Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9738. Wien, Dienstag, den 6. October 1891 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9738. Wien, Dienstag, den 6. October 1891 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 06.10.1891
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Hofoperntheater. („Die Liebenden von Teruel“, Oper in vier Acten und einem Vorspiel von Tomas Breton.)

Ed. H. Wenn es der Hofopern-Direction darum zu thun war, uns mit einer Seltenheit zu überraschen, dann konnte sie gewiß nichts Passenderes wählen, als eine spa nische Oper. Kaum hat ein zweites Culturvolk in der Ge schichte der Musik so wenige Posten errungen, so geringe Spuren hinterlassen, wie das spanische. Es besaß im sech zehnten und siebzehnten Jahrhundert einige angesehene Kirchen-Componisten und Theoretiker, wie Cristofano Mo rales und Ludovico da Vittoria; dann fehlt bis auf unsere Tage jeder Name von Bedeutung. Während im sieb zehnten Jahrhundert die spanische Dichtung in Cervantes, Lope da Vega, Calderon ihren weithin strahlenden Gipfel erreicht hatte und gleichzeitig die Ribera, Velasquez, Mu rillo den Ruhm spanischer Malerkunst verbreiteten, blieb die Musik mit Unfruchtbarkeit geschlagen. Auch unser Jahr hundert der musikalischen Influenza hat in Spanien nicht Einen namhaften Tondichter hervorgebracht, man wollte denn Melchior Gomis dafür nehmen, der, ein geborener Spanier, unverfälscht französische Musik für die Pariser Opéra Comique schrieb. In der That, das kalte Rußland, das melancholische Norwegen, selbst das steife Eng land sind musikalisch weit fruchtbarer als Spanien, dieses gelobte Land der Romantik, der süßen Serenaden, der be rauschenden Tänze. Der Musikhistoriker Gevaert, einer der besten Kenner und Liebhaber des heutigen Spanien, nennt nur zwei Gattungen Musik dort eigentlich heimisch: Kirchenmusik und Volksmusik. Erstere, jetzt völlig verflacht, entbehrt jeder künstlerischen Bedeutung; letztere übt einen befruchtenden Einfluß höchstens auf die kleinen nationalen Singspiele (Zarzuelas), ohne zu den höheren Sphären der Kunst emporzudringen. Musikalisch ist Spanien heute noch eine italienische Provinz. Madrid und Barcelona bilden immer noch die treuesten Asyle italienischer Operngesellschaften. Zwar sorgt die spanische Regierung väterlich für die Hebung der nationalen Musik; das Conservatorium in Madrid er

zieht tüchtige Sänger und Instrumentalisten, Compositionen einheimischer Tonkünstler werden grundsätzlich gefördert und bevorzugt. Auch der Componist der neuen Oper, Herr Tomas Breton, genießt als Concertmeister der Königin-Regentin den besonderen Schutz des Hofes und der Regierung. Er ist seit Menschengedenken der erste spanische Operncomponist, dessen Name und Musik über die Grenzen seines Vaterlandes dringt.

