Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9898. Wien, Dienstag, den 15. März 1892 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9898. Wien, Dienstag, den 15. März 1892 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 15.03.1892
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Concerte.

Ed. H. Mendelssohn, der in unseren großen Concerten immer seltener, in der Kammermusik fast gar nicht mehr vorkommt, war in der vorigen Woche durch zwei umfangreiche Chorwerke vertreten: der Wiener Männergesang- Verein brachte die Musik zur „Antigone“, die Gesellschaft der Musikfreunde die „Erste Walpurgisnacht“ zur Auf führung. Letzteres Werk ist das vollkommenere und dank barere. Die Walpurgisnacht und die Musik zum Sommer nachtstraum — auch die Hebriden-Ouvertüre kann man dazu nennen — zeigen uns Mendelssohn’s Talent in seiner schönsten und stärksten Eigenart. Sein feiner Natursinn, seine Begabung für das Phantastische und Geisterhafte, das er allerdings nicht bis zum Dämonischen hebt, durchdringen diese Tondichtungen mit entzückender Frische und Unmittel barkeit. Doch hält ihn auch hier sein Formsinn und sein geistiges Gleichmaß in festen Schranken. Er zauderte lange, ob er bei der Instrumentirung des Hexenchors in der Wal purgisnacht die große Trommel nehmen dürfe oder nicht. „Zacken, Gabeln und wilde Klapperstöcke,“ schreibt er seiner Schwester, „treiben mich eigentlich zur großen Trommel, aber die Mäßigkeit räth mir davon ab.“ Unseren heutigen Tonmalern würde auch die große Trommel noch nicht ge nügen. Gegenüber der „Ersten Walpurgisnacht“, dieser Jugendblüthe einer genialen Erfindungskraft, erscheint die Musik zu „Antigone“ mehr als ein Product der Bil dung, freilich einer ungewöhnlich tiefen und umfassenden Bildung. Keinem zweiten Musiker wäre so meisterhaft der Versuch gelungen, die widerstrebende Verbindung zwischen antiker Poesie und der modernsten, flüssigsten aller Künste in einer Weise zu vollziehen, die zwar immer eine gewisse Starrheit behält, aber doch bewunderungswürdig bleibt. Am verständlichsten und stärksten wirken diese Chöre dort, wo sie ursprünglich hingehörten: auf dem Theater, wie die Antigone- Aufführungen im Stadttheater unter Laube dargethan haben. Die mehr trennende als „verbindende“ Declamation ist ein zweifelhafter Nothbehelf. Immerhin bleibt es dankenswerth,

wenn unser trefflicher Männergesang-Verein, der in seinen letzten Concerten viel modernen Abhub gebracht, sich zeit weilig wieder einem größeren, ernsten Werke zuwendet, das schon seinem Stoffe nach auf einen populären Erfolg nicht zählen kann. Nur wo der überwiegend reflectirende Chor in Antigone“ sich ausnahmsweise zu begeisterter Lyrik erhebt, wie in der Bacchushymne, da lodert auch die Hörerschaft enthusiastisch auf.

Im Gesellschaftsconcert schlug die „Erste Walpurgis nacht“ unter Gericke’s Leitung und energischer Mitwirkung des Singvereins kräftig ein. Herr Ritter sang den Druiden sehr ausdrucksvoll, auch die Tenorstimme des Herrn Tomschik wirkte recht günstig. Für die Altpartie und den „Wächter“ hätten wir kräftigere Stimmen und energischeren Vortrag gewünscht. Die beiden übrigen Nummern des Programms waren für Wien Novitäten. Die Cantate Also hat Gott die Welt geliebt“ hebt sich aus Bach’s Kirchenmusiken durch ihr helles, freundliches Colorit heraus. Es paßt zu dem Charakter des Pfingstfestes, für das die Cantate bestimmt ist — bestimmt, wenn auch nicht ursprüng lich geschrieben. Die beiden Arien, zu welchen Bach nach träglich einen Eingangs- und einen fugirten Schlußchor hinzufügte, galten von Haus aus nicht dem lieben Gott, sondern dem Kurfürsten Christian von Sachsen-Weißenfels. Für ein Jagdfest zu Ehren dieses Herrn componirte Bach 1716 als Tafelmusik eine mythologische Cantate. Er benützte dieselbe später noch für mehrere andere Festgelegenheiten und verpflanzte schließlich zwei Arien daraus, etwas erweitert und bereichert, in die Kirchencantate „Also hat Gott die Welt geliebt“. Die bekannte reizvolle Sopran-Arie „Mein gläubiges Herz frohlocke“ diente ursprünglich der Hirtengöttin Pales, die Baß-Arie „Du bist geboren mir zu Gute“ dem Gott Pan zum Ausdruck weltlicher Empfindungen. Schwerlich wird es Jemand bemerken, daß hier das fröhlichste Heidenthum sich in christliche Frömmigkeit verwandelt hat. „Waren solche Ent lehnungen überhaupt möglich,“ erklärt uns Spitta, „so kann eine Stylverschiedenheit zwischen Bach’s geistlichen und weltlichen Compositionen nicht bestehen. Sie besteht auch wirklich nicht. Der Bach’sche Styl war der kirchliche und der kirchliche Styl war der Bach’sche.“ Jeden

