Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 9979. Wien, Sonntag, den 5. Juni 1892 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 9979. Wien, Sonntag, den 5. Juni 1892 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 05.06.1892
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Friedrich v. Flotow’s Leben.

Ed. H. Eine vollständige verläßliche Biographie Flotow’s hat bisher gefehlt, so gerne man Genaueres über die Ent wicklung und die Erlebnisse eines Mannes erfahren hätte, der, liebenswürdig als Mensch wie als Künstler, von so glänzenden Erfolgen gekrönt war. Ein solches Buch konnte überall auf Theilnahme zählen, in Wien zumal, wo Flotow’s Ruhm die Reise um die Welt antrat und seine Persönlichkeit zu den bekanntesten und beliebtesten gehörte. Die Verlags handlung Breitkopf & Härtel versendet soeben einen schön aus gestatteten schmächtigen Band: „Friedrich v. Flotow’s Leben, von seiner Witwe“. Die Verfasserin ziert eine seltene Bescheidenheit. Weder ihren Taufnamen, noch ihren Familiennamen, noch ihre Herkunft verräth sie uns; ihre Person bleibt das ganze Buch hindurch völlig unsichtbar im Hintergrund. Sie schreibt durchaus sachlich, meist auf Grund schriftlicher Aufzeichnungen ihres Gatten, den sie liebevoll, doch ohne enthusiastische Uebertreibung schildert. Der Frau eines Componisten verzeiht man, wenn sie ihn für einen zweiten Mozart hält; man dankt ihr, wenn sie es nicht thut.

Das Interessanteste ist die Jugendzeit. Die Familie Flotow ist eines der ältesten Adelsgeschlechter in Mecklenburg; es kann seine Abstammung bis in jene Zeiten verfolgen, wo die Führung von Wappen als Abzeichen adeliger Abkunft aufgekommen ist. Der ausgedehnte Grundbesitz der Flotows ging allmälig durch schlechte Wirthschaft und anhaltende Ver nachlässigung immer mehr zurück, namentlich zur Zeit der französischen Invasion. Wilhelm v. Flotow, der Vater des Componisten, hatte den unglücklichen Feldzug gegen Frank reich mitgemacht, hierauf als Rittmeister seinen Abschied ge nommen und war in die Heimat zurückgekehrt. Da begann für ihn eine kummervolle Zeit steter Arbeit, ja großer Ent behrungen; er mußte sich auf seinem verschuldeten Gut Tentendorf mit einem bescheidenen Wohnhäuschen begnügen, das gegenwärtig die Wohnung des Dorfschulmeisters ist. Hier wurde am 26. April 1812 Friedrich v. Flotow geboren.

Wie fruchtbar war diese Zeit im Hervorbringen bedeutender Componisten! Das Jahr 1809 brachte Mendelssohn und Chopin; 1810Schumann und Felicien David; 1811Liszt, Ferdinand Hiller und Ambroise Thomas; 1812Flotow; 1813 Richard Wagner und Verdi. Diese fünf Jahre lieferten eine reichere musikalische Ernte, als die folgenden fünf Decennien. Das musikalische Talent des kleinen Friedrich zeigte sich bald, fand aber zu Hause keinerlei Anregung oder Unterstützung. Mit 10 Jahren wurde er in die Pension eines Pfarrers in Lübchen geschickt; nach Jahresfrist zeigte es sich, daß er in seinen Berufsstudien gar keine Fortschritte gemacht und nur Clavier gespielt habe. Der Vater nahm den Knaben sofort nach Hause und schickte ihn in eine andere Pension in Lüderhagen bei Güstrow. Auf Andringen der Mutter, welche den Musikunterricht doch nicht vernachlässigt sehen wollte, ward festgesetzt, daß Friedrich wöchentlich einmal nach Güstrow gebracht werden sollte, um bei dem Organisten Thiem Unter richt in der Harmonielehre zu nehmen. So kam er denn jeden Samstag Morgens nach Güstrow und verbrachte den Tag wie den darauffolgenden Sonntag im Hause seiner Tante, der Schwester seiner Mutter. „Tante Gabillon!“ Der Name klingt den Wienern lieb und vertraut ins Ohr. Sie haben es nun Schwarz auf Weiß, daß es in Mecklen burg wirklich echte Gabillons gibt, so oft auch unserem Ludwig Gabillon von neckenden Burgtheater-Collegen die Echtfärbigkeit seines Namens angefochten wurde. Onkel Ga billon war der Sohn eines französischen Tanzlehrers, der sich in Mecklenburg angesiedelt hatte. Er versah das Amt eines Steuersecretärs in Güstrow, schwärmte für Musik und dirigirte den Gesangverein des Städtchens. Auf die musikalische Entwicklung seines Neffen hat er jedenfalls fördernden Einfluß genommen. Uebrigens wurde Friedrich, der schon im Stillen zu componiren anfing, von der Musik grundsätzlich ferngehalten. Der Vater, welchem die Musik höchstens als angenehmer Zeitvertreib galt, hoffte ihn zu einem tüchtigen Verwaltungs-Beamten auszubilden, mit der Aussicht auf einen Diplomatenposten. Wie erschrak er, als

