Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9863. Wien, Dienstag, den 9. Februar 1892 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9863. Wien, Dienstag, den 9. Februar 1892 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 09.02.1892
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Concerte.

Ed. H. „Selten hat uns Anton Rubinstein in einem so langen Concert relativ so wenig Freude gemacht“ — mit diesen Worten begann ich vor 17 Jahren meinen Bericht über ein Monstreconcert des berühmten Künstlers im großen Musikvereinssaale. Und mit denselben Worten muß ich auch heute einsetzen. Sonntag Mittags am 31. Januar hat Rubinstein nach mehrjähriger Abwesenheit wieder in Wien gespielt, und zwar zum Besten der Armen. In Gut mann’s Musikalien-Handlung, wo die Billette verkauft wur den, drängten die Enthusiasten so lebensgefährlich, daß Sicher heitswachen zu Hilfe gerufen werden mußten. Man kennt Rubinstein’s ganz einzige Stellung in Wien: als Mensch geliebt, als Virtuose vergöttert, als Componist — geachtet und erduldet. Eines vollen Saales und jubelnden Empfanges war er auch am Sonntag gewiß. Ob es aber gerade der Sicherheitswache bedurft hätte, wenn das Concertprogramm bekannt gewesen wäre, bleibt dahingestellt. Dasselbe enthielt nämlich nur Rubinstein’sche Compositionen. Nun ist in Wien eine ganz neue Unsitte aufgekommen: die großen An schlagzettel, welche außer dem Namen des Concert gebers („J. Joachim“, „Alice Barbi“, „Anton Rubinstein“) nur die Preise der Plätze namhaft machen. Das Publicum hat wol einen Anspruch darauf, zu erfahren, nicht blos was es zahlen, sondern auch was es hören werde. Es will nicht allein wissen, wer spielt, sondern auch was er spielt. Und dieses Geheimniß erst im Concertsaal selbst zu verrathen, ist eine Rücksichtslosigkeit der Concert-Arrangeure, geschehe sie aus welchem Grunde immer. Rubinstein’s Programm brachte zuerst eine große Symphonie in G-moll, dann ein Clavierconcert in Es-dur, fünf kleinere Solostücke, schließlich ein „Caprice russefür Clavier und Orchester — Alles, wie gesagt, von Rubin stein’s Composition. Die G-moll-Symphonie (op. 107) — lang und unerquicklich wie eine russische Steppe — ist „dem Andenken der Großfürstin Helene von Rußland“, Rubinstein’s geistvoller und hochherziger Beschützerin, gewidmet. Wir hätten uns unter diesem Zeichen eine edlere Musik erwartet.

Die Themen aller vier Sätze sind offenbar russische Volks melodien. Sie klingen theils dürftig, theils trivial. Von beiden Sorten gibt uns gleich der erste Satz ein Beispiel: das in magerem Unisono hinschleichende Hauptmotiv und daneben das kindische zweite Thema in B-dur. Immerhin ist dieser erste Satz (wie gewöhnlich bei Rubinstein) noch der beste, frischeste. Recht ordinär beginnt das Scherzo mit einer zwischen Clarinette und Oboë abwechselnden Hirtenweise, welche sich dann auf einem unerträglich monotonen Dudel sackbaß zu roher Lustigkeit steigert. Wie die ermahnende Stimme eines Popen erhebt sich im Mittelsatz ein bußfer tiges Fugato, nach welchem der Kirmeßtanz von vorn wieder anfängt. Das Andante beginnt mit einer etwa 30 Tacte lang nur von den Bläsern vorgetragenen, einfachen, aber seelenlosen Melodie, welche dann von den Violinen ganz claviermäßig umspielt wird. Durch wiederholte Accelerandos und hüpfende Begleitungsfiguren verliert das Stück das Bischen Haltung und Sammlung, das der Anfang zu ver sprechen schien. Das Finale — nun, man weiß ja, wie Rubinstein’s Finalsätze auszusehen pflegen. Vollends in einer Symphonie, welche Rubinstein selbst seine „russische“ zu nennen liebt, konnte man auf ein starkes Schlußstück ge faßt sein. Aber unsere Erwartung wurde von dieser los gelassenen moskowitischen Natürlichkeit noch weit übertroffen: ein plumper Tanz melancholisch berauschter Bauern, die schließlich in einem trostlosen Knäuel lärmend übereinander stolpern. Wie alle größeren Orchesterwerke Rubinstein’s, so unterscheidet sich auch seine G-moll-Symphonie von ähn lichen Compositionen der „neudeutschen“ Schule durch ihren solideren Aufbau, verständlicheren Zusammenhang und ge schlossenere Form, innerhalb welcher sich freilich nachlässige Details und in der Durchführung auffallende Lücken, oft förmliche Löcher finden. Hingegen stehen die Orchesterwerke der Liszt-Wagner’schen Schule wieder stark im Vortheile durch den Glanz ihrer Instrumentirung. Rubinstein’s Orchester klingt meistens dumpf, farblos, mürrisch, selbst im Finallärm nicht glänzend, so daß selbst die besseren, an regenderen Gedanken der Symphonie nicht zu rechter Wir kung kommen. Nach der ermüdend langen Symphonie wurde natürlich viel applaudirt. Allein auch der Beifall hat nicht blos seine Stärkegrade, sondern für das geübte Ohr auch

