Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9707. Wien, Samstag, den 5. September 1891 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9707. Wien, Samstag, den 5. September 1891 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
G. Meyerbeer. (Zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages, 5. September 1791.)

Ed. H. Wenn Meyerbeer heute von irgend einem Aus sichtspunkte des Jenseits auf die Erde herabsehen könnte, etwa wie ein Schauspieler an seinem Benefice-Abend durch’s Guckloch späht — ich glaube, ein zufriedenes Lächeln würde sein ernstes, geistvolles Gesicht erhellen. In sämmtlichen Hauptstädten Europas und ringsum in der Provinz würde er Festvorstellungen seiner Opern wahrnehmen, volle Häuser, rauschenden Beifall. Wendet dann der Jubilar von seinem Aussichtssterne den Blick nach der anderen Hemisphäre, so begegnet er demselben Schauspiel, denn die Musikfreunde von Newyork und Mexico, von Rio und San Francisco können sich noch immer nicht satt hören an den Melodien des Robert“ und der „Hugenotten“, die sie längst auswendig wissen. Die Theater-Directoren sind diesmal nicht in Ver legenheit, wie sie es bei den Jubiläen von Spontini, Cheru bini, Méhul, Spohr und Hérold gewesen, deren Opern erst hastig hervorgesucht und neu scenirt werden mußten, sollte das Jubiläum dieser Meister nicht total ignorirt bleiben, was oft genug auch geschah. Meyerbeer’s Opern be dürfen keiner Wieder-Erweckung, sie sitzen fest in dem Repertoire aller Theater und herrschen da seit ihren ersten Aufführungen ununterbrochen. „Robert der Teufel“, „Die Hugenotten“, „Der Prophet“ haben eine Zahl von Bühnen erobert und eine Summe von Wiederholungen erlebt, wie in gleichem Zeitraume kaum eine andere große Oper. Um nur Wien zu citiren: die „Hugenotten“ (am 19. De cember 1839 zum erstenmale im Kärntnerthor-Theater ge geben) sind im Lauf von 50 Jahren (1889) gegen 500mal aufgeführt worden, eine Ziffer, die in Wien überhaupt nur von „Don Juan“, erreicht worden ist. In Paris haben Robert“ und die „Hugenotten“ bereits die 1000. Auf führung hinter sich. Eine Popularität wie diese ist ohne Beispiel. „Robert“ versorgt seit 60 Jahren, „Die Hugenottenbeherrschen seit 55 Jahren mit beinahe ungeschwächter Kraft alle Opernbühnen. Und wenn ihre anfangs geradezu unge heure Wirkung seither doch etwas nachgelassen hat, so ge schah es eben in Folge dieser gehäuften Wiederholungen. In so langem Zeitverlauf sind die Aufführungen fast überall nachlässiger, schleuderischer geworden, überdies die Haupt

partien nirgends mehr im Besitz so großer Gesangskünstler, so herrlicher Stimmen, wie ehedem. Trotzdem bewähren Meyerbeer’s Opern heute noch ihre alte Zugkraft; „Robertund „Die Hugenotten“ mit Recht voran, nach ihnen „Pro phet“ und „Afrikanerin“. Selbst der „Nordstern“ und Dinorah“ — schwächere Producte Meyerbeer’s in dem ihm fremderen Gebiet der Opéra comique — fehlen kaum in einem Opernhause, das noch die Seltenheit einer glän zenden, jugendlichen Coloratur-Sängerin besitzt.