Friedrich mit der dringenden Bitte an ihn herantrat, sich ganz der Musik widmen zu dürfen! Da gab es erst heftiges Widerstreben, dann langes Ueberlegen. Erst nachdem viele Fürsprecher, Onkel Gabillon an der Spitze, die Sache warm unterstützten, nachdem schließlich auch der berühmte Clarinettist Ivan Müller sich über Friedrich’s Talent sehr günstig aus gesprochen hatte, entschloß sich Papa Flotow, einzuwilligen. Unaufgeklärt und jedenfalls merkwürdig ist der Entschluß des alten Flotow, seinen Sohn sofort in Paris studiren zu lassen. Man kennt kaum ein zweites Beispiel, daß ein an gehender deutscher Compositions-Schüler mit Uebergehung jeder deutschen Musikschule zur Ausbildung unmittelbar nach Paris geschickt worden ist. Und Paris war damals von Mecklenburg schwerer zu erreichen als heute Newyork! Eine Art Divination muß dem sonst ganz unmusikalischen Papa dieses Stichwort eingegeben haben. Weder war er im Stande, die musikalische Richtung seines Sohnes zu beurtheilen, noch lag diese in einigen unreifen Versuchen überhaupt erkennbar zu Tage. Aber gewiß, der junge Flotow gehörte nach Paris. Nicht als ob Frankreich ihm große Erfolge bereitet hätte — diese kamen ihm erst in Deutschland — aber Paris brachte eben jene Keime seines Talents zur Blüthe, durch welche Flotow später Deutschland bezaubert hat: Eleganz, leichter Esprit, formelle Abrundung und über dem Allen der Sinn für das theatralisch Wirksame.

Der alte Herr fährt selbst mit dem 16jährigen Sohne nach Paris und quartiert ihn bei einem pensionirten französi schen Major ein, der eine Mecklenburgerin geheiratet hatte. Die besten Meister werden gewählt: Peter Pixis für das Clavierspiel, Reicha für die Composition. Der junge Flotow arbeitet fleißig und componirt Allerlei. Er scheint sich schon damals in die Rolle eines gefeierten Operncomponisten hinein geträumt zu haben, denn vor der Première von Rossini’s Tell“ schreibt er der Mutter: „Ich bin recht neugierig, einmal so eine erste Vorstellung zu sehen, möchte auch gerne wissen, wie sich bei solchen Gelegenheiten der Componist be nimmt.“ Er hatte noch hübsch lange zu warten, bevor die Reihe an ihn kam! Plötzlich fiel ein schreckliches Ereigniß