seine verschiedenen Rhythmen und Klangfarben. Diesmal klang er wie eine die Composition todtschweigende Ovation für den Componisten. Länger und zehnmal stärker schallte der Applaus nach dem Clavierconcert, doch hier galt er offenbar dem Virtuosen. Und dieser hat in der That Uebermenschliches geleistet. Mit einer Beschreibung und Lob preisung von Rubinstein’s Clavierspiel käme man heute um einige Decennien zu spät. Trotzdem bleibt uns noch etwas Neues zu melden, nämlich daß Rubinstein, der 62jährige, nichts eingebüßt hat von seiner Kraft und seiner Zartheit, von seiner verblüffenden Bravour und seinem unwidersteh lichen Zauber. Er spielt noch immer wie vor zwanzig Jahren, am bewundernswerthesten, wenn er, unmittelbar nachdem die Tasten unter dem Feuer seines Anschlages förm lich explodirt haben, ihnen die weichsten, schmelzendsten Sphärenklänge entlockt. Wir haben diesen Zauber auch diesmal wieder in einigen Stellen seines Es-dur-Concertes erfahren, das freilich überwiegend auf Kraftentfaltung berechnet ist. Die Composition selbst hat mir trotzdem keinen andern Eindruck hinterlassen, als vor siebzehn Jahren. Die Virtuosität feiert darin wahre Orgien; die Anforderungen an Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer streifen die Grenzen des Möglichen in diesen vollgriffigen Accorden von rasendstem Tempo, diesen stürmischen Octavengängen, diesen blitzartigen (selbst von Rubinstein einigemal fehlgegriffenen) Sprüngen. Ob man aber das Stück von einem andern Pianisten mit Vergnügen hören würde? Es ist gar so wenig Seele darin und so viel Tumult. Die Composition steht an Gehalt und Originalität der Gedanken weit zurück hinter früheren Concerten Rubin stein’s. Hören wir das Stück von ihm selbst, so staunen wir, wie Jemand das Alles mit nur zehn Fingern spielen kann — sehen wir es in Noten, Schwarz auf Weiß, so fragen wir, wie er doch manche Seiten auch des Auf schreibens werth erachten konnte? Ein Clavierconcert schuldet der Virtuosität des Spielers die vollste Entfaltung, ja es soll zugleich ein monumentales Zeugniß bilden für die jeweilige Höhe der Claviertechnik. Allein wenn es nur eine höchstpersönliche Leistung repräsentirt, dann geht es unrettbar mit dieser glänzenden Persönlichkeit zu Grabe. Die kleinen Solostücke Rubinstein’s, welche zu hören ein unliebsamer Zwischenfall mich diesmal verhinderte, sind zum

größten Theil bereits bekannt. Unbedeutend, aber doch ge fällig, dankbar und anspruchslos wie sie sind, haben sie selbstverständlich das Publicum mehr erfreut, als alles Uebrige. Das bei B. Senff als Opus 102 erschienene „Caprice russe“ für Clavier und Orchester ist mit Hummel’s be rühmter „Bella capricciosa“ ganz und gar nicht verwandt, vielmehr ein autochthones Kraftstück russischer Laune, unge fähr als wenn man im Winter von uralischen Wölfen an gefallen wird. Trotz der ungewöhnlich langen Dauer des Concerts hielt Rubinstein’s imposante und sympathische Per sönlichkeit das Publicum festgebannt bis zur letzten Note. Ein würdiges und erfreuliches Nachspiel war der Beschluß des Wiener Gemeinderathes, Rubinstein die goldene Salvator- Medaille zu verleihen. Sein Concert zum Besten der Armen Wiens bildet nur Einen Ring in der Kette der neuesten Wohlthätigkeitsacte dieses großmüthigen Künstlers. Rubinstein hat in jüngster Zeit in russischen und deutschen Hauptstädten nur als Armenvater und Groß-Almosenier concertirt. Ein Clavier-Virtuose, der heutzutage auf ein reiches Concert erträgniß rechnen kann, ist eine große Seltenheit — noch seltener ist Einer, der es den Armen schenkt.