So könnte denn Meyerbeer durch seinen himmlischen Lug-ins-Land wahrnehmen, daß seine Werke kräftig fortleben vor einem unermeßlichen, ihm mit seltener Anhänglichkeit treu gebliebenen Publicum. Meyerbeer war so glücklich, sich noch bei Lebzeiten durch die glänzendsten Erfolge anerkannt und belohnt zu sehen. Ungetrübt war diese Freude keines wegs. Man hat dem Mann, welcher persönlich neidlos, be scheiden und grenzenlos wohlthätig war, seinen Ruhm nach Kräften vergällt. Börne’s Ausspruch, daß Undankbarkeit gegen die eigenen Landsleute im Charakter der Deutschen liege, findet ein starkes Echo in den Erfahrungen Meyerbeer’s. Je wärmer die Franzosen ihn, den Fremden, anerkannten und feierten, desto tiefer glaubte die deutsche Kritik ihn herab zerren zu müssen. Man neidete ihm Zweierlei: seinen Wohl stand und seine Erfolge. Was hat man ihm nicht Alles an gedichtet! Sinnlose Anekdoten, wie die, daß Meyerbeer sämmtliche Orgeln in Paris angekauft habe, damit kein Nebenbuhler diesen im „Robert“ verwendeten Effect nach ahmen könne, wurden blindlings geglaubt und verbreitet. Am lächerlichsten ist aber die bekannte Lieblingsverdächtigung: Meyer beer habe seine Erfolge auf Schleichwegen der Reclame und der Be stechung erreicht. Wer dergleichen für möglich hält, der macht dem europäischen Publicum und seinem eigenen Verstande ein schlechtes Compliment. Reclame und Bestechung können einen äußeren Erfolg für ein paar Theaterabende und in zwei oder drei Städten erschleichen, niemals aber für längere Zeit und über weite Entfernungen hinaus. Man gebe heute einem beliebigen Componisten Millionen zu Bestechungszwecken — wenn seine Oper dem Publicum nicht gefällt, nicht sehr gefällt, so wird sie in kurzer Zeit und innerhalb bescheidener Grenzen verschollen sein. Meyerbeer ist seit 27 Jahren todt; seine Opern wirken aber heute wie zu seinen Lebzeiten, der beste Beweis, daß man nicht von ihm bestochen ist, sondern von seinen Melodien. Meyerbeer war allerdings ein ängst liches Genies, stets zweifelnd und besorgt um das Schicksal

seiner Werke, das hindert nicht, daß diese durch ihren eigenen Gehalt gesiegt und sich über ein halbes Jahrhundert lang wirksam erhalten haben. Die deutsche Journalistik hat Meyer beer unausgesetzt mit gehässigem Eifer verfolgt; das Publi cum aber ist ihm treu geblieben, überall, in allen Ländern. Er brauchte keine Meyerbeer-Vereine zu gründen, kein eigenes Meyerbeer-Theater zu erbauen; das ganze Publicum war sein Verein und Europa sein Bayreuth.

Zaghafte, nervöse Naturen wie Meyerbeer sind in der Regel sehr empfindlich. Der Schöpfer der „Hugenottenfühlte schmerzlich jeden Nadelstich der Kritik. Am tiefsten kränkte ihn die verächtlich wegwerfende Kritik Richard Wag ner’s, den er doch in schwersten Tagen thatkräftig unter stützt und gefördert hatte. Die Frage der persönlichen Dank barkeit möge hier gar nicht aufgeworfen, vielmehr willig zu gestanden werden, daß man Gutes von einem Freunde empfangen und doch seine Werke verfehlt finden könne. Aber ich glaube, daß das Bewußtsein genossener Wohlthaten jedem nicht ganz verhärteten Gemüth von selbst einige Zurückhal tung im Maß und Ausdruck eines öffentlichen Tadels auf erlegen müßte. Obendrein wo es sich nicht um eine Abwehr, sondern um einen durch keine Nöthigung motivirten Angriff handelt. Man weiß, daß der junge unbekannte Wagner die Annahme seines „Rienzi“ in Dresden (die seine Anstellung als Hof-Capellmeister zur Folge gehabt) nur Meyerbeer verdankte, desgleichen die Aufführung des „Fliegenden Hollän der“ in Berlin. „Ohne Meyerbeer hätte ich in Paris mit meiner Frau verhungern können,“ sagte mir wörtlich R. Wagner im August 1846 in Marienbad. Aber gleich auf dieses unbefangene Geständniß folgte eine Fluth von Schmähungen gegen Meyerbeer’s Musik, die nur „eine wider wärtige Fratze“ sei. Meyerbeer, dem meine jugendliche Neu gier damals gern ein Wort über Wagner entlockt hätte, sagte nichts weiter als: „Seine Opern gefallen sehr“ und wendete sofort das Gespräch. An Meyerbeer’s Richtung ist viel zu beklagen, in seinen Opern gar Manches zu verwerfen, und meine Leser wissen ganz gut, daß ich für das Raffinirte, Gewaltsame und Geschmacklose darin niemals blind oder nachsichtig gewesen. Aber in der Hauptsache, glaube ich, beurtheilt ihn Wagner falsch und ungerecht. Er sagt nämlich in „Oper und Drama“ (zweite Auflage, Seite 91): „Beachtenswerth ist es vor Allem, daß Meyer beer diesem Gange der Opernmusik nur immer folgte, nie aber mit ihm, geschweige denn ihm irgendwie vorausging.

