Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9849. Wien, Dienstag, den 26. Januar 1892 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9849. Wien, Dienstag, den 26. Januar 1892 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 26.01.1892
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Musik.

Ed. H. „Brahms und Joachim“ — so hieß die Signatur der letzten Musikwoche. Nichts konnte erwünschter sein. Brahms und Joachim bilden heute unstreitig die stärksten Pfeiler guter Musik; jener als schaffender, dieser als aus übender Meister. Der Eine wie der Andere hat sich auf seinem Gebiet zum Ersten unter den Zeitgenossen aufge schwungen; Beide schaffen seit nahezu fünfzig Jahren unbe irrt im Dienste des Idealen, sind wahre Priester der Musik ohne pietistischen Beischmack. Jedem von ihnen dankbar anhänglich, freuen wir uns doch am meisten, wenn Beide zusammen musiciren; ein wohlthuendes Bild erprobter Künstler- und Männerfreundschaft. „Zwei geniale Burschen“, wie Robert Schumann sie in Düsseldorf genannt, lernte ich Brahms und Joachim im Frühling 1855 dort kennen, bei dem von Hiller dirigirten Musikfest. Sie erinnerten mich an die schmucken Holkischen Jäger in Wallenstein’s Lager, wenn sie so fröhlich Arm in Arm den „Ananasberg“ herabschritten, ein bescheidenes Hügelchen, auf dem ein nach rheinischen Begriffen vorzüglicher Kaffee geschänkt wurde. Der zweiundzwanzig jährige Brahms, ein schmächtiger Idealjüngling mit rosig zartem Gesicht und langem Blondhaar; der um zwei Jahre ältere, ernster blickende Joachim, gleichfalls bartlos, dunkel von Teint und Haaren — wie freuten sie sich gemeinsam der blühenden Pfingstzeit! Wie leuchtete auf ihren Gesichtern das beneidenswerthe Glück: Ruhm in jungen Jahren! Und wieder sehen wir sie jetzt Hand in Hand vor das Publicum treten, das sie mit anhaltend herzlichem Zuruf begrüßt. In den siebenunddreißig Jahren seit jenem Düsseldorfer Musikfest hat Brahms Zeit gehabt, sich einen ehrwürdig weißen Bart und Joachim wenigstens einen graugesprenkelten anzuschaffen; im Uebrigen sind Beide stramm und frisch geblieben. Im tüchtigen Musiciren webt eine erhaltende, verjüngende Kraft. Das zeigten uns wieder die beiden Kammermusik- Abende des trefflichen Berliner Quartetts (Joachim, de Ahna, Wirth und Hausmann), dem sich der Meiningen’sche Hofmusiker Mühlfeld mit der Clarinette und Brahms am Clavier anschlossen. Wir hörten da je ein Quartett von Mozart (G-dur) und Schumann