Aus löblicher Courtoisie gegen den in Wien weilenden Componisten Jules Massenet hat Hofcapellmeister Richter im letzten Philharmonie-Concert dessen Orchester-Suite „Esclar monde“ aufgeführt. Esclarmonde (auf unseren Anschlagzetteln mit rührender Consequenz zum „Esclarmond“ zugestützt) ist die Titelheldin von Massenet’s vorletzter Oper. Aus dieser hat der Componist vier Scenen, die sich mit geringer Ab änderung zu selbstständigen Orchesterstücken abrunden ließen, herausgehoben und zu einer Suite zusammengestellt. Jede dieser vier Nummern bildet ein selbstständiges Genrebild, das sich durch seine Aufschrift (Beschwörung, Zauberinsel, Hochzeitsnacht, Im Walde) hinreichend erklärt. Im Interesse der Composition wie des Zuhörers wollen wir uns aber doch den Zusammenhang der Suite mit der Oper selbst etwas näher ansehen. Die schöne Esclarmonde ist eine mit Zauber kräften ausgestattete orientalische Königstochter. Sie hat sich in einen fremden französischen Ritter verliebt, den sie mit Hilfe ihrer Geisterschaar aus jeder Ferne herbeizuzaubern vermag. Wie sie im ersten Act die Geister der Luft, des

Feuers, der Gewässer beschwört, das reproducirt uns der erste Satz der Suite („Evocation“), ein Andante maestoso D-moll. Massenet hat darin auch alle Geister und Dämonen des Orchesters zu seinem Dienst aufgerufen: Englischhorn, Baßclarinette, Contrafagott, Tamtam, Triangel, große Trommel, Becken, Harfen. Nach der wie Sturmgeheul dahin brausenden Einleitung ertönt in einem sanfteren Mittelsatz in (D-dur) das in der Oper häufig wiederkehrende aufsteigende Leitmotiv: „J’abandonne mon trône à ma fille Esclar monde“, und steigert sich zu mächtigem Pomp. Die Geister tragen den Ritter Roland auf eine wunderbare Zauberinsel, deren Reize uns das zweite Stück der Suite schildert („L’ile magique“). Es beginnt genau wie die Orchester-Einleitung zum zweiten Act: lange Trillerketten der Violinen über rauschenden Harfen-Arpeggien leiten in ein hüpfendes Allegro scherzando, etwa im Cha rakter des Mendelssohn’schen Elfen-Scherzos. Der berückende Glanz des mit gestimmten Glöckchen aufgeputzten Orchesters breitet einen fremdartigen Märchenschimmer über das Stück, das in vereinzelten geisterhaft leisen Klängen zerstiebt. So eine Insel ist der rechte Ort für das unabwendbare Liebes duett zwischen Esclarmonde und Roland. Diesem Duo ist das liebestrunkene Thema („Divin moment!“) des dritten Satzes („Hyménée“) entnommen, das die Geigen mit Harfen begleitung so breit und mächtig intoniren. Esclarmonde muß bis zu ihrem zwanzigsten Jahre verschleiert bleiben, will sie nicht ihre Zaubermacht für immer einbüßen. Ihr Geliebter darf ihr Angesicht nicht sehen, darf sie nicht nach Stand und Namen fragen. Die Pariser ließen es sich nicht entgehen, Esclarmonde deßhalb den Spitznamen „Mademoiselle Lohen grin“ anzuheften. Der starke Duft, den diese Liebesscene aus strömt, ist nicht der Duft von Rosen, sondern von Gewürz nelken. Der vierte und letzte Satz unserer Suite („Dans la forêt“) steht nicht in so engem Zusammenhang mit der Hand lung; er setzt sich aus zwei ganz entlegenen Scenen zusammen. Seine langsame Einleitung, ein zartes, von Oboë und Fagott angestimmtes Pastorale in F-dur ist identisch mit dem Vor spiele zum vierten Act, wo Esclarmonde mit ihrer Schwe ster in einer Lichtung des Ardennenwaldes erscheint. Auf dem dunklen Grunde einer rauschenden Sechzehntelfigur, in