verstörend in sein ruhiges Leben. Man fand eines Morgens den alten Major mit durchschnittenem Halse in seinem Bette. Die Familie stob auseinander, und Niemand kümmerte sich mehr um den jungen Fremden, der nun seine beste Stütze, seinen einzigen Rathgeber verloren hatte. Flotow miethete ein billiges Dachstübchen und bestritt mit monatlichen 200 Francs seine sämmtlichen Bedürfnisse. Eigentliche Armuth hat er nie gekannt, wol aber mußte er sich in Paris sehr knapp behelfen und die scharfsinnigsten Combina tionen ausdenken, um auf die billigste Art die erste Heim reise zu bestreiten. Das ist immer eine werthvolle Vorschule für’s Leben; sie hat Flotow in seinen guten Zeiten da vor bewahrt, die großthuerische Seite des „Cavaliers“ her vorzukehren. Unmittelbar nach der Juli-Revolution 1830 fand es Papa Flotow dringend, den Sohn nach 2½ jähriger Abwesenheit zurückzuberufen. Da konnte dieser in Güstrow die ersten patriotischen Localtriumphe als Pianist und Com positeur feiern. Im Mai 1831 kehrt Flotow nach Paris zurück. Er erfreut sich bald des Umgangs mit den berühm testen Componisten und erlangt Zutritt in die vornehmsten Salons. Es war ein Leben voll geistreicher geselliger An regung, eine hohe Schule weltmännischen Benehmens, aber auch ein Quell künstlerischer Zersplitterung. Für die Lieb haber-Theater jener aristokratischen Kreise hat Flotow eine Anzahl kleiner Opern und Gelegenheitsstücke componirt, welche ihm die Zeit für Größeres raubten und unfruchtbar blieben für seine Laufbahn. Von Wichtigkeit wurde ihm die nähere Bekanntschaft mit dem Componisten Albert Grisar und zwei renommirten Textdichtern, St. Georges und de Leuven. Letzterer war in Wirklichkeit ein Graf Ribbing, Sohn jenes schwedi schen Grafen Adolph Ribbing, der in der Verschwörung Ankarström’s gegen Gustav III. verwickelt gewesen. Graf Ribbing war zum Tode verurtheilt, wurde aber begnadigt und aus Schweden verbannt. Er zog nach Paris, wo sein Sohn unter dem Namen de Leuven einer der angesehensten Theater-Schriftsteller wurde. Die erwähnten vornehmen Privataufführungen machten den Namen Flotow allmälig in Paris bekannt; man wurde aufmerksam auf sein Talent. Dennoch blieben die Opernbühnen ihm noch immer ver schlossen. Seine Bemühungen, von dem Director der Komi schen Oper, Crosnier, auch nur ein bescheidenes einactiges

Libretto zu erhalten, blieben vergeblich. Dieser Director ließ Flotow niemals vor, so oft dieser ihn auch im Theater oder zu Hause aufsuchte. Der Diener hatte den strengsten Auftrag, „den deutschen Monsieur“ jederzeit abzuweisen. Wie half sich der deutsche Monsieur? Er verband sich mit Grisar, dessen Ruf schon begründet war, zu gemeinschaftlicher Arbeit, unter der Bedingung, daß die ersten Opern nur unter Grisar’s Namen gegeben werden sollten. So kam im Jahre 1838 im Théâtre de la Renaissance eine dreiactige Oper, „Lady Melvil“, und im nächsten Jahr eine zweite, „L’eau merveilleuse“, mit großem Erfolg zur Aufführung. Daß diese beiden nur Grisar zugeschriebenen Opern zur größeren Hälfte von Flotow sind, ist bisher nicht bekannt ge wesen. Mit einigem Stolz meldet er seinem Vater, daß er in Folge dieser Arbeiten nahe an 8000 Francs verdient habe. Von einer dreiactigen Oper: „Der Schiffbruch der Medusa“, waren die zwei besten Acte Flotow’s Werk, dessen Namen, wenn auch zum erstenmal, auf dem Theater zettel der „Renaissance“ erschien. Das war also sein erster wirklicher Erfolg in Paris (1839) — freilich auf einer Bühne zweiten Rangs und getheilt mit einem andern Mit arbeiter (Pilati). An der Möglichkeit, eine noch so kleine Arbeit an der Großen Oper anzubringen, hatte er bereits verzweifelt. Da läßt ihn eines Tages Saint-Georges zu sich bitten. „Wollen Sie einen Ballet-Act für die Große Oper componiren?“ — „Ob ich will? Mit tausend Freuden!“ — „Nun denn: das Ballet hat drei Acte, die Arbeit drängt, für zwei Acte hat der Director bereits zwei Componisten ge wählt; als den dritten habe ich Sie vorgeschlagen. Aber Sie müssen sich verpflichten, in vier Wochen fertig zu sein.“ Flotow eilte mit dem ersten Acte überglücklich nach Hause und lieferte die Partitur pünktlich ab. Dieser eine Act wurde für Flotow’s Zukunft von entscheidender Wichtigkeit; das von Saint-Georges bearbeitete Ballet war nämlich „Lady Harriett“, dasselbe Sujet, das Flotow später für seine Martha“ benützte. Nichts Anziehenderes, als die scheinbar zusammenhanglose Kette von Zufällen zu verfolgen, an welcher ein Autor zum ersehnten Ziele gelangt. Flotow hatte für eine von der Fürstin Czartoryska veranstaltete Wohl thätigkeits-Vorstellung eine kleine Oper: „Le Duc de Guise“, geschrieben. Unter den Choristen befand sich auch ein Hamburger, Namens F. W. Riese, mit dem sich Flotow über Opern