(F-dur), zwei von Beethoven (C-dur, op. 59, und B-dur, op. 130) und die neuen Clarinett-Compositionen (Trio und Quintett) von Brahms. Die beiden letzteren — die stärksten Magnete des so anziehenden Programms — sind gelegentlich ihrer Erstaufführung bei Rosé und Hellmes berger besprochen worden. Ich könnte kaum Neues von ihnen melden, höchstens Schöneres; denn sie haben mir noch besser gefallen, als damals. Dem Publicum schien es ebenso zu gehen, da es beiden Werken nicht mehr ganz fremd gegenüberstand. Unbeschreiblichen Jubel erregte wieder das Quintett, dieses Meer von Wohllaut, Wärme und genialen Ideen. Daß das A-moll-Trio von der helleren Sonne des Quintetts überstrahlt wurde, ist begreiflich. In allen Theilen kunstvoll und geistreich, vermag es doch nur in Einem Satze — dem Schubert verwandten, lieblichen Allegretto — un mittelbar und unwiderstehlich zu fesseln. Den Themen der übrigen drei Sätze fehlt die reizvolle, sich einprägende Melodik, und während im Quintett die Instrumente aus voller Seele singen, ziehen sie im Trio vor, zu grübeln, zu reflectiren. Die Aufführung war von idealer Schönheit. Joachim’s „Berliner Quartett“, das wir bereits vor zwei Jahren schätzen gelernt, bedarf keiner neuen Lobes erhebung; es besteht aus vier vortrefflichen Musikern, deren Kunst und Spielfreudigkeit im Zusammenwirken noch zu wachsen scheint. Neu war uns hingegen Herr Mühlfeld. Wir entsinnen uns keines Clarinett-Virtuosen, der sein schwieriges Instrument so meisterhaft behandelt hätte. Sein Ton ist in allen drei Registern gleich rund, klangvoll und warm; selbst die gefährlichsten hohen Töne, wie sie in den leidenschaftlichen Stellen des Quintett-Adagios in Anspruch genommen sind, klingen nicht schreiend. Mächtig wirken die tiefen Chalumeaux-Töne, zauberhaft das Pianissimo in der Mittellage. Herr Mühlfeld spielte seinen Part ungefähr, wie ein seelenvoller italienischer Gesangsmeister ihn vortragen würde. Wir danken Joachim und seinen Genossen zwei un vergeßlich schöne Abende.

Gleichzeitig mit Joachim’s erstem Kammermusik-Abend spielte das Quartett Rosé bei Bösendorfer — gleichfalls bei gedrängt vollem Saal. Eine sehr erfreuliche Thatsache, welche pessimistischen Anschauungen gegenüber nachdrücklich betont zu werden verdient. Wenn den Wienern Vortreffliches geboten wird, so gehen sie nicht daran vorüber. Von den

durchschnittlich 40 Concerten im Monat, mit denen wir be glückt werden, kann freilich nicht jedes verlockend sein. Und da erfreut uns die Wahrnehmung, daß unsere Concertbesucher sich jetzt viel eifriger der guten Orchester- und Kammermusik zuwenden, als den Virtuosen-Productionen. Im letzten Rosé- Quartett ist, wie uns berichtet wird, eine Sonate für Violine und Clavier von Robert Fischhof mit großem Beifall von Herrn Rosé und dem Componisten gespielt worden. Herr Fischhof hat das für beide Spieler sehr dankbare Stück bereits wiederholt in Paris mit bedeutendem Erfolg vorgetragen.

Die dritte Quartett-Soirée des Herrn Julius Winkler erfreute durch die sehr gelungene Ausführung eines vortrefflichen Programms. Ein entzückend liebliches Quartett von Mozart (D-dur, aus den dem König von Preußen gewidmeten) versetzte gleich anfangs Alles in die glücklichste Stimmung. Das darauf folgende Trio von Brahms für Clavier, Geigen und Waldhorn ist bereits öfter gespielt worden, aber kaum noch so schön. Es ist nicht leicht, in einer Stadt, deren beste Bläser doch nur an das Orchesterspiel gewöhnt sind, einen vollkommen ausreichenden Künstler für diese sehr schwierige Waldhornpartie zu finden. Herr Savart, ein im Prager Conservatorium gebildeter junger Musiker, zeigte sich durch Schönheit des Tones und seelenvollen, dabei stets discreten Vortrag dieser Aufgabe durchaus gewachsen. Da auch die Violinstimme durch Herrn Winkler und der Clavierpart durch Herrn Hugo Rein hold vorzüglich ausgeführt wurden, so gewährte das Trio, dessen Schönheiten eben nicht auf der Oberfläche liegen, einen seltenen Genuß. Das eigenartige, ideenreiche Werk ist auch formell einzig in seiner Art — ein Trio mit Waldhorn und Violine hat es vor Brahms nicht gegeben. Herr Winkler brachte als dritte Nummer Beethoven’s großes A-moll-Quartett, op. 132, nachdem Tags vorher Joachim mit dem Beethoven’schen B-dur-Quartett, op. 130, geschlossen hatte. Ich weiß, daß es fast überall Sitte ist, das schwere Geschütz der letzten Beethoven’schen Quartette an letzter Stelle aufzuführen, glaube aber trotzdem, daß sich gegen diese Reihenfolge Erhebliches einwenden läßt. Im ganzen Bereich der Quartettmusik gibt es keine Compositionen, die so große Anforderungen an die Aufmerksamkeit der Zuhörer stellen, als diese letzten Beethoven’schen. An Umfang und mysteriöser Gedankentiefe alles Aehnliche überragend, erfordern

