Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9607. Wien, Dienstag, den 26. Mai 1891 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9607. Wien, Dienstag, den 26. Mai 1891 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 26.05.1891
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Jenny Lind. I.

Ed. H. Mit dem doppelten Eifer eines schönen Erinnerns und einer freudigen Neugier langen wir nach der eben er schienenen prachtvoll ausgestatteten Biographie der großen Sängerin. Jenny Lind. Ihre Laufbahn als Künstlerin, 1820 bis 1851.“ Nach Briefen, Tagebüchern und anderen von Otto Goldschmidt gesammelten Schriftstücken von H. S. Holland und W. S. Rockstro. Autorisirte deutsche Uebersetzung von Hedwig Schöll. (Zwei Bände. Leipzig, bei F. A. Brockhaus.) Freilich, der Anblick von zwei starken Octav bänden hat uns ein wenig erschreckt. Wie vermag man mit dem Leben einer Gesangskünstlerin, und sei es die voll kommenste, zwei dicke Bände zu füllen? Die eigenthümlichen Schwierigkeiten dieser Aufgabe sind ja gerade solche, die zu gedrängter Fassung mahnen. Ist der Biograph einmal, nach Schilderung der Kinder- und Lehrjahre, bei dem ersten Er folge der Sängerin angelangt, so hat er, von Stadt zu Stadt mitreisend, nur eine Reihe von Kunstleistungen und Triumphen zu beschreiben, die sich meistens verzweifelt ähnlich sehen. Den Versuch, diese Leistungen selbst zu schildern, uns die Schön heit dieser Stimme, dieses Vortrages mit Worten klar zu machen, darf der Biograph sich allerdings nicht schenken. Allein er darf ihn, meinen wir, nicht bei jeder Opern vorstellung wiederholen. Müssen wir wirklich denselben Hym nus über die Sängerin neuerdings lesen, wenn sie dieselbe Rolle in Hamburg, in Berlin, in Frankfurt, in Wien, in London gesungen hat? An Gewissenhaftigkeit und Fleiß läßt die neue Lind-Biographie ebensowenig etwas zu wünschen, wie das Buch von Fr. Nicks über Chopin; nach diesen beiden Werken dürfte fortan die englische und nicht mehr die deutsche „Gründlichkeit“ als Superlativ gelten. Werden doch beispielsweise dem Auf treten der Lind in einer Provinzialstadt wie Norwichzwei Capitel gewidmet! Die häufige Wiederholung alles dessen, was die Verfasser oder Andere Preisendes über den Gesang und den Charakter der Künstlerin vorbringen, beschwert das Buch und ermüdet den Leser. Dünkt uns somit die neue

Lind-Biographie zu lang gerathen, so ist sie in anderer Be ziehung doch wieder zu kurz. Sie schließt mit dem Abgang der Künstlerin von der Opernbühne, also mit dem Jahre 1851. Jenny Lind hat aber dann noch an 20 Jahre lang als Concert- und Oratorien-Sängerin Triumphe in beiden Welten gefeiert. Eine Biographie soll uns das ganze Leben ihres Helden erzählen. Warum sagen uns die Ver fasser, die sich ja intime Freunde der Sängerin nennen durften, nichts von ihrem Familienleben, ihrer Häuslichkeit, nichts von ihren Kindern, deren Namen wir nicht einmal erfahren, geschweige denn ihre Schicksale? Die Erzählung bricht vor der großen amerikanischen Reise ab, weil — so meinen die Verfasser — doch nur schon Gesagtes wiederholt werden müßte. Mitnichten; gerade die amerikanische Tournée der Lind unter dem berühmten Barnum bot sehr viel Eigen artiges, auch culturhistorisch Interessantes, das mit ihren europäischen Erlebnissen sich durchaus nicht deckt. Sollten die Biographen hier vielleicht plötzlich Angst bekommen haben vor einem möglichen dritten Band? Zwei Verfasser haben sich in die Arbeit getheilt, ohne den Antheil eines Jeden von ihnen eigens kenntlich zu machen. Ohne Zweifel rühren die musi kalischen Beurtheilungen von Herrn Rockstro her, während der Canonicus Scott Holland den biographischen Theil und die Schilderung von Jenny Lind’s Charakter schrieb. Wüßten wir nicht aus Herrn Otto Goldschmidt’s Vorrede, daß Scott Holland „ein sehr geschätzter Kanzelredner und Ver fasser anerkannter religiöser Bücher“ ist, wir würden es aus mancher besonders salbungsvollen Partie des Buches errathen. Die „Schlußbetrachtung“, welche am Ende des zweiten Bandes alle Charaktervorzüge der Lind noch einmal zusammenfaßt oder richtiger: auseinanderbreitet, ist eigentlich eine verschämte Predigt, ein andächtiges Variiren und Paraphrasiren des selben Themas, wie es Kanzelredner so vortreich und erbau lich in Uebung haben. Wir wollten uns vorerst unsere Ein wendungen gegen das Buch vom Herzen schreiben, bevor wir an den Inhalt desselben und seine Vorzüge gehen. Letztere sind nicht gering. Das Buch ist mit großer Wärme, edler Gesinnung und nicht ohne Geist geschrieben; die deutsche Uebersetzung treu und gewandt.