texte unterhielt. Dieser Riese schrieb ihm (unter dem Pseudonym Friedrich) das Libretto zur Oper „Stradellaund dann zur „Martha“ — die beiden besten Opernbücher Flotow’s und eigentlichen Pfeiler seines Ruhmes. Durch die Vermittlung dieses poetisirenden Hamburgers gelangte die Oper „Stradella“ zur ersten Aufführung in Hamburg (1844) und errang einen beispiellosen Erfolg. Bald er probte Stradella seine banditenbezähmende Hymne auf allen deutschen Bühnen. In Wien zuerst im Wiedener Theater, im selben Jahre noch im Kärntnerthor-Theater. Unverzüglich bestellte die entzückte Hofopern-Direction eine neue Oper bei Flotow. Das war die „Martha“. Ihre Première (25. November 1847) mit der Zerr und Therese Schwarz, Erl und Karl Formes bildete den Ausgangspunkt einer bereits durch 45 Jahre rüstig fortlaufenden Kette von Martha-Erfolgen in allen Sprachen, in allen Ländern dies seits und jenseits des Weltmeeres.

Mit keiner seiner nachfolgenden Opern vermochte Flotow die Wirkung Stradella’s und Martha’s auch nur annähernd zu erreichen. Seine Erfindung nimmt zusehends ab, seine Manier versteinert sich. Relativ am frischesten zeigt ihn noch die Oper „Indra“ (Wien1852). Da findet sich doch neben der fadesten Behandlung des Pathe tischen und Sentimentalen — jederzeit die schwache Seite Flotow’s — ein ungemein farbenfrisches Bild des heiteren Nachtlebens in Lissabon. Wo er alle die originellen National- Melodien her habe? „Von einem alten spanischen Sprach lehrer in Berlin,“ antwortete mir Flotow, „einem drolligen Kauz, der sich Abends zur Guitarre manchmal in musika lischen Heimats-Erinnerungen erging. Ich ließ mir den Mann mit seiner Guitarre ein paarmal kommen, tractirte ihn reichlich mit Chocolade, und er sang mir seine Volkslieder vor, von denen ich einige gut brauchen konnte.“ Jeder von Flotow’s Briefen spricht mit ungeheuchelter Bescheidenheit von den unverdient großen Erfolgen, die er „dem Wohl wollen des nachsichtigen Wiener Publicums“ verdanke. Zeit lebens hing er mit zärtlicher Dankbarkeit an Wien. Aber auch Wien wurde nicht müde, den Componisten der Martha“ zu immer neuen Schöpfungen aufzumuntern. Anstatt jedoch aus frischem Holz zu schneiden, Neues zu schaffen, begann Flotow, vielleicht im Gefühle abnehmender Kraft, allerhand alte Stücke umzuformen, zu leimen, zu