welche die Geigen sich förmlich verbissen haben, erschallen Hornrufe immer näher und stärker; eine Jagd rast an uns vorüber, übermüthig, überlaut und schließt im tobendsten Fortissimo. Diese Jagd spielt in der Oper nicht als wirk licher Vorgang, sondern als bloße Phantasmagorie, und zwar schon im ersten Act, anschließend an die Beschwörung. Esclarmonde will ihren geliebten Ritter sehen; die Geister gewähren ihr einen magischen Fernblick in den Ardennen wald, wo sie Roland auf der Jagd nach einem weißen Hirsch erblickt. Massenet’s Suite, obgleich vom Theater los gelöst, ist doch durchaus Theatermusik, decorative Musik. Von geringem substanziellen Gehalt, aber von glänzender Aeußer lichkeit, ist sie ein Triumph der geschickten Mache. Im Werther“ werden wir Massenet von einer ganz anderen Seite kennen lernen. Dem Klangzauber seiner Suite hat sich das Publicum bereitwillig und dankbar hingegeben. Es applaudirte nach jedem Satz so beharrlich, daß Herr Masse net wiederholt vortreten und danken mußte. Eine bessere Aufführung seines schwierigen Stückes dürfte er übrigens kaum erlebt haben, als die im Philharmonischen Concert unter Hanns Richter. Die blendenden Effecte der Massenet’schen Suite mußten der darauffolgenden „Rhapsodie für Piano und Orchester“ von Ignaz Brüll einen schweren Stand bereiten; doch hat sie letzteren tapfer be hauptet. Der Componist wurde mit lebhaftem Beifalle em pfangen und sein neues Werk ebenso aufgenommen. Es ist ein solides und zugleich brillantes Stück, dessen unsere Clavier-Virtuosen sich bald bemächtigen werden. Die zer fahrene Form und den häufigen Wechsel verschiedener Themen, Tact- und Tonarten hat der Componist durch den Titel „Rhapsodie“ zu legitimiren gesucht. Die Motive selbst sind nicht alle von hervorragender Originalität, doch sticht das B-dur-Allegretto und der leicht ungarisch gefärbte langsame G-moll-Satz der Holzbläser vortheilhaft heraus. Der dank bare Clavierpart wurde von Herrn Brüll meisterhaft gespielt, und zwar auf einem äußerst klangvollen Concert flügel von Ehrbar. Die auffallend schöne Wirkung hat es vollkommen erklärt, warum Brüll die Ehrbar’schen Flügel allen übrigen vorzieht. — Den Beschluß (leider nicht den Anfang) des Philharmonischen Concertes machte Haydn’s

Pariser Symphonie“ in B-dur mit dem originellen, humor vollen Menuett.

Zu den anregendsten und besuchtesten Musikproductionen der letzten Woche gehörten die beiden Concerte des von uns bereits oft gewürdigten trefflichen Pianisten Stavenhagen und der Liederabend Gustav Walter’s im großen Musik vereinssaal. Daß Walter und sein classischer Liederschatz im edelsten Sinne populär sind, das zeigte sich am erfreulichsten gerade in diesem Concert, dessen Besuch durch bescheidene Eintrittspreise weiteren Kreisen zugänglich gemacht war. Die Violin-Virtuosin Fräulein Mollner empfing einen wohl verdienten Antheil an dem Applaus dieses Abends. ... Endlich haben wir auch die neuen sechs Vocalquartette (op. 112) von Brahms zu hören bekommen. Allerdings nicht öffentlich, sondern, was noch weit angenehmer, in einem kunstsinnigen Privathause. Wo die Hausfrau selbst eine vor zügliche Sängerin ist, wie Frau Minna v. Weißenegg, und einen Tenoristen zum Vater hat, der Gustav Walter heißt, da finden sich im Freundeskreis wol auch eine tüchtige Altistin wie Frau Schwarz und ein treffsicherer Baß wie Herr Kalbeck. Das Quartett ist glücklich hergestellt; Brahms als schaffender und begleitender Genius greift mächtig in die Tasten, und wir Anderen — genießen. Die beiden ersten von den neuen Quartetten bewegen sich mit gleicher Genialität in zwei scharf contrastirenden Stimmungen. Das erste, „Sehn sucht“, hat eine weiche, schwärmerische Melodie, in deren Theile sich die Singstimmen bald paarweis, bald einzeln theilen, um beim Abschluß jedes Theiles sich zu vereinigen. Ein tief ergreifendes, düster leidenschaftliches Gegenstück dazu ist das zweite Quartett „Nächtens“ in D-moll. Der Fünf vierteltact ist darin mit merkwürdiger Ungezwungenheit und charakteristischer Wirkung behandelt. Eine Gruppe für sich bilden die folgenden vier Quartette: „Zigeunerlieder“; eine Art Nachtrag zu Brahms’ früheren köstlichen Zigeunerliedern op. 103. Von ähnlicher Form und Färbung bringen sie doch wieder durchaus Neues, entzückend durch originelle, geistvolle Auffassung, wie durch üppigen Klang und melodiöse Anmuth. Jedes der sechs Quartette mußte auf einhelliges Bitten der Versammlung zweimal gesungen werden, die Liebe Schwalbe“ sogar dreimal.