Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10027. Wien, Sonntag, den 24. Juli 1892 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
Georg-Coch-Platz 2 1010 Wien Österreich Wien
Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

Sie dürfen: Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten

Bearbeiten — das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.

Der Lizenzgeber kann diese Freiheiten nicht widerrufen solange Sie sich an die Lizenzbedingungen halten. Unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Keine weiteren Einschränkungen — Sie dürfen keine zusätzlichen Klauseln oder technische Verfahren einsetzen, die anderen rechtlich irgendetwas untersagen, was die Lizenz erlaubt.

Hinweise:

Sie müssen sich nicht an diese Lizenz halten hinsichtlich solcher Teile des Materials, die gemeinfrei sind, oder soweit Ihre Nutzungshandlungen durch Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts gedeckt sind.

Es werden keine Garantien gegeben und auch keine Gewähr geleistet. Die Lizenz verschafft Ihnen möglicherweise nicht alle Erlaubnisse, die Sie für die jeweilige Nutzung brauchen. Es können beispielsweise andere Rechte wie Persönlichkeits- undDatenschutzrechte zu beachten sein, die Ihre Nutzung des Materials entsprechend beschränken.

Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10027. Wien, Sonntag, den 24. Juli 1892 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Vom Théâtre Français. II. Adrienne Lecouvreur und ihr Theater.

Ed. H. Vergleiche „Neue Freie Presse“ Nr. 10020 vom 17. Juli. Wenige unserer Theater-Besucher dürften sich um Adrienne Lecouvreur sonderlich gekümmert haben, bevor sie ihnen als Paraderolle in dem bekannten Stücke von Legouvé entgegengetreten war. Und auch jetzt beschränkt sich das allgemeine Interesse an der berühmten Schauspielerin so ziemlich auf die Fabel jenes Schauspiels. Die effectvollste Situation desselben steht erwiesenermaßen im vollen Wider spruche zu der historischen Wahrheit. Die Freiheit des Dich ters, eine Legende für seinen poetischen Zweck zu verwerthen, bleibe unangefochten, aber thatsächlich ist Adrienne Lecouvreur ebensowenig vergiftet worden, wie Mozart, Cimarosa oder Bellini, von denen dieselbe Schauermär eine zeitlang verbreitet war. Weder die Eifersucht von Collegen noch die Feindseligkeit der Her zogin von Bouillon sind schuld an ihrem frühen Tode. Adrienne starb am 20. März 1730, nachdem sie fünf Tage vorher mit übermenschlicher Anstrengung, unter Schmerzen und Ohn machten, gespielt hatte. Nach dem gerichtlichen Sections- Protocoll ist sie einer heftigen Gedärmentzündung erlegen, einer Krankheit, die sie bereits fünf Jahre früher an den Rand des Grabes gebracht hatte. Sie war als die Tochter eines Hutmachers aus der Provinz, der sich ganz nahe der Comédie Française etablirte, sehr jung nach Paris gekom men. Kaum 15 Jahre alt, gesellt sie sich zu einigen theater lustigen jungen Leuten, welche im Laden eines Gewürz krämers den „Polyeucte“ aufführen. Die Vorstellung macht einiges Aufsehen, man spricht von dem großen Erfolge der jungen Tragödin, und einer der Zuschauer, der Schauspieler Legrand, begeistert sich für die Aufgabe, ihr Talent auszubilden. Er war ein so mittel mäßiger Comödiant, daß ihm wahrscheinlich nicht das mindeste Verdienst zukommt an dem späteren Ruhme seiner Schülerin. Adrienne hat sich in der That selbst aus gebildet. In der Comédie Française debutirte sie im Mai 1717 in einer Tragödie von Crébillon und dem Lustspiele George Dandin. Man verlangte damals von den Debütanten, daß sie am selben Abend sich in beiden Gattungen, im Tra