poliren. Schon für die „Indra“ hatte theilweise seine ältere Oper „L’esclave de Camoëns“ herhalten müssen. Dann entstanden aus dem „Naufrage de la Méduse“ „Die Matrosen“, welche bei der Wiener Aufführung rettungs los untergingen. Ein gleiches Schicksal erreichte die Oper Der Förster“, eine deutsche Ueberarbeitung von Flotow’s L’âmo en peine“. Hierauf kam noch 1856 eine neue deutsche Original-Oper „Albin“, eine Tiroler Dorfgeschichte mit großartig, poetischen Müllerburschen, sentimentalen Bäuerinnen und nach Patschouli duftenden Tannenwäldern. Trotz der allgemeinen Sympathien für Flotow und seinen Textdichter Mosenthal blieb das enttäuschte Publicum schon nach wenigen Reprisen aus. Dieser Mißerfolg hat den Componisten, wie seine Biographin erzählt, sein ganzes Leben lang schmerzlich bedrückt, und noch kurz vor seinem Tode „schuf er Pläne zur Rehabilitirung“ dieses zum „Müller von Meran“ umgetauften Albin. Flotow hielt die größten Stücke gerade auf dieses schwache Werk — ein neuer Be weis, wie sehr ein Autor über den Werth seiner eigenen Sachen sich täuschen kann. In Wien gelangten noch zwei spätere, aus dem Französischen übertragene Opern von Flotow zur Aufführung, aber nicht im Hofoperntheater, wo man etwas mißtrauisch geworden war, sondern (mit der Geistinger und Albin Swoboda) im Wiedener Theater. Zilda“, 1867, ein orientalisches Märchen vom weisen Khalifen und vom bestraften nichtsnutzigen Kadi, und eine romantische Oper „Sein Schatten“ (l’ombre), 1871, deren Romantik darin besteht, daß es sich abwechselnd um bereits erschossene und noch zu erschießende Officiere handelt. So wurde denn jede spätere Oper von Flotow immer etwas schmächtiger und blässer als die früheren, bis schließlich von dem berühmten Componisten der „Martha“ nichts übrig blieb, als — „sein Schatten“. Damit ist jedoch der Kreis von Flotow’s Opern-Compositionen noch lange nicht geschlossen. Unsere Biographie nennt noch eine erkleckliche Anzahl von Opern aus Flotow’s letzter Zeit, welche auf ein bis zwei deutschen Bühnen rasch verpufft sind, ohne überhaupt nach Wien zu gelangen: „Die Großfürstin“, „Rübezahl“, „Johann Albrecht“, „Naïda“, Am Runenstein“, „Die Blume von Harlem“, „Das Burg fräulein“; dann die Ballette: „Libelle“, „Der Tannkönig“ und Die Gruppe der Thetis“. Zwei Opern: „Die Musikanten

und „Sacuntala“, scheinen überhaupt noch nicht aufgeführt zu sein. Man erkennt aus diesem Verzeichniß den unermüd lichen Schaffensdrang Flotow’s; die Arbeit war ihm Bedürfniß.