Das Textbuch ist nach einem in Spanien populären Drama gleichen Namens vom Componisten selbst verfaßt. Los amantes de Teruel“ war der erste große Erfolg des fruchtbaren Bühnendichters Hartzenbusch, der trotz seines fürchterlichen deutschen Namens ein geborener Spanier war und als Director der National-Bibliothek 1880 in Madrid gestorben ist. Zwei Edelleute bewerben sich um die Hand der schönen Isabel; der eine, Don Rodrigo, ist reich und vom Vater bevorzugt, der andere, von Isabel geliebte, Marsilla, ist arm, oder wie Don Pedro sich gewählter ausdrückt: „Der Güter Stütze ward leider ihm versagt.“ Um ihm aber doch nicht alle Hoffnung abzuschneiden, fordert Isabel’s Vater den Marsilla auf, sofort gegen die Ungläubigen ins Feld zu ziehen und sich Reichthümer zu erwerben. Ist er nach fünf Jahren, genau auf Tag und Stunde, zurückgekehrt, so wird Isabel die Seine; bleibt er aus, so gehört sie dem Rodrigo. Beide Bewerber fügen sich mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit dieser Fristerstreckung. Schweren Herzens läßt Isabel den Geliebten ziehen: „So sehr ist dich zu sehen all mein Ver langen, — Daß, denk’ ich an dein Gehen — Mich zwingt das Bangen.“ Damit schließt das sehr umständliche „Vor spiel“. Der erste Act spielt im Palast des Emirs von Valencia. Marsilla war in dessen Gefangenschaft gerathen, wird aber jetzt freigelassen, weil er dem Emir das Leben gerettet hat. Die Sultanin Zulima, ein beängstigend ver liebter Drache, verfolgt den Marsilla mit Liebesanträgen, welche der treue Geliebte Isabel’s entschieden zurückweist. Ein Aufpasser denuncirt sie dem Emir, und dieser verurtheilt sie unverweilt zu ewigem Kerker. Allein Zulima hat früher dem Marsilla das Leben gerettet und wird auf dessen Fürbitte begnadigt. (Es ist merkwürdig, wie viel Leute immer in solchen Operntexten einander das Leben gerettet haben und was Alles damit motivirt wird!) Der Emir verkündet: „Frei denn ist sie! Doch verbannt aus meinem

Lande — Und wiederkehren soll zu keiner Frist sie!“ Aber die Eifersucht frißt sie, und schnurstracks eilt sie dem nach Teruel ziehenden Marsilla voraus, um ihn zu verderben. Als Kreuzritter verkleidet, dringt Zulima zu der trauernden Isabel und erzählt ihr, daß Marsilla treulos geworden und als Geliebter der Sultanin hingerichtet worden sei. Isabel glaubt das Märchen und entschließt sich, dem Vater zuliebe, zur Vermälung mit Don Rodrigo. Zulima aber entflieht mit den nicht ganz deutlichen Worten: „Kein Leid soll ihr ersparen, bis ganz ihr freudeleer!“ Marsilla ist zur fest gesetzten Frist in Teruel eingetroffen, wird aber unweit des Schlosses von Zulima’s Leuten überfallen und an einen Baum festgebunden. Zulima selbst meldet im Triumph befriedigter Rache dem Gefesselten die soeben voll zogene Vermälung Isabel’s mit Don Rodrigo. Im dritten Acte sehen wir Marsilla, den seine Freunde los gebunden haben, verstört in Isabel’s Gemach eindringen. Er hat ihren Gemal getödtet und fleht nun um ihre Liebe. Sie weist ihn zurück. „Schon sehe ich den Glanz des Himmels, beschlossen ist mein Erdenweg!“ ruft der Verschmähte und geht ab. Der vierte und letzte Act bringt nichts weiter, als ein sehr ausführliches pomphaftes Begräbniß. Marsilla’s Leiche wird in offenem Sarge niedergestellt, Isabel stürzt sich wehklagend darüber und stirbt.

Als Bearbeitung eines in Spanien beliebten Dramas mochte auch der Breton’sche Operntext seinen Landsleuten willkommen sein. Uns erscheint er kindisch und uninteressant; eine altmodische confuse Rittercomödie, voll unwahrscheinlicher Situationen und schablonenhafter hohler Figuren. Die deutsche Uebersetzung von Dr. Adler gehört zu der unheilvollen Classe der wortgetreuen, welche, das Original gleichsam mechanisch durchpausend, keine Rücksicht kennen für den musi kalischen Accent und den Geist der deutschen Sprache. Aus den oben citirten Versen dürfte dem Leser das Berggrünliche Colorit dieser Verdeutschung ohneweiters eingeleuchtet haben. Director Jahn’s rettende Hand hat übrigens auch hier muthig und erfolgreich eingegriffen, so weit es möglich war. Eine „spanische Oper“ kann man die „Liebenden von Teruel“ nur insofern nennen, als die Musik von einem Spanier und auf spanische Worte componirt ist. Dem Styl nach gehört sie zu den italienischen. Das Vorbild Breton’s