falls beweist auch dieses Beispiel zweierlei; einmal die Vieldeutigkeit der Musik: daß zwar nicht alle Melodien auf jeden Text passen, wol aber sehr viele Melodien auf ganz verschiedene, oft recht heterogene Texte. Zweitens: das Irrige der Meinung, es hätten unsere Classiker für jeden Vers die einzig richtige Melodie immer und überall in hei liger Begeisterung aus ihrem tiefsten Gemüthe geschöpft. Wie viele Opern-Arien und Liebes-Duette hat Händel in seine Oratorien verpflanzt! Wie ungenirt benützte Gluck seine halb verschollenen italienischen Mode-Opern für seine späteren „streng dramatischen“ Tragödien! Bach hat der gleichen seltener gethan, aber gethan hat er es doch auch. Sie Alle waren eben, unbeschadet ihrer idealen Richtung, praktische Musiker, die nicht gerne eine ihrer glücklichsten Erfindungen verloren gehen ließen. Zwischen der Bach’schen Kirchencantate und Mendelssohn’s Walpurgisnacht“ stand Dvořak’s Orchester-Suite in D-dur (op. 39) — ein nicht schwerwiegendes, aber in seiner freund lichen Anspruchslosigkeit durchaus liebenswürdiges Tonstück. Die Suite enthält fünf Nummern, welche durch ihr knappe Form und sparsame Instrumentirung einen serenadenartigen Charakter festhalten. Der Componist behilft sich durchwegs ohne Posaunen, in den ersten vier Sätzen auch ohne Trom peten und Pauken. Ein Pastorale mit eigensinnigem Dudel sackbaß übergeht in eine etwas nachdenkliche Polka in D-moll, welche von einem sehr hübschen Menuett abgelöst wird. Wie reizend klingt es, wenn in der „Romanze“ zuerst über ganz leisen Geigen-Accorden die Flöte allein die zärtliche Melodie anstimmt, dann Oboë und Englischhorn sich zu ihr gesellen! Das Finale (ein „Furiant“, ohne welchen es Dvořak nun einmal nicht thut) entfesselt in raschestem Dreivierteltact volksthümlichen Scherz und Frohsinn. Wir hätten für die Suite, die voll feiner und glücklicher Einfälle ist, einen leb hafteren Beifall erwartet. Das Publicum mochte sich davon etwas Bedeutenderes versprochen haben. Aber gerade in un serer auf das Gewaltsame gestellten Zeit thut es wohl, wenn einmal ein talentvoller Componist, vom „Bedeutenden“ ausruhend, sich in anspruchsloser Heiterkeit ergeht. Natürlich muß es mit Geist und Anmuth geschehen, Eigenschaften, an denen Dvořak nicht Mangel leidet.

Herr Rosé bescherte uns in seiner letzten Quartett- Soirée zwei Novitäten hinter einander — wahrscheinlich um durch die Quantität hereinzubringen, was dem Neuen an Qualität abging. Gernsheim’sD-dur-Quintett (mit zwei Bratschen) zeigt keine starke Originalität; man könnte fast bei jedem der vier Sätze auf ein dem Componisten vor schwebendes Muster hinweisen. Es bereitet uns in seinem Verlaufe weder eine freudige Ueberraschung noch einen tief greifenden Eindruck. Hingegen sind die formellen Vorzüge des Werkes nicht gering anzuschlagen. Die Themen sind gut verwendbar und heben sich, wenn auch nicht bedeutsam, doch plastisch und gefällig heraus; insbesondere im ersten Allegro, das sich natürlich und nicht ohne Geist entwickelt. Das sehr sangbare Andante wirkt durch breiten, schönen Wohlklang und dürfte, trotz seiner Länge, bei guter Ausführung überall Effect machen. Scherzo und Finale sind lebendig und wie alles Uebrige geschickt gemacht; mehr ist davon nicht zu rühmen. Unser Respect vor Gernsheim stieg be trächtlich durch das unmittelbar darauf folgende Clavier- Quartett in C-moll von Eugenio Pirani, einem in physiognomielosem Wohllaut und verbrauchten Clavierpassagen selbstzufrieden herumschwimmenden Tonstück. Nach Gerns heim’s Quintett, das doch überall den geschulten, erfahrenen Musiker verräth, nahm sich das Pirani’sche Stück aus wie die Arbeit eines vornehmen Dilettanten. ... Unter den fremden Virtuosen hat die anmuthige dänische Violinspielerin Fräulein Frida Scotta den meisten Beifall gefunden, ihn auch vollauf verdient. Eine echt musikalische Natur, spielt sie mit sichtlicher Begeisterung, dabei immer natürlich, unaffectirt. Ihr schöner, kräftiger Ton, graziöser Vortrag und jetzt schon ansehnlich vorgeschrittene Technik sichern Fräulein Scotta einen Ehrenplatz unter den immer zahl reicher auftauchenden „Geigenfeen“.