gischen und Komischen, zeigen sollten. Die Zuschauer zum Lachen zu bringen, nachdem man sie weinen gemacht, das war zu jener Zeit der Ehrgeiz aller jungen Schauspielerinnen. Obwol durch die Tragödie berühmt geworden, galt die Lecou vreur doch für vortrefflich auch im Lustspiel; sie wurde darin anfangs sogar häufiger beschäftigt, als im Trauer spiel. Am bewunderungswerthesten war sie im Ausdruck starker Leidenschaften; da sprach sie unmittelbar, unwiderstehlich zum Herzen und packte die Zuhörer mit einer Kunst, die von Natur nicht mehr zu unterscheiden war. Ohne ernstes Studium hatte sie diese Kunst keineswegs erlangt. Es be fremdete sie, daß der berühmte Grammatiker Dumarsois inmitten des jubelnden Publicums immer nur zeitweilig ein halblautes „Recht gut“ von sich gab. Sie lud ihn zu sich ein und bat ihn um seinen Rath. Er war in der That der Mann, ihrer einzigen Unvollkommenheit abzuhelfen. Ihre Aussprache war nicht correct. Dumarsois gestand, daß ihr Vortrag immer seine Seele bewege, aber manchmal sein Ohr verletze. Die erste Pflicht des Schauspielers sei, gut zu sprechen. Adrienne faßte rasch das Gebot ihres Meisters: man müsse jedem Wort, jeder Sylbe den richtigen Werth geben. Der „tonische Accent“ sei die Seele des Wortes. Den Vortrag Adrienne’s durchdrangen Geist und Empfin dung, dazu der Reiz einer tiefklingenden Stimme, dieser unschätzbare Vortheil für eine Tragödin, den später auch die Rachel besaß. Solche Vorzüge erhob Dumarsois zur schönsten Wirkung, indem er ihnen die literarische Genauigkeit der Aussprache beifügte. Fragen der Aussprache wurden damals in der Pariser Gesellschaft mit großer Wichtigkeit behandelt; die Comédie Française galt dafür als Autorität, genau wie bei uns in — früherer Zeit wenigstens — das Burgtheater. Adrienne hatte so viele Bewunderer im Publicum, daß Neider, insbesondere Neiderinnen, in den Coulissen nicht ausblieben. Obendrein zeigte sie sich unbotmäßig gegen die Disciplin des Theaters. Jeden Augenblick ward ihr eine Geldstrafe dictirt wegen Zuspätkommens zu den Proben und Aufführungen. Darin übte man gegen Adrienne allerdings eine besondere Strenge; ihre Beziehungen zur großen Welt, wo sie verhätschelt ward, hatten ihr die Feindseligkeit vieler Collegen zugezogen. Einer derselben entdeckte in dem Worte Couleuvre (Natter) das Anagramm des Namens Lecouvreur und glaubte damit die Schwärze ihres Charakters zu beweisen. Auch ein direct gegen sie gerichtetes Stück: „L’actrice nouvelle“ ward von Quinault, ihrem

erklärten Feinde, zur Aufführung eingereicht und wäre ohne Dazwischenkunft einflußreicher Freunde auch wirklich gespielt worden. Der frühe Tod Adrienne Lecouvreur’s versetzte dem Theater den schwersten Schlag. Ein von Voltaire verfaßter Nachruf ertheilt ihr das außerordentliche Lob, sie habe die Kunst, zum Herzen zu sprechen, so gut wie erfunden und zuerst Wahrheit und Gefühl an die Stelle von Pomp und Declamation gesetzt.