sie eine geistige Concentration, welche von einem Publicum, das in gedrängt vollem heißen Saal bereits zwei Quartette gespannter Aufmerksamkeit verfolgt hat, kaum zu erwarten ist. Mit einiger Uebertreibung hat bekanntlich Schumann behauptet, von drei Quartetten höre der Musiker nur Eines, der Dilettant zwei, das große Publicum alle drei. Auf jeden Fall wird das dritte Quartett im Auditorium stets eine geringere Empfänglichkeit vorfinden, als die beiden ersten Stücke. Und das ist doch gerade für Beethoven nicht zu wünschen.

Virtuosen-Concerte gab es in den letzten vierzehn Tagen von jeder Gattung — mehr als genug. Es soll nicht ver schwiegen sein, daß viele davon recht mittelmäßig besucht waren und selbst die scheinbar „erfolgreichen“ selten einen finanziellen Erfolg erzielten. Man weiß ja, wie heutzutage in der Noth „salle comble“ gemacht wird. Das Publicum ist dieser Ueberschwemmung mit kleinen Virtuosen-Concerten herzlich müde — aber da nützt keine Warnung. Als eine beachtenswerthe Erscheinung nennen wir die hessische Kammer sängerin Fräulein Finkenstein. Ihre Stimme, ein kräf tiger wohllautender Alt, ist so gut geschult, daß sie trotz ihres schweren Kalibers Triller und Coloraturen mühelos bewäl tigt. Ihr correcter, nobler Vortrag macht einen durchaus künstlerischen Eindruck, der allerdings die Poesie und seelen volle Innigkeit nicht erreicht, durch welche die Spies und mehr noch die Barbi uns gefangen nehmen. ... Eine virtuose Pianistin lernten wir in Fräulein Sophie v. Poznanska kennen. Das temperamentvolle junge Mädchen, das mit ihren schwarzen Augen und pikantem russischen Näschen gar frisch und zuversichtlich in die Welt hinausschaut, ist eine Schülerin Rubinstein’s. Sie hat ihrem Meister wirklich Einiges abgelernt; den safti gen schönen Anschlag, den kühnen Wurf im Passagenspiel, leider auch das Uebertreiben der schnellen Tempi, wie es am auffallendsten in den Davidsbündlertänzen von Schumann hervortrat. So viel Kraft und Ausdauer sind bewunderungs würdig bei so zarter Leiblichkeit. Daß Fräulein Poznanska sich keine leichten Aufgaben stellt, bewies gleich ihre erste Vortragsnummer, Chopin’s H-moll-Sonate, welche sie tech nisch vollkommen bewältigte. Ihr Meister Rubinstein war

nicht sehr vortheilhaft vertreten durch ein Salonstücklein, das Melodie“ überschrieben ist, sich aber weder durch Melodie noch sonst irgend etwas auszeichnet. Fräulein Poznanska spielte unter großem Beifalle den ganzen Abend hindurch allein. Das ist etwas einförmig, doch immerhin noch besser als die kläglichen „Zwischennummern“, mit denen wir in jüngster Zeit so häufig bewirthet wurden: distonirende Sängerinnen, unreife Pianisten, talentlose Pianistinnen. Unsere Concert- Arrangeure, welche fremden Virtuosen diese bedenklichen „ein heimischen Kräfte“ als Mitwirkende empfehlen oder octroyiren, mögen bedenken, daß für das Wiener Concert-Publicum das Schlechteste doch nicht gerade gut genug ist — nicht einmal in „Zwischennummern“. Diese liberale Praxis dürfte, länger fortgesetzt, den Besuch der Virtuosen-Concerte noch vermin dern, was sie in der That nicht nöthig haben.