Der interessanteste, weil am wenigsten bekannte Theil der Biographie ist die Jugendgeschichte. Jenny Lind ist

in Stockholm den 6. October 1820 geboren. Ihre Eltern lebten in bedrängten Verhältnissen. Der Vater, damals erst zweiundzwanzig Jahre alt und Buchhalter bei einem Kauf manne, wird als ein gutmüthig schwacher, leichtlebiger Mann geschildert. Jenny’s Mutter, die geschiedene Gattin eines übelberüchtigten Capitäns Rodberg, war eine charakterstarke Frau, welche sich hauptsächlich mit Unterrichtgeben durchhalf und eine Tagesschule für Mädchen hielt. Sie gab die kleine Jenny aufs Land zu einem Organisten in die Pflege und hat zeitlebens mehr Strenge als Zärtlichkeit, jedenfalls wenig Verständniß bewiesen für ihre Tochter. Die Großmutter ent deckte zuerst das auffallende musikalische Talent, das unfehl bare Gehör und Gedächtniß des Kindes. Die neunjährige Jenny mußte vor dem Director des königlichen Theaters, Grafen Pake, singen und erhielt auf dessen Vorschlag nicht nur Unterricht im Gesang, sondern ihre ganze Ausbildung und Erziehung auf Staatskosten. Die Mutter hatte den größten Abscheu vor dem Theater, sie mußte aber dem Druck der Verhält nisse nachgeben, und Jenny wurde ein Pflegkind der Bühne. Es ist eine seltene Erscheinung in den Annalen der Kunst, daß die Behörden so rasch ein ungewöhnliches Talent ent decken und sofort bereit sind, etwas dafür zu wagen. Das königliche Theater zu Stockholm, in welchem die zehnjährige Jenny im September 1830 als „aktris-elev“ eintrat, blieb für die nächsten zehn Jahre der Schauplatz und Mittelpunkt ihres Lebens. Die königliche Theater-Direction pflegte die Zöglinge in ausgewählten Häusern in der Stadt unter der Aufsicht einer Frau unterzubringen und mit dieser ein Uebereinkommen für Kost und Wohnung zu treffen. Da Jenny’s Mutter ohnehin Kostschülerinnen in ihrem Hause hielt, wurde ihr auch die Tochter übergeben. In dem mit Frau Lind geschlossenen, von der kleinen Jenny mitunter fertigten Vertrage heißt es: „Bis sie herangewachsen und ausgebildet ist, um einen festen Gehalt beanspruchen zu können, soll sie auf Rechnung des Theaters Kost, Klei dung und Wohnung, sowie freien Unterricht im Singen, Declamiren, im Tanz und allen anderen Fächern erhalten, die zur Erziehung eines gebildeten Mädchens gehören und für die Bühnenlaufbahn nothwendig sind.“ Wie viel Jenny sich von den „literarischen“ Fächern und fremden Sprachen angeeignet habe, läßt sich nicht bestimmen,