Die Lebensumstände der Lecouvreur sind unseren Theater freunden immerhin noch besser bekannt, als der Zustand des Hauses, in welchem sie geglänzt hat. „Geglänzt“ im figür lichen Sinn, denn die Scene der großen Künstlerin war stets nur mittelst etlicher Pakete Talgkerzen beleuchtet. 45 Francs für Talgkerzen — damit beleuchtete man im Jahre 1718 den Zuschauerraum, die Gänge, die Coulissen, die Decorationen, die Garderoben der Schauspieler und auch noch die „Loge à la limonade“, welche das Foyer des Publicums bildete. Mußte dieses Halbdunkel nicht das Spiel der Darsteller beeinträch tigen? Nach seiner persönlichen Erfahrung meint Regnier, es habe niemals ein Schauspieler davon zu leiden gehabt. Die Augen waren anders gewöhnt, als die unseren, und zwischen der Beleuchtung des Theaters und der unserer Wohnungen bestand dasselbe Verhältniß wie heute. Man war zu Hause gewohnt, im Düstern zu sehen, bei einer Unschlittkerze zu lesen, zu arbeiten; man verlor im Theater keinen Zug von den Schauspielern in dem sie umgebenden Halbdunkel. Dem achtzigjährigen Regnier kommt es vor, als sei das Theater immer auf dieselbe Weise beleuchtet gewesen. Und doch, was für Fortschritte hat er darin erlebt! Er erinnert sich des Théâtre Français im Jahre 1822; dasselbe Haus wie heute, aber welch verschiedener Anblick! Der Zuschauerraum war damals um eine Logen reihe höher geworden; die innere Decoration bestand in einer jonischen Säulenreihe längs des Saales, welche oben durch Unterabtheilungen die Logen des ersten und zweiten Ranges verband; die Wände bekleidete eine blaue, durch das Alter grau gewordene Tapete. Seit der Republik war dieser Saal nicht restaurirt worden; seine Beleuchtung beschränkte sich auf einen Luster von 40 Oellampen. Elf Jahre später, 1833, ward der Saal wieder restaurirt und die Oellampen durch Gasflammen ersetzt, in der Stärke von etwa 80 Oellampen. Man blieb dabei nicht stehen; Beleuchtungs-Apparate ge langten auf die Bühne und erhellten von rechts und links alle Theile der Scene. Für Regnier hat dieser fortwährende

Lichtzuwachs keinen reellen Werth. Er will vor 60 Jahren Talma und die Mars ebenso deutlich gesehen haben, wie heute Herrn Got oder Fräulein Reichemberg. Das Theater, das ja von der Illusion lebt, dürfte eines Tages leiden von der Ueberfluthung mit blendendem Licht. Nach Regnier’s Ueberzeugung ist das elektrische Licht, das sich ohne Zweifel allgemein durchsetzen wird, nachtheilig für die Schauspie lerinnen. Unter dem elektrischen Licht und den riesigen Opern guckern von heute hätte die sechzigjährige Mlle. Debrie schwerlich noch jugendliche Rollen spielen können.

Das Theater war 1689 eröffnet worden und brachte durch seine schlechte Construction schwere Verlegenheiten für die Schauspieler. Die Epoche der Adrienne Lecouvreur war besonders ungünstig; die Theater, insbesondere die Comédie Française, spielten vor halbleerem Hause. Die Schauspieler, von Schulden bedrückt, beschworen den Regenten, sich ihres Elends zu erbarmen. In dem Jahre von Adrienne’s Debüt betrug der Antheil eines Societärs für den Monat Juni 75 Francs; die Debütantin erhielt nur die Hälfte! Im August und September wird gar nichts vertheilt, und im October kommt auf die junge Tragödin ein Betrag von 19 Francs 10 Sous. Man schreitet zu allerlei Einschrän kungen. Die geringe Betheiligung des Publicums macht eine starke Wache entbehrlich; man beschränkt sich auf sechs Polizeimänner. Die Preise der Plätze werden um den vierten Theil herabgesetzt. Nachdem der Eigenthümer des berühmten Café Procope erklärt, daß er bei so schwachem Theaterbesuche unmöglich den Pacht seines Locals im Schauspielhause zahlen könne, erhält er eine Herabminderung von 1200 auf 900 Francs. Auch ist das Theater gezwungen, seine Almosen ein zuschränken. Gegen die bisherige Gewohnheit spendet es nichts mehr an die Klöster, ausgenommen an das der Charité, welches täglich fünfzehn Sous erhält. Als die Ge sellschaft nicht mehr auf den Ertrag der Vorstellungen rechnen kann, stürzt sie sich fieberhaft in die Zufälle des Spiels, kauft Lotterielose an und convertirt in trügerische Bankbillette die Gelddepots, welche bei dem Notar für die Gesellschafts schulden haften. Vergebliche Versuche! Das Geld der Comédie Française verschwindet wie in einem Abgrund, und man sieht sich zu einer höchst mißlichen Liquidation gezwungen. Um die Socie täre des Ruhestandes auszuzahlen, muß Geld zu Wucherzinsen aufgenommen werden. Das Publicum war zur Zeit der Regentschaft völlig von der Politik eingenommen und ver