Uebrigens sind es die Sänger, die jetzt im Vordertreffen stehen. Gustav Walter hat in zwei überfüllten Concerten seine Hörer entzückt. Er erlebt jetzt eine zweite Jugend, die ebenso merkwürdig wie erfreulich ist. Was eine vollendete Herrschaft über das Organ im Verein mit einem warmen, blühenden Gemüth auch bei abnehmender Stimmfülle ver

mag, das kann man bei Walter wie bei keinem Andern er fahren. Auch das Concert des Baritons Herrn Bulss war dicht besetzt, das Podium durchwegs von Damen, welche die schöne Stimme und den stattlichen Mann nicht nahe genug haben konnten. Er sang Balladen von Löwe, Lieder von Brahms und Anderen — Alles mit großem Beifall. Wir denken lieber an den beherzten, kraftvollen Opernsänger im Zampa“, „Nachtlager“, „Troubadour“ und glauben, Herr Bulss würde auch im Concertsaal seine echtesten Erfolge mit Opern-Arien, insbesondere italienischen, erzielen. In seinem Lieder- und Balladenvortrag ist zu viel Stimme und zu wenig Geist. Man erinnere sich, wie viel überzeugender, wirksamer Gura mit seinem halbverblühten Organ die selben Löwe’schen Balladen sang. Es ist vielleicht eine harte Zumuthung an einen Stimmkrösus wie Bulss, mit seinem Schatze hauszuhalten; aber um jeden Ton wie einen Brillan ten à jour zu fassen, dazu singt man nicht Löwe’sche Balla den. Da schleichen sich auch leicht kleine Mißverständnisse ein. „Der Trompeter thät’ den Schnurrbart streichen“ — wie ungeheuerlich lang muß dieser Schnurrbart sein nach Bulss’ Auslegung! In der Ballade „Der Taucher“ singt Herr Bulss die Stelle: „Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen“ langsam, düster, mit tiefschmerzlichen Aus druck, während es doch der freudigste Moment für den Taucher ist. Die fürchterlich lange und anstrengende Taucherballade von M. Plüddemann öffentlich zu singen, dünkt uns ein ebenso seltsamer Einfall, wie der, sie zu componiren. Man verweise nicht auf das BeispielSchubert’s, der, von Zumsteg’s Vor bild angeregt, als junger Mensch im Convict sich ohne viel Besinnen auf die breit erzählenden Schiller’schen Balladen warf. Als reifer Künstler war er sicherlich von der Unfrucht barkeit dieser Versuche überzeugt und ließ sie auch niemals drucken. Von allen Schiller’schen Balladen eignet sich aber der „Taucher“ am allerwenigsten für Gesang, da er, fast ohne jeden lyrischen Ruhepunkt, sich nur der Schilderung ein und desselben Naturschauspiels hingibt. Obendrein wiederholt sich durch das zweimalige Hinabtauchen des Knappen dieselbe Situation. Eher noch als zum Gesang möchte der Taucher sich für melodramatische Begleitung eignen. Aber auch diese würde tiefer

kaum wirken, als eine ausdrucksvolle Declamation ohne Musik. Die Phantasie des Hörers ist viel reicher, malt sich die Schrecken der Meerestiefe viel geheimnisvoller, grenzenloser aus, als die chromatischen Scalen, Tremolos und Arpeggien eines Claviers es vermögen. Und viel mehr als diese bald ausgeschöpften Mittel besitzt die Tonmalerei nicht, wenn ihr auch heute durch die hochgesteigerte Claviertechnik grellere Farben zur Verfügung stehen, als unserem Schubert vor achtzig Jahren. Ob Herr Plüddemann Talent hat? Geschick lichkeit und Bildung gewiß. Aber ein ergiebiger Quell von Musik sprudelt schwerlich in ihm, sonst würde eine musik widrige Aufgabe, wie Schiller’s Taucher, ihn nicht verlockt haben. Die schwierige Begleitung spielte Herr Masbach recht geläufig. Seine Solovorträge hingegen vermochten nicht zu genügen. Wer ein Beethoven’sches Adagio und eine der zartesten Noctürnes von Chopin so abgezirkelt pedantisch ab spielt, mit so trockenem Anschlag und schwerer Hand, der ist kaum zum Pianisten geboren.