aber die Vollständigkeit der specifisch künstlerischen Aus bildung war sehr beachtenswerth und hinterließ in ihr einen unauslöschlichen Eindruck. Sie fühlte, daß sie derselben viel von ihren späteren Erfolgen verdankte; besonders schätzte sie ihre Ausbildung in schönen und ausdrucksvollen Bewegungen, die sie in der Theater-Tanzschule gewonnen. So lag ihre Laufbahn bestimmt und hoffnungsreich vorgezeichnet. Es war auf Jahre hinaus für sie gesorgt und für die Zukunft ihr eine Stelle gesichert. Nur das lieblose Benehmen ihrer äußerst reizbaren und heftigen Mutter trübte ihre Jugend zeit. Nach einer aufregenden Scene entlief Jenny eines Tages ihrer Mutter und flüchtete zu einer bekannten braven Frau. Die Direction erlaubte ihr, dort zu bleiben, aber Frau Lind strengte einen Proceß an, und Jenny mußte ihr zurück gegeben werden. Welche Sorgen ihr Leben auch mit sich brachte, einen Kummer, der gewöhnlich die Anfänge junger Künstlerinnen verdüstert, hat sie nicht gekannt: es fehlte ihr nie an Anerkennung. Schon im ersten Jahre ihrer Auf nahme in die Theaterschule spielte die zehnjährige Jenny Kinderrollen und glänzte als Tänzerin. In den nächsten Jahren trat sie wiederholt in Schauspielen auf; in einigen auch mit Gesang und Tanz. Sie sang hin und wieder in Theater-Concerten Duette mit ihrem Ge sanglehrer Berg, dem sie ihre ganze Ausbildung für die schwedische Bühne zu danken hatte. Zeitlebens blieb sie ihm treu anhänglich; er mußte lange nachher, 1848, auf ihren Wunsch sie nach England begleiten. Bis zum 1. Ja nuar 1837 war Jenny mehr als hundertmal auf der Stock holmer Bühne aufgetreten; man fand es nun an der Zeit, ihr eine feste Stellung mit bestimmtem Gehalte (jährlich 1200 Mark) zu geben. Von da an sollte sie, nach dem ursprünglichen Contracte, noch zehn Jahre im Dienste der Direction bleiben. Sie spielte fleißig weiter in längst ver gessenen Schauspielen, Lustspielen und Burlesken. Da trat ein entscheidender Wendepunkt ein: der Abend des 7. März 1838. „Ich stand an dem Morgen auf als eine Creatur wie sonst,“ pflegte sie zu erzählen, „und legte mich schlafen als eine neue Creatur. Ich hatte meine Kraft erkannt.“ Ihr ganzes Leben hindurch feierte sie den 7. März mit reli giösem Ernst wie einen zweiten Geburtstag. An dem Tage

ward sie sich selber bewußt; ihr künstlerisches Leben begann. Dies geschah in der Rolle der Agathe in Weber’s „Frei schütz“. Von da erkannte man Jenny als „die gottbegabte Sängerin“. Sie widmet sich jetzt ganz der Oper. Auf die Agathe folgt die Marie von Herold, Emeline in der Schweizerfamilie“, Pamina in der „Zauberflöte“, später Die Vestalin“ und Alice in „Robert der Teufel“. Diese Rolle, in der sie später ihre bedeutendsten Erfolge errang, sang sie zum erstenmale im Jahre 1839 als achtzehnjähriges Mädchen. Ganz glücklich wäre sie gewesen, hätten nicht seit ihren ersten Erfolgen die Reizbarkeit, der Hochmuth und das Mißtrauen ihrer Mutter, anstatt sich zu mildern, noch zu genommen. Da that Jenny den entscheidenden Schritt zur Trennung vom häuslichen Herd. Sie zog zu dem ihr be freundeten berühmten Liedercomponisten Lindblad, dessen Frau ihr eine zweite Mutter wurde. Dort blieb sie bis zu ihrer Abreise nach Paris, 1841; dahin kam sie wieder bei ihrer Rückkehr im Jahre 1842.

Welche Bewandtniß hatte es mit dieser Pariser Reise? Unsere Biographen bezeichnen sie als die „Pilgerfahrt“ und erklären sie mit den mysteriösen Eingangsworten: „daß Jennyzum Opfer bestimmt war!“ Einfach ausgedrückt: Jenny Lind empfand, daß ihre Gesangstechnik einer höheren Ausbildung bedürfe, daß sie noch zu lernen habe. Der schwedische Historiker Geijer hatte zuerst darauf bestanden, daß sie aus dem engen Kreis von Stockholm hinaus müsse in die Welt. Dazu kam der praktische Rath des trefflichen Baritons Belletti, welcher auf Jenny’s Frage, wo man sich die gute italienische Methode aneignen könne, unbedenklich antwortete: „In Paris, bei Garcia.“ Um die Mittel zu einem zwölfmonatlichen Studium bei Garcia zu erwerben, unternahm Jenny eine Concertreise in die Provinzen, welche der muthigen jungen Künstlerin zwar reichliche Ehren und Einnahmen brachte, aber durch übermäßige Anstrengung ihre Stimme schädigte. Als sie Garcia eine Arie aus „Lucia“ vorsang, brach sie während des Singens völlig zusammen. „Mademoiselle,“ sagte Garcia, „vous n’avez plus de voix.“ Der Schlag war furchtbar. Aber ihr Muth und die Erinnerung an so viele ehrlich errungene Erfolge hielten die schwer Getroffene aufrecht. Garcia rieth