Von größeren Concerten ist noch die Aufführung der Jahreszeiten“ durch die Gesellschaft der Musikfreunde zu nennen. Das trotz seiner 90 Jahre noch immer jugend frische Meisterwerk Haydn’s wurde mit warmer Theilnahme gehört und brachte dem Dirigenten Herrn Gericke, sowie den Solosängern Fräulein Standthartner, Herrn Walter und Herrn Staudigl reichlichen Beifall. Ins besondere Fräulein Standthartner, die wir zum ersten male in einer umfangreichen Partie hörten, darf sich ihres Erfolges freuen. Ihre kleine, aber geschmeidige Sopranstimme kommt dem Ausdrucke zierlicher, heiterer Lyrik willig ent gegen. Einen besseren „Lucas“ als Herrn Walter konnte dieses „Hannchen“ sich schwerlich wünschen. Was dieser un verwüstliche Gesangskünstler auch vortragen mag, es klingt Alles liebenswürdig. Ist vollends die Musik selbst so liebens würdig, wie die Tenorpartie in den „Jahreszeiten“, so gibt es einen vollen Genuß, eine reine Freude.

„In all’ und jeder Zeit verknüpft sich Lust und Leid“ — so lautet das Motto über Schumann’s Davidsbündlertänzen. Auch ein Musik-Feuilleton kann nicht immer so heiter schließen, als es angefangen hat. Die musikalischen Kreise Wiens sind schmerzlich bewegt von dem plötzlichen Hinschei den eines Sängers, der seine Kunst zwar nicht berufsmäßig, aber mit desto leidenschaftlicherer Hingebung ausgeübt hat. Feldmarschall-Lieutenant Anton Haizinger ist niemals

öffentlich aufgetreten, hat aber einen weiten Kreis von Freun den und Bekannten jahrelang durch seine Gesangsvorträge erfreut. Man wunderte sich oft, daß er sich nicht der Bühne gewidmet hatte. Günstiger konnte man zu diesem Behuf nicht auf die Welt kommen, denn als Sohn der großen Schauspielerin Amalie Haizinger und des gefeierten Teno risten Anton Haizinger. Mama Haizinger, bis ins hohe Alter ein unvergleichlicher und unersetzlicher Schmuck des Burgtheaters, war selbst eine talentvolle, wenngleich natura listische Sängerin. Sie gehörte noch zu jenen gefeierten ersten Darstellerinnen der „Preciosa“, welche die Lieder des Zigeuner mädchens sehr beifällig sangen, und noch vierzig Jahre später freute sich das ganze Burgtheater, wenn sie in „Lorle“ die kleinen zweistimmigen Volkslieder mit ihrer Tochter Louise Neumann anstimmte. Der Vater unseres Generals Haizinger war der erste Adolar in Weber’s „Euryanthe“. Bei der ersten Aufführung dieser für Wien geschriebenen Oper (25. October 1823) errang er den Beifall des Publicums und des persönlich dirigirenden Componisten. Er besaß eine kräftige, wohlgeschulte Tenorstimme und war perfect musi kalisch. „Da ist Feuer und Kraft in der Höhe!“ schrieb von ihm C. M. Weber. Sein Vortrag war mehr correct als leidenschaftlich und erinnerte im Verein mit seinem steifen Spiel an den ehemaligen Schullehrer. Ich denke mir ihn ungefähr wie eine ältere Ausgabe des trefflichen Vogl in München, von dessen schimmernder Lohengrin-Rüstung man auch noch einige Schulstäubchen wegblasen möchte. In London hat Haizinger in den denkwürdigen deutschen Opern-Vor stellungen (1832) an Seite der Schröder-Devrient den Florestan mit großem Erfolg gesungen. („A meritorious musi cian with an ungainly presence“ kritisirte ihn Chorley.) Wie es gekommen ist, daß der Sohn dieses Elternpaares, der stattliche junge Mann mit der herrlichen Stimme, sich nicht der Oper widmete? Es ist eine alte Erfahrung, daß die meisten Theaterkinder durchaus zur Bühne wollen, die Eltern aber desto nachdrücklicher dagegen sprechen. Erstere sehen nur die verlockenden Seiten, Letztere nur die dunklen des Theater lebens. Dem jungen Haizinger ließ man gar nicht Zeit zu einem Schwanken in der Berufswahl. Auf den Rath einer hochgestellten Persönlichkeit schickten ihn die Eltern von Karls