Eine neue sehr anziehende Erscheinung trat uns in Frau Lillian Sanderson entgegen. Die in Milwaukee ge borene schöne junge Dame ist eine Schülerin Stock hausen’s, dessen vortreffliche Methode deutlich aus ihrer Gesangsweise hervorleuchtet. Sie behandelt ihr Organ, eine mäßig starke Altstimme von weichem Klang, mit feinem Ge schmack, intonirt rein und spricht musterhaft deutlich aus. Was sie vorträgt, ist bis ins kleinste Detail studirt, mit ver ständiger Klarheit auseinandergesetzt. Eine leidenschaftliche Betheiligung des Gemüths strömt nicht aus ihrem Gesang, eher ein kühler Hauch, der zu der ruhigen, statuarischen Er scheinung der Sängerin stimmt. Das Programm der Sanderson interessirte durch viele neue oder selten gehörte Stücke von allerdings ungleichem Gehalt. Weder „Die rothe Hanne“ noch „Die Kartenlegerin“ stehen unter Schumann’s Liedern obenan. „Die Kartenlegerin“ mit ihrem reizenden kleinen Vorspiel ist wenigstens lebhaft und fein pointirt, wurde auch von Frau Sanderson, leicht zwischen Singen und Sprechen schwebend, mit graziöser Anschaulichkeit vorgetragen. Hingegen ist die „rothe Hanne“ ein musikalisch unfruchtbarer Stoff, der mit seinem

sechsmal wiederkehrenden schwerfälligen Refrain („Sei Gott du mit der rothen Hanne; der Wilddieb sitzt in sich’rer Huth“) peinlich monoton wird. Noch ein drittes Lied von Schumann sang Frau Sanderson, wol das allerkleinste und allereinfachste, das je öffentlich gesungen ward: „Der Schmetterling“. Es ist dem „Liederalbum für die Jugend(op. 79) entnommen und ein wirkliches Kinderlied. Nicht von allen Stücken der Sammlung kann man das sagen, am wenigsten von dem schönsten daraus: „Kennst du das Land?“, das eine feingebildete Sängerin von ernstem, tiefem Gemüth verlangt. Die vier Gesangstücke von August Bungert, dem Haus- und Hofcomponisten der Carmen Sylva, haben uns mehr interessirt als befriedigt, so gerne wir das poetisch Anschmiegende und musikalisch Tüchtige darin an erkennen. Aber die Gedichte sind doch zu sonder bar und musikalisch unergiebig — mit Ausnahme des kleinen Liedes“ das in seiner Anspruchslosigkeit auch am günstigsten wirkte. Eine trostlose social-demokratische Scene, dieser frierende „Sandmann“, der vergeblich vor allen Häusern „Sand! Sand!“ ruft und daheim fünf hungernde Kinder hat. Dann der unglückliche Schuster, der in „ein wundernettes Füßchen mit rosenrothen Zehen“ verliebt ist. Endlich gar „der junge Haiduck“! Dem ist ein Kuß seiner Liebsten „ins Blut eingedrungen“ und er „durchschweift die ganze Erde mit seinem Kusse“, bis ihm die weiße Frau be gegnet, ihm den Kuß der Liebsten wegnimmt und in ihren Gürtel steckt! Das macht doch ein bischen zu starke Anfor derungen an unsere Fassungskraft und unser Mitgefühl. Jedenfalls verlangte diese offenbar rumänische Volkssage von der Musik eine entsprechend nationale Färbung. Noch mit vielen anderen Liedern erntete Frau Sanderson lebhaften und wohlverdienten Beifall. Sie ist keine Sängerin von hinreißendem Temperament oder mächtiger Stimme, aber eine sehr interessante und vornehme Künstlernatur. Unter stützt wurde sie von dem jungen talentvollen Geiger Herrn v. Kunits, der ein Adagio von Nardini und eine Romanze eigener Erfindung spielte. Zwischen beiden Com positionen liegt ein volles Jahrhundert, aber in ihrer Lang weiligkeit treffen sie wie in einem Mittelpunkt zusammen.