Er glich dem Staar, der der Pflugschar auf dem Felde folgt und aus der soeben aufgewühlten Ackerfurche lustig die an die Luft gesetzten Regenwärmer aufpickt. Nicht Eine Rich tung ist ihm eigenthümlich, sondern jede hat er nur seinem Vorgänger abgelauscht.“ Wenn Meyerbeer, keine Originalität besäße, nur Abgelauschtes und Erborgtes wieder holte, nimmermehr hätten seine Opern eine so gewaltig zün dende Wirkung machen und bis heute bewahren können. Gerade das Originelle in „Robert“ und den „Hugenottenhat das Glück dieser Opern begründet. Wer sich der Zeit erinnert, da diese Werke erschienen, dem ist auch das blen dend Neue, ganz Eigenartige ihres Eindruckes unvergeßlich. Was darin etwa an Weber, Rossini, Auber erinnert, ist ver schwindend gering gegen das ganz Eigenartige, specifisch Meyerbeer’sche dieser Musik. Niemand würde eine Meyer beer’sche Oper irgend einem andern Componisten zuschreiben können. Man kann im Gegentheil behaupten, daß Meyerbeer mit „Robert“ und den „Hugenotten“ der modernen großen Oper den Stempel seiner Persönlichkeit aufgedrückt hat. Was auf gleichem Gebiet darauf folgte, und nicht blos in Frank reich, verräth mehr oder minder die Einwirkung Meyerbeer’s: Halévy’sJüdin“, „Guido und Ginevra“, „Karl VI.“, Gounod’sFaust“ und „Königin von Saba“, A. Thomas Hamlet“, Massenet’sKönig von Lahore“ und „Cid“, Verdi’sSicilianische Vesper“, Donizetti’sDom Sebastian“ und „Favorite“. Und nicht auch Wagner selbst? Er hat ganz Recht, wenn er in einem von Demuth und Dankbarkeit triefenden Briefe an Meyerbeer (1842) sich dessen „alleraufrichtigsten Schüler“ nennt; denn nicht blos „Rienzi“ ist eine unverhohlene Nachbildung Meyerbeer’s, auch „Tannhäuser“ würde schwerlich existiren, wenn nie ein Meyerbeer existirt hätte. Vollends unbegreiflich erscheint aber, wie Jemand, sei er dem dramatischen Raffinement Meyer beer’s noch so sehr abhold, zweifeln könne an dessen großem musikalischen Talent. Wagner aber nimmt keinen An stand (in „Oper und Drama“, Seite 80), „Meyerbeer’s specifisch musikalische Begabung vollkom men auf Null zu setzen“! Man braucht nicht einmal die „Hugenotten“ zu kennen, sondern nur „Robert