ist Verdi, selbstverständlich der mit modernen deutschen und französischen Elementen vermischte Verdi. Es hat uns verwundert, daß Breton so wenig Vortheil zog aus dem Schatze spanischer National-Melodien. Sind ihm darin doch Nichtspanier, wie Weber in der „Preciosa“, C. Kreutzer im „Nachtlager“, Auber in der Balletmusik des ersten Actes der „Stummen“, vor Allem Bizet in „Carmenmit außerordentlichem Glück vorangegangen. Nur zweimal bringt Breton nationale Anklänge: in dem Liede „Meine Lieb’ ist ohnegleichen“ (einer auch von Sarasate bearbeite ten Volksmelodie) — und flüchtig in dem Chor der Odalisken. So vermissen wir denn an dieser spani schen Oper gerade dasjenige, worauf wir am meisten begierig waren: den nationalen Charakter. Das ist sehr zu bedauern. Herr Breton hätte als der erste nach Deutschland gedrungene spanische Componist wahrlich ein leichtes Spiel gehabt, sobald er nur — selbst bei mäßigem Talent — in seiner Oper den nationalen Charakter ausprägte und gleich sam das musikalische Sprachrohr seines Volkes wurde. So aber verblieb er in den italienischen Banden, die ihn von Kindheit auf umflochten. Damit wäre allerdings nicht sein Urtheil gesprochen. Man kann auch italienisch sehr gute und allerwärts wirksame Opern schreiben — wohlgemerkt, mit neuen Ideen und neuen Formen in diesem Styl. Davon haben jedoch die „Liebenden von Teruel“ wenig aufzuweisen. Eine originelle schöpferische Kraft spricht nicht aus dem Werke. Seine Melodien sind zwar nicht unedel, aber ebenso wenig neu oder musikalisch bedeutend. Eine gewisse Leere und italie nische Gleichförmigkeit darin mag der Componist selbst empfunden haben, denn er bemüht sich unausgesetzt, die Gesangspartien durch eine sehr wechselvolle Orchesterbegleitung zu heben. Leider thut er in diesem Punkte zu viel des Guten. Sein Orchester, in fortwährender Arbeit und Aufregung, gönnt uns selten einen Augenblick ruhigen Aufathmens. Breton’s Instrumentirung ist theils zu massenhaft und lärmend, theils zu aufdringlich in ihrem künstelnden Detail. Nichts lästiger, als wenn jedes Motivchen einer Gesangsmelodie eine Imitation der Clarinette oder Oboë nach sich schleppt, oder nach je acht Tacten die Geigen ein sentimentales Unisono einmischen, gleichsam um die Lücke zu verstopfen. Am aufdringlichsten erschienen uns die fortwährenden Zwischenbemerkungen der Oboë und des Fagotts. Und das rasende Harfengezirp und -Gezwitscher,

womit die verkleidete Zulima sich bei Isabel einführt! Und die von Oboë und Clarinette endlos wiederholte Triolenfigur in Zulima’s an den „Prinzen von Arkadien“ anklingender Erzählung! Die neuesten italienischen Maëstri, und Breton mit ihnen, wagen es nicht, den Gesang heute so ein fach zu begleiten, wie es Bellini, Donizetti und der junge Verdi gethan; sie künsteln nun nachträglich im Orchester herum und machen es lärmend anstatt reich, unruhig anstatt interessant. Eine unbedeutende Melodie wird nicht besser dadurch, daß man die Aufmerksamkeit des Hörers fort während von ihr ablenkt. Breton ist dürftig in der Haupt sache, verschwenderisch in den Nebendingen. Für einen modern geschulten jungen Operncomponisten, der oben auf der Bühne nicht viel auszugeben hat, ist es freilich verlockend, im Orchester den Cavalier zu spielen. Die schmückenden Orchester figuren in „Don Juan“ oder „Fidelio“ sind gleichzeitig mit der Melodie aufgesprossene Blumen; jene in den „Liebenden von Teruel“ äußerlich wie auf einen Teppich aufgeheftet.