nachlässigte das Theater. Im Jahre 1721 finden wir das Théâtre Français an 24 Abenden geschlossen, in den meisten Fällen „wegen Mangels an Zuschauern“. Das Aufsehen, das die ersten Vorstellungen der Adrienne Lecouvreur bei einigen Kennern und Liebhabern erregt hatten, verschwand bald unter dem Lärm der Ankunft Peter’s des Großen. Am Tage seines Eintreffens fanden die Schauspieler es ge rathen, ihr Theater zu schließen, und wiederholten diese Vorsichtsmaßregel bald darauf wegen einer ihm zu Ehren veranstalteten Revue. So lang der Czar in Paris weilte, hängte sich die Menge an seine Fersen. Welche Einnahme, wenn es dem Czar eingefallen wäre, das Théâtre Français zu besuchen! Er dachte nicht daran. Der Regent führte ihn in die Große Oper, „wo Beide auf derselben Bank saßen“, denn ein Fauteuil oder selbst ein einfacher Stuhl war damals im Theater ein unbekanntes Möbel. Nachdem Peter der Große Bier verlangt und ge trunken hatte, verließ er im vierten Act die Oper, um zu nachtmalen. Wenn die prachtvoll ausgestattete Oper mit ihren Tänzerinnen und Decorationen den Czar nicht zu fesseln vermochte, wie hätte die Comédie Française auf seinen Besuch hoffen dürfen!

War das damals ein trauriger Ort, das Théâtre Français, mit seinem engen düsteren Saal und seinem stets lärmenden, unreinlichen Stehparterre! Es gab nur vier verschiedene Plätze, zu folgenden im Jahre 1718 herab gesetzten Preisen: Erste Ranglogen 4 Francs; zweite 2 Francs; dritte 1 Franc 10 Sous; Parterre 1 Franc. Außerdem konnten auf der Bühne selbst, rechts und links von den Schauspielern zwanzig Personen auf drei Bankreichen Platz nehmen. Dieser Platz war sehr gesucht und kostete 5 Francs 10 Sous. Die erste Loge rechts vom Zuschauer hieß die Loge des Königs, die gegenüberliegende die Loge der Königin. Wenn es den Majestäten gefiel, ihren Besuch anzukündigen, wurden diese Logen ihnen reservirt, sonst aber beliebig vermiethet. Zur Zeit von Adrienne’s Debüt hatte Frankreich keine Königin und der Hof besaß sein eigenes Theater, wo er häufig die Schauspieler des Théâtre Français sah. Kamen Prinzen oder Prinzessinnen von Geblüt ins Theater, so ersetzte man ihnen zu Ehren die Talglichter durch Wachs kerzen. Ihre Geburt gab ihnen das Recht, die ersten Logen zu benützen, auch wenn diese bereits an Private vermiethet und von diesen besetzt waren; die Insassen mußten sich

zurückziehen und sehen, wo sie sonst Platz fanden. Wenn die Prinzen nicht gerade eine Prinzessin begleiteten, wählten sie ihren Platz am liebsten auf der Bühne. Dann unterbrachen die Schauspieler sofort die Vorstellung, alle Zuschauer erhoben sich grüßend und setzten sich erst wieder, wenn der Prinz den ihm unverzüglich geräumten ersten Platz eingenommen hatte. Der Regisseur, welcher am Schlusse die morgige Vor stellung anzukündigen hatte, machte dem Prinzen eine tiefe Verbeugung und bat um die Erlaubniß, ankündigen zu dürfen. Wie verschieden waren damals die Sitten in Eng land! Ein Prinz, welcher durch sein Zuspätkommen die Vorstellung verzögerte, wurde dort ohneweiters ausgezischt.