der Teufel“, nur den ersten Act von „Robert der Teufel“, um darüber klar zu sein, daß hier eines der üppigsten musikalischen Talente einen Reichthum an Erfindung ent falte, wie er zu den größten Seltenheiten gehört. Aber Wagner war nicht immer so schlecht zu sprechen auf Meyerbeer’s Opern. Es existirt ein durchaus von Wagner’s Hand geschriebener Aufsatz von fünf Folioseiten über Meyer beer, der Alles übertrifft, was der entzückteste französische Kritiker je zum Preise dieses Componisten schreiben konnte. Dieser ganz druckfertige Aufsatz, wahrscheinlich aus dem Jahre 1842, war offenbar für eine Musikzeitung bestimmt. Warum er trotzdem nicht zur Veröffentlichung gelangte, ist unbekannt; schade ist’s jedenfalls. Der Besitzer dieses kostbaren Autograph, Herr Leo Liepmanssohn in Berlin, hat es weis lich vor der öffentlichen Versteigerung drucken lassen, damit es nicht etwa von liebevoller Hand heimlich angekauft und un gekannt aus der Welt geschafft werde. Nicht das Gelüfte einer verspäteten Polemik, sondern der Wunsch, gerade an Meyerbeer’s Jubiläum etwas zur Rettung seines Namens beizutragen, veranlaßt mich, den Wagner’schen Aufsatz, von welchem in diesem Blatt bisher nicht die Rede gewesen, hervorzusuchen und einige Hauptsätze daraus mitzutheilen.

„Betrachten wir die Erscheinung Meyerbeer’s,“ schreibt R. Wagner, „so werden wir sowol ihrer Tendenz als zumal auch ihren äußeren Zügen nach unwillkürlich an Händel und Gluck erinnert, und selbst ein wesentlicher Theil in der Richtung und Bildung Mozart’s scheint sich hier wiederholt zu haben. Vor allen Dingen ist nie aus dem Auge zu verlieren, daß jene Deutsche waren, wie dieser es ist ... Meyerbeer war so deutsch, daß er bald in die Fußstapfen seiner alten deutschen Vorfahren gerieth; diese zogen mit der vollen Kraft des Nordens über die Alpen und eroberten sich das schöne Italien. Meyerbeer ging nach Italien, er machte selbst die üppigen Söhne des Südens in seinen Tönen schwelgen, und dies war sein erster Sieg. Muß es nicht mit Stolz erfüllen, sich nicht nur das fremde Schöne zu eigen machen zu können, sondern selbst die, denen wir es entnehmen, sich der Veredlung desselben erfreuen lassen zu können? Aber selbst damit sehen wir

den deutschen Genius sich noch nicht begnügen, an diesem Siege wollte er ja erst nur noch lernen. Die verschwim menden, unbestimmten Nebel des Spiritualismus haben sich zu Formen schönen, warmen Fleisches gestaltet, das reine, keusche, deutsche Blut fließt aber in seinen Adern; die Gestalt des Mannes ist fertig und tadellos — nun kann er schaffen und Thaten für die Ewigkeit verrichten ... Es war nun aber Meyerbeer, der diese Manier erweiterte, ja der sie dann zu einer allgemein giltigen classischen Schreib art erhob. Von gewissen gebräuchlichen und populären Rhythmen und Melismen hat er die moderne Schreibart zu einem grandios einfachen Styl geführt, der den unendlichen Vorzug besitzt, daß er seine Basis in den Herzen und Ohren des Volkes hat — und nicht blos als eine raffinirte Erfin dung eines neuerungssüchtigen Kopfes vage und ohne Grund und Boden in der Luft herumschwimmt ... Meyer beer schrieb Weltgeschichte, Geschichte der Herzen und Em pfindungen, er zerschlug die Schranken der National-Vor urtheile, vernichtete die beengenden Grenzen der Sprach-Idiome, er schrieb Thaten der Musik, Musik, wie sie vor ihm Händel, Gluck und Mozart schrieben, und diese waren Deutsche und Meyerbeer ist ein Deutscher ... Er hat sein deutsches Erbtheil bewahrt, die Naivetät der Empfin dung, die Keuschheit der Empfindung. Diese jungfräulich verschönten Züge tiefen Gemüthes sind die Poesie, das Genie Meyerbeer’s; er hat ein unbeflecktes Ge wissen, ein liebenswürdiges Bewußtsein bewahrt, das neben den riesigsten Productionen oft selbst raffinirter Erfindungen in keuschen Strahlen ergänzt und sich bescheiden als den tiefen Brunnen erkennen läßt, aus dem alle jene imposanten Wogen des königlichen Meeres geschöpft werden.“

