinnt uns durch ihre Klangschönheit. Leider hat der Com ponist sich durch Meyerbeer’s Beispiel (in „Dinorah“) zu dem falschen Effecte verleiten lassen, mitten in der Ouver türe, hinter dem Vorhange, Turriddu seine Serenade singen zu lassen. Die Serenade gehört auf die Bühne, vor Lola’s Fenster. Durch Klangschönheit entzückt auch das berühmte Orchester-Intermezzo, in welchem ein mächtig anschwellendes Unisono der Violinen sich mit Harfen-Accorden und Orgel tönen zu einer Art Sphärenmusik verflößt. Vor trefflich versteht sich Mascagni auf die Beredtsam keit der einzelnen Instrumente. Er bringt da mit unter auch seltenere, vornehmere Instrumental-Effecte, womit nicht gesagt sein soll, daß er sie zuerst erfunden hat. Die wiederholten leisen Schläge auf die große Trommel (im Finale, gleich nach der Herausforderung) hat Verdi für den Ausdruck schwüler Beklemmung bereits in der Sterbe scene der Desdemona verwendet, ja früher schon im „Rigo letto“. Der schöne Effet der vereinzelten tiefen Harfentöne,

welche in dem „Intermezzo“ die Dominante und Tonika (g, c) anschlagen, stammt von Boito aus dem Duett Faust’s mit Gretchen. Die bedenkliche Seite von Mascagni’s Instrumen tirung ist das Getöse, der betäubende Lärm, in dem er sich häufig gefällt. Darin geht er über Verdi hinaus und ver kehrt den Frohsinn lustiger Dorfbewohner in den Aufruhr einer Revolutions-Scene. Um das „Fuhrmannslied“ zu accompagniren, arbeiten alle Blechinstrumente, Pauken, große und kleine Trommel und Becken eifrig zusammen. Geschmack los ist das häufige Verdoppeln der Gesangsmelodie durch Posaunen, noch geschmackloser die Nothzüchtigung der Po saunen zu raschen, figurirten Stellen, wie in dem ersten Chor und in Alfio’s Lied. Unsere Hoffnung, Mascagni’s viel gerühmtes reformatorisches Verdienst werde sich auch in einer Veredlung und Mäßigung des unerträglich angewachsenen Orchesterlärms äußern, ist getäuscht worden.

Wie verhält sich die neue Oper zu Verdi? In einer eben erschienenen und nach allen Seiten hin verschickten Broschüre: „Zur Erklärung der Cavalleria rusticana“ wird jeder musikalische Zusammenhang Mascagni’s mit Verdi rundweg geleugnet. Der Verfasser, ein Herr Pudor, dessen Aufsätze sich durch einen sehr starken Ton des Selbstgefühls auszeichnen, nennt die Cavalleria rusticanadas erste Werk der neuen Zeit“, „die erste musikalische Offenbarung“, „ein Werk, das noch die ganze musi kalische Welt erschüttern wird“! An diese kleinen Schmeicheleien knüpft Herr Pudor die Behauptung, Mascagni habe mit Verdi gar nichts gemein. Bei Verdi sei Alles nur „Gefühls-Raffinement, Gefühls-Renommage, Ge fühlsheuchelei, seine Musik pomphaft, aber innerlich hohl etc.“ Nur Jemand, der Verdi nicht kennt, kann so sprechen. Verdi war niemals ein Gefühlsheuchler; auch was uns in seinen Opern übertrieben und roh erscheint, hat er aufrichtig so empfunden und unbefangen herausgesagt. Ob Mascagni ihn übertreffen werde, das mögen seine künftigen größeren Werke darthun; in der „Cavalleria“ erreicht er keineswegs die Melodienfrische, die Originalität, die unerschöpfliche Erfindung Verdi’s. Er enthält sich nur mancher Geschmacklosigkeiten des früheren Verdi, und dies verdankt er der Zeit, den musikalisch veränderten Anschauungen der Zeit, in welcher er aufwuchs; er verdankt es zum großen Theile Verdi selbst, dessen „Aïdaund „Otello“ ihre Spuren in die „Cavalleria“ unver kennbar eingedrückt haben. „On est toujours le fils de

quelcun,“ sagt Beaumarchais. Auch Mascagni ist nicht vom Himmel gefallen, und als sein musikalischer Vater kann schlechterdings nur Verdi bezeichnet werden. Von Verdi hat die italienische Oper, hat speciell Mascagni die leidenschaft liche Spannung, die mächtigen Steigerungen, die Musik „welche Blut zieht“. Von dem jungen Verdi hat er die lodernde Sinnlichkeit, von dem alten die declamatorische Prä gung. Und wie so manche melodische und harmonische Wen dung dazu? Klingt nicht gleich die Serenade in der Ouvertüre Verdisch? Ist nicht Turriddu’s A-moll-Satz: „Lass’ mich, Santuzza!“ mit seinem Triolengeklopfe Verdisch? Und Alfio’s wüthendes F-moll-Allegro (im Duett mit Santuzza), und die banalen Unisonos in dem Duett zwischen Turriddu und Santuzza — sind sie nicht Verdisch?

Ueber die enthusiastische Aufnahme der neuen Oper und die von Director Jahn so meisterhaft geleitete vorzügliche Aufführung wurde bereits gestern in Kürze berichtet. Herr Müller hat als Turriddu einen wohlverdienten großen Erfolg erzielt. Er darf diese schwierige und anstrengende Rolle zu seinen allerbesten zählen. In Maske, Mimik und Action verkörperte er vollständig den durch inneren Zwist verstörten, leidenschaftlichen Sicilianer. Die Gewalt der Si tuation und der Musik riß Herrn Müller zu lebendigerem Spiele hin, als wir in der Regel an ihm gewohnt sind; den rührenden Abschied von der Mutter sang und spielte er mit ergreifender Wirkung. Gleich stürmischen Beifall fand Fräulein Schläger als Santuzza. Sie war voll Feuer und Leidenschaft; leider verleitet sie die Rolle zu häufiger Ueber anstrengung ihrer Höhe, die also forcirt nicht mehr gut klingt. Auch würde es ihre im Ganzen so gelungene Leistung noch verschönern, wenn sie das kreischende Parlando bei Turriddu’s Abgang in die Kirche mäßigen und das zwei malige, sehr unschöne Hinfallen vermeiden möchte. Einmal am Schluß der Oper, wäre uns dieser Anblick ganz genügend. Ein Sonnenstrahl in dem düsteren Gewölk dieser Tragödie ist die Lola von Fräulein Forster; man kann für Auge und Ohr nicht schöner sorgen. Vortrefflich bewährt sich Herr Neidl als Alfio, sehr tüchtig, wie immer, Frau Kaulich in der kleinen Rolle der Lucia. Nachdem auch von Seite des Orchesters und des Chors, wie der scenischen Ausstattung die höchsten Ansprüche erfüllt waren, konnte der große Erfolg der „Cavalleria rusticana“ auch in Wien nicht zweifelhaft sein.