ruhe in eine militärische Akademie nach Wien, da sie hoff ten, das unbändige Naturell des Knaben durch militärische Erziehung zu dämpfen. Siebzehnjährig trat Haizinger als Lieutenant aus der Akademie, um bald als Ordonnanz- Officier des Feldmarschalls Radetzky dessen ausgesprochener und bevorzugter Liebling zu werden. Durch seinen Gesang wurde er auch in allen militärischen Kreisen ein Freudenbringer. So blieb Haizinger Soldat, ein tapferer Officier und guter Kamerad. Das Soldatische in seinem Wesen erschien mir stets charak teristisch auch für die Art seines Vortrags. Da klang Alles beherzt, kraftvoll, entschlossen, von Enthusiasmus durchglüht. Wenn Haizinger den „Zwerg“, „Die Allmacht“, „Kriegers Ahnung“ und ähnliche starke Lieder sang, so packte er die Hörer durch das Erz seiner ausdauernden Stimme und den männlichen, energisch declamirten Vortrag. Er beherrschte ein sehr großes Repertoire von Liedern, die er auswendig sang. Da stellte er sich mit dem Rücken gegen das Clavier und gerieth, da er kein Notenblatt in Händen hatte, unversehens in ein leichtes Agiren. Wenn ihn der Rhythmus anfeuerte, that er auch unwillkürlich einige Schritte vorwärts, wodurch kecke Lieder wie „Der Hidalgo“ von Schumann eine ganz eigene Lebendigkeit erhielten. Ich habe Haizinger zum erstenmal vor fünf Jahren zu hören bekommen, als sein von Mama Haizinger mir oft gepriesener „herrlicher Tenor“ doch nicht mehr viel Schmelz und Wohllaut besaß. Daß er „für seine Jahre“ noch prächtig singe, mochte er freilich nicht hören; er wollte lieber gar nicht, als mit dieser Einschränkung gelobt sein. Mit seiner Kunst nahm er es sehr ernst. Er lernte nicht leicht, aber wenn er ein Lied einmal inne hatte, so saß es in seinem untrüglichen Gedächtniß fest für die Ewigkeit. Noch in seinen letzten Augenblicken revoltirte der Sänger in ihm. Durch seine Fieberphantasien klangen unaufhörlich Bruchstücke aus Schubert’schen Liedern. Zuletzt, als deutliche Todesahnung, das „Nachtstück“ mit dem ergreifenden Schluß: „Der Alte horcht, der Alte schweigt; der Tod hat sich zu ihm geneigt“. Mit diesen Worten, diesen Tönen auf den Lippen ist Hai zinger gestorben. Auf sein Grabmal gehört unter dem Namen Haizinger, der für sich schon ein künstlerisches Allianz wappen bedeutet, als Emblem: Leyer und Schwert.