Wie verhielt es sich mit den Einnahmen des alte Théâtre Français? Vollständig besetzt, faßte es gegen 1200 Personen; die stärkste Einnahme erreichte kaum 2000 Francs. Die Tageskosten beliefen sich auf 263 Francs. Der vierte Theil der Einnahme fiel den Armen zu. Es war dies eine geradezu erdrückende Steuer, aber seltsamerweise von den Schauspielern nicht einmal so stark angefeindet, wie die Verpflichtung, dem Autor eines aufgeführten Stückes den neunten Theil der Einnahmen zu zahlen, und auch das nur so lange, als die Novität sich in der Gunst des Publicums erhielt. Eine höchst ungerechte und harte Bedingung. Die Tantième des Autors hörte auf, sobald zwei aufeinander folgende Aufführungen seines Stückes weniger einbrachten als 350 Francs im Sommer, 550 Francs im Winter. Dann verfiel sein Stück „den Regeln“, das heißt, es gehörte nicht mehr dem Verfasser, dem man nichts mehr zu bezahlen brauchte, sondern blieb für immer Eigenthum der Schau spieler. Es ist ein wenig bekannter, sehr charakteristischer Zug Voltaire’s, daß er nach seinem „Oedipe“ keinen Werth auf seine Tantiemen zu legen schien und sie den Schau spielern überließ; er erreichte damit, daß sie seine Stücke öfter aufführten. Seltsam, daß Molière als Theater dichter, Schauspieler und Director seiner Truppe niemals einen Schritt that, um diese für die Autoren so drückenden, ungerechten Vorschriften zu beseitigen. Wahrscheinlich hat Zartgefühl und Bescheidenheit ihn verhindert, seine Autorität in einer ihn so nahe berührenden Frage zu benützen. Chef seiner Gesellschaft, die von ihm und durch ihn lebte, hat er doch nie einen besonderen Vortheil für seine Person bean sprucht. Bei seiner Verheiratung wurden ihm allerdings zwei Antheile von der Einnahme zugestanden; der eine galt aber

für seine Frau, welche ein erstes Rollenfach glänzend vertrat. Für seine Stücke, diese Schatzkammer seiner Truppe, machte Molière niemals andere als die allgemein üblichen Bedin gungen und wurde als Autor völlig gleich behandelt mit den obscursten Literaten, die für sein Theater schrieben.

Die Auslagen, welche das Théâtre Français für den Comfort des Publicums machte, waren zur Zeit der Le couvreur verschwindend klein. Die Schauspieler glaubten schon eine außerordentliche Reinlichkeit zu zeigen, indem sie der Logenschließerin vorschrieben, einmal in der Woche die Logen auszukehren und die Bänke abzustauben! Die Bühne hingegen fegte man täglich; zu dieser unerhörten Sauberkeit nöthigte die Künstler die Sorge für ihr sehr kost bares Costüm. Eine luxuriöse Theater-Garderobe galt ihnen stets als die erste Nothwendigkeit. Große Herren kamen diesem Bedürfniß und Hang der Schauspieler gern mit ihren eigenen Hofkleidern zu Hilfe. Der Schauspieler Raymond Poisson bittet in Versen den Herzog von Créqui um einen schönen Anzug für seine Rolle als Marquis; der Cardinal Richelieu sendet dessen Collegen Bellerose ein elegantes Hof costüm. Dieser Bellerose war berühmt wegen der Kostbarkeit seiner Garderobe; er hat sie um den damals enormen Preis von 22,000 Francs verkauft. Die Schauspielerinnen hielten natürlich noch größere Stücke auf prächtige Kleider, spielten sie doch in unmittelbarster Nähe der die Bühne blokirenden Zuschauer. Andererseits verringerten sich wieder durch diese Belagerung der Scene die Ausgaben für Decorationen. Wozu auch diese? Man sah sie ja nicht. Ein Salon, ein Palast, eine Hütte, ein Kerker, ein Wald und ein Garten — das reichte hin für alle dramatischen Situationen. Möbel existirten nicht; man stellte ein Fauteuil oder Stühle nur dann auf die Bühne, wenn das Stück den Schauspielern ausdrücklich zu sitzen anwies. Orosman, in Voltaire’s Tragödie, erdolchte die Zaïre zwischen den Coulissen, weil auf der Bühne schlechterdings kein Raum war für das vorgeschriebene Sofa. Wir haben aus der Zeit der Lecouvreur geradezu abstoßende Schilderungen von dem Theater, in welchem man schlecht hörte, schlecht sah, und in einem schmutzigen, übelriechenden Parterre eine lärmende Menge sich stieß und drängte. Wir staunen, mit welchem Gleichmuth im siebzehnten und acht zehnten Jahrhundert wohlhabende Bürger, ja große Herren sich Unbequemlichkeiten gefallen ließen, welche heute dem bescheidensten Theaterbesucher unerträglich wären.