Herr Breton hat sich rasch in die Form und Ausdrucks weise der fünfactigen großen Oper eingearbeitet und hand habt mit Geschick ihre äußeren Mittel. Er schreibt gut und wirksam für die Singstimmen, ein Vorzug der italienischen Schule. Er bewegt sich fast immer in dem brausenden Wogenschwall des „Dramatischen“ und gefällt sich in der äußersten Spannung und Ueberspannung des leidenschaft lichen Ausdrucks. Trotzdem scheint mir Breton’s Talent mehr im Umkreise des Lyrischen zu liegen. Einige Gesänge sanfteren Charakters heben sich vortheilhaft aus dem Ganzen heraus: das erste Duett der Liebenden, die Replik Marsilla’s (F-dur) auf die Liebeswerbung der Zulima, der Anfang des Monologs der Isabel („Ein Wahn in dunklem Triebe“), vor Allem das F-dur-Andante („Den Liebsten kannst du fragen“) in dem letzten Duett. Dieses Stück, das beste in der Oper, ist von bedeutender und schöner Wirkung in seinem ersten Theil; von dem „Agitato“ der zweiten Hälfte an wird es ermüdend durch maßlose Häu fung übertreibender Phrasen. Herr Breton hat Empfindung, Feuer und das redlichste Bemühen um den prägnanten Ausdruck jedes Wortes, jeder Situation. Leider fehlt es ihm meistens an neuen und originellen Ideen, um seine richtige Empfindung auch musikalisch bedeutend und ergreifend zu gestalten. Er zerstückelt den Zusammenhang, häuft die

Contraste und grellen materiellen Effecte, so daß wir ganze Strecken hindurch nur Farben zu sehen glauben ohne Zeichnung. Nur selten und vorübergehend gerinnt ihm dieser Farbentumult zu abgerundeten klaren Bildern. Wir wollen aber auch in der Oper musikalisch erfüllt und gehoben werden, nicht blos dramatisch durchgeschüttelt von dem Herzeleid singender Figuren, die uns nicht sonderlich interessiren. Wie die meisten jungen Componisten, ist auch Breton unersättlich im Erguß seiner Empfindungen und geräth dadurch in ermüdende Breite. Es gibt kaum Eine Nummer in seiner Oper, die nicht bedeutende Kürzungen vertrüge und verlangte. Trotz der von Director Jahn vor genommenen ausgiebigen Amputationen dauert die Oper immer noch länger, als die Geduld des Hörers. Der Componist ist sich dieses Uebelstandes wohl bewußt; er klagt mir selbst in einem Briefe über die zu große Länge seiner Oper. „Ich habe,“ schreibt Herr Breton, „Die Liebenden von Teruel“ vor zehn Jahren componirt, nach dem damals in Spanien herrschenden, von Meyerbeer be einflußten Geschmack. Meine im nächsten Frühjahre in Barcelona zur Aufführung kommende neue Oper „Fra Garin“ wird etwas mehr musikalisch und maßvoller in ihren Dimensionen sein.“ Nach dieser uns vom Componisten er öffneten Aussicht konnte es nicht schaden, wenn man in Wien auf die neue Oper von Breton lieber gewartet hätte. Wahr scheinlich wird sie einen erfreulichen Fortschritt des jungen Componisten bedeuten und sein inzwischen gereiftes Talent in günstigerem Lichte zeigen.

Die Novität wurde sehr beifällig aufgenommen und hat den Darstellern der beiden anstrengenden HauptpartienFräulein Schläger und Herrn Winkelmann — ver dienten Applaus und zahlreiche Hervorrufe eingetragen. Herr Director Jahn leitete persönlich die von ihm mit aufopfern der Sorgfalt scenirte und einstudirte Oper. Wir wissen, daß er ein genialer Dirigent ist und höchstens dem Einen Wunsche Raum läßt: es möchte ihm das Was der Vorstellungen nicht weniger am Herzen liegen, als das Wie. Nach drei Novitäten vom Schlage der „Flüchtlinge“, des „Vasall von Szigeth“ und der „Liebenden von Teruel“ hoffen wir recht bald im Operntheater wieder ein Werk aufgeführt zu sehen, das diese Auszeichnung nur seinem inneren Werth verdankt.