Von Flotow’s späteren Lebensschicksalen haben wir noch nachzuholen, daß er nach dem Tode seines Vaters längere Zeit in eifriger landwirthschaftlicher Thätigkeit auf seinen mecklenburgischen Gütern verweilte. Als ihn da das Unglück traf, seine junge Frau und sein Kind zwei Jahre nach der Hochzeit zu verlieren, verkaufte er die Ländereien bis auf das Erbgut, Teutendorf, mit welchem später sein Sohn Wil helm belehnt wurde, und zog nach Wien. In Ober-Sievering, am Abhange des Kahlenberges, erwarb er einen kleinen Besitz, wo er mit seiner zweiten Frau, Anna Theen, sich ein gemüthlich stilles Heim einrichtete. Hier erreichte ihn der Ruf seines Landesherrn, die oberste Leitung des Schweriner Hoftheaters zu übernehmen. Ganz abgesehen davon, daß der Großherzog einen mecklenburgischen Cavalier an der Spitze seines Hoftheaters sehen wollte, war die Wahl sehr ein leuchtend, denn Flotow hatte sich in Paris eine vollkommene Kenntniß des gesammten Theaterwesens angeeignet und galt für einen ausgezeichneten Regisseur. „Ausgerüstet mit großer Gewalt und kleinem Gehalt“, hat Flotow in seiner neuen Stellung nach Kräften Gutes gewirkt, ins besondere durch die Acquisition des (heute noch thätigen) Hofcapellmeisters Alois Schmitt die Schweriner Musik zustände zu bedeutender Höhe gehoben. Sieben Jahre lang widmete er sich dieser Amtsführung, die er „einen sieben jährigen Krieg“ nannte. Schließlich ward ihm die Stellung durch kleinliche Intriguen und Angriffe verleidet, und er nahm 1863 seinen Abschied. Daß Flotow’s ehrlich liberale, künstlerische Gesinnung sich am Schweriner Hofe wirklich nicht heimisch fühlen konnte, mag folgendes Beispiel beweisen: Flotow hatte auf besondere Bitte beim Großherzog die Er laubniß erwirkt, daß bei Hofconcerten die mitwirkenden Künstler und Künstlerinnen am Souper an einer der kleinen Tafeln theilnehmen dürfen, welchen er selbst als Intendant präsidiren wollte. Doch der Hofmarschall fand diese Con cession so unerhört, daß er auf eigene Faust einige Minuten vor Beginn des Soupers die für die Künstler bestimmte Tafel abdecken ließ und „diese Leute“ heimschickte. Im Jahre 1868 schritt Flotow zur dritten Ehe (mit der Verfasserin der Biographie) und lebte die nächsten fünf Jahre auf der

seiner Gattin gehörigen Besitzung in Hirschwang bei Reichenau, wo zahlreiche Gäste aus der Wiener Kunstwelt sich gern einfanden. Die Besitzung überging später in das Eigenthum des Baron Victor Erlanger, und Flotow ließ sich für den Rest seines Lebens in Darmstadt nieder. Von dort kam er noch einmal, im April 1882, nach Wien, um im Hofoperntheater der fünfhundertsten Vorstellung seiner Martha“ als Ehrengast beizuwohnen. Es war dies zugleich die schönste Feier seines siebzigsten Geburtstages. Einige Monate später hatte ihn ein Schlagfluß weggerafft. Der Himmel, der sich ihm meistens gnädig erwiesen, hat dem thätigen Manne die Qualen langer Krankheit erspart. Auch konnte er mit dem Glücksgefühle scheiden, seinen Ruhm und seinen Zusammenhang mit dem Publicum nicht überlebt zu haben. Sind auch die Werke seiner späteren Periode rasch ver schollen, Stradella und Martha führen — Ersterer mindestens in Deutschland, Letztere in der ganzen Welt — heute noch ihr fröhliches Dasein fort. Die Verbreitung und Beliebtheit der „Martha“ ist in der Geschichte der deutschen komischen Oper ohne Beispiel. Der letzte große Erfolg dieses Genres, „Der Trompeter von Säckingen“, reicht nicht ent fernt daran; seine Töne sind nie über die Grenzen Deutsch lands gedrungen, und auch hier beginnen sie jetzt — schon nach zehn Jahren! — bedenklich einzufrieren, ohne viel Aussicht, je wieder in ihrer alten münchhausischen Stärke aufzuthauen. Eine so außerordentliche und anhaltende Popu larität wie die der „Martha“ ist niemals ohne zureichenden Grund, und dies muß, bei allem sonstigen Vorbehalt, auch der Kritiker anerkennen, der jetzt ihren trostlos abgenützten Melodien lieber aus dem Wege geht.

Der persönliche Charakter Flotow’s erscheint in der Biographie brav und liebenswürdig, wie wir ihn auch im Umgange stets gefunden haben. Er war nicht blos vornehm in der Erscheinung, sondern auch in der Gesinnung. In seinen Briefen und Tagebuchblättern findet sich nicht die ge ringste mißgünstige oder geringschätzende Aeußerung über einen seiner Collegen. Diese Tugend stammt gewiß zur Hälfte aus natürlichem Wohlwollen, zur anderen Hälfte ver dankt er sie Paris. Französische Componisten und Schrift steller pflegen niemals über ihre Collegen wegwerfend zu sprechen. In Deutschland scheint das Gegentheil beliebter zu sein.