ihr, sechs Wochen lang keinen einzigen Ton zu singen, ja, so wenig wie möglich zu sprechen; dann möge sie wieder zu ihm kommen. Jenny Lind widmete diese peinlich langen sechs Wochen dem eifrigen Studium des Italienischen und Franzö sischen. Nach dieser Wartezeit fand Garcia ihre Stimme so weit ausgeruht, daß er ihr Hoffnung auf gänzliche Wieder herstellung machen konnte, vorausgesetzt, daß sie ihre falsche Methode der Stimmbildung, welche sie fast zu Grunde ge richtet, aufgeben werde. Sie hatte regelmäßig bei Garcia zwei Stunden in der Woche und machte überraschende Fort schritte. „Ich habe,“ schreibt sie an eine Freundin, „schon fünf Stunden bei Signor Garcia, dem Bruder von Madame Malibran, gehabt; da heißt es denn für mich wieder von vorn anfangen; die Scalen auf- und abwärts singen, lang sam und vorsichtig; Triller üben (auch unchristlich langsam). Mit dem Athmen nimmt er es auch sehr genau. Ich be trachte es als ein großes Glück für mich, daß es einen Garcia gibt.“ Ueber das Athemholen, die Stimmbildung, Verschmelzung der Register und andere technische Einzelheiten wußte sie nichts; diese mechanische Grundlage lernte sie von Garcia; in den höheren Regionen der Kunst war ihr großes musikalisches Talent längst heimisch und sicher. In der That, sie war eine geborene Künstlerin; unter Garcia’s Leitung war sie eine Virtuosin geworden.

Während dieses Pariser Lehrjahres quält sie unaus gesetzt die Sehnsucht nach der Heimat und nach — der Bühne. „Das Bühnenleben,“ schreibt sie, „hat etwas so Hin reißendes, daß ich wirklich glaube, wer es einmal gekostet hat, kann, wenn er es entbehren muß, nie wieder glücklich sein.“ Dieses Geständniß steht in schneidendem Contrast zu der fast krankhaften Sehnsucht, mit welcher Jenny Lind nicht lange darauf sich von dem Theaterleben fortwünschte. Wichtig für ihre spätere Carrière war ihr die Bekanntschaft Meyerbeer’s, der eben in Paris Vorkehrungen für seinen Propheten“ traf. Er hatte die Lind privatim singen gehört und „viel Esprit und Gefühl“ in ihrem Vortrag gefunden. Für den Raum der Pariser Großen Oper schien ihm die Stimme nicht stark genug, doch meinte er, daß Berlin ein geeignetes Feld für ihr Talent sein würde. Der spätere Erfolg hat Meyerbeer’s Urtheil gerechtfertigt. Oeffentlich hat

Jenny Lind in Paris niemals gesungen. Die eine zeitlang verbreitete Fabel, sie sei in Paris durchgefallen und habe deßhalb nie wieder dort auftreten wollen, wird in unserem Buche gründlich widerlegt. Immer mächtiger zieht es sie nach Hause. „Paris,“ schreibt sie, „paßt nicht für mich, und ich passe nicht für Paris.“ 1842 kehrt Jenny nach Stockholm zurück und erscheint zum erstenmal wieder als Norma, dann als Lucia, endlich als Sonnambula, die eine ihrer berühmtesten Rollen wurde. Mit ihren unbedeuten den Ersparnissen kauft sie ihren Eltern ein kleines Heim auf dem Lande. Zwei Jahre lang wirkt sie nun, vom Publicum vergöttert, in Stockholm. Da erinnert sich Meyerbeer der jungen Sängerin und bemüht sich, sie für Berlin zu gewinnen, wo sie die Hauptrolle in seiner neuen Oper „Das Feldlager in Schlesien“ übernehmen soll. Sie lehnt ein glänzendes Anerbieten des Stockholmer Theaters ab und ver läßt zum zweitenmal ihre Heimat, diesmal als vollendete Meisterin, um in fernem Land ihr Glück zu versuchen. Einen Monat hält sie sich in Dresden auf und widmet sich dort eifrig dem Studium der deutschen Sprache. In Berlin tritt sie zuerst als Norma auf, bald darauf als Vielka in Meyerbeer’s „Feldlager“. Sie hat übrigens diese von Meyerbeer für sie geschriebene Rolle nicht „creirt“, sondern sich freiwillig den Ansprüchen der Berliner Hofsängerin Fräulein Tuczek gefügt, welche bei der feierlichen Eröff nung des neuen Opernhauses die Vielka zuerst singen wollte. Dies geschah, aber nicht zu Meyerbeer’s Zufriedenheit und nicht zum Vortheile des Werkes. Nach fünf Aufführungen des „Feldlagers“ übernahm Jenny Lind im Januar 1845 die Rolle und versetzte den Componisten und das Publicum in Begeisterung. So hat die Lind ihren europäischen Ruf in Berlin begründet. Mit glänzenden Anträgen bewarben sich nun London und alle deutschen Hauptstädte um die schwedische Nachtigall“. Die nächsten sieben Jahre bilden einen ununterbrochenen Triumphzug der gefeierten Opern sängerin. Am 10. Mai 1849 hat sie (als Alice in Robert“) zum letztenmal die Bühne betreten und dann auf ihren Kunstreisen in Deutschland, England und Amerika nur mehr in Concerten gesungen.