In diesem Tone geht es in mehr als 300 langen Zeilen fort. Man traut seinen Augen nicht und fragt sich bestürzt: Wie ist es möglich, daß Wagner, wenn er auch nur die Hälfte von seinem Lobesartikel wirklich geglaubt hat, einige Jahre später mit so leidenschaftlicher Gehässigkeit über Meyerbeer herfallen und alles früher Gesagte rundweg in das Gegentheil verwandeln konnte? Wir stehen hier vor einem Räthsel, aber vor keinem schönen. Eine beiläufige Auf

klärung liefert vielleicht Wagner’s Ausspruch: „Es hat etwas tief Betrübendes, beim Ueberblick unserer Operngeschichte nur von den Todten Gutes reden zu können, die Lebenden aber mit schonungsloser Bitterkeit verfolgen zu müssen.“ Das heißt, Wagner wollte nicht blos als der erste, sondern als der einzige Tondichter der Gegenwart gelten. Seine Parteigänger haben sich natürlich nur an das absolute Ver dammungsurtheil gehalten, das Wagner in dem Aufsatze Das Judenthum in der Musik“ und in dem Buche „Oper und Drama“ gegen Meyerbeer schleudert. Ihr Haß spru delt um so heftiger, als sie sehen, daß trotz ihrer Anstren gungen die „Hugenotten“ noch immer nicht von den „Nibe lungen“ verdrängt sind und neben „Tristan und Isoldesogar „Robert der Teufel“ ein fröhliches Dasein führt. Die von Wagner anbefohlene „schonungslose Bitterkeit“ wird von seinen Anhängern mit einem Eifer bethätigt, der erheiternd wirken müßte, wäre er nicht gar so häßlich. So wurde bei spielsweise ein vielversprechender junger Tenorist von seinen Wagner’schen Freunden veranlaßt, in seinem Engagements- Contracte auf die Clausel zu dringen, daß er niemals ver halten werden dürfe, in einer Meyerbeer’schen Oper mitzu wirken! Dieser Künstler, der französischen Opern von Gounod und Massenet seine besten Erfolge verdankt und für Rollen wie Raoul und Robert wie geschaffen ist, mußte sich gegen seinen eigenen Vortheil urkundlich verbarricadiren, blos um als Wagnerianer seinen Haß gegen Meyerbeer zu bezeugen.

Solchen Parteibestrebungen gegenüber bietet das Ver halten des Publicums und der Theater-Directionen bei der Centennarfeier Meyerbeer’s einen erfreulichen Anblick. Sie beide wissen, daß sie dem Schöpfer der „Hugenotten“ zu Dank verpflichtet sind, und freuen sich, dies laut und herzlich zu documentiren. Gerne feiern wir heute das Gedächtniß eines Meisters von ebenso glänzendem Talent wie außer ordentlichem Kunstverstand, welcher durch die Verschmelzung reizendster Melodienfülle mit packendem dramatischen Leben ein halbes Jahrhundert lang mächtig auf die Gemüther aller Nationen gewirkt hat. Die heutige Feier gibt Zeugniß von der ganz einzig dastehenden Popularität der Meyerbeer’schen Opern, deren letztes Stündlein gewiß noch lange nicht ge schlagen hat.